Agenda 2023
365 Chancen das Leben zu gestalten
Predigttext | Predigttext: Lukas 4,16-21 |
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Kirche / Ort: | Karlsruhe |
Datum: | 01.01.2023 |
Kirchenjahr: | Neujahrstag |
Autor: | Pfarrer Dr. Uwe Hauser |
Predigttext: Lukas 4,16-21 (Übersetzung nach Martin Luther, Revision 2017)
16Und er kam nach Nazareth, wo er aufgewachsen war, und ging nach seiner Gewohnheit am Sabbat in die Synagoge und stand auf, um zu lesen. 17Da wurde ihm das Buch des Propheten Jesaja gereicht. Und als er das Buch auftat, fand er die Stelle, wo geschrieben steht (Jes 61,1-2): 18»Der Geist des Herrn ist auf mir, weil er mich gesalbt hat und gesandt, zu verkündigen das Evangelium den Armen, zu predigen den Gefangenen, dass sie frei sein sollen, und den Blinden, dass sie sehen sollen, und die Zerschlagenen zu entlassen in die Freiheit 19und zu verkündigen das Gnadenjahr des Herrn.« 20Und als er das Buch zutat, gab er’s dem Diener und setzte sich. Und aller Augen in der Synagoge sahen auf ihn. 21Und er fing an, zu ihnen zu reden: Heute ist dieses Wort der Schrift erfüllt vor euren Ohren.
Eine Rückkehr in die alte Heimat trägt eigene Züge: Freudige Erinnerungen, die meist mit Orten und Menschen verbunden sind, leuchten auf. Schmerzhafte Erlebnisse werden plötzlich vergegenwärtigt. Ehemalige Freunde, Nachbarn und Verwandte, die einen umarmen. Andere, die einen gar nicht mehr erkennen. Jedoch die Zeit ist vorangerückt sowohl in der Heimat, wie da draußen in der „großen weiten Welt“, aus der man gerade kommt.
Weder sind die Personen die Gleichen, die zuhause gebleiben sind, noch diejenigen, die hinauszogen. Sie haben sich verändert, wir haben uns verändert. Dennoch legen wir Menschen gerne fest auf das, was sie angeblich einmal waren, wie wir sie kennengelernt haben: So seien sie und nicht anders, eben so wie damals. Dieser verklärte, romantische manchmal auch verbitterte Blick nach hinten, dieses Verharren im Gestrigen in dem, was einmal wahr, verbaut einem den Blick auf das, was neu werden könnte, was sich vielleicht schon verwandelt hat. Es erstickt die Chance, die jede neue Begegnung birgt. Vielleicht ist das ein menschlicher Grundzug, dass wir gerne im Vertrauten, Bekannten und uns Verfügbaren verharren. Dass wir glauben, dass wir aus diesem Beharren Kraft schöpfen können. Es war schon immer so.
Jesus kommt in seines Heimatsynagoge Nazareth. Die Leute sagen: „Wir kennnen ihn. Ist das nicht Josefs Sohn?“ Und über dieser Festlegung, der Verschlossenheit gegenüber der Veränderung, verschließen sie sich auch gegenüber Gott und seinem Wirken. Denn sie legen Jesus darauf fest, dass er nur ein Mensch ist, einer wie wir, nicht mehr und nicht weniger. Die Menschen in Nazareth öffnen sich nicht für Gottes Handeln an diesem Jesus, der ihre Heimatstadt so berühmt machen wird. Der Prophet gilt eben nichts in seinem Heimatort. Denn die Menschen ertragen die Verwandlung nicht, die an ihm geschehen ist. Das er der von Gott Berufene ist.
Denn in der Tat ist es eine Zumutung, die hier ausgesprochen wird: Für Jesus ist das Wort aus Jesaja nicht irgendeine „Altarlesung“, irgendein Bibelwort, dass er eben vorzulesen hat; ihm an die Hand gegeben, weil dies so Brauch ist, als Erweis der Höflichkeit ihm gegenüber. Nein, hier kommt der Anspruch zum Tragen, der in Jesu Kommen liegt. Dass hier mehr und ein völlig Anderer kommt als nur der Sohn des Josef. Hier kommt der von Gott mit seinem Geist Gesalbte. Die Botschaft, die er zu verkündigen hat, ist umstürzend neu.
Denn die Worte, die der Messias im Auftrage Gottes auszurichten hat, richtet sich an die Armen, Gefangenen, Blinden, Zerschlagenen. Er verkündigt Gottes Wirken, das die Welt verwandeln wird. An dieser Stelle hätten die Leute aus Nazareth einen Augenblick stutzen, aufmerken und nachdenken können, ob Gott nicht immer so gehandelt hatte: Als er das kinderlose Ehepaar Abraham und Sarah erwählte, als er den Mörder und Stotterer Mose zum Führer seines Volkes machte, als er David als Jüngsten aus der Schar der Brüder salben ließ, den viel zu jungen Jeremia zum Propheten machte und den unwilligen Amos hinter der Herde hervor zerrte.
So ist das eben mit Gott. Er geht seiner Wege. Und so ist dieser Jesus aus Nazareth, eben der erwartete Messisas. Nicht dass Gott hier die Einwilliung des Ältestenkreises aus Nazareth gebraucht oder sich die Zustimmung des Magistrates geschert hätte. Gott hat ihn erwählt. Er ist der Gesalbte auf dem Gottes Geist ruht. Damit kommt man in Nazareth nicht klar: „Wir kennen ihn doch, das kann nicht sein. Das ist Anmaßung! Das ist Gotteslästerung!“ Als Siegel ihres frommen Sinnes wollen sie Jesus draußen vor dem Dorf in einen Abgrund stürzen und töten. Am Ende heißt es von Jesus: „Er aber ging mitten durch die hindurch“. Es ist wie immer: Gott schert sich wenig um unsere Überzeugungen, das was wir glauben oder wovon wir uns nicht überzeugen lassen. Er geht seiner Wege. Da stehen die Leute von Nazareth mit offenem Mund und ungläubigen Herzen vor dem Abgrund am Ortsrand von Nazareth.
An Jesus Christus glauben heißt eben genau dieses: offenbleiben für Gottes Handeln, das von uns nicht berechenbar ist, aber es ist immer zugunsten der Armen, Gefangenen, Blinden und Zerschlagenen. So ist er eben der Heilige Israels. Gott interveniert zugunsten der Bedürftigen. Und das wird Er tun, ob wir es wahr haben wollen oder nicht. Unsere Aufgabe ist es, mit offenen Herzen und Ohren uns von seinem Wirken erfassen lassen. Und so stehen wir vor diesem neuen Jahr und können Gott nur um diese offenen Herzen bitten. Um Augen des Herzens, die sein Wirken und das, was uns begegnen wird, erkennen als sein Wirken.
Oft wird geklagt über den Niedergang der Kirche, den Rückgang von Glauben und Bedeutung, von Wirkmacht und der Gleichgültigkeit der Menschen gegenüber theologischen Fragestellungen. Ja, vielleicht leben iwr in Nazareth, vielleicht haben wir zulange die Bänke gedrückt, uns eingerichtet, wissen angeblich, was und wo er wirkt. Die Kirchen haben sich eingemauert in Beamtenbesoldungen, Gebäude und allem, was damit zusammenhängt. Aber Christus ist gekommen und wir haben ihn in unseren Kirchen nicht erkannt. Seinen Ruf in die Freiheit von unseren wohlfeilen und unsere Vorteile sichernde Wegen, haben wir nicht gehört. Seinen Anspruch, dass wir uns neu ausrichten sollen, nicht gehört.
Leben erstickt und geht zugrunde, wo es sich an der Vergangenheit orientiert. Das haben wir noch nie so gemacht. Oder: Das haben wir schon immer so gemacht. Jetzt ist der Tag, nun ist die Stunde, in der gott uns zum Aufbruch ruft.Das neue Jahr liegt vor uns, genug Zeit, dass wir uns auf den Weg machen, diese Botschaft hören: „Den Armen das Evangelium zu verkündigen, den Gefangenen zu predigen, dass sie frei sein sollen, und den Blinden, dass sie sehen sollen, und die Zerschlagenen zu entlassen in die Freiheit und zu verkündigen das Gnadenjahr des Herrn“. Das ist die Agenda für das Gnadenjahr 2023. Gemeint war das Jahr in dem die Abhängigkeitsverhältnisse, Schuldscheine und alle Kredite durchgestrichen wurden. Zeit und Chance füreinen neuen von Gott gesetzten Anfang. Damit ich nicht missverstanden werde eine kleine Fußnote: es geht nicht um ein sozial-diakonisches Profil, das sich die Kirche Jesu Christi zulegen soll.
Hier noch ein kleines Zusatzprogramm, dort noch ein wenig mehr. Es geht um eine grundlegend neue Ausrichtung meines Lebens, der Gemeinde Jeus: Dienen, für die Menschen da sein. Danach fragen, was ihnen guttut. Sich nicht aufhalten an dem, was bürokratisch, technokratisch und sonst wie gefordert wird, sondern die Fesseln abwerfen und sich nur daran ausrichten, wie die Botschaft vorankommt. Es kommt eben auf diese Haltung Jesu an: Gesandt zu sein zu den Armen und Bedürftigen und sie alle in den Blick nehmen:
Schauen Sie nicht darauf, dass ihr Nachbar ein unhöflicher Mensch ist und sie nur im äußersten Notfall grüßt. Überraschen Sie ihn mit ihrer hartnäckigen Freundlichkeit. Ärgern Sie sich nicht darüber, dass sie bei einer Beförderung nicht berücksichtigt wurden, obwohl Sie für das neue Amt doch am Geeignetsten gewesen wären. Gott hat eben Anderes mit Ihnen vor. Mal sehen, wo Sie gebraucht werden. Sorgen Sie sich nicht um ihr persönliches Ergehen, sondern fragen Sie danach, was Sie an Gutem einfach tun können. Es gibt so viele traurige und niedergeschlagene Leute, schreiben Sie Ihnen einen Brief oder noch besser: beglücken Sie sie doch mit einem Besuch.
Das Jahr liegt offen vor uns. 365 Chancen das Leben zu gestalten. Nur bitte nicht die Vergangeheit mächtig werden lassen. Vorbei ist vorbei. Die Gegenwart und die Zukunft ist meine Aufgabe. Mit Worten des Barockdichters Andreas Gryphius könnte das so lauten:
„Mein sind die Jahre nicht, die mir die Zeit genommen. Mein sind dies Jahre nicht, das nun wird kommen. Jedoch die Begegnungen ist mein, und nehm ich die in Acht. Dann wird mein Tun, nach Gottes Willen auch vollbracht“.