“Almosen”
Taten, die wohltun
Predigttext: Matthäus 6,1-4 (Übersetzung nach Martin Luther, Revision 1984)
1 Habt acht auf eure Frömmigkeit, daß ihr die nicht übt vor den Leuten, um von ihnen gesehen zu werden; ihr habt sonst keinen Lohn bei eurem Vater im Himmel. 2 Wenn du nun Almosen gibst, sollst du es nicht vor dir ausposaunen lassen, wie es die Heuchler tun in den Synagogen und auf den Gassen, damit sie von den Leuten gepriesen werden. Wahrlich, ich sage euch: Sie haben ihren Lohn schon gehabt. 3 Wenn du aber Almosen gibst, so laß deine linke Hand nicht wissen, was die rechte tut, 4 damit dein Almosen verborgen bleibe; und dein Vater, der in das Verborgene sieht, wird dir's vergelten.
(Eigene Übersetzung, Christoph Kühne)
1 Hütet Euch davor, dass ihr eure Gerechtigkeit (Var: Wohltat, Almosen) nicht macht vor den Leuten, um von ihnen gesehen zu werden! Andernfalls - ihr habt keinen Lohn vor eurem Vater in den Himmeln. 2 Wenn du nun ein Almosen tust, posaun es nicht vor dir her, wie die Heuchler es tun in den Synagogen und auf den Gassen, damit sie geehrt werden von den Menschen; Amen, ich sage euch: Sie haben ihren Lohn längst quittiert bekommen! 3 Wenn du ein Almosen tust, soll deine linke Hand nicht wissen, was die rechte tut, 4 damit dein Almosen im Verborgenen bleibe; und dein Vater, der im Verborgenen sieht, wird (es) dir (Var: selbst) (Var: öffentlich) zurückgeben (vergelten).
Gedanken beim Lesen
Einige Formulierungen sind in unseren Wortschatz übergegangen: Die rechte Hand soll nicht wissen, was die linke tut. Und auch die sog. christliche Bescheidenheit mag hier ihren Ursprung haben. Warum soll man nicht sagen, ob und wieviel man gespendet hat? Bedeutet das gleich ein Höherstellen, eine Arroganz? Will ich von den Menschen „in den Gassen“ gelobt werden? Warum eigentlich nicht?
Neugierig macht mich der „Vater, der ins Verborgene sieht“. „Gott sieht alles.“ Auch damit hat man Menschen verschreckt und klein gehalten. Will dieses Jesuswort wirklich Menschen klein halten? Und: Was hilft mir hier, wenn ich von dem Vater droben gelobt werde? Und soll ich diese Theologie und Ethik den Menschen unter der Kanzel predigen? Wo ist denn da Gottes Wort?
Zum Predigttext
V.1 pros-echō = attention: Achtung! – lectio difficilior: „Gerechtigkeit“ statt „Wohltat“; das Thema der Perikope wird angesprochen: „Gerechtigkeit tun, üben“ poiō 5x im Text: Wohltat „tun“ (V.1,2,3) – Heuchler „tun“ V.2, - die Hände „tun“ V.3 (lat.) coram hominibus – 2 eleaemosynae = Wohltat (nicht nur Almosen!), „Almosen tun“ = zedākā āsā z.B. zu Beginn von Jes III (Jes 56,1 Gerechtigkeit üben, denn das Heil ist nah) - „Posaun es nicht heraus!“ – V.4 Koine und einige Handschriften verstärken: Gott selbst wird öffentlich zurückgeben, „vergelten“.
Der Text MtS hat keine besonderen Schwierigkeiten. Er ist schlicht gefasst und eindeutig. Die Einleitung „Vorsicht!“ (V.1) weist auf das Thema „Almosen, Wohltat“ hin. - Synagoge + Gasse = Öffentlichkeit + „Winkel“ - der Ort der Heuchler, die sich und den Anderen etwas (?) vormachen. Das Amen (V.2b) betont eine erfolgte Abrechnung. Das „Erwerbs-Leben“ ist schon hier (?) zu EndDagegen geschieht die „Vergeltung“ von Gott selbst und öffentlich (V.4).
Welche Bedeutung hat „Gerechtigkeit“, welche „Wohltat“ für Mt? „Wohltat, Almosen“ - griech. eleaemosýnae - abgeleitet von éleos - ist die Gemütsbewegung der „Rührung, die jemanden angesichts eines Übels, das einen anderen (unverschuldet) betroffen hat, ergreift“ (R. Bultmann), also das Mitleid, Erbarmen, die Barmherzigkeit. Sie bilden den Gegensatz zum Neid auf das Glück des anderen (LNT 52). In der LXX steht eleaemosýnae für das hebr. chaesaed = bundesgemäßes Verhalten, eine Solidarität, die die Bundespartner einander schuldig sind (LNT 53). Mt gebraucht eleaemosýnae nur an dieser Stelle. Lk 11,41. 12,33 (ohne Besonderheit), Apg kennt das Geben von Almosen (7 Stellen). Mk und Joh gebrauchen das Wort ebenso wenig wie Paulus und die anderen ntl. Autoren.
Ist Mt 6, 1-4 der locus classicus, die „Urszene“, für das Almosengeben der jungen christlichen Gemeinde? Im AT ist eleaemosýnae die „Übersetzung“ von zedākā und meint das rechte Verhalten eines Menschen überhaupt, das sich in der „barmherzigen Liebe“ äußern kann - und schließlich im Almosen; z.B. in den Sprüchen Pr 10,2. 11,4-6.18f. 12,28. 13,6. Was ist richtig, gerecht? Das AT gebraucht „Gerechtigkeit“ als einen Begriff, der sich an eine Beziehung angleicht. So kann ein Verhältnis richtiggestellt werden und ist dann „gerecht“. Vgl. dagegen das griechische Ideal der Gerechtigkeit. Von diesen Gedanken her ist die „Gerechtigkeit“ im 1. Vers ein Hinweis auf ein richtiges Verhalten - es könnte statt („hebräisch“) dikaiosýnae auch („griechisch“) eleaemosýnae stehen.
Betrachtung
Gott, was ist richtig, was falsch?
Ich möchte leben, dass sinnvoll wird, was ich tue.
Unsicherheit und Sicherheit wechseln sich ab.
Ich brauche dein Wort, um zu leben.
Gott, ich lebe mit Menschen,
möchte ihnen gerecht werden, ihnen helfen.
Meine Gefühle schwanken zwischen Zorn und Liebe.
Ich brauche dein Licht, um zu leben.
Gott, ich habe meine Aufgaben und Pflichten.
Ich bin verantwortlich für das rechte Maß.
Barmherzigkeit und Gewissheit stehen vor mir.
Ich brauche dich, um zu leben.
Lieder
„All Morgen ist ganz frisch und neu“ (EG 440)
„Halleluja, Suchet“ (EG 182)
„Ich ruf zu dir“ (EG 342, Wochenlied)
Der Text für die heutige Predigt ist doch sehr merkwürdig. Oder was können wir heute noch mit Begriffen wie Almosen oder Frömmigkeit anfangen? Früher war das ganz anders! Da gab man Almosen an die Bettler und Armen. Man gab, was übrig war an die, die nichts hatten. Ja, es war sogar religiöse Pflicht, Almosen zu geben! Sehen Sie sich in den klassischen Religionen um wie Christentum, Judentum, Islam, Hinduismus, Buddhismus: Überall gibt’s die Forderung, Almosen zu verteilen. Nicht zuletzt mit dem Hinweis, dass man dann im Himmel dafür entlohnt würde! Aber heute? Almosen? Haben wir nicht ein soziales Netz, das die Bedürftigen auffängt und in das wir alle als Solidargemeinschaft einzahlen? Unsere Steuergelder als soziales Auffangnetz, das den Einzelnen entlastet. Und außerdem glauben wir sowieso nicht mehr an einen „Ausgleich“ im Himmel! Ein Freund erzählte mir von einem potenten Firmeninhaber, der regelmäßig in den Gottesdienst ging und entsprechend seinem Geldbeutel größere Scheine in das Kollektenkörbchen legte. Irgendwann bat er den Pastor, doch einen verdeckten Klingelbeutel herumgehen zu lassen, damit man seine großen Scheine nicht mehr sähe und er nicht so auffiele … Also Almosen heute? Zu Jesu Zeit waren Almosen Pflicht jedes gläubigen Juden. Doch das hat sich wohl heute überholt. Als ich einem befreundeten Pastor von diesem Text erzählte, sagte er: Ich würde über diesen Text nicht predigen. Was soll ich sagen? Soll ich vergangene Zeit heraufbeschwören? Mich hat dieser Einwand sehr nachdenklich gemacht. Und ich lese den Text noch einmal vor, ob es ein Wort gibt, das mich unmittelbar anspringt –und ich lese ihn in einer eigenen Übersetzung vor.
(Lesung des Predigttextes in eigener Übersetzung)
Vielleicht hören Sie beim zweiten Hören auch etwas Neues. Für mich wird interessant: „Deine linke Hand soll nicht wissen, was die rechte tut“. Diese Wörter kennen wir bis heute als bekanntes Sprichwort. Und ich behaupte: Dieses Sprichwort ist ein echter Jesus! Wie viele andere Wortwendungen und Sprichwörter haben wir von Jesus in unserem Sprachgebrauch! Denken wir nur an die goldene Regel: Was du nicht willst … Wer mehr finden möchte, kann sich weitere Sprichwörter googlen! Für die Bibelfesten und Theologen /Theologinnen unter uns: Unser Sprichwort ist außerdem ein sog. Sondergut bei dem Evangelisten Matthäus, d.h. dieses Sprichwort steht nur hier und sonst bei keinem anderen Evangelisten! Was ist nun besonderes an diesem Sprichwort, dass die Jahrtausende überdauert hat? Wenn die Rechte weiß, was die Linke tut, dann ist alles in Ordnung. Nehmen wir einfach die Erziehung unserer Kinder. Wenn Vater weiß, was Mutter tut, dann verläuft die Erziehung konsequent. Das gibt unseren Kindern Sicherheit. Sie wissen, sie können sich auf Vater und Mutter verlassen. Übrigens: Als Hundebesitzer kann ich Ihnen gleiches auch für die Erziehung von Hunden berichten. Also: Wenn die Rechte weiß, was die Linke tut, dann erleben wir etwas Gradliniges, Gerechtes, Ordentliches. Und wer will etwas dagegen sagen?
Aber – wir Menschen leben inkonsequent: Kindern und Hunden gegenüber. Die Linke weiß eben nicht immer, was die Rechte tut. Meine Kinder haben dann von „Vater Weichherz“ gesprochen, der ihnen manches hat durchgehen lassen. Also mischt sich bei unserer Inkonsequenz eine Spur Barmherzigkeit ein? Als kleinen theologischen Exkurs möchte ich Ihnen mitteilen, dass die Exegeten das Wort Almosen auch als Barmherzigkeit übersetzt haben. So mischt also Barmherzigkeit in unsere Konsequenz ein. „Vater Weichherz“ macht heute mal eine Ausnahme, und Mama schreibt fürs Töchterchen den Deutschaufsatz zu später Stunde … Also handeln wir oft so, wie es uns Jesus angedeutet hat: Die Linke soll eben nicht immer wissen, was die Rechte tut! Und – wir versuchen, konsequent zu leben und zu handeln. Dazu gehört auch unser Planen und Rechnen. Und beides, unsere Konsequenz und unsere Inkonsequenz lässt unsere Kinder wachsen. Denn sie brauchen beides: Die „linke Hand“ der Verlässlichkeit; ich bin als Vater berechenbar und damit vertrauenswürdig. Für Staats-„väter“ gilt das genauso. Eine Regierung muss berechenbar sein, durchschaubar, transparent. Das schafft Sicherheit und Ordnung. Und die „rechte Hand“ sagt: Ich kann auch mal über meinen Schatten springen (wobei das Schattenspringen nicht zur Regel werden sollte!), kann Fünfe gerade sein lassen.
Die rechte Hand sieht neue Möglichkeiten, wenn es Streit gibt oder Konflikte. Sie braucht nicht unbedingt den harten Kurs zu fahren. (Exkurs:) Dies macht sehr schön unser heutiges Evangelium deutlich: Ein Fremder aus einem fremden Land begegnet einem Einheimischen, der zusammengeschlagen auf dem Bürgersteig liegt. Und obwohl er keine Veranlassung hat, ihm zu helfen – immerhin sind schon einige „frömmere“ Menschen als er an dem verletzten Einheimischen vorübergegangen -, kümmert er sich um ihn, versorgt ihn, rettet ihm sogar das Leben. Diese Geschichte vom Barmherzigen Samariter ist – wie unser Sprichwort – auch ein echter Jesus! Er antwortet mit diesem Gleichnis auf die Frage, wem gegenüber ich eigentlich barmherzig sein soll, wer denn als Erster dran wäre. Und Jesu Geschichte: einfach, fast trivial und unendlich menschlich. Hier spricht die „rechte Hand“! Als Gottesdienstteilnehmende möchten Sie jetzt wahrscheinlich wissen, was das alles mit Gott zu tun hat. Interessant – Gott ist bisher gar nicht vorgekommen! Auch ein echter Jesus, der Geschichten erzählt und Menschen geheilt hat – „etsi deus non daretur“. Denn Gott ist in den Geschichten, den Wundern, den Heilungen. Für die Theologen: Das ist negative Theologie! Können wir noch mehr sagen? Sollte Gott auch beides sein – konsequent und inkonsequent?
Gott ist in allem, was er tut, planvoll. Beispiel: seine Schöpfung. Er ist verlässlich. Er führt sein Volk durch alle Wüsten, die vor ihm liegen. Gott ist erreichbar im Gebet. Das zeigt Jesus im Anschluss an unsere Perikope, wenn er über das Vaterunser spricht. Und – Gott ist inkonsequent! Er schickt Menschen, die ihr Leben lang an ihn geglaubt haben eine Krankheit. Wie damals Hiob. Gott begegnet uns in „unchristlichen“ Zeichen und Symbolen. Wer „Momo“ gelesen hat, mag sich erinnert fühlen an Texte aus dem Neuen Testament. Gott hilft plötzlich, errettet aus Not und Tod. Hier können wir aus den Psalmen viel lernen! Gott antwortet auf Gebete, auch wenn er sich dabei selbst in den Rücken fällt. Lesen wir die Geschichte, in der Abraham mit Gott um Sodom und Gomorra feilscht. Oder auch der Sündenfall: Obgleich zum Tode verurteilt, geleitet Gott seine Menschen ins Leben.
So hätten wir in Gott ein großes Vorbild für unser Leben. In der Begegnung mit uns wird er oft inkonsequent. Ja, man könnte sagen: Gott lernt mit uns, er wird anders – so hat es auch Jesus vorgelebt. Erinnern wir uns nur an seine Begegnung am Brunnen mit der syrophönizischen Frau, aus der Beide gewandelt hervorgehen. Wir lernen von Gott, dass echte und wahre Begegnung verwandelt. Vielleicht meint das Vers 4 unseres Textes, wo es heißt, dass Gott ins Verborgene sieht: Denn wo Menschen sich echt und unverstellt begegnen, da wachsen sie, da wachsen wir, werden wir vor Gott und den Menschen erwachsen. So haben wir ursprünglich mit einem Sprichwort begonnen. Und jetzt hat es uns in die Tiefe der Begegnung geführt. „Die linke Hand soll nicht wissen, was die Rechte tut“. Ein göttliches Symbol, ein Zeichen für den Gott, der sich einlässt. In seinem Namen wollen wir Menschen begegnen und die rechte wie auch die linke Hand sprechen lassen. Das sind die wahren Almosen. Und denken wir daran: Diese Almosen verändern den Geber, uns, dass wir neu leben.
Eine überaus originelle und kreative Predigt von Pastor Kühne! Am Beginn macht er darauf aufmerksam, dass der ganze Predigttext heute sehr schwierig ist und wenig aktuell. Almosengeben war früher die selbstverständlich ständige Frömmigkeitsübung der Frommen. Heute gibt es für die Armen unser Sozialsystem. Zum Almosen-Spenden im Tempel gehörte damals auch das öffentliche Herausposaunen der besonders guten Taten eines Spenders und der berechnende persönliche Glaube an eine Belohnung dafür bei Gott. Alles drei total überholt. – Aktuell kann man nach Pastor Kühne aber predigen über den faszinierenden Satz Jesu: “Deine linke Hand soll nicht wissen, -wenn Du Dich für andere einsetzt- was die Rechte tut.” Die linke Hand ist zuständig f ür das Verlässliche und Konsequente in unserem Leben. Die rechte Hand dagegen verkörpert das gottverliebte Inkonsequente und lebendig Spontane in unserm Miteinander. Im dazu passenden Evangelium vom Sonntag vom barmherzigen Samariter handeln Priester und Levit nach ihrer “linken Hand”, das heißt nach ihren Geboten. Der fremde Samariter hätte auch Grund gehabt an einem verhassten Volksfeind vorbeizugehen. Mit “rechter Hand” aber und inkonsequent überwältigt ihn das Erbarmen. “Ein echter Jesus!”, nach Pastor Kühne. Im Schlu ssteil vertieft der Prediger diese tiefsinnige Sicht, indem er über die verlässliche rechte und barmherzige linke Hand Gottes spricht. Gott mutet uns harte Prüfungen zu wie bei Hiob. Dann aber hilft er plötzlich und barmherzig, errettet von Not und Tod, schenkt uns Glück. Die Predigt schließt damit, dass wir in Gottes Namen Menschen begegnen sollen und dabei die rechte, wie auch unsere linke Hand einsetzen. – Durch Konzentration auf einen das wesentlichen Verse eine überaus originelle, kreative und tiefsinnige Predigt zu einem sehnr schwierigen Predigttext.