Auf das Ziel bedacht

Viele Menschen warten auf Zuwendung

Predigttext: 1. Petrus 4,7-11
Kirche / Ort: Worms
Datum: 17.08.2014
Kirchenjahr: 9. Sonntag nach Trinitatis
Autor/in: Pfarrerin Dorothea Zager

Predigttext: 1. Petrus 4,7-11 (Übersetzung nach Martin Luther, Revision 1984)

Das Ziel aller Dinge ist nahe. Seid also besonnen und nüchtern und betet!
Vor allem haltet fest an der Liebe zueinander; denn die Liebe deckt viele Sünden zu.
Seid untereinander gastfreundlich, ohne zu murren.
Dient einander als gute Verwalter der vielfältigen Gnade Gottes, jeder mit der Gabe, die er empfangen hat.
Wer redet, der rede mit den Worten, die Gott ihm gibt; wer dient, der diene aus der Kraft, die Gott verleiht. So wird in allem Gott verherrlicht durch Jesus Christus. Sein ist die Herrlichkeit und die Macht in alle Ewigkeit.

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Eine „Hausordnung“ ist nicht jedermanns Sache. Wenn sie da so schwarz auf weiß gedruckt, im DIN A4-Format fordernd und mahnend im Treppenhaus eines Mietshauses hängt, ist sie nicht unbedingt eine Zierde des Flurs und wird von manchem eher mit Seufzen oder Augenrollen wahrgenommen. Muss das sein? „Hausordnung“ – das ist doch was furchtbar Verschrobenes. Irgendwie wieder mal typisch deutsch. Alles geregelt. Alles vorgeschrieben. Alles in Verbotenes und Erlaubtes aufgeteilt. „Hausordnung“ – muss das wirklich sein? Ja, natürlich muss sie sein. Auch wenn wir die Hausordnung nicht mögen: wir wissen es ganz genau. Wir brauchen sie zum Schutz der Hausgemeinschaft, zum Schutz des Hausfriedens, zum Schutz eines jeden einzelnen, der im Hause wohnt. Es ist enorm wichtig, dass untereinander abgesprochen ist, wann musiziert und radiogehört werden darf und wann eben Stille einkehrt, dass die Haustür nachts verschlossen ist, oder wer die Wege draußen freiräumt, wenn es geschneit hat.

Genauso ist es mit den „Haustafeln“ im Neuen Testament. Sie heißen nicht nur so ähnlich wie unsere Hausordnungen, sondern sie haben denselben Effekt: Die Schlusskapitel der neutestamentlichen Briefe sind Ermahnungen, d.h. Erinnerungen an die Regeln des Glaubens und an die Regeln des liebevollen Zusammenlebens. Besonders beliebt sind deshalb nicht – wer lässt sich schon gerne ermahnen und an vereinbarte Regeln erinnern – aber sie sind unbedingt notwendig; denn sie schützen das Zusammenleben und die Glaubensgrundlagen der christlichen Gemeinde. „Haustafel“ nennt man solche Ermahnungen und Ratschläge deshalb, weil sie in der frühen Christenheit wie ein Strauß wohlgemeinter Regeln jedem jederzeit von Augen stehen sollte, der im Hause lebt: Vom Familienvater bis zum Pferdeknecht, vom Übernachtungsgast bis zum Kind soll jede und jeder wissen: Genau so sollt Ihr als Christen miteinander umgehen. Genau so sieht ein Leben aus, das Gott gefällt. Unser heutiger Predigttext ist einer solchen „Haustafel“ entnommen.

(Lesung des Predigttextes)

Erst mag man seufzen, wenn man hört, wie da ein Gebot an das nächste Gebot gereiht ist, eines wichtiger als das andere. Das Seufzen darf sich aber bei genauerem Hinsehen in eine tiefe Überzeugung wandeln: Wenn es uns tatsächlich gelingen würde, all das genauso zu tun, wie es hier von einem guten Christen und einer guten christlichen Gemeinschaft erwartete wird, dann wären wir dem Reich Gottes ein Riesenstück näher. Grund genug also, sich diese Haustafel ein bisschen genauer anzusehen.

Seid besonnen und nüchtern…

Besonnenheit ist die Fähigkeit, nachzudenken und sich die Folgen zu vergegenwärtigen, bevor man redet oder handelt. Das kann nicht jeder. Wenn Sie zu den Temperamentvolleren, den Unbeherrschten gehören, dann wissen Sie genau, wie das ist, wenn die Pferde mit einem durchgehen. Der Ehepartner reizt uns mit einer unbedachten Bemerkung, das Kind oder Enkelkind braucht wieder einmal unendlich lange für die Schularbeiten, oder der Nachbar lässt wieder zur Unzeit den Rasenmäher brummen und die Autotüren knallen … und schon fallen sie schneller als wir denken: die harten Worte, unbeherrscht, lieblos, ungeduldig, ungerecht. Besonnen reagieren heißt, innehalten, bevor man redet oder handelt und sich fragen: Wie reagiere ich so, dass es Gott gefällt und dem anderen gut tut?

Seid nüchtern zum Gebet…

Ob ich besonnen reagiere, ob mir das also gelingt, zu denken, bevor ich handle oder rede, ist nicht nur eine Frage der Selbstbeherrschung und der Disziplin. Also eine Frage der Vernunft und des Kopfes. Das ganz sicher auch. In allererster Linie ist christliche Besonnenheit aber im eigenen Herzen verwurzelt. Unser Leben und Zusammenleben kann nur gelingen, wenn wir in allem, was wir tun und reden, immer wieder auf Gott bezogen bleiben. Nichts anderes ist das Gebet: Unser ganzes Leben, unsere Sorgen und unsere Angst, unsere Fragen und unsere Unsicherheit, unsere Hoffnung und unsere Freude, manchmal aber auch unseren Ärger und unsere Ungeduld in Gottes Hände legen und auf seine Führung zu vertrauen, das ist richtiges Beten. Das kann gesprochen sein oder nur gedacht, das kann gesungen sein oder geweint oder manchmal nur gefühlt: Ich gebe Gott Anteil an meinem Leben und weiß, er ist da. Besonnenheit ruft uns also dazu, zu beten.
Und das Gebet schenkt uns umgekehrt diesen einen, manchmal nur kurzen Augenblick der Einkehr, der uns besonnen macht.

Vor allem haltet fest an der Liebe zueinander…

denn die Liebe deckt viele Sünden zu. Schon durch das berühmte Hohelied der Liebe im 1. Korintherbrief wissen wir: Wir können uns noch so anstrengen, Regel des Zusammenlebens zu beachten, wir könnten die strengste Hausordnung in unserem Leben hängen haben, sie wäre eine klingende Schelle und ein tönendes Erz, wenn wir ohne Liebe lebten. Lieben heißt, alle Dinge dem anderen zum Besten dienen lassen. Dem Ehepartner ein Zuhause schenken, in dem er sein darf wie er ist; den Kindern Zutrauen schenken, ihren eigenen Weg zu gehen, und dennoch Vorbild sein; denen, die uns Gutes tun, Dankeschön sagen, und denen, die uns wehgetan haben, vergeben. Alle Dinge dem anderen zum Besten dienen zu lassen, ist die Kunst, liebevoll und friedlich zusammen zu leben – und die schwierigste Übung dabei ist die Vergebung.

Seid untereinander gastfreundlich, ohne zu murren…

Das wohlige Gefühl des Feierabends ist jedem vertraut. Sich abends vor dem Fernseher niederlassen, die Türen verriegelt, die Rollläden geschlossen, möglichst Telefon und Handy abgestellt – nun sind wir endlich für uns. Niemand kann uns stören. Wenn da einer klingelt, um Einlass bittet, um einen Rat oder gar um ein Bett für die Nacht, da murrt eigentlich fast jeder. Es soll auch niemandem die Freude an einem schönen, in vollen Zügen genossenen Feierabend genommen werden. Aber aufmerksam sollten wir dennoch sein. Wir laufen Gefahr, dass sich jeder von uns jeden Abend zurückzieht, sich verschließt in seinem ängstlich behüteten Privatleben. Nicht nur unsere Kirche, sondern auch die Vereine und diejenigen, die ehrenamtliche Helfer suchen, spüren dieses Sich-Zurückziehen in das Privatleben als einen großen Verlust.

Viele Menschen warten auf unsere Gesellschaft, auf unsere Zuwendung, auf unsere Herzenswärme. Und es steht außer Frage: Wer Jesus Christus nachfolgen will, der muss ihm folgen wohin auch er gegangen ist: zu den Einsamen, den Alleinstehenden, den Schuldigen, zu denen, die auf Zuwendung warten.
Auch wenn wir manchmal Lust hätten zu murren, und unser Herz und Haus zu verschließen: Das Wort aus Hebräer 13,2 soll uns das Herz öffnen: Vergesst nicht, Gastfreundschaft zu üben, denn dadurch haben einige ohne ihr Wissen Engel beherbergt.

Dient einander…

als gute Verwalter der vielfältigen Gnade Gottes, jeder mit der Gabe, die er empfangen hat. „Du bist begabt“ – das hören wir gern. Manchmal sogar mit ein bisschen stolz. Ja, ich kann was. Malen oder Musizieren, Bücher Schreiben oder Menschen überzeugen. Jeder Mensch hat Gaben. Aber die sind nicht zum Selbstbehalten. Gabe kommt von Geben. Sie sind uns von Gott gegeben, damit wir wiederum anderen geben können. Wir können denken und fühlen, zuhören und verstehen, lachen und zum Lachen bringen, hinsehen und lieben, feiern und zum Feiern einladen. Manche Menschen können besonders gut pflegen und helfen. Andere konstruieren, handwerkern und tüfteln. Wiederum andere können gut mit Kindern umgehen, erziehen und fördern, zuhören und trösten. In all diesen Gaben steckt der Geber selbst. Und mit ihm seine ganze Liebe. Wenn wir also eine Begabung erhalten haben, dann steckt in jeder dieser Gaben zugleich eine Aufgabe: die Aufgabe, sie für andere einzusetzen: Wer redet, der rede mit den Worten, die Gott ihm gibt; wer dient, der diene aus der Kraft, die Gott verleiht.

Soweit die sechs Ermahnungen oder besser gesagt: Ermunterungen der Haustafel aus dem 1. Petrusbrief. Weil ich mir vorstellen kann, dass sich jetzt dem einen oder anderen ein stiller Seufzer entringt und er sich denkt: „Das kriegt doch kein normaler Mensch alles hin. Wir sind doch keine Heiligen!“ Gerade darum müssen wir uns der Frage stellen: Wie soll und wie kann ich als Christ so leben, wie es sich die „Haustafel“ vorstellt? Woher nehme ich die Kraft, den Antrieb die Hoffnung?
Zu dieser Frage, die über all den Ermahnungen und Regeln der Haustafeln im Neuen Testament schwebt, ist der allererste Satz unseres Predigttextes der Schlüssel:

Das Ziel aller Dinge ist nahe…

Hören wir zunächst einmal dazu Martin Luther: „Das ist nun die letzte Zeit, in der wir leben“ – so schreibt er – „jetzt von der Himmelfahrt Christi her bis auf den jüngsten Tag … nicht in dem Sinn, dass jetzt gleich der Jüngste Tag kommen würde, sondern darum, dass nach dieser Predigt des Evangeliums von Christus keine andere und bessere mehr kommen wird.“ Das ist der Schlüssel! Das Ziel aller Dinge ist uns durch Christus ja schon geschenkt. Deshalb braucht das Ziel unseres Lebens auch nicht darin bestehen, dass wir uns abstrampeln, leisten und kämpfen, uns fordern und überfordern, damit wir die Anerkennung und den Wohlstand und das Karriereziel erreichen, von dem wir immer geträumt haben oder – was noch viel schlimmer ist – das wir von uns selbst erwarten und fordern. Das brauchen wir alles nicht mehr. Denn wir sind doch bereits reich beschenkt. Der gekreuzigte Christus schenkt jedem, der sich ihm anvertraut, Vergebung seiner Schuld. Und der auferstandene Christus schenkt jedem, der ihm folgt, ein Leben über den Tod hinaus.

Brauchen wir uns da noch zu fürchten, etwas zu verlieren, wenn wir Liebe verschenken? Brauchen wir uns da zu fürchten, dass unser Wohlstand weniger wird, wenn wir teilen? Brauchen wir uns da noch fürchten, wir würden uns selbst aufgeben, wenn wir lieben? Nein, wir brauchen uns nicht zu fürchten. Das Geschenk der Versöhnung und des Lebens, das Gott uns gemacht hat, ist so groß, dass es uns gelingen kann, besonnen und nüchtern zu ein, vertrauensvoll zu beten, aufrichtig zu lieben, gastfrei zu sein und einander mit unseren Begabungen zu dienen. Wir leben also auf das große Ziel hin, dass Gott uns schon – nicht in die Wiege – aber in die Taufe hineingelegt hat: die Vollendung dieser Welt zur guten Welt Gottes. Deshalb sind alle „Haustafeln“ im Neuen Testament von diesem Licht der guten Zukunft Gottes schon durchleuchtet. Und all unser christliches Handeln ist darauf ausgerichtet. So eindrucksvoll wie Dietrich Bonhoeffer kann ich es gar nicht ausdrücken. Deshalb soll sein Wort über das christliche handeln am Ende dieser Predigt stehen: Mag sein, dass der jüngste Tag morgen anbricht, dann wollen wir gern die Arbeit für eine bessere Zukunft aus der Hand legen, vorher aber nicht.

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Ein Kommentar zu “Auf das Ziel bedacht

  1. Pastor Heinz Rußmann

    Haustafeln im NT sind wie alle Hausordnungen nicht besonders beliebt. Mit dieser Überlegung beginnt Pfarrerin Zager. Aber dann gelingt es ihr eine erfreuliche Predigt in Worte zu fassen. Sehr lebendig spricht sie über die sechs Ermahnungen. Die tempramentvollen und unbeherrschten Menschen fragt sie zum Beispiel, wie sie so reagieren können, dass es Gott gefallen könnte. Durch ihren prägnanten Predigtstil gelingt es ihr, aus den sechs Ermahnungen Ermunterungen zu machen. Zum Schluss vertieft die Autorin die Empfehlungen durch die Perspektive des Textes, dass wir auf die Vollendung dieser Welt zur guten Zukunft Gottes zugehen. Ein eindringliches Bonhoeffer -Zitat beschließt die Predigt. Eine lebendige, gut formulierte interssante Predigt.

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