Auf der Spur Jesu von Nazareth
Türen auf, Augen auf ...
Predigttext: Lukas 16,19-31 (Übersetzung nach Martin Luther, Revision 2017)
19 Es war aber ein reicher Mann, der kleidete sich in Purpur und kostbares Leinen und lebte alle Tage herrlich und in Freuden.
20 Ein Armer aber mit Namen Lazarus lag vor seiner Tür, der war voll von Geschwüren
21 und begehrte sich zu sättigen von dem, was von des Reichen Tisch fiel; doch kamen die Hunde und leckten an seinen Geschwüren.
22 Es begab sich aber, dass der Arme starb, und er wurde von den Engeln getragen in Abrahams Schoß. Der Reiche aber starb auch und wurde begraben.
23 Als er nun in der Hölle war, hob er seine Augen auf in seiner Qual und sah Abraham von ferne und Lazarus in seinem Schoß.
24 Und er rief und sprach: Vater Abraham, erbarme dich meiner und sende Lazarus, damit er die Spitze seines Fingers ins Wasser tauche und kühle meine Zunge; denn ich leide Pein in dieser Flamme.
25 Abraham aber sprach: Gedenke, Kind, dass du dein Gutes empfangen hast in deinem Leben, Lazarus dagegen hat Böses empfangen; nun wird er hier getröstet, du aber leidest Pein.
26 Und in all dem besteht zwischen uns und euch eine große Kluft, dass niemand, der von hier zu euch hinüberwill, dorthin kommen kann und auch niemand von dort zu uns herüber.
27 Da sprach er: So bitte ich dich, Vater, dass du ihn sendest in meines Vaters Haus;
28 denn ich habe noch fünf Brüder, die soll er warnen, damit sie nicht auch kommen an diesen Ort der Qual.
29 Abraham aber sprach: Sie haben Mose und die Propheten; die sollen sie hören.
30 Er aber sprach: Nein, Vater Abraham, sondern wenn einer von den Toten zu ihnen ginge, so würden sie Buße tun.
31 Er sprach zu ihm: Hören sie Mose und die Propheten nicht, so werden sie sich auch nicht überzeugen lassen, wenn jemand von den Toten auferstünde.
Exegetische Bemerkungen
Die Beispielgeschichte gehört zum lukanischen Sondergut. Woher dieses stammt, bleibt im Dunkel. Theologisch liegt dieser Geschichte der Gedanke der Umkehrung der Verhältnisse im Jenseits zugrunde. Dieser Gedanke ist auch ein Grundzug lukanischer Theologie (1,52f; 6,24-26). Er hat seinen Ursprung in Erniedrigung und Erhöhung Jesu selbst (Phil 2,6-11), ist also zutiefst ein christlich-sozialer Gedanke. Die Geschichte hat die Warnung vor der Gefahr des Reichtums mit Lk 12,16-21 gemein, nur dass der Reichtum dort den Blick auf Gott, hier auf den Nächsten versperrt.
Lk 16,19-31 ist zweigipflig. Ein erster, wohl ursprünglicher Teil (16,19-25) schildert die unabänderliche Umkehrung der Verhältnisse im Jenseits. Sowohl Lazarus (El-azar = Gotthelf) wie auch der namenlose Reiche sind Kinder Abrahams, aber der Reiche kommt nicht in den Genuss des Heilswertes, anders Lazarus. Das ist kein Sozialismus, schon gar nicht Aufruf zur sozialen Revolution, sondern Impuls, den Reichtum so einzusetzen, dass er dem ewigen Leben dient (vgl. Lk 18,18-23 parr).
Teil 2 (16,26-31) kann als spätere seelsorgerliche Verarbeitung der Härte des ersten Teils gelesen werden. Die Härte lässt sich nicht mildern, es gibt ein Zuspät. Moralische Wende geschieht im Hier und Jetzt – oder nie! Gottes Gnade und Barmherzigkeit besteht in seiner Präsenz in Form von Gesetz und Propheten (Lev 19,18; Dtn 6,4f; Mi 6,8), die man annehmen oder an der man scheitern kann.
Homiletische Bemerkungen
Der Predigttext stellt mich vor die Frage: Worüber kann, worüber muss ich glaubwürdig predigen? Ich kann nicht glaubwürdig gegen die Reichen polemisieren. Denn diese setzen ihren Reichtum zum Teil in hohem Maß sozial ein. Außerdem habe ich in meiner Gemeindearbeit „Armen“ oft helfen können mit Unterstützung der „Reichen“. Ich muss dann schon genau hinschauen und fragen: Was hat der Reiche falsch gemacht?
Das führt mich auf das mit Himmel und Hölle gemalte letzte Gericht. Kann ich über das letzte Gericht predigen? Folge ich dieser Geschichte, muss ich es sogar. Im Dialog mit dem Predigttext frage ich mich: Was bedeutet mir das letzte Gericht? Antwort: Es gibt eine letzte Gerechtigkeit. Sie wird sich letztendlich durchsetzen. Es gibt eine letzte Wahrheit. Sie wird sich letztendlich durchsetzen. Das ist für die Vergessenen, Geschundenen, Gequälten, Betrogenen nicht Vertröstung, sondern Trost. Für die Vermögenden ist es Impuls, hier und jetzt Werke der Liebe zu tun, die glaube ich angerechnet werden.
In New York im Stadtteil Manhattan befindet sich ein weltweit bekanntes Kulturzentrum, das Lincoln-Center. Das herausragendste Gebäude ist die Metropolitan Opera, den linken und rechten Flügel des Platzes bilden je eine weitere kulturelle Einrichtung: links das David H. Koch Theater, rechts die David Geffen Hall, Spielstätte der New Yorker Philharmoniker. Die Gebäude stammen aus den 60er Jahren des vorigen Jahrhunderts und sind entstanden durch private Finanzierung einiger Superreicher. In Amerika ist privates Engagement der Milliardäre üblich. Dafür erhalten die Gebäude dann in der Regel auch ihre Namen: David H. Koch Theater, David Geffen Hall.
- Alles auf den Kopf gestellt
In dem Gleichnis, das Jesus den Pharisäern vor Augen führt, ist das Gegenteil der Fall. Da stirbt ein Reicher Mann. Und … seinen Namen erfahren wir nicht. Er stirbt und wird einfach begraben. Nicht in einem Mausoleum, sondern unter der Erde. Von einem Grabstein hören wir nichts. – Da stirbt auch ein Armer. Dessen Namen erfahren wir freilich: Lazarus. Er hatte kein gutes Leben, saß am Boden, seine Haut von Geschwüren bedeckt, und hoffte, dass etwas für ihn abfiel. Aber Hunde waren mitleidiger als die Menschen, mitleidiger als jener Reiche. Lazarus erhielt einen Grabstein, auf dem sein Name stand: Lazarus. Sein Name bleibt. Der Reiche ist vergessen. Das will Jesus nach dem Lukasevangelium sagen.
Lukas sammelt solche Gleichnisse Jesu. Gleichnisse, die die normalen Verhältnisse auf den Kopf stellen. Das Gleichnis vom Kornbauern zum Beispiel, der seinen Reichtum in neue Wirtschaftsgebäude investieren will. Der aber stirbt über Nacht, ohne je zuvor an Gott gedacht zu haben. Er lebte nur nach der Devise: „Der Mensch denkt“, den zweiten Teil hat er vergessen: „und Gott lenkt.“
- Bedenke das Ende
Was aber hat der namenlose Reiche in unserem Gleichnis verkehrt gemacht? Dass er sich spitzenmäßig kleidet, kann ich ihm nicht zum Vorwurf machen. Dass er gut lebt, der Lebensfreude und dem Lebensgenuss nachgeht, auch nicht. Er kann es sich ja schließlich leisten. Man kann auch nicht sagen, dass er sich dem armen und kranken Lazarus, der vor seiner Tür liegt, verweigert; nein, er sieht ihn einfach nicht. Aber gerade das ist es wohl, was Jesus meint: „Du wirst auch schuldig durch das, was du nicht tust. Du bist reich! Du hast viele Möglichkeiten zu helfen; manche Gelegenheit, Missstände zu beseitigen; Augen zu sehen, wo Not herrscht. Aber du tust nichts!“
Auf den biblischen Weisheitslehrer Jesus Sirach (7,40) geht ein beachtenswertes Wort zurück: „Was auch immer du tust, tu es klug und bedenke das Ende.“ Man kann das auch negativ formulieren: „Was auch immer du nicht tust, fällt auf dich zurück, und bedenke das Ende.“ „Das Ende“ kann man in zweierlei Weise deuten: Entweder meint man die Folgen des Tuns oder Nicht-Tuns im Sinne einer Verantwortungsethik, oder man meint das Lebensende – und was danach kommt.
Verstehe ich das Gleichnis recht, dann soll ich bei allem, was ich tue, insbesondere auch bei dem, was ich nicht tue, bedenken, dass ich zur Rechenschaft gezogen werde. Mit der Einstellung: „Nach mir die Sintflut“, werde ich nicht durchkommen, wenn ich vor den letzten Richter trete, mag er nun Gott, Abraham oder Christus heißen.
- Das letzte Gericht – die letzte Verantwortung
Ich rede vom letzten Richter. Aber soll man heute noch daran glauben? Manchmal ist ein Kirchenfenster, in dem das Antlitz Jesu in aller Strenge aufleuchtet, eindrucksvoller und einprägsamer als viele Worte. Der Pantokrator, der Weltbeherrscher, ist zugleich der Rechenschaft Fordernde, der letzte Richter. Das kann zum Inbild werden, mehr als viele Worte von Himmel und Hölle. Dieses Bild vom letzten Richter sagt mir: Um Rechenschaft für mein Tun oder Nicht-Tun komme ich nicht herum. In dieser Welt bleibt Gerechtigkeit oft auf der Strecke, in dieser Welt geht die Wahrheit oft unter. Wenn es aber einen Gott gibt, kann er das nicht endgültig so stehen lassen. Er muss Wahrheit und Gerechtigkeit ans Licht bringen, er wird einen Ausgleich schaffen, insbesondere für die, die leiden müssen auf dieser Welt. Und wo dies nicht in dieser Welt geschieht, geschieht es im Jenseits, mit mir oder gegen mich, je nachdem. Das ernsthaft uns einzuprägen, hat Lukas dieses Jesus-Gleichnis in sein Evangelium aufgenommen.
Nun macht man Lukas manchmal den Vorwurf, mit seiner ausgleichenden Gerechtigkeit im Jenseits vertröste er die Notleidenden nur, ohne ihre Verhältnisse im Hier und Jetzt zu verändern. Das stimmt aber nicht. Er will ja gerade die Haltung der Reichen ändern, dass sie die Augen nicht verschließen vor Not und Armut, vor Hunger und Leiden. Aber er entwickelt keinen sozialen 10-Punkte-Plan, nein, er greift weiter. Er greift über dieses gute und selbstzufriedene Leben hinaus und weist auf die letzte Verantwortung, die große Rechenschaft, die nicht ausbleiben wird nach diesem Leben. Das sei – so möchte er – ein Antrieb für dieses, für ein wahrhaft christliches Leben.
- Offene Türen – für ein christlich-soziales Leben
Aber renne ich damit nicht offene Türen ein? Bill Gates und Warren Buffet gründeten 2010 eine Initiative und riefen alle Superreichen auf, mindestens die Hälfte ihres Vermögens für das Allgemeinwohl zu spenden. Über 130 Milliardäre weltweit haben sich seither dem Aufruf angeschlossen und äußerst großzügig gespendet, darunter Hasso Plattner (SAP), Michael Bloomberg (ehem. Bürgermeister von New York), David Rockefeller (Bankier), Marc Zuckerberg (facebook). Auch für Steffi Graf gehört Wohltätigkeit selbstverständlich zu ihrem Leben: Mit ihrer Stiftung „Children for Tomorrow“ möchte sie armen Kindern eine bessere Zukunft ermöglichen. Das ist ein beachtliches soziales Engagement. Es findet Beachtung in aller Welt, und wenn ich Lukas vertrauen darf, wird es auch Beachtung bei Gott finden, wenn er das Leben eines jeden von uns letztendlich beurteilen wird.
Insofern renne ich natürlich offene Türen ein. In anderer Hinsicht aber auch nicht. In anderer Hinsicht müssen sie immer wieder aufgestoßen werden. In Manhattan gibt es in der 5th Avenue ein eher unscheinbares, dafür aber historisch bedeutsames Gebäude. Es ist ein ehemaliges Verlagshaus, in dessen Räumen sich in den 20er und 30er Jahren des vorigen Jahrhunderts Kulturschaffende trafen, um der Macht des Geldes in den USA etwas anderes entgegenzusetzen. Sie sahen mit Sorge, dass der Wert eines Menschen sich mehr und mehr nach seinem Vermögen bemisst. Sie wollten dem Werte wie Solidarität, Gerechtigkeit, Bildungschancen für alle entgegensetzen. Es ist gut, dass es solche Bewegungen immer wieder gibt. Die Türen müssen immer wieder aufgestoßen werden, die Augen immer wieder geöffnet werden für den Lazarus vor meiner Tür.
Das ist soziales, der Humanität verpflichtetes Verhalten. Als Christen können wir solches nur gutheißen und dem auf der Spur Jesu folgen. Denn unser Glaube wird nur in der Liebe wahr, und die Liebe – und nur sie – kann am Ende bestehen, vor Abraham, vor Christus, vor Gott.
Sehr reflektiert und weise predigt Pastor Dr Scholz über das komplexe Gleichnis Jesu nach dem Lukas-Evangelium. Die sozialen Reichen werden angemessen anerkannt, wie auch die sozial Handelnden. Die Weisheit von Jesus Sirach wird zusätzlich zitiert. Kern des Gleichnisses ist, dass wir alle mal vor Gott von Gott zur Rechenschaft gezogen werden für das , was wir getan haben oder Soziales unterlassen haben. Ganz anrührend sind die Beispiele von Mitleid von einigen gebefreudigen Superreichen wie Rockefeller. Soziale Bewegungen mit Spenden für Elende, Hungrige und Arme sollen wir Christen fördern und selbst genug spenden. Es geht immer wieder darum, Jesus nachzufolgen und uns zu fragen: was würde Jesus mir raten, was würde Jesus tun ? Damit können wir derinst vor Gott bestehen ! Eine bewegende , anrührende Predigt !