Predigt

Angst vor dem Glauben?

Christen haben der Vergötzung der Staatsmacht ihren Glauben entgegengesetzt, unter Einsatz ihres Lebens jede fremde Herrschaft über ihre Herzen abgewehrt

PredigttextJohannes 11,47-53
Kirche / Ort:Christuskirche / Aachen
Datum:17.03.2013
Kirchenjahr:Judika (5. Sonntag der Passionszeit)
Autor:Pfarrer Manfred Wussow

Predigttext: Johannes 11,47-53 (Übersetzung nach Martin Luther, Revision 1984)

47 Da versammelten die Hohenpriester und die Pharisäer den Hohen Rat und sprachen: Was tun wir? Dieser Mensch tut viele Zeichen. 48 Lassen wir ihn so, dann werden sie alle an ihn glauben, und dann kommen die Römer und nehmen uns Land und Leute. 49 Einer aber von ihnen, Kaiphas, der in dem Jahr Hoherpriester war, sprach zu ihnen: Ihr wisst nichts; 50 ihr bedenkt auch nicht: Es ist besser für euch, ein Mensch sterbe für das Volk, als dass das ganze Volk verderbe. 51 Das sagte er aber nicht von sich aus, sondern weil er in dem Jahr Hoherpriester war, weissagte er. Denn Jesus sollte sterben für das Volk 52 und nicht für das Volk allein, sondern auch, um die verstreuten Kinder Gottes zusammenzubringen. 53 Von dem Tage an war es für sie beschlossen, dass sie ihn töteten.

Exegetisch-homiletische Vorüberlegungen

Hatte Johannes in 11,1-45 eine „Ostergeschichte“ vor der Ostergeschichte erzählt – die Auferweckung des Lazarus -, stellt er, resümierend, gleichzeitig aber auch weiterführend, in den VV 46-53 dar, wie Angst vor dem Glauben in den Tod führt. „Glauben“ verbindet die beiden Teile: V. 48 korrespondiert V. 45. „Viele nun von den Juden, die zu Maria gekommen waren und sahen, was Jesus tat, glaubten an ihn.“ Die Befürchtung des Sanhedrin ist, dass jetzt „alle“ an ihn glauben werden (V. 48). Doch neben der Steigerung „viele“ – „alle“ steht der Abstieg „alle“ – „einer“. Denn es sei besser, „ein“ Mensch sterbe für das Volk, als dass das „ganze“ Volk verderbe. Was Kaiphas allerdings weissagt, ohne es zu wissen, ist, dass der „eine“ nicht nur für das Volk stirbt, sondern alle verstreuten Kinder Gottes zusammenbringt. Joh. 11,46-53 ist die in „johanneischer Sehweise“ (Mussner) erzählte Verhandlung vor dem Hohen Rat, abweichend von der synoptischen Tradition. Jesus selbst ist nicht zugegen. In Joh. 18,14 wird Kaiphas’ Votum nur noch zitiert. Gliederung:

VV 46-48 Einberufung und Sitzung des Hohen Rates VV 49-50 Plädoyer des amtierenden Hohen Priesters VV 51-52 Deutung des Evangelisten V 53 Tötungsabsicht im Hintergrund

Der Evangelist zieht zwei Vorhänge weg: Einmal hört er in die entscheidende Ratssitzung hinein, zum anderen jedoch öffnet er das Gesagte als „Weissagung“. Jesus soll nicht nur für das Volk sterben, sondern die verstreuten Kinder Gottes zusammenbringen. Im Hintergrund werden Jes. 49, 6 und Jer. 31,10 sichtbar, aber auch zugespitzt. „Sterben für das Volk“ und „die verstreuten Kinder Gottes zusammenführen“, umschreiben und verdeutlichen das stellvertretende Leiden Jesu als heilvolles Erfüllen der göttlichen Verheißungen. Der Hohe Rat ist von Angst besetzt (Gegenbegriff zu „glauben“), kann aber gerade so das Volk nicht zusammenhalten. Was verhindert werden sollte, geschah: die an Jesus Glaubenden sammeln sich, werden Kirche und überschreiten nationale, ethnische und religiöse Grenzen. Nach Ch. K. Barrett schreibt Johannes „voll tiefster Ironie“ (S. 400), weil die verhängnisvollen Folgen, die an die Wand gemalt werden, dann doch eintreten. Nur anders als vorhergesehen, dramatisiert und instrumentalisiert. Die Römer nehmen Jerusalem ein und Israel wird zerstreut. „Joh lässt Kaiphas gegen sich selbst und gegen sein eigenes Volk weissagen, so wie er an anderer Stelle ihr eigenes Gesetz gegen sie Zeugnis ablegen lässt (z.B. 5,45)“ (S. 401). Die VV 54-57gehören nicht mehr zum Predigttext, variieren jedoch die Tötungsabsicht. Zumindest in der Vorbereitung sollte – neben der Lazarus-Geschichte – auch dieser Kapitelschluss wahrgenommen werden. Der Blick fällt auf Jesus, der weggeht - die Leute, die darüber reden, ob Jesus wohl zum Fest kommen würde - sowie die Hohenpriester und Pharisäer (seltene Wendung!), die Jesus zur Fahndung ausgeschrieben haben. Bevor Jesus „verherrlicht“ wird, wird er zu einem „Fall“, über den die Leute reden.

Die Predigt hat eine große Aufgabe: zum Glauben einzuladen, den Verstrickungen der Angst nachzugehen und die göttliche Verheißungsgeschichte zu erzählen – als Zuschauer im Hohen Rat, im verantworteten Leben und bei den vielen Opferritualen, in denen Menschen höherem Kalkül preisgegeben werden. Die alttestamentliche Lesung erzählt von Abrahams Gehorsam und dem Einspruch Gottes: „Lege deine Hand nicht an den Knaben und tu ihm nichts …“ Die Epistel kennzeichnet den Weg Jesu: Flehen zu Gott – Errettung vom Tode, „weil er Gott in Ehren hielt“ – Gehorsam, durch Leiden erlernt – für alle, die ihm gehorsam sind, „Urheber ewigen Heils“. Das Evangelium erzählt von den Jüngern, die rechts und links neben Christus im Reiche Gottes sitzen wollen. Der Menschensohn aber ist nicht gekommen, sich dienen zu lassen, sondern zu dienen. Der Sonntag Judika hat seinen Namen von dem Psalmwort: Gott, schaffe mir Recht … (Ps. 43). Karl-Heinrich Bieritz erinnert daran, dass nach der alten Ordnung mit „Judika“ die eigentliche Passionszeit begann. „Die Lutherische Agende von 1955 macht hier noch einen deutlichen Einschnitt: Nicht nur das Halleluja und Ehre sei Gott in der Höhe verstummen, auch das Ehre sei dem Vater (Gloria patri) zum Introitus wird nicht gesungen. Gebete und Lesungen – dazu eine eigene Präfation – weisen deutlich auf das Opfer Jesu am Kreuz hin“ (S. 99). Die katholische Tradition kennt den seit dem 11. Jahrhundert geübten Brauch, Altarkreuz und Bilder mit Tüchern zu verhüllen (bis zum Gloria in der Osternacht) – ein Brauch, der an Judika auch im Evangelischen Gottesdienst übernommen werden könnte. In vielen Gemeinden wird das „Hungertuch“ gezeigt.

Literatur: Charles Kingsley Barrett, Das Evangelium nach Johannes, Berlin 1990; Ernst Koch, in: Evangelische Predigtmeditationen 1988/89 Bd. I, Berlin 1988, 101-104; Eduard Berger, in: GPM 96 (2007), 158-163; Karl-Heinrich Bieritz, Das Kirchenjahr. Feste, Gedenk- und Feiertage in Geschichte und Gegenwart, BsR 447, München 1991

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