Anstoß
Dialog mit Jesus
Predigttext: (Übersetzung nach Martin Luther, Revision 2017)
34 Ihr sollt nicht meinen, dass ich gekommen bin, Frieden zu bringen auf die Erde. Ich bin nicht gekommen, Frieden zu bringen, sondern das Schwert.
35 Denn ich bin gekommen, den Menschen zu entzweien mit seinem Vater und die Tochter mit ihrer Mutter und die Schwiegertochter mit ihrer Schwiegermutter.
36 Und des Menschen Feinde werden seine eigenen Hausgenossen sein.
37 Wer Vater oder Mutter mehr liebt als mich, der ist meiner nicht wert; und wer Sohn oder Tochter mehr liebt als mich, der ist meiner nicht wert.
38 Und wer nicht sein Kreuz auf sich nimmt und folgt mir nach, der ist meiner nicht wert.
39 Wer sein Leben findet, der wird's verlieren; und wer sein Leben verliert um meinetwillen, der wird's finden.
Exegetische und homiletische Einführung zum Predigttext
In meine Predigtüberlegungen nehme ich hinein, dass in V. 34 „bringen“ eigentlich „werfen“ (ballein) heißt – und dass der Sämann (Mk 4,26) den Samen des Reiches Gottes ebenfalls „werfen“ kann. Beim Schwert denke ich an das Schwert, das nach Lk 2,35 durch Marias Seele geht – und finde Jesu Worte im Raum unseres Gewissens wieder.
Den Predigtabschnitt vom Thema Familie abkoppeln und allgemein von Entscheidungen und dem Mut dazu sprechen will ich nicht – zu sehr werden Jesu Worte unmittelbare Erfahrungen meiner Hörerinnen und Hörer ansprechen und irritieren. Überhaupt will ich versuchen, gerade diesen „anstößigen“ Text so wirklichkeitsbezogen wie möglich zu predigen. Der Kontext der Entstehungszeit muss transzendiert werden, aber der Same des Wortes Gottes fällt genauso in den Kontext menschlichen Alltags heute. Seiner Anstößigkeit gebe ich Raum, indem ich die Form des Dialogs mit Jesus wähle.
Im Konfirmationsunterricht haben wir das Lied „Herr, deine Liebe ist wie Gras und Ufer“ gesungen. Zur Zeit meiner eigenen Konfirmation war es der große Schlager. Gefällt es Euch, fragte ich die Jugendlichen. Nein, es gefiel ihnen nicht. Die letzte Strophe fanden sie rassistisch. Freiheit, sie gilt für Menschen, Völker, Rassen … Auch wenn da „Freiheit“ steht – aber das Wort Rassen, das ist eben rassistisch. No go heutzutage. Kirchenlieder kann man zur Not modernisieren, an die Entwicklung der Sprache anpassen. Sogar Glaubensbekenntnisse. Früher hieß es „Auferstehung des Fleisches“, heute heißt es „Auferstehung der Toten“. Bei Bibelworten ist das aber nicht so einfach. Vor allem, wenn es nicht nur um Worte, sondern auch um Inhalte geht. Und erst recht, wenn die Worte von Jesus persönlich stammen.
(Lesung des Predigttextes)
I.
Ich dachte mir, darüber rede ich am besten mit Jesus selbst. Wir sagen, im Gottesdienst ist er lebendig unter uns. Also wird er es ja wohl hören. Antworten gibt er allerdings wahrscheinlich nur jeder und jedem von uns persönlich, und auch das nicht unbedingt gleich in der nächsten Viertelstunde. Das ist so seine Art. Also, Jesus, was du da eben zu uns gesagt hast, gerade heute, am Sonntag nach dem Reformationsfest, wo wir doch wieder betont haben, wie wichtig uns dein Wort ist, das kannst du doch nicht im Ernst meinen. Nicht Frieden bringen, sondern das Schwert? Familien auseinander treiben? Den Sohn von seinem Vater entfernen, die Tochter von ihrer Mutter? Familie ist doch das kostbarste, das wir haben. Und das zerbrechlichste. Viele von uns sind da gebrannte Kinder. Streit in der Familie, wo man sich eigentlich am nächsten steht, darüber kommt man nicht hinweg, nie. Zum Glück nicht alle von uns machen die Erfahrung. Aber wir alle wissen davon: Wie viel Energien so ein Familienstreit auf sich zieht, wie viel Nerven er kostet. Familie soll doch ein Ort des Friedens sein, da wo man sich hinein fallen lassen kann, zu sich kommen, man selbst sein, sich erholen von all den Stürmen draußen. Familie, den meisten von uns kommt das direkt nach Gesundheit. Familie ist uns heilig. Und die willst du auseinander treiben?
Das ist der erste Punkt, bei dem ich mich an dir stoße. Der zweite ist das was du gleich danach sagst: Wer Vater oder Mutter mehr liebt als mich, der ist meiner nicht wert. Ich bin sicher, das würden meine Jugendlichen dir auch negativ ankreiden. Es klingt so eingebildet: meiner nicht wert. Als ob du der Größte wärst, dem sich alles unterzuordnen hat. Klar, du bist Gottes Sohn. Aber das heißt doch nicht, dass man eingebildet sein muss. Leute, die sich aufspielen, kennen wir wahrlich genug. Die anderen beiden Sätze, gut, die sind zwar auch nicht einfach, aber die kennt man wenigstens von dir: Das mit dem „sein Kreuz auf sich nehmen“ – ja, das wissen wir, dass wir als Christen unsere Probleme und Traurigkeiten nicht einfach wegschieben sollen und zum Glück auch nicht müssen. Und „wer sein Leben findet, der wird’s verlieren und wer’s verliert, der wird’s finden“, das ist ja eigentlich ganz tröstlich für die, bei denen etwas schief gelaufen ist, die ihr Leben irgendwie verloren haben, die müssen die Hoffnung nicht verlieren. Aber das mit dem Schwert und mit der Familie und mit dem „der ist meiner nicht wert“ – also, Jesus, du wirst ja schon damals gemerkt haben, dass du dir damit nicht nur Freunde machst.
II.
Familie also, Jesus: Wieso soll der Glaube an dich Familien auseinander bringen? Gut, für die damalige Zeit, da kann ich es mir schon vorstellen. Als der Glaube an dich etwas Neues war. Da fingen manche aus einer Familie an, an dich zu glauben, und andere nicht. Junge Leute fanden es vielleicht toll, die neuen Töne, die du angeschlagen hast, soziale Grenzen überwinden und so – und die Älteren waren konservativ und verstanden nicht, warum ihre Kinder so begeistert waren. Da gab es bestimmt Spannungen, Konflikte und Risse, die nicht mehr zu heilen waren. Und das mit den Nachbarn, das betrifft sicher das Verhältnis von Christen und Juden. Manche von den Juden glaubten an dich als den Messias, andere nicht. Das war schwierig, gerade außerhalb Israels, wo die Juden zusammen halten mussten, um nicht unterzugehen. All das verstehe ich. Aber heute? Heute ist man doch tolerant.
Obwohl, wenn ich so weiter nachdenke, in der Familie ist Toleranz schon schwer. Wenn in einem muslimischen Haushalt ein Familienmitglied Christ werden will – das gibt sicher oft Konflikte. Umgekehrt aber auch, wenn jemand aus einer christlichen Familie auf einmal Muslim werden will. Aber auch innerhalb einer christlichen Familie, zum Beispiel an Heiligabend. Die Mutter mag die nächtliche Christmette so gern, weil die so stimmungsvoll ist und der Seele gut tut, der Vater findet es grässlich, dann wenn es zuhause so richtig gemütlich wird noch mal raus zu müssen. Familie heißt ja schließlich auch Gemeinschaft, und Gemeinschaft und Toleranz passt manchmal eben nicht so gut zusammen. Aber Jesus, wolltest du das wirklich, dass es wegen dir in einer Familie Spannungen gibt? Ist dir Familie nicht wichtig?
Ach Jesus, leider bringst du mich darauf, wie wenig heil es in unseren Familien oft tatsächlich zugeht und wie sehr wir darunter leiden. In Ostdeutschland gibt es Familien, die trauen sich noch immer nicht ihre Stasi-Akten einzusehen, weil sie Angst haben, darin den Namen eines Verwandten zu entdecken, der sie damals bespitzelt hat. Grausig irgendwie. Bei Trauergesprächen, da kann das ganze Leid hervorbrechen, wenn es darum geht: Wer kommt zur Beerdigung und wer nicht? Und dann wird erzählt, warum nicht … uralte Geschichten manchmal. Jesus, hättest Du denn darauf eine Antwort? Hat das überhaupt etwas mit dem zu tun, was du uns heute sagst: Ich bin nicht gekommen den Frieden zu bringen, sondern das Schwert? Also, irgendwie ja schon, nur etwas verschraubt.
Damals, da waren die Leute anders als wir heute. Aber Familie war ihnen sicher trotzdem sehr wichtig. Sonst wäre Familie kein so großes Thema in der Bibel. Damals haben es sich die Menschen bestimmt dreimal überlegt, bevor sie diesen Schritt gewagt haben, Christ wurden und damit einen Bruch in der Familie riskierten. Zumal es ja auch viel mehr Konsequenzen hatte. Damals gab es auch Denunziation, Christen wurden nicht toleriert, wenn es von einem hieß, der ist jetzt Christ, konnte die ganze Familie Ärger kriegen. Jesus, ich glaube du willst uns heute sagen: Überlegt euch gut, was Ihr tut, wenn es voraussehbar zu schwerwiegenden Konflikten in eurer Familie führt. Überlegt euch, ob ihr wirklich bereit seid, diesen Preis zu zahlen. Seid sicher: Familienkonflikte gehen an keinem spurlos vorüber, egal auf welcher Seite man steht. Jeder nimmt etwas davon in sein Leben mit hinein, trägt und vererbt es weiter. Und du hast ja selbst gesagt, in der Bergpredigt: Selig sind, die Frieden stiften. Das gilt auch für die Familie. Was immer wir tun können, um Auseinandersetzungen friedlich zu lösen, das sollen wir auch tun. Und du sagst ja gerade in unserem Abschnitt: Nehmt das Kreuz auf euch.
Es kann also Situationen in der Familie geben, mit denen muss ich lernen Frieden zu schließen, auch wenn sie mir nicht gefallen. Aber, Jesus, mit deinem Wort willst du uns dann wohl auch sagen: Wenn Ihr sicher seid, dass euer Schritt der richtige ist, und zwar nicht nur für euch selber sicher, sondern wenn ihr euren Schritt auch vor Gott verantworten könnt, dann tut ihn. Familie ist heilig. Aber euer eigenes Leben ist es auch. Und vor allem: Gott ist es. Bitte bezieht in eure Entscheidungen Gott mit ein. Nicht aus Angst vor Strafe, und sicher auch nicht mit der Garantie, es dann mit absoluter Sicherheit richtig zu machen. Ihr bleibt fehlbare Menschen und müsst trotzdem Verantwortung übernehmen. Aber trotzdem: Familie ist Familie und nicht Gott. Heilig, aber nicht: der Heilige. Der, vor dem wir gerade stehen müssen. Nicht nur irgendwann beim jüngsten Gericht. Sondern jetzt schon. Oh Jesus, du ziehst Gott ganz schön nahe in unser Leben hinein!
III.
Und du machst uns damit ja auch darauf aufmerksam, dass unser Glaube Konsequenzen hat. Damals haben deine Nachfolger den Kriegsdienst verweigert und Leute in ihr Haus gelassen, auf die sie früher herab gesehen hätten. Das ist ihnen sicher auch nicht immer gleich leicht gefallen. Aber sie haben es getan, weil du ihnen so viel wert warst. Ja, Jesus, vielleicht bist du gar nicht eingebildet, wenn du sagst: Wer Vater oder Mutter mehr liebt als mich, der ist meiner nicht wert. Nicht wert … es geht darum: Was ist uns wertvoll? Was für Werte vertreten wir? Nein, leben wir! Viele halten ja heute die christlichen Werte hoch, Freiheit und Nächstenliebe und Toleranz. Aber um ehrlich zu sein, die meisten von uns tun es doch, weil sie ohnehin dafür sind. Aber wenn wir deine so anstößigen Worte vielleicht mal als Denk-Anstoß nehmen würden: Wo tut mir mein christlicher Glaube so richtig weh? Wo verlangt, wenn ich ehrlich bin, mein christlicher Glaube mir Konsequenzen ab, zu denen ich eigentlich, von mir her gesehen, gar nicht bereit bin – oder die mir zumindest sehr schwer fallen?
Wie wir heute voneinander denken und übereinander reden, das ist ja erst der Anfang! Und der ist schon mühsam genug Ja, Jesus, wenn wir diesen Denk-Anstoß aufnehmen, dann verstehen wir auch noch besser dein letztes Wort: Wer sein Leben findet, der wird’s verlieren, und wer sein Leben verliert, der wird’s finden. Selbsterkenntnis und Selbstüberwindung stecken darin. Deine anstößigen Worte … sie könnten ein dauernder Anstoß werden, auf dem Weg zu einem richtigen Leben. Jesus, weißt du, manchmal bist du ganz schön hart zu uns. Aber ich bin sicher, du wirst geduldig sein. Du freust dich ja allein schon daran, dass wir dein Wort ernst zu nehmen versuchen. Und das wollen wir tun.