Predigt

Barmherzigkeitsgefäße

Ausgießen, was lebensförderlich ist

PredigttextRömer 9,14-27 (mit exegtischen und liturgischen Hinweisen)
Kirche / Ort:Heidelberg
Datum:16.02.2014
Kirchenjahr:Septuagesimae (70 Tage vor Ostern)
Autor:Kirchenrat Pfarrer Heinz Janssen

Predigttext: Römer 9,14-27 (Übersetzung nach Martin Luther, Revision 1984)

14 Was sollen wir nun hierzu sagen? Ist denn Gott ungerecht? Das sei ferne! 15 Denn er spricht zu Mose: »Wem ich gnädig bin, dem bin ich gnädig; und wessen ich mich erbarme, dessen erbarme ich mich.« 16 So liegt es nun nicht an jemandes Wollen oder Laufen, sondern an Gottes Erbarmen. 17 Denn die Schrift sagt zum Pharao: »Eben dazu habe ich dich erweckt, damit ich an dir meine Macht erweise und damit mein Name auf der ganzen Erde verkündigt werde.« 18 So erbarmt er sich nun, wessen er will, und verstockt, wen er will. 19 Nun sagst du zu mir: Warum beschuldigt er uns dann noch? Wer kann seinem Willen widerstehen? 20 Ja, lieber Mensch, wer bist du denn, daß du mit Gott rechten willst? Spricht auch ein Werk zu seinem Meister: Warum machst du mich so? 21 Hat nicht ein Töpfer Macht über den Ton, aus demselben Klumpen ein Gefäß zu ehrenvollem und ein anderes zu nicht ehrenvollem Gebrauch zu machen? 22 Da Gott seinen Zorn erzeigen und seine Macht kundtun wollte, hat er mit großer Geduld ertragen die Gefäße des Zorns, die zum Verderben bestimmt waren, 23 damit er den Reichtum seiner Herrlichkeit kundtue an den Gefäßen der Barmherzigkeit, die er zuvor bereitet hatte zur Herrlichkeit. 24 Dazu hat er uns berufen, nicht allein aus den Juden, sondern auch aus den Heiden.

Zu Kontext und Exegese der Predigtperikope

„Ist denn Gott ungerecht?“ – Die Frage nach der Gerechtigkeit Gottes (dikaiosynae tou theou) ist das theologisch, christologisch und ethisch gewichtige Thema, das den gesamten Römerbrief bestimmt. Es begegnet in verschiedenen Facetten und Kontexten. In unserer Perikope Röm 9,14-24 steht es im Zusammenhang des hermeneutischen Problems Israel/Synagoge und die Christen/Kirche bzw. Altes/Erstes und Neues/Zweites Testament (Röm 9-11). Der Abschnitt V.14-24 setzt die vorangehenden Abschnitte 9,1-5 und 9,6-13 voraus. Die Fragen in V.14 beziehen sich auf das Thema „Kinder der Verheißung“ (V.8), das anhand der Genealogien Isaak (V.6-9) und Jakob (V.10-13) entfaltet wird. „Kindschaft“, „Herrlichkeit“, „Bund“, „Gesetz“, „Gottesdienst“, „Verheißungen“, „die Väter“, gehören den „Israeliten“, mit ihnen sind diese Heils- und Segensgüter untrennbar verbunden (9,4), auch „Christus“ kommt aus ihnen (9,5). Israel und die Kirche, Judentum und Christentum, dürfen um Gottes willen nicht auseinandergerissen werden – eine tiefe Erkenntnis des Apostels, der zuvor die Anhänger/innen Jesu Christi verfolgte. Dem Apostel Paulus ist es in V.14-24 um Gottes Gottheit zu tun, seine Unabhängigkeit vom Menschen, seine Freiheit, sein Anderssein. Gott passt in keine menschlichen Denkkategorien – „Gott ist anders“ (Robinson).

Die prädestinatianischen Aussagen stehen ganz im Zeichen „der absoluten Freiheit Gottes, der Gnade, die jedes Verdienst des Menschen ausschließt“ (Käsemann, Vorlesungsnachschrift zum Römerbrief). Die Argumentation des Apostels ist ausdrücklich biblisch orientiert, indem er von der Isaak- und Jakoblinie ausgeht (Röm 9,6-9.10-13) und die Bibelzitate Ex 33,19 (Gottesrede an Mose: „Wem ich gnädig bin, dem bin ich gnädig…“) sowie Ex 9,16 (die Verstockung Pharaos) auf Gottes freies und alles bestimmendes Handeln hin exegesiert. „Ist denn Gott ungerecht?“ (V.14 – eine wörtliche Übersetzung ergibt: „Ist etwa bei Gott Ungerechtigkeit?“) Dazu Karl Barth: „Ist es nicht unvermeidlich, dass auch vom höchsten, kühnsten Gipfel menschlichen Glaubens immer und immer wieder jene tolle Frage aufsteigt, ob dieser Gott nicht selber unbotmäßig sei…, ein Anführer gegen die Norm der Gerechtigkeit, der doch auch er unterstellt sein müsste? Gibt es etwas Empörenderes für den Menschen als das majestätische Geheimnis dieses Unerforschlichen, Unzugänglichen, Unberührbaren, dieses allein Freien und Selbstmächtigen? Möchten wir nicht alle schreien, dass dieser nicht Gott sein kann? Nicht Gott sein darf? Das ist sicher, dass die Not der Kirche noch nicht gesehen ist und also auch noch nicht sich wenden kann, solange die Möglichkeit solcher Frage, Klage und Anklage ihr nicht in ihrer ganzen Bedrohlichkeit zum Bewusstsein gekommen ist…Der Gott, gegen den dieser Schrei sich nicht erhöbe, wäre nicht Gott…“ (K. B., Der Brief an die Römer, 333ff.).

Zu V.15-17: Mose und Pharao stehen nicht für Erwählung und Verwerfung, denn Mose wird grundsätzlich geantwortet. V.17 ist darum keine Parallele zu V.15, sondern bildet die Fortsetzung zu V.16 (mit Käsemann). V.16: Das veranschaulicht das Unterwegssein des Menschen. V.22f.: Hier handelt es sich um einen Konditionalsatz (ei de…), der jedoch ohne Nachsatz ist – dieser müsste ergänzt werden („…so ist das Gottes Recht“). Diese satzlogische Inkonsequenz ist von Paulus sicher gewollt: Nicht die „Zornlogik“ (orgae bestimmt Gott in seinem Handeln, sondern seine „große Geduld“ (pollae makrothymia), der „Reichtum seiner Herrlichkeit“ (ploutos taes doxaes) und seine „Barmherzigkeit“/“mütterliche Zuwendung“ (eleos). Auch wenn die Bilder vom Laufen (dass es nicht auf das eigene Laufen ankommt) und vom Töpfer (dass der Töpfer mit dem Tonklumpen machen kann, was er will) die völlige Ohnmacht des Menschen und Sinnlosigkeit von menschlichem Tun und Lassen suggerieren, gebraucht sie der Apostel nicht anthropologisch, sondern in streng theologischem Kontext. Die Menschen sind keineswegs die leblosen Marionetten Gottes, sondern sie sind Gottes Geschöpfe, „berufen/herausgerufen, nicht allein aus den Juden, sondern auch aus den Heiden/(allen anderen) Völkern“ (Röm 9,24), die umfassende, große und vielfältige Familie Gottes.

Zur Liturgie

Eingangsgebet

70 Tage vor Ostern – segne, Gott, unseren Weg zum Fest deiner Lebendigkeit. 70 Tage vor Ostern – lass jeden Tag einen neuen Schritt sein in das Geheimnis deines Lebens. 70 Tage vor Ostern – hilf mir, diese Tage bewusst zu leben, sie zählen als geschenkte Zeiten aus deiner Hand. 70 Tage vor Ostern – deinen Weg, Jesus, du Gottessohn und Menschenbruder, will ich bedenken und heute damit neu beginnen. Kyrie eleison.

Tagesgebet

Gott, du wendest dich uns als deinen Geschöpfen zu. Du bist unendlich geduldig mit uns und unergründlich barmherzig. Bewahre uns vor der Überheblichkeit gegenüber Menschen, die anders leben und anders glauben als wir. Du hast auch sie geschaffen, und sie gehören zu dir. Deinen Weg mit uns halte uns vor Augen, heute und jeden Tag, damit wir mit anderen und uns selbst nicht ungeduldig und hartherzig umgehen, sondern miteinander glauben, hoffen und lieben, durch deinen Sohn, Jesus Christus, unseren Bruder.

Lieder

„Auf und macht die Herzen weit“ (EG 454) „Laudate, omnes gentes“ (EG 181.6) „Gott liebt diese Welt“ (EG 409, Wochenlied) „Von Gott will ich nicht lassen“ (EG 365) „Sende dein Licht und deine Wahrheit“ (EG 172)

Neuigkeiten

Heinz Janssen: Aus den Quellen schöpfen

Die mit exegetischen Impulsen, Gebeten und einem Essay zu "Exegese und Homiletik" verbundenen Auslegungen wissen sich in einer weltweiten Communio, die "aus den Quellen des Heils" schöpft (Jesaja 12,3)... mehr lesen

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Heinz Janssen
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