I.
Wenn ich dieses Gleichnis höre, denke ich: Genau so ist es! Es zählt der Erfolg; es zählt das, was unterm Strich rauskommt. Ich fühle mich sofort in die Welt der Märkte versetzt. Ein Spiel mit Zertifikaten, Derivaten, Investmentfonds, Termingeschäften, Future-Kontrakten, Optionsscheinen und Leerverkäufen. Die Regeln scheinen einfach zu sein: Je risikobereiter man ist, desto höher sind die Gewinnchancen. Je mehr man dagegen auf Sicherheit setzt, desto ertragsärmer wird es. Gewinnen tut der, der sein Geld bewegt, es investiert und es arbeiten lässt. Eine optimale Wertschöpfung konnte man schon damals nicht allein durch Vergraben, Verwahren und Sparen erreichen, sondern durch Geschäftemachen. Dazu braucht es Raffinesse, Risikobereitschaft und vielleicht auch einen Schuss Rücksichtslosigkeit. Am Ende zählt das, was unterm Strich rauskommt. Und das muss mehr sein als das was man eingesetzt hat.
Das Gleichnis von den Talenten passt in unsere Finanz-und Bankenwelt. Der ängstliche Sparstrumpfsparer kommt schlecht weg und wird bestraft. „Und den unnützen Knecht werft in die Finsternis hinaus; da wird sein Heulen und Zähneklappern.“ (Mt 25,30) Belohnt wird Risikobereitschaft und Optimierungswille. „The winner takes it all“. „Denn wer da hat, dem wird gegeben, und er wird die Fülle haben. Wer aber nicht hat, dem wird auch, was er hat, genommen werden.“ (Mt 25,29) Doch aus der Banken-und Finanzkrise vor ein paar Jahren wissen wir auch, dass das schiefgehen kann. Dann platzen die Blasen und der Traum vom schnellen Geld. Dann ist da Heulen und Zähneklappern. Aber nur für eine Zeit. Dann geht es wieder los, immer das gleiche Spiel „Cash oder Crash.“ Das Gleichnis beschreibt unsere Realität und ist leicht zu verstehen. Was ich aber nicht verstehe ist, wie gerade Jesus sowas sagen kann. Warum stellt er sich auf die Seite der Spieler und der Sieger? Normalerweise steht er auf der anderen Seite, auf der Seite der Armen und der Ängstlichen.
II.
Gerade weil Jesu Gleichnis so vertraut und verständlich ist, kann man es missverstehen. Es geht nicht um eine Mitarbeiterschulung in einer Bank nach dem Motto: „Wenn du den Menschen zu konservativen Geldanlagen oder gar zum Sparstrumpf rätst, kannst du nicht nur deine Provision vergessen, sondern bist auch noch deinen Job los. Wenn du die Menschen aber zu risikobereiten und gewinnorientierten Anlagen überredest, dann gibt es Provisionen für dich. Und wenn du das besonders gut machst, fällt die Provision höher aus und du fällst zusätzlich noch die Karriereleiter hoch.“ Das ist nicht gemeint. Was Jesus sagt, ist ein Gleichnis. Das darf man nicht vergessen. Es geht um etwas ganz anders. Es geht nicht um die Praxis unserer Wirtschaftswelt, sondern um das Reich Gottes. Da urteilen nicht die Gesetze des Marktes, Aufsichtsräte oder Vorgesetzte, sondern Gott. Und da geht nicht um unser Geld, sondern um unserer Leben. Fangen wir damit an, mit unserem Leben.
Da wo es in Martin Luthers Übersetzung „Zentner“ heißt, steht im griechischen Text „Talente“. Das Wort ist doppeldeutig. Einerseits ist ein Talent eine antike Massenmaß- und Währungseinheit, andererseits eine Gabe. Wir alle haben Gaben, Talente, Stärken. Das ist eine der ersten Einsichten in der Bibel. Als Gott den Menschen nach seinem Bilde geschaffen hatte, heißt es: „Gott sah an alles, was er geschaffen hatte; und siehe, es war sehr gut“ (Gen 1,31). Der Beter des 139. Psalms spricht voller Zuversicht: „Ich danke dir, dass ich wunderbar gemacht bin; wunderbar sind deine Werke, das erkennt meine Seele“ (Ps 139,14)! Und Jesus sagt: „Ihr seid das Licht der Welt! (…) Man zündet (…) nicht ein Licht an und stellt es unter einen Scheffel, sondern auf einen Leuchter; so leuchtet es allen, die im Hause sind. So lasst euer Licht leuchten vor den Leuten, damit sie eure guten Werke sehen und euren Vater im Himmel preisen“ (Mt 5,14-16). Das Wunderbare in uns zum Leuchten zu bringen – das ist das, was Gott will, das ist Leben, das ist Lieben!
Der eine Knecht im Gleichnis traut sich das nicht. Er passt nur auf das auf, was ihm anvertraut ist; er versteckt es, hält es zurück und hütet es wie einen Schatz, den niemand sehen darf. So soll es nicht sein. Aber der Knecht handelt nicht aus Bequemlichkeit oder Missgunst. Der Knecht handelt aus Angst. „Herr, ich wusste, dass du ein harter Mann bist: Du erntest, wo du nicht gesät hast, und sammelst ein, wo du nicht ausgestreut hast; und ich fürchtete mich, ging hin und verbarg deinen Zentner in der Erde. Siehe, da hast Du das Deine“ (Mt 25,24f). Weil der Knecht seinen Herrn fürchtet, will er kein Risiko eingehen. Er hat kein Vertrauen – weder zu sich noch zu seinem Herrn. Wenn Vertrauen fehlt, ist es schwer, etwas zu tun. Um aus der Deckung zu gehen, um etwas zu wagen und etwas von sich zu zeigen, braucht es Vertrauen. Denn Leben ist riskant. Man kann Fehler machen, man kann anecken, man kann scheitern. Dann kommt es darauf an, wie der andere reagiert und was dann mit mir passiert. Ginge es um mein Erspartes, wäre ich wie jener Knecht. Ich würde auf Nummer Sicher gehen, denn mein Vertrauen in die Märkte dieser Welt ist begrenzt. Doch um die geht es im Gleichnis nicht und auch nicht mein Erspartes. Es geht um Gott und um mich.
Gott lässt mich nicht fallen und Gott weiß um meine Stärken und Schwächen. Ihm vertraue ich. Die Gesetze seines Reiches folgen nicht der Logik unserer Welt. Im Gottes Reich werden die letzten die ersten sein; da wird Liebe über Liebe sein. Und wenn ich falle, dann nicht ins Bodenlose, sondern in Gottes Arme. Diese Gewissheit nimmt mir die Angst und gibt mir Mut. Weil ich Gott vertraue, traue ich mir etwas zu und traue mich, zu leben und zu lieben. Sicher, Leben, Lieben ist riskant. Doch anders geht es nicht. Stell dein Licht nicht unter den Scheffel, sondern bring dich ein in diese Welt mit allem, was Gott dir geschenkt hat! Riskiere zu scheitern, riskiere, dass andere über dich reden, riskiere, dass dir der Gegenwind ins Gesicht bläst, wenn du dich aus der Deckung wagst – riskiere es trotzdem! Denn das ist kein Leichtsinn, sondern der Sinn des Lebens. Gott hat uns alle wunderbar erschaffen; jeder hat seine Gaben und Talente. Manchmal schlummern sie nur tief verborgen – zugedeckt von unserer Angst, Scheu und Scham –, dann gilt es sie zu wecken, ans Licht zu bringen und sie der Welt zu zeigen. Auch uns als Kirche täte das gut. Nur die Defizite sehen, aus Angst vor Fehlern keine neuen Wege wagen und im Althergebrachten verharren – damit ist niemandem geholfen. Trauen wir doch einfach der Verheißung, die uns geschenkt ist, und leben danach! „Mache dich auf, werde licht; denn dein Licht kommt und die Herrlichkeit des Herrn geht auf über dir!“ (Jes 60,1)
III.
Irmi liebt unseren Chor, das merkt man sofort. Stumm formen ihre Lippen die Lieder mit und am Ende des Gottesdienstes klatscht sie mit ehrlicher Begeisterung laut und leidenschaftlich in die Hände. Irmi ist nicht mehr die jüngste. Hinter ihr liegt ein Leben voller Arbeit und Bescheidenheit. Zu den Lautstarken hat sie nie gehört und auch die neusten Modetrends sind stets spurlos an ihr vorbeigegangen. Viel hat sie nicht über sich zu sagen, doch eines Tages hat sie mir an der Kirchentür etwas anvertraut: „Ich singe ja auch so gern, das ist eine geheime Leidenschaft von mir. Aber…“ – setzt sie mit einem Zwinkern hinzu – „…aber nur unter Dusche. Ich singe ja nicht so gut!“ Zugegeben, es hat etwas gedauert und ein wenig Überzeugungsarbeit gebraucht, aber irgendwann hat Irmi sich getraut und hat ihre Dusche gegen unsere Kirche eintauscht. Seit ein paar Monaten singt sie nun in unserem Chor. Alle mögen Irmi und Irmi mag die Menschen dort und die Lieder, die wir singen. In der ersten Reihe stehen mag sie zwar immer noch nicht, das ist einfach nicht ihr Ding. Aber sie hat eine wunderbare Stimme und ihre Augen strahlen so als wolle sie sagen: „Versteck dich nicht! Geh ins Licht! Leben, Lieben ist riskant. Doch du kannst es wagen, denn Gottes Glanz liegt auf dir und seine Liebe hält dich!“