„Alles, was Gott geschaffen hat, ist gut …“ – Erntedank 2018
Die Anderen sind gut und richtig, weil Gott sie geschaffen hat - liebevoll mit der Schöpfung umgehen
Predigttext: 1. Timotheus 4, 4-5 (Übersetzung nach Martin Luther)
Denn alles, was Gott geschaffen hat, ist gut, und nichts ist verwerflich, was mit Danksagung empfangen wird; denn es wird geheiligt durch das Wort Gottes und Gebet.
Hinführung zum Predigttext
Der Predigtabschnitt zu Erntedank im IV. Perikopenjahr dürfte der kürzeste der ganzen deutschsprachigen Ordnung sein. Vielleicht fällt die Erarbeitung manchen schwer, weil es so selbstverständlich zu sein scheint: „Was Gott geschaffen hat, ist gut“. Gottes Gut-sein und das Gut-sein seiner Schöpfung entsprechen unmittelbar einander. Im Kontext des Timotheusbriefes und seiner Welt ein klares Plädoyer wider die Verachtung der geschöpflichen Welt. Keineswegs ein veraltetes Thema!
Lässt sich anders unser Umgang mit der Welt verstehen, als dass sich überall eine Art von (Vulgär-?)Platonismus breit gemacht hat. Eine Haltung, Welt und Dinge, ja, Lebewesen jeglicher Art als belanglos zu erachten? Wie anders ist der verbrauchende, Raubbau treibende Umgang mit unserer Welt zu verstehen? Ein Raubbau, welcher eben nicht ehrfurchtsvoll genießt und liebt? Nicht schützt und bewahrt, um zu erhalten?
Anders als Augustin sich in platonischer Tradition das gedacht hat, muss in der Folge des Timotheusbriefes das Genießen sich durchaus auf die geschöpfliche Welt beziehen und nicht allein auf das Ewige. Anders als Augustin sich das gedacht hat, darf und kann die Schöpfung Gottes nicht dem reinen (be-)nutzen überlassen bleiben. Die Verachtung der physischen Welt, der Sexualität, der Speisen, des Genusses, gegen die der Timotheusbrief sich wendet, mag einmal voller religiöser Askese, in philosophisch feiner Distanzierung gedacht gewesen sein. Doch deren dunkle Seite ist voller Gewalt und Zerstörung.
Da lässt sich der biblische Abschnitt zum Erntedankfest durchaus als Beitrag lesen zu den furchtbaren und vielfachen Fällen von Missbrauch und sexualisierter Gewalt in den Kirchen. Hätte man doch jeher eigene und fremde Sexualität in ihren verschiedenen Gestalten verstehen können als gute Schöpfung, die es mit Danksagung zu empfangen galt!
Hätte man doch der Vitalität von Kindern und Jugendlichen gerade in christlichen Heimen und Erziehungseinrichtungen Dankbarkeit entgegengebracht, ihren seelischen Nöten Respekt. Anstatt Eigensinn, Vitalität, Lebensmut und Besonderheiten mit Gewalt, Drogen und Drohung niederzuhalten und zu zerstören.
All das hat seinen Grund natürlich nicht ausschließlich, aber eben doch sehr stark eben in jener Geisteshaltung, der der Brief an Timotheus kräftig widerspricht. Statt ihrer fragt der Brief nach einem Zusammenwirken der Menschen mit Gottes Handeln durch das Gebet. Durch preisendes, segnendes Gebet, welches die Dinge nicht nur im Licht Gottes stehen sieht, sondern sie aktiv dorthinein stellt.
Der Predigtabschnitt kommt in seiner Behauptung allerdings auch an seine Grenzen. Gibt es nicht auch Vieles, was nicht gut ist? Wer entscheidet darüber, was zur guten Schöpfung gehört und was ihr widerspricht? Ist Homosexualität Teil der Schöpfung? Oder Widernatur? Darüber besteht keineswegs Einigkeit. In den 70er Jahren wurde unter dem Deckmantel liberalen Umgangs mit kindlicher und jugendlicher Sexualität Gewalt verschleiert. Was hätte auf guten Wegen zu besserer Sicht der Dinge geholfen? Gebet aber, Heiligung der Welt, gehört zu den Stärken der Schwachen, macht tätig und mitwirkend an Gottes Schöpfung.
Lieder:
„Wir pflügen und wir streuen“ (EG 508)
„Lobe den Herren“ (EG 316)
„Lobe den Herrn, meine Seele“ (Neuen Lieder Nr 68
Denn alles was Gott geschaffen hat … . Mit „denn“ fängt der kleine Abschnitt an. Es ist deutlich: Wir hören mitten hinein in ein Gespräch. Wie wenn zwei, die miteinander diskutieren, in der Straßenbahn vor uns sitzen. Und wir können nicht anders, als manches mit zu bekommen. Mit unseren Gottesdiensten hören wir hinein in Gespräche der Bibel. Wenn wir wollen, können wir die Gespräche fortführen. Wir hören: Jemand beharrt: Alles, was Gott geschaffen hat, ist gut. Offenbar muss der Gesprächspartner vorher das Gegenteil behauptet haben. Muss gesagt haben: Schöpfung ist nicht gut.
Seit Menschen sich Gedanken machen über die Welt und über sich selbst, gab es Leute, die gegenüber der Welt misstrauisch waren. „Soma saema“, der Leib ist ein Gefängnis, sagten die Philosophen in Griechenland. Der große Plato meinte, man sollte man sich nicht mit den Dingen beschäftigen, sondern mit den Ideen, mit den Gedanken, die dahinter stecken. Der Brief an Timotheus ist anderer Meinung, und er hat die meisten Teile der Bibel auf seiner Seite. Seine Haltung: Gott hat die Dinge, die Welt geschaffen. Und alles, was Gott geschaffen hat, ist gut.
Alles, was Gott geschaffen hat, ist gut? Welch ein Jubel steckt da drin. Welch eine Anerkennung. Ich bin gut und richtig, weil Gott mich geschaffen hat. Die Anderen sind gut und richtig. Weil Gott sie geschaffen hat. Was für ein liebevoller, wunderbarer Blick auf die Welt, auf die Dinge. Auf mich. Und auf die Menschen um mich herum. Denn das gibt es ja, dass man sich selbst gegenüber misstrauisch wird. Vor allem in Zeiten des Umbruchs. Bei Krisen. In der Pubertät. In der Mitte des Lebens. Wenn sich plötzlich die Gewichte verschieben, das ganze Räderwerk der Tage. Man fragt sich: Bin ich recht? Bin ich komisch? Verstehen mich die anderen? Versteh ich mich selbst? Muss ich mich ändern? Finden die andern mich seltsam? Mich mit meinen Gedanken, meinem Aussehen, meinem Leben, meiner Haltung, meinem Können, meinem Versagen? Mich mit meinen Besonderheiten?
Die Fähigkeit zur Selbstkritik ist wichtig. Skrupeln aber widerspricht unser Brief. Sagt vielmehr zu: Du bist Geschöpf Gottes. Was Gott geschaffen hat, ist gut. Und: auch die andern sind Gottes Geschöpfe. Menschen mit seltsamen Gewohnheiten. Menschen mit unerwartetem Verhalten. Menschen, die mich stören. Menschen, die mich fordern. Solche mit anderen Zielen, Plänen, Lebensformen. Pass auf! Was Gott geschaffen hat, ist gut. Gottes Schöpfung ereignet sich auch dort, wo es dir vielleicht unangenehm ist. Wo du es nicht erwartest. Bei dir selbst. Und bei den andern.
Alles, was Gott geschaffen hat, ist gut. Liebe Konfirmanden, wieviele Dinosauriernamen kanntet ihr in der Grundschulzeit? Ich hoffe, ihr habt euer Wissen über Dinosaurier oder andere Urtiere nie im Gegensatz empfunden zum Kindergottesdienst oder zu euren Erfahrungen mit Religion und Kirche. Auch wenn in der Bibel nicht von Dinosauriern die Rede ist. Das Wichtigste in den biblischen Büchern ist allein der Gedanke, dass Gott seine Schöpfung gut findet. Ganz hervorragend sogar. Der biblische Gott ist ganz vernarrt in seine Schöpfung. Das macht Schöpfung aus. Das ist der Unterschied der Schrift gegenüber dem Biologie- oder Geographiebuch. Nicht, dass in der Bibel keine Dinosaurier vorkommen. Sondern dass gleich vorn in der Schrift jemand ein Lied singt mit sieben Strophen, wie lieb Gott seine Welt hat und wie schön Gott sie ist.
Die Naturwissenschaften stellen fest, was ist. Und forschen so gut wie möglich, wie es dazu kam. Wenn ein Stern entsteht, entsteht ein Stern. Wie geht das? Wenn ein Einzeller entsteht, entsteht ein Einzeller. Gab es Ursachen? Wenn die New Yorker Weißfußmäuse im Central Park sich so verändern, dass sie die fettigen Hotdogs und Burger, die die Menschen wegwerfen und von denen sie sich ernähren müssen, immer besser verwerten, dann tun sie das, weil sie so besser überleben. Wenn jemand jetzt aber ruft: Ja Wahnsinn! Ist ja toll. Dann ist das nicht wissenschaftlich. Dann ist das verliebt. Gott ist verliebt in seine Schöpfung. Wer sich davon anstecken lässt, wird mit Schöpfung liebevoll umgehen. Eine gute und fast die einzige Gestalt, wie wir mitwirken können an Gottes Schöpfung. Täglich.
Das Gespräch mit dem Bibelwort geht noch ein kleines Stückchen weiter. „Nichts ist verwerflich, was mit Danksagung empfangen wird. Es wird geheiligt durch das Wort Gottes und Gebet.“ Was meint der Brief mit „Danksagung“? Wie soll das gehen: „heiligen“? Die größeren Jugendlichen und die Erwachsenen kennen es. Beim Abendmahl heißt es bei den Einsetzungsworten: Jesus nahm das Brot, dankte und brachs. „Dankte“. Das heißt: Er hat den Segen gesprochen, einen Lobpreis Gottes. Vermutlich sagte er: Gesegnet, gepriesen bist du Herr, König der Welt, der du die Frucht aus der Erde hervorgebracht hast. Solche Segenssprüche gibt es für alles im jüdischen Gebetsleben. Für jede Gelegenheit. Gesegnet, gepriesen bist du, Herr, König der Welt.
Nichts ist verwerflich, was mit einem Segenswort, mit einem Lob Gottes empfangen wird. Alles wird geheiligt durch das Wort Gottes, durch seinen Auftrag und durch das Gebet. Heiligen, das heißt: Die Dinge verstehen als solche, die Gott gehören. Als solche, die im Licht seiner Herrlichkeit stehen.
Nichts ist verwerflich, nicht einmal das, was so aussieht. Wenn es nur geheiligt wird, Gott anbefohlen, hineingestellt in sein Licht. Mit einem Gebet. So bekommt noch Befremdliches, Abgelehntes, Verwerfliches einen neuen Sinn.
Mich erinnert der Satz an die biblische Feindesliebe. Betet für die fremde, bedrohliche, seltsame, heidnische, feindliche Stadt Babylon, schreibt Jeremia dem Volk Israel. Betet für eure Feinde, sagt Jesus. Der Timotheusbrief sagt: Heiligt die Welt und alles, was euch feindlich entgegenkommt, durch das Wort und Gebet. Stellt alles hinein in den Bereich Gottes. Das verändert. Das verändert deinen Blick. Das verändert dein Verhalten. Das macht die frei, neu zu sehen. Gebet für die befremdlich Welt. Das, meine ich, ist vielleicht die zweite Gestalt, Gottes Schöpfung fortzusetzen.
Alles, was Gott geschaffen hat, ist gut. Nichts ist verwerflich, was mit Danksagung empfangen wird. Denn es wird geheiligt durch das Wort Gottes und Gebet. Wer genau hingehört hat, mag jetzt auch fragen: Gibt es nicht auch Dinge, die Gott nicht geschaffen hat? Gibt es nicht auch Dinge auf dieser Welt, die wirklich und unter allen Umständen schlecht sind? Die niemals gut sein können, niemals gut werden? Hat nicht der Apostel Paulus gesagt: Der letzte, der größte, der schrecklichste Feind ist der Tod? Heißt das dann nicht: Was nur auf Tod hinausläuft, ist niemals gut?
Wieviel gibt es, was lebensfeindlich ist, Teile meines Lebens tödlich beschädigt. Manchmal ist dergleichen ganz klar. Doch oft bleibt ein Rest an Unsicherheit. Etwa in der Art, das Leben zu gestalten. Das Miteinander von Eltern und Kindern auszutarieren. Freiheit und Verantwortung zu gewichten. Genuß und Pflicht gegeneinander abzuwägen. Selbstliebe und Nächstenliebe. Was ist wirklich schlecht und was ist eben eine Herausforderung für mich? Nicht schlecht, aber schwierig? Was ist wirklich schlecht und ich müsste es ändern. Und wann muss ich meine eigene Haltung ändern?
Es ist unsere Hoffnung, dass am in Gottes Ewigkeit, Gottes Leben unser Leben in seine Fülle aufnimmt. Uneingeschränkt. Es gehört zur biblischen Hoffnung, dass alles Zerstörte und Fragmentarische bei zu Vollendung kommt. Bis dahin: lasst uns beten. Lasst uns soviel wie irgend möglich im Dank empfangen. Respektvoll. Liebend. Genießend. Voller Staunen. Und zu beten für alles, was lebensfeindlich ist. Dass es im Licht Gottes, durch Wort Gottes und Gebet sich wandle. Lasst uns mit Gott, lebensspendend, schöpferisch, voll der Güte, im Gespräch bleiben. Die Welt zu heiligen. Im Licht Gottes zu sehen.
Gepriesen bis du, König der Welt. Für deine Schöpfung. Für das Leben. Für das, was uns daran verschlossen bleibt. Sei gepriesen, dass du bei uns bleibst und bei uns bist. Über das Leben hinaus. Der Friede Gottes, höher als alle Vernunft, bewahre und fordere heraus eure Herzen und Sinne in Christus Jesus.
Eine originelle, aktuelle und ungewöhnliche Predigt zum Erntedank hat Pfarrerin Busch -Wagner verfaßt. Der einseitig positive Text aus dem Timotheus-Brief legt es allerdings nahe. Aber in diesem Jahr ist das gewöhnliche Lob der Schöpfung und der Natur ja auch sehr gespalten. Ein traumhaft schöner anhaltener Sommer hatte als Kehrseite vertrocknete Äcker für Korn und Kartoffeln und Gras als Futter. Interessant ist, dass die Pfarrein tiefsinnig an den auch heute verbreiteten Platonismus auch von Kirchenvater Augustin erinnert. Unser Leib und die Natur sind demnach ein Gefängnis und wir sollen uns mit geistigen Dingen beschäftigen. Dagegen ist Paulus und fast die ganze Bibel: Gott ist verliebt in seine Schöpfung. Etwas Befremdliches ist gut, wenn es mit Danksagung empfangen wird. Auch Selbstkritik, Feindesliebe und Sexualität sind gut und ein Anlass zum Dank an Gott. Wie geswagt eine seht interessante, originelle und vielseitige Predigt, bei der Langeweile beim Zuhören ausgeschlossen ist.