Dreimal hat das Johannes-Evangelium diese Wendung: „Wenn ihr den Menschensohn erhöht habt…“ In einer geheimnisvollen Verdichtung ist hier eine dreifache Erhöhung gemeint: Jesus wird hinaufgezogen ans Kreuz – Jesus wird von Gott aus dem Grab auferweckt – Jesus fährt auf gen Himmel und nimmt seinen Platz zur Rechten Gottes ein. – Was bedeutet es, wenn wir Christen jetzt in der Passionszeit in besonderer Weise an das Leiden Jesu und an diese dreifache Erhöhung denken? Stellen wir uns vor, wir träfen uns als Bewohnerinnen und Bewohner von Hahlen in unserem Gemeindesaal. Jeder brächte die Kreuze mit, die er zu Hause hat. Alle würden nacheinander ihre Kreuze auf einen großen Tisch legen und dann erzählen können, seit wann er dieses und jenes Kreuz besitzt und was er damit verbindet. Auch die jungen Leute, die an einem ihrer Geburtstage ein Kreuz als Schmuckstück geschenkt bekommen haben! Da würde auf ganz neue Art etwas von dem deutlich werden, was die älteren Menschen mit dem Satz beschreiben: „Jedes Häuschen hat sein Kreuzchen!“ Es hat sich mir tief eingeprägt, als mir bei einem Hausbesuch eine alte Frau sagte: „Als Konfirmationsspruch hat mir unser Pfarrer den Liedervers gegeben: ‚So lasst uns denn dem lieben Herrn / mit unserm Kreuz nachgehen / und wohlgemut getrost und gern / in allem Leiden stehen. / Wer nicht gekämpft, trägt auch die Kron / des ewgen Lebens nicht davon.‘“ (EG 385,5) Vielleicht war ein solcher Vers für eine 14-jährige Konfirmandin eine Überforderung. Aber er hat sich ihr eingeprägt, und was mag diese Frau nicht alles erlebt haben, wobei sie sich dieses Wort vorgesagt hat? Vielleicht hat sie Lebensträume begraben müssen. Liebe Menschen sind ihr weggestorben. Ihre Gesundheit wurde brüchig. Sie hat den Ort gefunden, an dem sie persönliche Schuld abladen konnte. „Wer nicht gekämpft, trägt auch die Kron des ewgen Lebens nicht davon.“ Noch im selben Jahr ist sie heimgegangen.
Als ich über das Erhöhen im Johannes-Evangelium nachdachte, fiel mir ein junger Amerikaner ein: Jim Elliot. Er wurde – wie Papst Benedikt XVI. – 1927 geboren, ist aber nur 28 Jahre alt geworden. Im Januar 1956 wurde er ermordet. Schon bei seinen Mitstudenten fiel auf, dass er begabt und zielstrebig war. Er entschied sich, Pioniermissionar zu werden. Er beschloss, das Evangelium dorthin zu bringen, wo Menschen noch nie davon gehört hatten. Er ließ sich ausbilden, fand ein Missionswerk, das ihn aussandte, und traf vier andere junge Männer, die zusammen mit ihm bereit waren, in den Urwald von Ecuador zu gehen. Einer von ihnen konnte ein Sportflugzeug fliegen. Diese fünf jungen Männer hatten den Auftrag, den sehr zurückgezogenen und scheu lebenden Stamm der Aucas zu missionieren. Sie bereiteten sich gut vor; der Tag kam heran, an dem sie ihr Unternehmen starteten; sie flogen über dem Stamm hin und her und warfen Geschenke für die Bewohner ab, die sie sehen konnten; mit ihrem Flugzeug landeten sie auf der Sandbank eines Flusses; in einem Baum bauten sie für sich eine Baumhütte. Mit ihrer Basisstation hatten sie per Funk Kontakt. Dann brach der Kontakt ab. Männer des Auca-Stammes wehrten diese Amerikaner ab. Sie töteten sie mit ihren spitzen Speeren. Jim Elliot war erst 28 Jahre alt und musste sterben. Kurze Zeit später haben die Aucas doch christliche Missionare bei sich aufgenommen; viele aus dem scheuen Stamm wurden Christen, auch die Männer, die am 8. Jan. 1956 Jim Elliot und die anderen vier getötet hatten. Bereits als 21-jähriger Student hatte Jim Elliot in sein Tagebuch geschrieben: „Der ist kein Tor, der hingibt, was er nicht behalten kann, auf dass er gewinne, was er nicht verlieren kann.“ Schon seinen Mitstudenten war es aufgefallen und vielleicht hatte es sie auch gestört, dass Jim häufig von Jesus, seinem Herrn, sprach, dass er deutlich machte, wie er mit seiner Bibel lebt, und dass er bereit war, sich als Missionar in schwierigste Situationen schicken zu lassen. Vielleicht hat man ihn verspottet: „Du bist ja verrückt! Du kannst Karriere machen, Einfluss gewinnen und viel Geld verdienen!“ Jim schrieb in sein Tagebuch: Das kann nicht falsch und verrückt sein! „Der ist kein Tor, der hingibt, was er nicht behalten kann, auf dass er gewinne, was er nicht verlieren kann.“ Im Dienst für Jesus war er bereit, alles hinzugeben, seine Ehre, seinen Erfolg, möglichen Reichtum, ja, auch sein Leben. Nein, ein Tor war er nicht. Es war das Weiseste, was er tun konnte!
Der Predigttext mit der Überschrift: „Jesu Weg zur Erhöhung“ macht deutlich, wie Jesus selbst vor uns und für uns zu dieser Hingabe bereit war. An Hand dieser Bibelverse können wir uns vor Augen führen, in welcher Weise Jesus damals seinen Weg mit Gott sah. Wie Jim Elliot war Jesus wenig mehr als 28 Jahre alt. Er trat seine öffentliche Wirksamkeit an. Als Wanderprediger zieht er durch Galiläa, Samaria und Judäa. Was er sagt und was er tut, erregt eine ungewöhnliche Aufmerksamkeit. Bei ihm strömen die Menschen zusammen. Bei allem weiß er sich von Gott, seinem Vater im Himmel, gesandt; was Jesus sagt, das ist ihm von Gott eingegeben; in ihm weiß er sich geborgen. Was er ist, das ist er in ihm. Bei Gott ist alles entschieden, was im Namen Jesu zur Rettung der Welt von ihren Sünden geschehen soll. Zugleich spürt Jesus, wie einflussreiche Menschen im jüdischen Volk ihn ablehnen, wie sie ihn belauern, verdächtigen und dann mehr und mehr bereit werden, ihn den Römern auszuliefern. Jesus kündigt drei Mal an, dass diejenigen, die ihn nicht hören wollen, die die Gebote Gottes nicht halten und die ihm nicht vertrauen, in der Gottesferne sterben. Jesus warnt: Es gibt ein Zu-spät! Aber es werden auch jetzt und in Zukunft Menschen in Israel an ihn glauben. Jesus sieht sehr wohl, wie oft Pilatus, der römische Statthalten in Jerusalem, Menschen, die ihm in die Quere kommen, gefangen nehmen, verurteilen und kreuzigen lässt. Da macht der stolze Römer kurzen Prozess. Jesus hat mitbekommen, wie die Führenden aus dem jüdischen Volk Menschen an die Römer ausliefern. Viele werden gekreuzigt.
Jesus weiß, dass er in Gott geborgen ist. Auch für ihn gilt: „Und ob ich schon wanderte im finstern Tal, fürchte ich kein Unglück; dein Stecken und Stab trösten mich“. Seinen Weg führt Gott und kein anderer. Wenn Gott will, dass er als Gekreuzigter endet, dann steht auch das in seiner Hand. Er ist mit seinem Weg einverstanden. Dann sieht Jesus voraus, wie das Wunder der Auferweckung und die Erhöhung zur Rechten Gottes auf ihn warten. Nicht nur der Amerikaner Jim Elliot vor 57 Jahren und nicht nur Jesus dort in Palästina vor fast 2.000 Jahren waren bereit, sich von Gott ihr Lebensziel setzen zu lassen. Auch viele Christen in aller Welt leben jetzt am Anfang des 21. Jahrhunderts äußerst gefährdet, sie müssen mit dem Äußersten rechnen, und viele müssen ihr Leben lassen. In vielen Ländern der Erde sind heute Menschen bedroht und werden getötet, Frauen und Männer, die für Menschenrechte eintreten, Journalisten, die in Gebiete gehen, in denen kriegerische Auseinandersetzungen sind, Entwicklungshelfer und Ärzte. Aber am meisten werden Christen in islamischen Ländern bedroht und verfolgt.
Die Evangelische Kirche in Deutschland hat diesen Sonntag Reminiszere als den Sonntag bestimmt, an dem wir in unseren Gemeinden an diese Christen denken sollen. Besonders hingewiesen wird in diesem Jahr auf die Situation christlicher Gemeinden in dem großen Land Indonesien mit seiner stärker werdenden politischen Stabilität und zugleich mit seinen gesellschaftlichen Verwicklungen. Es ist zugleich das Land der Erde, in dem die meisten Moslems wohnen. Kirchen werden angezündet, Gottesdienste an kirchlichen Festtagen gestört; Anschläge werden ausgeübt und Christenmenschen brutal ermordet. Alles, was Christen tun, geschieht an vielen Stellen Indonesiens unter Bedrohungen. Lassen Sie uns am Ende dieses Gottesdienstes für diese Christen beten. Sie stehen heute in der Nachfolge Jesu, der so frei heraus damals sagte: „Wenn ihr den Menschensohn erhöht habt…“. Christen müssen dort zur Kreuzesnachfolge bereit sein, so wie es die Konfirmandin in Lüdenscheid gelernt hat: „So lasst uns denn dem lieben Herrn mit unserm Kreuz nachfolgen und wohlgemut, getrost und gern in allem Leiden stehen. Wer nicht gekämpft, trägt auch die Kron des ewgen Lebens nicht davon“. Wohl dem, der dann ganz bewusst und voller Vertrauen für sich und vor anderen sagen kann: „Der ist kein Tor, der hingibt, was er nicht behalten kann, auf dass er gewinne, was er nicht verlieren kann.“