Aufschauen

Zeichen des Lebens

Predigttext: Johannes 3,14-21 (mit exegetischer und homiletischer Einführung)
Kirche / Ort: Hamburg
Datum: 17.03.2019
Kirchenjahr: Reminiszere (2. Sonntag der Passionszeit)
Autor/in: Pastor Christoph Kühne

Predigttext: Johannes 3,14-21 (Übersetzung nach Martin Luther, Revision 2017)

14 Und wie Mose in der Wüste die Schlange erhöht hat, so muss der Menschensohn erhöht werden, 15 auf dass alle, die an ihn glauben, das ewige Leben haben. 16 Denn also hat Gott die Welt geliebt, dass er seinen eingeborenen Sohn gab, auf dass alle, die an ihn glauben, nicht verloren werden, sondern das ewige Leben haben. 17 Denn Gott hat seinen Sohn nicht in die Welt gesandt, dass er die Welt richte, sondern dass die Welt durch ihn gerettet werde.   18 Wer an ihn glaubt, der wird nicht gerichtet; wer aber nicht glaubt, der ist schon gerichtet, denn er hat nicht geglaubt an den Namen des eingeborenen Sohnes Gottes. 19 Das ist aber das Gericht, dass das Licht in die Welt gekommen ist, und die Menschen liebten die Finsternis mehr als das Licht, denn ihre Werke waren böse. 20 Wer Böses tut, der hasst das Licht und kommt nicht zu dem Licht, damit seine Werke nicht aufgedeckt werden. 21 Wer aber die Wahrheit tut, der kommt zu dem Licht, damit offenbar wird, dass seine Werke in Gott getan sind.

(Eigene Übersetzung Christoph Kühne)

Wie Mose die Schlange in der Wüste erhöht hat, so muss der Menschensohn erhöht werden, damit jeder, der in ihm glaubt, ewiges Leben habe.

So nämlich hat Gott die Welt geliebt, dass er den einziggeborenen Sohn gab, damit jeder, der zu ihm glaubt, nicht verloren ginge sondern ewiges Leben habe. Denn der Gott hat den Sohn nicht in die Welt geschickt, dass er die Welt verurteile, sondern dass die Welt durch ihn gerettet würde.

Wer zu ihm glaubt, wird nicht verurteilt; wer nicht glaubt, der ist schon gerichtet, weil er nicht zu dem Namen des einziggeborenen Sohnes Gottes hin geglaubt hat. Darin besteht aber das Gericht (griech. krisis): (Das) Licht ist zu der Welt gekommen, und die Menschen haben die Finsternis mehr geliebt als das Licht; denn ihre Werke brachten Unheil. Denn jeder, der Schlechtes tut, der hasst das Licht und geht nicht auf das Licht zu, damit nicht seine Werke ans Licht kommen. Wer hingegen die Wahrheit tut, der geht auf das Licht zu, damit seine Werke sichtbar (lat: manifest) würden, weil sie in Gott getan sind.

Erste Gedanken beim Lesen des Predigttextes

Der Vergleich der „erhöhten Schlange“ in der Wüstenzeit Israels mit der „Erhöhung“ Jesu auf Golgatha ist erschreckend. Und die anschließende Begründung, das Kreuz sei ein Zeichen der Liebe, will uns unmenschlich erscheinen. (Gleichwohl ist dieser Vers 16 „Also hat Gott die Welt geliebt …“ fester Bestanteil unseres Glaubens.) Der folgende Vers ist wiederum wohltuend und tröstlich: Jesus ist der Retter der Welt. Doch dann bringt der Evangelist Johannes den Glauben mit dem „Gericht“ in Verbindung - besser gesagt: Wer an Gott und damit an „das Licht“ glaubt, der wird nicht „gerichtet“. Wer „die Wahrheit“ tut, der kommt zum Licht. Die Gedankengänge verschachteln sich. Ich muss den Text öfters lesen, um zu verstehen.

Gedanken zur Predigt

Zu Beginn formuliert der Evangelist Johannes ein göttliches „dei“ (muss): Jesus „musste“ (am Kreuz) „erhöht“ werden, damit die Welt gerettet werden konnte. Das Bild von der Wüstenwanderung Israels bildet die Deutung für die Kreuzigung: In der Wüstenwanderung unseres Lebens hat Golgatha eine besondere Bedeutung. Damals wie heute geht es um einen Glauben  z u Jesus bzw. zu seinem Namen. Hier wird eine Richtung angezeigt, die wir einschlagen sollen. Ausnahme: V15a Jeder, der  i n Ihm glaubt. Wer in seinem Glauben auf Jesus ausgerichtet ist (3x eis auton), der hat ewiges Leben - auch wenn er von den „Schlangen“ in der Wüste gebissen worden ist.

D.h. wer verwundet ist, stirbt nicht, hat den Tod hinter sich und damit „das Gericht“ (griech. krisis). Ja, mehr noch: Wer  z u Ihm hin glaubt, der geht auf das Licht zu, das bereits in der Welt ist. Wer  z u „dem Namen“ glaubt, der tut die Wahrheit, und der geht auf das Licht zu. Und seine Werke und Taten werden offenbar (lat: manifest).

Der Glaubende ist unterwegs. Er schaut auf zu dem „Erhöhten“. Er tut die Wahrheit. Das ist mehr als die Wahrheit planen, denken oder träumen. Der Glaubende unterscheidet sich von „den“ Menschen, die die Finsternis mehr lieben als das Licht. Wer nicht „in Gott“ ist, kann nicht in der Wahrheit sein. Seine Taten sind „phaula“ (2x bei Joh), also schlecht, übel und hassen das Licht (Gegenteil: gut); sie sind „ponäros“ (12x bei Joh), also schlimm, unheilbringend (Gegenteil: ewiges Leben).

Wer i n  Gott ist, kann tun, was er will. Er steht im Licht und zündet die an, die „gebissen“ wurden von Leid, Unglück und Krankheit. Was ist faszinierend an der Finsternis?

Die Folie, auf die sich Joh bezieht, ist die Erzählung von der Ehernen Schlange. Ein ähnliches Zeichen ist der Äskulap- oder Asklepios-Stab mit einer oder auch zwei Schlangen, die sich um den (Wander-) Stab winden. Beides sind Zeichen, die dem Leben dienen.

zurück zum Textanfang

 

Das wäre ein Traum von mir – und sicherlich auch für viele: ein nächtliches Gespräch mit Jesus. Nur er und ich. Wie damals in Jerusalem, als Nikodemos zu Jesus kam. Heimlich. Unbemerkt von den Kollegen, den Theologen, den Rechtgläubigen. Und dann über Dinge reden, die unser Leben lebenswert machen. Die sinnvoll sind. Das Thema damals: Meister, wir wissen, du bist ein Lehrer, von Gott gekommen; denn niemand kann die Zeichen tun, die du tust, es sei denn Gott mit ihm (3,2b). In unserer Zeit der Unübersichtlichkeit sicherlich auch ein großes Thema:

Was hat Jesus, das nicht auch ein anderer Heiliger wie z.B. Mohammed hat? Oder – eine Stufe höher: Was hat Jesus, das nicht auch die Künstliche Intelligenz (KI) bieten könnte? Was würde Jesus uns in einem nächtlichen Gespräch heute sagen? Wir haben zwar kein Protokoll jenes einmaligen Gesprächs damals, aber wir haben eine „Anmutung“ von Johannes in seinem Evangelium. Sind diese Worte historisch, sind sie erdacht, sind sie aus dem Gedächtnis geschrieben? Hat der Evangelist Jesus anschließend befragt? All diese Fragen bleiben offen.

(Lesung des Predigttextes)

Wir stehen am Anfang der Passionszeit und wollen Jesus auf seinem Wege begleiten: „Jesu, deine Passion will ich jetzt bedenken“ (EG 88). Denn ich möchte ein Leben führen, dass sinnvoll ist und nicht am Leben vorbeifliegt. Auch möchte ich mich mit Dingen befassen, die das Leben lohnen und nicht überflüssig sind. Genau dazu lädt uns Johannes ein, wenn er uns das Volk Gottes auf seiner Wanderung durch die Wüste vor Augen führt. Wir sehen die Menschen vor uns, ermattet, verzweifelt, trostlos, verwundet, geschlagen, überfordert. Wann kommt endlich das gelobte Land? Wann habe ich mein Ziel erreicht? Welche Fortbildung, welche Zusatzausbildung führt mich wirklich weiter? Welche Menschen tun mir gut, welche schaden mir? Welcher Glaube stärkt und stützt mich, und welcher Glaube verlangt und fordert mich wie eine Diät in der „Brigitte“, die mich auf ein unnatürliche „Normalmaß“ von sog. Schönheit trimmen will?

Damals macht Mose etwas sehr überraschendes – und ich glaube, ein Großteil seines „Volkes“ hat ihn für verrückt erklärt: Mose nimmt das Zeichen, das Symbol des tiefsten Leides, und richtet es auf. Er versteckt das Leid der Menschen nicht oder malt es mit neuen Farben an, sondern er macht es sichtbar. Damals trug das Leid der Menschen den Namen „Schlangenplage“. Israel hatte keinen anderen Gedanken mehr als „Schlange“! Das Leid besetzte ihre Gedanken, ihr Tun, ihr Verhalten. Und jetzt wurden sie richtig krank: Was interessiert uns noch das „Gelobte Land“? „Hier leiden wir die größte Not, vor Augen steht der ewig Tod“ (EG 7,6) mögen sie gesungen haben. Könnten wir nicht einstimmen in diesen Choral angesichts des Klimawandels, der Müllkatastrophe, der weltweiten digitalen und freiwilligen Totalüberwachung? Wir sind doch auch in einer Wüste und wissen den Weg ins Gelobte nicht nicht mehr, haben unser Ziel als Christen oft genug verloren.

Damals hat Mose in der Wüste das Leid der Menschen in Gestalt einer ehernen Schlange in Metall gegossen. Sie sollte die Israeliten auf ewig daran erinnern, aufzublicken zu dem „Anfänger und Vollender unseres Glaubens“ (Hebr 12,2), zu dem Gott, der ihnen vorausgeht, zu dem Ziel unseres Lebens. Dieses Symbol stellt uns Johannes, der Evangelist, heute auch vor Augen: Wie Mose die eherne Schlange aufgerichtet hat, so musste auch das Kreuz auf Golgatha aufgerichtet werden. Ja, es ist ein Zeichen des Leids, ein Symbol unserer Angst und Verzweiflung – „am Kreuz stinkts“ hat ein Theologe (Ernst Käsemann) einmal gesagt. Es ist eben kein schönes, goldiges, angenehmes Zeichen, sondern ein Zeichen, das – mit Recht! – Widerspruch erregen muss. Das Kreuz enthält all unser Leid, unsere „Seelenfinsternis“ (Titel eines Buches von Piet C. Kuiper), unsere Menschlichkeit. Genau dies darf nicht übertüncht und übermalt werden. Das Kreuz gehört in die Welt und in die Kirche!

Wie gerne würde ich dem Gespräch Jesu mit Nikodemos lauschen. Es sind tiefe Gedanken, die uns ein Leben lang beschäftigen können und die unser Leben jeweils reicher und sinnvoller machen. Ich darf Ihnen einiges von dem, was mich besonders beeindruckt hat, mitteilen: Ein Hauptwort unserer Perikope ist „glauben“. Doch „worauf soll der Glaube ruhn“ (EG 198,1)? Wie fest, wie flexibel soll und kann der Glaube sein? Als ob Johannes unsere Fragen geahnt hätte, gebraucht er das Wort „glauben“ ganz verschieden: 

Christus musste (am Kreuz) erhöht werden, damit alle, die  i n  I h m  glauben, ewiges Leben haben. Wie kann ich   i n G o t t  glauben? Viele alte Handschriften haben hier korrigiert in  a n  G o t t glauben. Doch hören wir  i n  G o t t  nicht auch Paulus: „Ist jemand  i n  C h r i s t u s, so ist er eine neue Kreatur“ (2 Kor 5,17)?! Glauben  i n  C h r i s t u s  weist auf unsere Taufe hin und dass wir seitdem in einem neues Haus wohnen, in einem neues Leib leben, in einem neuen Sein sind. Und damit leben wir ewig – trotz allem Leid, „aller Not und Traurigkeit“ (EG 369,1).

Doch Johannes spricht wenig später davon, dass jeder, der  z u  I h m  glaubt, nicht verloren geht, sondern ewiges Leben habe. Jetzt bekommt Glauben eine Richtung, eine Bewegung weg vom Verderben, vom Unheil, weg von der Verurteilung durch sich selber. In einer Besprechung von Kuipers „Seelenfinsternis“ heißt es: “Seine größte Intensität gewinnt Kuipers Bericht bei der Schilderung jener Schuldhölle, in der er während seiner Krankheit unterzugehen drohte“. Johannes: Wir brauchen ein Zeichen, d a s Zeichen des Kreuzes, zu dem wir uns hinwenden können, zu dem wir uns aufrichten können. Wie schreibt Paulus: Ich vergesse, was dahinten ist und strecke mich aus nach dem, was da vorne ist (Phil 3,13).

Am Schluss des Gesprächs nimmt Johannes noch einmal seinen ersten Gedanken auf: Wer die Wahrheit tut, kommt zu dem Licht, damit seine Werke und Taten sichtbar würden; denn sie sind  i n G o t t  getan. Was heisst das? Wer i n G o t t  ist, kann gar nicht anders, als zum Licht gehen, kann gar nicht anders als „die Wahrheit“ tun, kann und will gar nicht verhindern, dass alles vom ihm deutlich wird. Und was wird dann von ihm sichtbar und (lat.) manifest? Dass wir Christen „ewiges Leben“ (vor-) leben, dass wir sinn-voll leben – trotz aller Schuld, trotz aller Schwächen, trotz aller Fehler. Aber wir wissen, wer vor uns ist, an wen wir uns wenden können, wer uns  t r o t z  a l l e m (vgl. Wolf Biermann!) aufrichtet, tröstet und stärkt – und damit das Gelobte Land unter uns ausbreitet, sodass das Licht des Reiches Gottes wie am 1. Schöpfungstag aufscheint.

Vielleicht würde das Gespräch mit Jesus ganz anders verlaufen. Aber eins steht fest: Im Gespräch mit  I h m  geht das Licht auf, kommt Licht in die Welt (Joh 3,19a) und Menschen werden (wie) neugeboren (Joh 3,3b). Ich glaube, Nikodemos hat dieses Gespräch nie mehr vergessen. Es wird sein Trost im Leben wie im Sterben geblieben sein (vgl. Heidelberger Katechismus Frage 1). „Gespräche mit Gott“ – was wäre für uns wichtiger?

zurück zum Textanfang

Ein Kommentar zu “Aufschauen

  1. Pastor i.R.Heinz Rußmann

    Ein nächtliches Gespräch mit Jesus, wie mit Nikodemus, das hätten wir gern. Damit fängt die Predigt sehr einladend an. Am Anfang der Passionszeit wollen wir Christen Jesus begleiten. Johannes erinnert an den mühsamen Weg der Israeliten mit Mose unter Gottes Führung durch die Wüste. Die aufgerictete grausame Schlange war ein Hoffnungszeichen So wie heute das grausame Kreuz der Solidarität mit Leidenden ein göttliches Solidaritätszeichen ist. Ermattet leiden heute viele Menschen. Sehr seelsorgerlich spricht der Pastor über das Kreuz. Der Text enthält die wichtigste Glaubensaussage der Bibel, dass der Glaubende ewig nicht verloren gehen wird. Rhetorisch geschickt kommt Pastor Kühne zum Abschluss wieder auf das Gespräch mit Jesus zurück. Nikodemus ist ermutigt worden für das ganze Leben. Das Licht geht auf in aller Finsternis. Eine seelsorgerliche und überzeugende Predigt , welche die Dialektik von Kreuz und ewiger Auferstehung nachhhaltig vermittelt.

Ihr Kommentar zur Predigt

Ihre Emailadresse wird nicht veröffentlicht. Erforderliche Felder sind markiert.