„Aufgeben ist kein Thema“
Nichts ist so wie es scheint
Predigttext Hebräer 11,1-2; 12,1-3 (Übersetzung nach Martin Luther, Revision 2017)
11,1 Es ist aber der Glaube eine feste Zuversicht dessen, was man hofft, und ein Nichtzweifeln an dem, was man nicht sieht. 2 In diesem Glauben haben die Alten Gottes Zeugnis empfangen. 12,1 Darum auch wir: Weil wir eine solche Wolke von Zeugen um uns haben, lasst uns ablegen alles, was uns beschwert, und die Sünde, die uns umstrickt. Lasst uns laufen mit Geduld in dem Kampf, der uns bestimmt ist, 2 und aufsehen zu Jesus, dem Anfänger und Vollender des Glaubens, der, obwohl er hätte Freude haben können, das Kreuz erduldete und die Schande gering achtete und sich gesetzt hat zur Rechten des Thrones Gottes. 3 Gedenkt an den, der so viel Widerspruch gegen sich von den Sündern erduldet hat, dass ihr nicht matt werdet und den Mut nicht sinken lasst.
Zur Predigt
Der Hebräerbrief richtet sich an eine vermutlich heidenchristliche Gemeinde, die glaubensmüde, hoffnungsmüde zu sein scheint. Die Menschen, die anscheinend in einer angefochtenen Situation leben, fragen sich: Gelten die Verheißungen Gottes uns noch? Der Verfasser ruft sie auf, durchzuhalten: „Lasst uns festhalten an dem Bekenntnis der Hoffnung und nicht wanken“ (10,23) oder „Werft euer Vertrauen nicht weg, welches eine große Belohnung hat“ (10,35). In einem Aufriss der Heilsgeschichte von der Schöpfung über die Erzeltern, Mose, Könige und Propheten verläuft die Beweisführung: Wer glaubt, der kann sich auf die Verheißungen Gottes verlassen. Dafür gibt es in der Geschichte genügend Zeug*innen.
Was heißt aber Glauben? Auch darauf versucht der Verfassereine Antwort, die an Paulus (vgl. Röm 8,34f u.a.) erinnert: im Gegenüberstellen von Unsichtbarem und Sichtbarem entfaltet der Verfasser sein Bild vom Glauben als einer festen Zuversicht, einer Grundgewissheit, die auch gegen den Augenschein Anlass zur Hoffnung gibt.
Nach den Zeugen des alten Bundes kommt in 12,1-3 Jesus in den Blick. Er ist mehr als nur ein Vorbild, er ist „Anfänger und Vollender des Glaubens“. Er ist Anführer des alten und neuen Glaubens, geht den Weg voraus und hat am Ende als Hohepriester die Macht, die Seinen zur Vollendung zu führen (vgl. 7,19; 10,1.14).
Für meine Predigt habe ich auf weitere Literatur zurückgegriffen, auf die Biographie von Samuel Koch. Sie heißt bezeichnenderweise „Zwei Leben“. Er ist seit seinem Unfall in der Sendung „Wetten dass“ im Jahr 2010 querschnittsgelähmt. In den letzten Tagen habe ich ein beeindruckendes Interview mit ihm gesehen, in dem er ein Kinderbuch vorgestellt hat, das er gerade mit seiner Frau veröffentlicht hat. Durch diese Sendung bin wieder auf seinen Passionsweg aufmerksam geworden.
Möchte man alle drei Texte – Predigttext, Lesung und Biographie - miteinander verbinden, könnten diese Fragen dabei leiten: Was ist Glaube eigentlich und wie verändert er sich im Laufe eines Lebens mit Höhen und Tiefen? Wie verstehe ich meinen Lebensweg im Rückblick aus der Perspektive des Glaubens? Was trägt mich durch die Krise?Gibt es in meinem Leben diese feste Zuversicht, gibt es Hoffnung und wenn ja, welche?
Wer möchte kann auch hier, wie so oft in dieser Zeit, auch einen Blick auf die Lebensumstände seit dem Ausbrechen der Corona-Pandemie werfen. Gibt es Ereignisse, Erfahrungen, die ich gemacht habe, die meinen Glauben im Rückblick gestärkt, mein Herz gefestigt (vgl. Hebr 13,9) haben? Hier wäre auch ein Bezug zu der Lebenswelt der Konfirmand*innen möglich.
Lieder
EG 14 (Dein König kommt in niedern Hüllen)
Ergänzungsheft zum EG 4 (In einer fernen Zeit gehst du nach Golgatha)
EG 382 (Ich steh vor dir mit leeren Händen, Herr)
Lebensweisen 20 (Wie sollen wir es fassen)
Lebensweisen 21 (Meine engen Grenzen)
Gebet zum Kyrie
Manches Mal schaue ich zurück und denke: Hättest du damals nicht... Hättest du du doch bloß... Was wäre wenn... Gott, ich spüre dann, dass dieser Blick mich traurig macht. MeineGedanken quälen mich. War denn wirklich alles falsch? In welche Richtung soll es gehen? Herr, ich bin so niedergeschlagen. Richte mich auf durch dein Wort.
Tagesgebet
Gott, ich habe so viele Pläne gemacht für mein Leben. So viele Ideen gehen mir durch den Kopf. Ob sie diesmal gelingen? Oder muss ich sie doch wieder fallen lassen, weil es die Umstände nicht zulassen? Was hast du mit mir vor? Mit all meiner Freude, aber auch mit Angst vor Enttäuschung bin ich hier, Gott. Zeige mir den Weg, den ich gehen kann, den ich gehen soll. Lass mich mutig sein und dir vertrauen!
Hosianna – kreuzigt ihn! Nichts ist so wie es scheint. Ein strahlender Moment kann die tiefste Tragödie einleiten. In einer scheinbar aussichtslosen Lage verbirgt sich eine neue Chance.
I.
Zwei Leben, so heißt die Biographie des Schauspielers und bekennenden Christen Samuel Koch. Er nimmt uns heute Morgen an diesem Palmsonntag mit durch die Höhen und Tiefen seiner Passionszeit. Samuel Koch war Wettkandidat in der ZDF-Sendung Wetten, dass...? Seit seinem 6. Lebensjahr war Samuel Kunstturner. Bewegung war seine Welt. Er wollte Schauspieler oder noch besser: Stuntman werden. So wettete er in der Sendung, dass er nacheinander über fünf Autos zunehmender Größe springen könne, die ihm entgegenführen. Am 4. Dezember 2010 war es so weit. Ein Abend im Scheinwerferlicht, der sein Leben für immer verändern sollte. Nur ganz anders als vermutet. Samuel sprang mit speziellen Sprungstiefeln im Vorwärtssalto über jeweils ein Fahrzeug. Beim vierten Wagen, der von seinem Vater gesteuert wurde, stürzte er und blieb regungslos liegen. Seither ist Samuel Koch vom Hals abwärts querschnittgelähmt.
„Zwei Leben“, eines vor dem Unfall, das erste: die Welt der unbegrenzten Möglichkeiten, das zweite: der absolute Lockdown . Schon im Sommer 2011, also nur wenige Monate nach seinem Unfall, wurde Samuel von Verlagen angesprochen, ob er nicht seine Geschichte aufschreiben wolle. Er musste fast lachen, so schreibt er, da er die Idee so absurd fand. „Was sollte ein 23 jähriger Typ, der noch nichts erreicht hat außer den Tiefpunkt seines Lebens, in einem Buch schreiben? Der völlig aus dem Leben gerissen den größten Teil des letzten Jahres einfach nur im Bett lag und nichts tat“? Doch er wagt es und ist am Ende froh darüber, denn das Buch ist ein gutes Stück Verarbeitung des Unfalls. Im Rückblick ein Geschenk.
In den ersten zwei Wochen nach dem Unfall, so schreibt Samuel, war er tapfer, zuversichtlich, bald wieder laufen, sich wieder bewegen zu können. Doch langsam musste er begreifen, dass die Wahrheit anders aussah. Dazu schreibt er: „Es war eine Woche vor Weihnachten. Heulen macht mir keinen Spaß. Es braucht schon einiges, bis bei mir Tränen fließen. Trocknen konnte ich sie nicht. ´Mein Gott, warum nimmst du mir ausgerechnet das, was mir im Leben am wichtigsten war, mich mit am meisten ausmachte?´“ (S. 94). Am meisten quälte Samuel die Sorge, Gott könne vielleicht gar nicht wollen, dass er wieder laufen kann.
(Lesung des Predigttextes)
II.
Um die Menschen in ihrem Glauben aufzubauen, ihnen Mut zu machen, fängt der Verfasser noch einmal ganz von vorn an. Er geht die Heilsgeschichte von Anfang an durch, angefangen von der Erschaffung der Welt, über Kain und Abel, Noah, Abraham, Sara, Josef, Mose, Richter, Könige und Propheten, sie alle und noch viele mehr sind Zeugen, die für die Verlässlichkeit und Treue Gottes bürgen. Viele vor uns haben geglaubt, haben unfassbar viel geschafft, haben vertraut. Die Heilsgeschichte, unsere Geschichte mit Gott, ist voll von Menschen, die im Glauben, durch den Glauben große Kraft bewiesen haben.
So auch ihr, die ihr jetzt verzweifelt und mutlos seid. Schaut auf die, die vor euch da waren. Sie haben vor euch geglaubt und haben Gottes Kraft empfangen. Sie haben einen Weg gefunden. Sie haben ihr Ziel erreicht. Auch wir stehen in einem Kampf, sind an einen Ort gestellt und müssen uns bewähren. Dafür brauchen wir einen langen Atem. Doch wir dürfen alles ablegen, was uns belastet, was uns zu schwer wird. Auch die Gedanken, die uns von Gott trennen. Die Stimmen, die uns vom Weg abbringen wollen. Die Zweifel, die Angst. Anfang und Ende unseres Weges liegen in dem Leben und Sterben unseres Herrn Jesus Christus. Auch er hat durchgehalten bis zum Schluss. Traurigkeit, Schmerzen, Einsamkeit, Enttäuschung, Feindschaft, alles hat er erlitten, hat sich nicht geschont, ist ans Kreuz gegangen, in den Tod. Er ist seinen Weg gegangen. Darum gebt nicht auf! Zweifelt nicht! Hofft! Glaubt! Verlasst euch auf Gott!
III.
Samuel Koch war vor seinem Unfall in der Lage, seinen Körper bis in die Zehenspitzen zu beherrschen. Danach spürter den Großteil seines Körpers nicht einmal mehr, von bewegen ganz zu schweigen. Anfangs kann er seinen Kopf keinen Millimeter drehen, nur seine Augen er auf- und zumachen. Vorher hatte große Pläne, wollte Schauspieler werden, hatte schon mit der Ausbildung angefangen. Dann diese Katastrophe. Warum? Wozu? Was soll jetzt aus meinem Leben werden? Diese Fragen stellt er sich Samuel schnell. In seiner Biographie schreibt er dazu:
„Früher bin ich oft wie selbstverständlich davon ausgegangen, dass Gott auf mich aufpasst und mir schon nichts Schlimmes passieren würde. Inzwischen ist mir klargeworden, dass die Sache so nicht läuft. Mal Jeden Tag geschehen Leuten schlimme Sachen. Jeden Tag gibt es allein in Deutschland fünf neue Querschnittgelähmte, und Gott verhindert es nicht. Vielleicht verfolgt er damit sogar ein bestimmtes Ziel; vielleicht stimmt es auch, was in der Bibel steht: „Denen, die Gott lieben, müssen alle Dinge zum Besten dienen“ (Römer 8,28). Das verstehe ich so, dass Gott auch aus schlechten Ereignissen letztlich etwas Gutes machen kann“ (S. 149).
„Hosianna! Gelobt sei, der da kommt in dem Namen des Herrn, der König von Israel!“ Als Sieger war ihr Meister in Jerusalem begrüßt worden, Palmzweige säumten seinen Weg. Doch später wurde er ebenso deutlich niedergeschrien: „Kreuzigt ihn!“. Der Heiland, der König – auf einem Esel? Er kommt ganz anders als erwartet- ohne königliche Insignien, ohne Herrschaftszeichen, ohne Pomp, ohne Machterweise. Ein ohnmächtiger Messias (vgl. Sach 9,9f). Selbst seine Jünger haben es damals in Jerusalem noch nicht verstanden. Erst im Nachhinein begriffen sie, dass dieser Einzug in Jerusalem zu dem Weg gehörte, den Jesus gehen musste. Ein Weg der bitteren Armut, um die himmlische Herrlichkeit zu verkörpern. Ein Weg in die tiefste Finsternis, um das Licht für die Völker zu sein. Ein Weg in die absolute Ohnmacht, um die Macht Gottes zu erweisen.
Dass der Messias am Kreuz sterben musste, um verherrlicht zu werden, das verstanden seine Jünger*innen erst viel später. Als der Auferstandene mit ihnen das Brot brach, wurden ihnendie Augen und Herzen geöffnet. „Musste nicht Christus dies erleiden und in seine Herrlichkeit eingehen?“ (Lk 24,26) Und auch Jesus legte ihnen die Geschichte aus, den entfaltete den Heilsplan Gottes vor ihnen, fing an bei Mose und allen Propheten.
Mittlerweile sind elf Jahre vergangen und Samuel Koch ist ein erfolgreicher Schauspieler, ist verheiratet, schreibt weiterhin Bücher. Wenn er nicht gerade in seiner Rolle sitzt, wird er auf der Theaterbühne getragen, denn laufen kann er bis heute nicht. Doch er sieht sich längst nicht mehr nur als Unfallopfer. „Im Herzen bin ich immer noch Kunstturner“ sagt er heute. Er hat sein Schicksal in Stärke umgewandelt. Warum bin ich hier? Warum bin ich auf der Welt? Die Antwort auf seine Fragen findet er in der Stille, im Gebet. Und in seinem Kinderbuch. Sie lautet: Jeder ist wertvoll wie er ist. Und: Aufgeben ist kein Thema.