Jerusalem vor ungefähr 2000 Jahren
„Ich bin mir sicher, dass der Tröster schon bei uns ist“, sagt Johanna. Sie ist gerade dabei, das Geschirr vom Abendessen aufzuräumen. Die Männer sitzen oben auf dem Dach beieinander. Ihre Freundin Salome versteht sofort, was sie meint. „Ja, er ist wirklich zu uns gekommen. Ich kann ihn jeden Tag deutlicher spüren. Es ist genauso, wie Jesus gesagt hat. Er hilft uns. Er tröstet uns. Niemand kann ihn sehen, aber wir können ihn spüren, nicht wahr?“ Sie reibt sich die Hände an ihrer Schürze ab und lässt sie dann in den Schoß sinken. Johanna kommt zu ihr und nimmt sie in den Arm. Auch Susanna setzt sich neben ihre Freundinnen.
Die Frauen haben aufwühlende Wochen hinter sich. Mit Jesu sind sie nach Jerusalem gekommen, um mitzuerleben, wie er erhöht und verherrlicht würde. Etwas Schönes hatten sie sich darunter vorgestellt. Was dann kam, war grausam. Seine Verhaftung, sein Tod. Sie konnten es nicht begreifen können. Weinend und voller Angst haben sie in der Nacht zum Sonntag Salben angerührt und sich heimlich im Morgengrauen zum Grab geschlichen. „Verflucht ist, wer am Holz hängt“, diesen Satz hatten sie mit sich getragen. Einen Gekreuzigten salben, wie verrückt waren sie eigentlich! Und dann: nichts. Jesu Leichnam war verschwunden. Unverrichteter Dinge mussten sie wieder gehen. So allein und verlassen haben sie sich da gefühlt, ohne Jesus, ihren Lehrer. „Wie verlassene Waisenkinder sitzen wir hier“, hat Johanna damals gesagt und ihnen allen aus dem Herzen gesprochen.
Magdalena hat ein besonderes Erlebnis gehabt. Sie ist sich sicher, dass es Jesus war, der ihr begegnet ist. Nicht so wie zu Lebezeiten, aber doch derselbe. Sie konnte ihn sehen und hören, aber nicht anfassen. Sie hat den Freundinnen davon berichtet. Auch einige von den Männern haben Ähnliches erlebt. Johanna, Salome und Susanne haben sich auf all das keinen Reim machen können, ihre Furcht und ihre Trauer sind so stark gewesen.
Doch nun hat sich etwas verändert. Es ist nicht schlagartig gekommen, mehr nach und nach. Sie fühlen es immer deutlicher. Eine Veränderung hat sie ergriffen – und nicht nur sie auch die anderen, die Männer und Frauen, die zu Jesus gehörte. Es ist mehr als das Nachlassen des Schmerzes. Es ist wie ein tiefer innerer Friede, der sie nach und nach erfüllt, obwohl doch vieles noch so unklar und unsicher ist.
„Wenn ich mit euch zusammen bin, fühle ich mich Jesus nah; dann weicht all meine Angst zurück. Meint ihr das?“, fragt Susanna.
„Ja, Jesus hat uns nicht allein gelassen. Er ist immer noch bei uns. Es ist alles genau so gekommen, wie er es gesagt hat… Wir haben es nur nicht gleich verstanden,“ sagt Johanna.
„Ich liebe ihn immer noch“, flüstert Salome. Sie weiß, dass es ihren Freundinnen genauso geht. „Und ich werde nicht aufhören, ihn zu lieben und nach seinen Worten zu leben.“ Sie klingt fast ein wenig trotzig. „Wenn ihr mich liebt, werdet ihr meine Gebote halten. So hat Jesus es doch zu uns gesagt. Ihr sollt einander lieben, wie ich euch liebe, das war sein Gebot für uns.“
„Für mich heißt das, dass ich mich nicht von euch trennen werde“, sagt Johanna. „Ich bleibe hier in Jerusalem, bei euch und bei Magdalena und bei Petrus und Johannes und den anderen. Wir dürfen nicht aufhören, von Jesus zu sprechen, uns an ihn zu erinnern, weiterzugeben, was er uns gelehrt hat…. Es ist nämlich so, je mehr wir das tun, umso mehr kann ich den Tröster spüren. Er wird uns helfen, uns zu erinnern, er wird uns stark machen, im Geiste Jesu zu leben, erführt uns in alle Wahrheit.“ „Ich bin so froh, dass ich euch habe“, seufzt Susanna.
Die Frauen bringen ihre abendliche Arbeit zu Ende, dann gehen sie hinauf zu den anderen.
Johannes
Pfingsten bei Johannes kommt ein wenig anders daher, als wir es aus der Apostelgeschichte kennen. Kein Brausen und kein Brennen. Keine Sprachenrede und keine 3000 Taufen. Der Auferstandene haucht die Jünger an und überlässt ihnen damit seinen Heiligen Geist (Joh 20).
Unser Predigttext (Evangelium nach Johannes, Kap. 14, V. 15-27) blickt voraus auf dieses Ereignis und die neue Wirklichkeit des Lebens im Heiligen Geist. Am Abend vor seinem Tod hält Jesus eine lange Abschiedsrede und er kündigt seinen Freuden den „anderen Tröster“ und Beistand an. Er selbst wird nicht mehr da sein, aber Gott wird einen Helfer schicken, auf den sie sich verlassen können.
(Lesung des Predigttextes)
Der Heilige Geist schafft Kontinuität zwischen der Zeit, als Jesus lebte und lehrte, und der Zeit nach seiner Auferstehung. Er verbindet auch uns über die Zeiten hinweg mit dieser Geschichte. Er ist die Kraft des Erinnerns und Vergegenwärtigens. In der Gemeinschaft, im Halten von Jesu Wort ist er da und erlebbar. Innerer Friede gehört zu seinen Gaben.
Heidelberg 2025
Klara macht den Fernseher aus. Sie will nichts mehr sehen und hören. Krieg in der Ukraine, Zerstörung in Gaza. So viel Unglück. Gerät denn sie ganze Welt aus den Fugen? Klara weiß manchmal nicht mehr, was sie denken soll. Was ist Wahrheit? fragt sie sich dann. Steht die Frage nicht sogar in der Bibel?
Dabei hat Klara noch andere Sorgen, außer dass sie sich manchmal solch schwere Gedanken zur Weltlage macht. Sie muss sich ja um ihr eigenes kleines Leben kümmern. Die Arbeit, die alten Eltern. Und mit Louis würde sie gern mehr Zeit verbringen, mehr erleben. Ihr Sohn ist schon so groß geworden. Im Sommer kommt er auf die weiterführende Schule. Ob alles gut gehen wird? Er freut sich schon. Kyrillo, der Junge von nebenan, wird in seine Klasse gehen.
Seit fast drei Jahren wohnt der mit seiner Mutter Olga und der kleinen Mascha schon im Haus. Aus der Ukraine sind die drei geflohen, gleich am Anfang, als der Krieg losging. Die Jungs haben sich schnell angefreundet. Und die Mütter auch. Olga ist wirklich eine gute Freundin geworden. Sie können über alles reden. Olga ist ja auch allein. Ihr Mann Sergej ist noch in der Ukraine. Zum Glück ist er kein Soldat mehr. Er wohnt jetzt wieder bei seinen Eltern, arbeitet beim Straßenbau, hilft die zerstörte Infrastruktur zu reparieren. Bis die nächsten Bomben fallen. Die Kinder sprechen inzwischen meistens Deutsch. Olga sagt: „Wir müssen stark sein, bis der Krieg zu Ende ist. In der Ukraine ist es zu gefährlich.“
Manchmal ist sie nicht stark… Klara versucht dann sie zu trösten. Auch wegen Olga erschrecken die Nachrichten aus der Ukraine Klara sehr. Das ist doch wirklich nicht gerecht, dass normale Leute unter der Machtgier der Politiker leiden. Am Anfang hat sie Olga geholfen, sich zurecht zu finden, die Schule und die Kita für die Kinder zu organisieren. Mit Übersetzungs-App. Klara bewundert ihre Freundin sehr, ihr Herz ist so stark.
Die Gedanken in Klaras Kopf drehen sich immer noch im Kreis. Am Wochenende fährt sie zu ihren Eltern. Ob sie Louis mitnehmen soll? Oder gibt das wieder Streit? Kann denn nicht mal Frieden sein?
Ja, Klara wünscht sich Frieden! Das wäre mal was. Ruhe im Kopf statt wilder Jagd. Hat Jesus nicht mal gesagt: Meinen Frieden gebe ich euch…? Klara greift zum smartphone und tippt. Ja, da ist die Stelle Joh 14: „(15) Liebt ihr mich, so werdet ihr meine Gebote halten… (18) Ich will euch nicht als Waisen zurücklassen; ich komme zu euch… (26)… der Tröster, der Heilige Geist, den mein Vater senden wird in meinem Namen, der wird euch alles lehren und euch an alles erinnern, was ich euch gesagt habe. (27) Frieden lasse ich euch, meinen Frieden gebe ich euch. Nicht gebe ich euch, wie die Welt gibt. Euer Herz erschrecke nicht und fürchte sich nicht“. Klara ist doch ein bisschen erschrocken. Passt genau denkt sie.
„Meinen Frieden gebe ich euch“, sagt Jesus. Und jemanden, der euch beisteht, der euch an das erinnert, was gut und wichtig ist. Das Drehen hat aufgehört. Ich bin nicht allein, weiß Klara plötzlich. Sie denkt an Gott und zündet die Kerze auf dem Küchentisch an. Das Licht breitet sich tröstlich in dem halbdunklen Raum aus. In der Kerzenschale liegt ein kleiner Engel aus Filz. Olga hat ihn ihr geschenkt. „Ein Engel für dich. Weil du ein Engel für mich bist“, hat sie gesagt. Dann haben sie beide geheult.
Wenig später klopft es. Olga steht vor der Tür. Die Kinder sind im Bett. Die Frauen setzen sich in die Küche. Die Wohnungstüren bleiben offen, für den Fall, dass Mascha aufwacht. Die Frauen trinken Tee und reden. Heute lachen sie miteinander. Es tut gut, nicht allein zu sein.