Beten

Die Seele zu Gott erheben

Predigttext: Römer 8,26-30
Kirche / Ort: Lübeck
Datum: 01.06.2014
Kirchenjahr: Exaudi (6. Sonntag nach Ostern)
Autor/in: Pastor i.R. Heinz Rußmann

Predigttext: Römer 8:26-30 (Übersetzung nach Martin Luther, Revision 1984)

Desgleichen hilft auch der Geist unsrer Schwachheit auf. Denn wir wissen nicht, was wir beten sollen, wie sich's gebührt; sondern der Geist selbst vertritt uns mit unaussprechlichem Seufzen. Der aber die Herzen erforscht, der weiß, worauf der Sinn des Geistes gerichtet ist; denn er vertritt die Heiligen, wie es Gott gefällt. Wir wissen aber, dass denen, die Gott lieben, alle Dinge zum Besten dienen, denen, die nach seinem Ratschluss berufen sind. Denn die er ausersehen hat, die hat er auch vorherbestimmt, dass sie gleich sein sollten dem Bild seines Sohnes, damit dieser der Erstgeborene sei unter vielen Brüdern. Die er aber vorherbestimmt hat, die hat er auch berufen; die er aber berufen hat, die hat er auch gerecht gemacht; die er aber gerecht gemacht hat, die hat er auch verherrlicht.

Exegetische Vorüberlegungen

Der Predigttext enthält zwei Abschnitte und Themen. In den Versen 26 bis 28 geht es um das Geheimnis und die Schwierigkeiten des Gebets In den Versen 29 bis 30 geht es im Kern darum, dass den von Gott durch Christus Berufenen alle Dinge zum Besten dienen, weil Gott seinen Heilsplan verfolgt.
Nach Vers 26 können wir nur richtig beten, wenn wir etwas vom heiligen Geist in uns haben. Nach Vers 27 tritt der Heilige Geist stellvertretend für uns ein vor Gott . - In den Versen 29-30 folgt ein Kettenschluss mit dem Ziel: Christus ist das Bild Gottes, in dem Gottes Wesen erscheint. An ihm haben wir wesensmäßig als Christen teil. Dazu sind wir vorherbestimmt. Durch Gott sind wir Christen berufen, vorherbestimmt, gerechtfertigt und schon jetzt verherrlicht.

Predigt - Überlegungen: Man kann erstens predigen über einen neuen Tiefsinn beim Beten. 2. Über die Berufung der Christen, denen alle Dinge zum Besten dienen werden. 3. Oder über beides nacheinander. Das möchte ich selbst in Anspruch nehmen. 4. Wenn man schon mit Vers 20 beginnt, könnte man auch lebendig und originell predigen über die Heilsgeschichte. Von der Schöpfung ( Vers 20 ) bis zur Vollendung ( Vers 21 ) über die ewige Erwählung (Vers 28-30 ) , die Christologie ( V 29 und 34 ) , das Gebet ( V 26 ) , das Durchhalten im Glauben ( V 28 ) und die Hilfe des Heiligen Geistes ( V 26 f ) könnte man einen faszinierenden, heilsgeschichtlich – visionären Bogen schlagen. 5. Auch das tiefgründige Thema Prädestination könnte man neu bedenken.

Literatur: Außergewöhnlich tiefsinnig ist die Predigt von Paul Tillich in seinem Predigt - Buch : Das neue Sein. Empfehlen möchte ich den Kommentar von Prof Ulrich Wilckens EKK zum NT Band 2 . Ein Blick mal wieder auf die Kommentare von Luther und Karl Barth vertiefen die Gedanken. Hinweisen möchte ich auch auf die Predigthilfe 3/2008 S.150 im Deutschen Pfarrerblatt von mir

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Zu den geheimnisvollsten Worten der ganzen Bibel gehören die ersten Verse unseres Predigttextes: „Wir wissen nicht, was wir beten können“. Das hat große Theologe Paul Tillich einmal am Anfang einer Predigt gesagt: Die Verse vom „Geist, der uns vertritt mit Seufzern, die zu tief sind für Worte“ , gehört auch zu den geheimnisvollen Sätzen des Apostels Paulus , Ich möchte heute deswegen nicht wie sonst eindringlich zum Gebet anleiten und auffordern, sondern mit Paulus das Problem des rechten Gebets tiefer bedenken. Beten ist gleichzeitig einfach und sehr kompliziert. Darüber möchte ich zuerst mit Ihnen nachdenken :Hier im Gottesdienst kennen wir feststehende Gebete wie das Vaterunser. Oder vorformulierte Gebete, welche der Gottesdienstleiter spricht. Sie wirken manchmal aber etwas wie ein Ritual und erreichen die Seele nicht immer.

Das freie Gebet, spontan formuliert, kann uns ergreifen, hat auch so seine Gefahren. In einem Kirchenvorstand sagte der fromme Vorsitzende vor wichtigen Entscheidungen: Lasst uns zu Gott beten um die rechte Entscheidung.! In seinen Bitten aber nahm er – je länger je intensiver – entschieden Partei für seinen persönlichen Standpunkt. – Ein befreundetes sehr christliches Ehepaar hat abends immer abwechselnd frei und laut gebetet. In das Gebet schlichen sich aber häufig ganz ehrliche, aber feine Vorwürfe ein. Zum Beispiel: „Gott ich danke Dir für meinen Ehepartner…. Ich bitte Dich, dass er morgen nicht wieder so nachlässig umgeht mit dem… !“ Man kann sich vorstellen wie der Gebetswunsch des Ehepartners danach aussah. Paulus fragt deswegen tiefsinnig, ob ein wirkliches Gebet zu Gott überhaupt möglich ist? Er erinnert daran: Gott uns näher ist als wir uns selbst sind. Gott kennt uns besser, als wir es selbst können. Er kennt unsere geheimsten Gedanken. ( Am Anfang des Gottesdienstes haben wir ja gemeinsam gebetet nach Psalm 139 : Herr, Du erforschest mich und kennst mich. .. Du verstehst meine Gedanken von Ferne ) Im Gebet betet Gott in uns. Er bringt unsere tiefen Seelenschichten vor sich. Der Geist Gottes wirkt in uns. Sonst ist unser Gebet nur ein Aufsagen frommer Gedanken. Gottes Geist wirkt in uns mit tiefen Seufzern, die sich nicht in Worte fassen lassen. Er trägt unser Leid mit. Worte stammen aus unserem Bewusstsein und wir gebrauchen sie bewusst. Im wahren Gebet aber werden wir mit Gott verbunden, der wortlos in uns wirkt.

Das rechte Gebet ist nach Paulus die Erhebung der Seele zu Gott durch den Geist Gottes mit Gottes Kraft. – Selbst wer total stumm ist, keine Gebetsworte findet und nur tief seufzt , kann mit Gott verbunden sein,. Sein Seufzen ist vielleicht zu tief für Worte, Wörter oder gar Wortgeklapper. Der große Christ und Philosoph Sören Kierkegaard hat es so gesagt: „Als mein Gebet immer andächtiger und innerlicher wurde, da hatte ich immer weniger und weniger zu sagen. Zuletzt wurde ich ganz still. Ich wurde zum Hörer. Ich meinte erst, Beten sei Reden. Ich lernte aber, dass Beten nicht nur Schweigen ist, sondern Hören So ist es: Beten heißt nicht, sich selbst reden hören, beten heißt, still werden und still sein und warten, bis der Betende Gott hört.“

Nach dem Gebet wendet sich Paulus im Schlussteil des Predigttextes ermutigend unserem konkreten Leben zu . Er formuliert die wunderbaren Bibelworte für unseren persönlichen Glauben, welche man sich einrahmen lassen sollte: „Wir wissen, dass denen, die Gott lieben alle Dinge zum besten dienen.“ Es ist wieder der reine Tiefsinn vom Apostel Paulus ! Vielfach stimmt es ja ganz einfach: Lob und Ermutigung und glückliche Fügungen helfen uns meistens weiter. Besonders wenn wir sie als Geschenke Gottes ansehen. ! – Aber was haben wir nicht alles gelernt aus nicht bestandenen Prüfungen, zerbrochenen Freundschaften und Beziehungen, Krankheiten, Leichtsinn und Ungeschicklichkeiten! Manches wurde uns sogar letztlich zum Segen! – Wenn ich von einem persönlichen Extrem- Beispiel berichten darf: Als ich 13 Jahre alt war, wurde meine liebe Mutter von einer schweren Krankheit durch den Tod erlöst. Die größte Katastrophe in meinem jungen Leben.als ihr Jüngster brach herein. Leid und Grübeln über Gottes Wege bestimmten mich lange. Aber nur dadurch habe ich später meinen späteren Traumberuf Pastor ergriffen und konnte andere trösten. Bei manchen bitteren Schicksals- Fügungen aber haben wir Fragen an unseren Vater im Himmel: „warum wurde mir das auferlegt ?“ Ich bin überzeugt, dass wir eines Tages vor Gott treten und ihn das fragen dürfen. Er wird unsere Fragen dann so beantworten, dass wir alles verstehen. Paulus gibt uns mit auf unseren Weg , uns alle Dinge zum Besten dienen zu lassen. Wer Gott liebt, dem fällt es leichter, sein Schicksal anzunehmen um zu ändern , was wir zum Guten ändern können. Und getrost zu akzeptieren und hinzunehmen , was wir nicht ändern können.

Ein Mensch, dessen Namen ich nicht mehr kenne, wurde nach einer lehrreichen Legende im Mittelalter mal dadurch zu einem Heiligen. Er nahm mit Frohsinn die Schwierigkeiten seines Lebens an, bei seiner Arbeit , bei seinen Beziehungen zu seinen Mitmenschen. Das konnte er, weil er Gott vertraute und er Jesus und Franz von Assisi zu seinen Vorbildern gemacht hatte. Überall verbreitete er Lebensfreude und Frohsinn, Trost und und Lebens-Sinn unter seinen Mitmenschen. Eines Tages starb er. Durch einen unglaublichen Fehler der himmlischen Buchführung landete er nicht im Himmel, wo er wirklich hingehörte, sondern in der gerechten Strafhölle. Nach einiger Zeit gelangte ein verzweifelter Notruf des Oberteufels an Gott: „Hier gibt es einen Menschen, der in der qualvollen Hölle ständig fröhlich ist, von Gottes Liebe redet und alle immer von dem Glauben an einen gütigen Gott überzeugen will. Er bringt uns alle total durcheinander. Nur eine heiße Bitte: Hole ihn ganz schnell zu Dir, Gott, in Deinen Himmel !“

Zum Schluss das Wichtigste: Paulus schreibt „Ihr seid berufen, von Gott erwählt !“ Allen, die hier im Gottesdienst sitzen möchte ich gratulieren ! Dass Ihr durch euren Glauben oder durch eure Sehnsucht nach Gott hier in das Gotteshaus gekommen seid, ist ein Zeichen, dass Gott Euch berufen hat, schon jetzt seine Kinder und die Geschwister von Jesus zu sein. Das ist für die Zukunft unglaublich wichtig: Eines Tages werden wir alle vor Gottes Thron treten. Der gerechte Verkläger wird unsere ganzen Sünden auflisten und vortragen. . Können wir mit unserem langen Sündenregister Bürger von Gottes Himmelreich werden ? Das ist die Frage ! Dann wird Jesus gewiss vortreten und sagen; Dieser Mensch gehört zu mir ! Du Gott hast ihn berufen ! Und er wird uns am Arm packen und in sein Himmelreich führen. Bis dahin wollen wir uns alle Dinge zum Besten dienen lassen mit dem Gefühl, von Gott geliebt zu sein!

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Ein Kommentar zu “Beten

  1. Christoph Kühne

    Der Autor beschäftigt sich mit der Frage, wie man richtig betet. Sind es die Gebete im Gottesdienst, die „nicht immer die Seele erreichen“? Ist es das freie Beten, das „uns ergreifen (kann)“? Können wir überhaupt „richtig“ beten? Bleibt es nicht letztlich beim Seufzen, beim Verstummen? Diese Fragen bringen mich zu eigenem Nachdenken … Sodass der zweite Teil wie ein Sprung in ein neues Thema erscheint. Aber der Prediger folgt damit dem raschen Gedankenwechsel des Apostels und seiner geistlichen Unruhe und Unrast! „Wer Gott liebt, dem fällt es leichter, sein Schicksal anzunehmen.“ Auch hier möchte man verweilen … Doch Paulus fügt noch einen weiteren, einen dritten Gedanken an: den Gedanken der Berufung. Wieviel Streit hat es um dieses Wort in der (Kirchen-) Geschichte gegeben … Und dann schließt P. Russmann mit dem Vertrauen auf die Liebe Gottes, die der Unrast der vielen paulinischen Gedanken eine tröstende Heimat gibt.

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