1. Aus seiner Haut fahren
Krankheit isoliert. Das haben Sie vielleicht schon einmal am eigenen Leib gespürt. Wie schnell machen Menschen einen Bogen um uns herum. „Ich will mich nicht anstecken“, sagen sie und halten sich ferne. Oder haben eine gute Ausrede, vielleicht dass sie jetzt grad keine Zeit haben. Aber umgekehrt wissen wir auch nur zu gut, wie schwer es ist, jemanden zu besuchen, der ernsthaft erkrankt ist. „Was sollen wir demjenigen sagen und worüber mit ihm reden?“ fragen wir uns. Oder die Zweifel kommen uns: „Können wir die Begegnung überhaupt aushalten und den Anblick ertragen?“
In unserer Geschichte hören wir: Ein Aussätziger nähert sich Jesus. Aussätzige hat man, wie der Name schon sagt, ausgesetzt. Sie mussten irgendwo draußen, vor den Toren, außerhalb der Gesellschaft ihr Dasein fristen. Und eigentlich war ihnen verboten, sich „Gesunden“ zu nähern. Es gibt verschiedene Erscheinungsformen von Aussatz (bzw. Lepra): Der Mensch kann knotige, eiternde Geschwüre zeigen oder die Unempfindlichkeit mit absterbenden Gliedern spüren oder mit weißen Flecken auf der Haut erscheinen. Letztere Erscheinung mag eher an Schuppenflechte erinnern.
Der Aussätzige nähert sich Jesus. Mit seiner Krankheit, mit dem Mut der Verzweiflung, aber auch mit seinem Vertrauen: „Willst du, so kannst du mich reinigen“, spricht er zu Jesus. Auf Knien, die seine ungeteilte Ergebenheit sichtbar betonen. Die aber den so Angesprochenen in eine unausweichliche Situation bringen. Was bleibt Jesus jetzt anderes übrig? Er könnte den Aussätzigen stehen lassen und sich von ihm abwenden. Er könnte den Aussätzigen zurück in die Isolation schicken. Er könnte sich ihm verweigern und sagen, dass seine Zeit noch nicht gekommen ist. Nichts von alledem hören wir hier.
Jesus ergrimmt, heißt es ursprünglich. Jesus ist wütend! Worüber? Über den Aussätzigen, der all sein Vertrauen auf Jesus projiziert? Darüber, dass es Krankheiten gibt, die Menschen das Leben rauben? Über die Unausweichlichkeit dieser Bitte, die ihn dazu zwingt, etwas zu tun, was auch für ihn, Jesus, nicht ohne Folgen bleibt? Der Kranke hat den Gesunden berührt.
Der Aussätzige hat Jesus angerührt. Das erkennen wir an der Reaktion Jesu, die ihn ergrimmen lässt, die ihn aus der Haut fahren lässt. Weil das Leid des Aussätzigen Jesus unter die Haut geht. Darum kann Jesus nicht einfach ungerührt und cool bleiben. Jesus streckt seine Hand aus und rührt den Unansehnlichen an. Er geht auf den Kranken zu und berührt dessen wunde Haut. Und damit auch seine verletzte Seele. Er überwindet jegliche Distanz und schenkt dem Aussätzigen das, wonach sich jeder Mensch sehnt: Zuwendung, Nähe, Geborgenheit, neuen Lebensmut.
2. In seiner Haut stecken
Wenn wir uns den Aussätzigen so anschauen, dann mag uns der Gedanke kommen, dass wir in dessen Haut nicht stecken möchten. Schon der Gedanke distanziert uns. Wir wissen von Pubertierenden, die von unreiner Haut geplagt sind, dass sie sich in ihrer Haut nicht so recht wohl fühlen. Unsere Haut ist die Oberfläche unseres Körpers, die das Innere vom Äußeren trennt. Unsere Haut schützt uns vor dem, was alles auf uns einströmt. Doch wir können dünnhäutig oder dickhäutig sein. Je nachdem gehen uns Angriffe unter die Haut oder prallen einfach ab. Je nachdem fühlen wir uns stark oder schwach.
Umgekehrt nehmen wir über unsere Haut Kontakt auf mit unserer Außenwelt.
Die Sinne unserer Haut bilden die Kontaktfläche zur Wirklichkeit. Wir tasten, wir berühren, wir fühlen. Wir erleben lustvolle oder schmerzhafte Berührungen über die Sinne unserer Haut. Wir empfinden so zärtlich oder grob. Berührung ist nicht nur dazu da, unsere Welt zu spüren. Sie ist also nicht nur eine Erfahrung unseres Körpers. Sie ist noch vielmehr eine Notwendigkeit für unsere Seele. Zärtlich und sanft gestreichelt zu werden, verschafft uns ein unglaubliches Wohlgefühl, das unsere Seele jubilieren lässt.
Hauterkrankungen können darum auch ein Ausdruck unserer Seele sein.
Wer im übertragenen Sinne dünnhäutig ist, dem fällt es schwer, sich abzugrenzen gegenüber den Problemen des Alltags. Der wird schutzlos. Der nimmt alles zu schwer und fühlt sich schnell bedrückt. Der sieht das Gute nicht mehr und leidet unter dem Bösen. Wo seelischer Mangel sich in körperlichen Leiden zeigt, da reden wir von psychosomatischen Erkrankungen. Unsere Seele sucht einen sichtbaren Ausdruck, um auf sich aufmerksam zu machen.
Wo unsere Seele zu wenig Zuwendung erfährt, wo sie zu wenig gestreichelt und berührt wird, da meldet sie sich zu Wort. Das Fatale ist die Verstärkung: Ist der Ausschlag, den die Haut zeigt, eine Hilferuf nach Nähe und Zuwendung, führt sie eher ins Gegenteil: Man wendet sich ab von dem Unansehnlichen. Man meidet den Kontakt, könnte man sich doch anstecken. Man will das Hässliche nicht ertragen und schaut weg. Die Einsamkeit wird größer, die Isolation nimmt zu. Wie kann man sich so in der Gesellschaft sehen lassen? Wenn man spürt, dass andere nicht hinsehen können. Wenn man erfährt, wie andere sich abwenden. Wenn man so gerne aus seiner eigenen Haut will und nicht aus seiner Haut herausschlüpfen kann.
Was bleibt einem da? Der Rückzug ins Innere? Verstummen? Das sich Abfinden mit dem Brennen der Haut und dem Schmerz der Seele? Die Kapitulation vor der Krankheit? Das Akzeptieren der eigenen Unansehnlichkeit? Die Ohnmacht und Hilflosigkeit? Wie kann man da seine eigene Haut noch retten?
3. Sich wohlfühlen in seiner Haut
Jeder von uns hat seinen „Aussatz“, seine „wunde“ Stelle. Seinen Makel, an dem er leidet. Wie immer sich dieser „Aussatz“ auch zeigt, der uns blockiert, der uns hemmt, der uns dem Leben entzieht. Wir merken es vielleicht, wo wir uns zurückziehen, wo wir empfindlich sind, wo wir uns nicht dagegenstellen. Wir müssen uns aber mit unserem „Aussatz“ nicht abfinden. Sobald wir unsere „wunde“ Stelle erkannt haben, können wir laut rufen: „Herr, willst du, so kannst du mich reinigen.“ Es ist der erste Schritt, den wir wagen können. Es ist der erste Schritt, uns selbst, unsere Seele, in ihren Bedürfnissen ernst zu nehmen.
Vielleicht kommen wir nicht aus unserer Haut. Aber wenn wir uns in unserer eigenen Haut wohlfühlen wollen, müssen wir das aussprechen: „Herr, wenn du willst, dann kannst du mich reinigen”. Diese laut ausgesprochene Bitte öffnet den Weg zur Heilung. Sie öffnet die eigene Seele für das Überraschende und Heilende. Möge uns daraufhin eine Hand berühren. Eine Hand, die sanft und zärtlich berührt – Körper und Seele zugleich. Eine Hand, die unsere Ängste mildert und unsere Blockierungen löst. Eine Hand, die Wunden schließt und Verletzungen heilt. Eine Hand, die Nähe schenkt und Geborgenheit erweckt.
Nachdem die Berührung den Aussätzigen geheilt hat, schickt Jesus den Geheilten ins Leben zurück. Für den Geheilten ist die Abhängigkeit vorbei. Für den Gesunden wird der Arzt bedeutungslos. Der Geheilte kann sich wieder eingliedern in die Lebensabläufe und sein Leben selbst in die Hand nehmen.