Dieses biblische Bewerbungsgespräch, notiert vom Evangelisten Markus, findet ganz schnell seine Gegenwart, wenn es auf die protestantisch-bürokratische Erfolgsspirale angewandt wird. Die Schlittenfahrt protestantischer Hierarchien führt in einen hoffnungslosen Ämterwirrwarr. Über die wirklichen Herrschaftsverhältnisse und Hierarchien wissen nur evangelische Eingeweihte Bescheid.
Bischof Johannes – Landesbischof Jakobus.
Kirchenpräsident Johannes – Präses Jakobus.
Landessuperintendent Johannes – Regionalbischof Jakobus.
Prälat Johannes – Oberkirchenrat Jakobus.
Landeskirchenrat Johannes – Landessuperintendent Jakobus.
Oberkirchenrat Johannes – Kirchenrat Jakobus.
Oberlandeskirchenrat Johannes – Landeskirchenrat Jakobus.
Oberkonsistorialrat Johannes – Präsident Jakobus.
Präsident des Kirchenamtes Johannes – Vizepräsident Jakobus.
Rechtskundiger Vizepräsident Johannes – geistlicher Vizepräsident Jakobus.
Vorsteher Jakobus – Rektor Johannes
Dekan Jakobus – Superintendent Johannes.
Propst Jakobus – Direktor Johannes.
Direktor des Diakonischen Werkes Jakobus – Studiendirektor Johannes.
Pfarrer Jakobus – Pastor Johannes.
Landespastor Jakobus – Landesjugendpastor Johannes.
Landessozialpfarrer Jakobus. Daneben Vikare, Diakone, Presbyter, Prädikanten, Diakonissen, Gemeindehelferinnen, Kantoren, Küster und Lektoren, Hirten und Schafe, namenlos, titellos und zahllos. Vielleicht irgendwo dazwischen der Menschensohn.
Jesus selbst räumt übrigens ein, daß irgendjemand schon zu seiner Rechten sitzen wird. Es ist nur nicht seine Aufgabe, diesen Platz zu vergeben. Mein rechter, rechter Platz ist leer, ich wünsche mir den Pastor her. Die Vergabepraxis erzeugt Unmut, zuerst unter den Jüngern, Jahrtausende später noch unter Superintendenten und klerikalen Würdenträgern.
Schaut man die Jünger an, so fällt einem das vierte Evangelium ein, in dem Johannes mit großer Hochachtung vom Freundschaftsbund der Jünger spricht. In einem Freundschaftsbund herrscht kein Gefälle von Befehl und Gehorsam. Und Paulus hat ja bekanntlich sehr hervorgehoben, daß die Taufe alle Unterschiede zwischen Menschen aufhebt: „Denn ihr alle, die ihr auf Christus getauft seid, habt Christus angezogen“, schreibt Paulus und fährt fort: „Hier ist nicht Jude noch Grieche, hier ist nicht Sklave noch Freier, hier ist nicht Mann noch Frau; denn ihr seid allesamt einer in Christus Jesus.“ (Gal 3) Deswegen ist in Predigten die Anrede „Liebe Schwestern und Brüder…“ üblich geworden, mit guten theologischen Gründen.
Und es wird deutlich, daß das theologische Problem viel tief liegt als in den klerikalen Hierarchien mit ihren unfreiwillig komischen Titeln. Menschen haben Gemeinsamkeiten. Menschen unterscheiden sich von einander. Wer die Gemeinsamkeiten betont, der legt Wert auf die gleiche Würde aller Menschen, auf ihre Rechte, Freiheiten und auch Pflichten. Aber aus der freien Entfaltung jeder Persönlichkeit wachsen Unterschiede. Das betrifft äußerliche Merkmale wie Haar- und Hautfarbe, soziale Merkmale wie Bildungsstand, Beschäftigung, soziale Absicherung, Unterschiede in der sexuellen Orientierung, Unterschiede in Kenntnissen, Fähigkeiten, Verfügungsmöglichkeiten.
Auch die Religionen begründen Gemeinsamkeiten und Unterschiede: Judentum, Christentum und Islam beinhalten gemeinsame Merkmale, aber sie unterscheiden sich auch voneinander, und es kommt darauf an, beides genau zuzuordnen. Auch innerhalb des Christentums finden sich Unterschiede, am sinnfälligsten in der Person des geweihten katholischen Priesters, der stets ein Mann sein muß, unter der besonderen Rechtsprechung des Kirchenrechts steht und dem die Leitung der katholischen Messe und der Eucharistiefeier vorbehalten ist. Auch im evangelischen Bereich finden sich solche Unterschiede: Die liberalen schauen hochmütig auf die konservativen Christen herab und umgekehrt, die Bekehrten finden die Unbekehrten nicht so großartig, und auch wiederum umgekehrt.
Es kommt darauf an, wie man Unterschiede und Gemeinsamkeiten bewertet. Der politische Liberalismus sagt: Unterschiedliche Fähigkeiten sollen auch unterschiedlich honoriert werden. Wer viel arbeitet, soll viel verdienen. Wer eine besondere Fähigkeit ausgebildet hat, soll dafür auch ein besonderes Honorar verlangen können. Gruppen aus dem LGBT-Bereich betonen, daß insbesondere sexuelle Orientierungen nicht von der Natur festgelegt sind, sondern gesellschaftlichen Zuschreibungen gehorchen und sich verändern können. Jede Person, so diese Gruppen, ist souveräne Entscheiderin über ihre eigenen Wertsetzungen und Orientierungen. Ein körperlicher Mann, der sich geistig und seelisch als Frau fühlt, hat das Recht, diese neue Geschlechtsorientierung durch Operationen und Medikamente körperlich anpassen zu lassen. Und das gilt auch für den umgekehrten Weg von der Frau zum Mann. Die einen denken daran, feststehende Kategorien und Ordnungen aufzulösen oder mindestens sehr durchsichtig zu machen. Die anderen sehnen sich danach, die alten, vormals etablierten Ordnungen wieder einzusetzen.
Niemand kann sich da ausnehmen. Die meisten von uns haben eine fatale Neigung, Gemeinsamkeiten in Reihenfolgen und Abstufungen zu bedenken und zu sortieren. Jeder und jede hat die Sehnsucht danach, beurteilt zu werden. Die anderen sollen ehrlich sagen, was sie über uns denken, ob sie uns gut finden oder schlecht. Jede und jeder will gerne besser sein als er es ist. Jeder sehnt sich danach, angenommen zu werden. Jeder muß seinen Platz finden innerhalb der Gruppen von Menschen, in der er lebt. Darum sympathisieren wir alle heimlich mit Jakobus und Johannes, den Söhnen des Zebedäus. Sie streben nach den besten Plätzen des Glaubens, wollen in der erste Reihe sitzen, die erste Geige spielen, die Kapitänskajüte bewohnen oder am Schreibtisch des Chefs sitzen.
Und es ist ganz leicht, diese Haltung moralisch zu verurteilen. Es ist so einfach, den väterlichen oder mütterlichen Zeigefinger auszustrecken und zu sagen: Das ist nicht gut, so rücksichtslos ganz nach vorne zu drängeln. Wenn ihr solche Gedanken und Wünsche in euch entdeckt, laßt das bleiben. Stattdessen solltet ihr euch erniedrigen, kleinmachen, euren Willen zurückstellen. Ich sage das ganz bewußt sehr drastisch, weil dieser Typ von moralischer Kritik heute wie damals weit verbreitet ist. Die zehn anderen Jünger zum Beispiel greifen genau diese Kritik auf und machen Johannes und Jakobus schwere Vorwürfe. Entscheidend aber an dieser Geschichte ist nicht die Kritik der zehn Jünger, sondern die Antwort, die Jesus gibt. Er macht den beiden Jüngern keine Vorwürfe, er moralisiert nicht. Statt dessen erklärt und argumentiert er; er geht geduldig auf den Wunsch der beiden ein, ohne ihn freilich zu erfüllen. Genauso geht er ein auf den Unmut der Mitjünger der beiden Brüder.
Jesus verweist auf sein Kreuz und seine Auferstehung. Und er verweist auf die Nächstenliebe. Jesus sagt: Ihr sollt nicht herrschen, sondern dienen – und zwar dem, der euer Nächster ist. Wohl gilt: Der nächste Nächste ist jeder sich selbst. Denn nur, wer sich selbst annehmen kann, wer sich selbst so erkennt, wie er ist, und nicht in einer Scheinwelt erblüht, der kann auch auf einen anderen Menschen zugehen. Er kann sich daran freuen, daß er der andere ganz andere Gaben und Talente besitzt.
Nächstenliebe zu üben fällt oft schwer, und dennoch ist sie die einzige Bewegung des Herzens und des Kopfes, die dieser Welt und den Menschen zu einer Zukunft verhilft. Jesus hat den Ärger der Drängler wohl wahrgenommen. Und er überwindet diesen Ärger mit dem Hinweis: Herrschen bedeutet dienen zu können. Für Jesus bedeutet Dienen: Schenken. Wenn es uns nicht mehr gegeben ist, unsere Liebe an den Nächsten zu verschenken, dann hat auch die Liebe Gottes zu den Menschen auf dieser Welt keinen Platz mehr. Gott hat uns die Fähigkeit zu lieben geschenkt. Die Liebe ist das Geschenk Gottes, damit wir in dieser Liebe sein Ebenbild bleiben.
Am Ende dieser Predigt soll darum ein Gebet von Huub Oosterhuis stehen: „Lass mich dienen ohne Aufdringlichkeit, lass mich andern helfen, ohne sie zu demütigen. Mach mich mit dem Boden vertraut und allem, was niedrig ist und unansehnlich, dass ich mich kümmere, um was sich niemand kümmert, und lehre mich warten, zuhören und schweigen. Mach mich klein und so arm, dass auch andere mir helfen können. Schick mich auf den Weg in diese Welt.“