Betende Gemeinde

Zeit zum Innehalten

Predigttext: Lukas 11,(1-4.) 5-13
Kirche / Ort: Friedensgemeinde, Evangelische Stadtkirche / Pforzheim
Datum: 22.05.2022
Kirchenjahr: Rogate (5. Sonntag nach Ostern)
Autor/in: Pfarrer Hans Gölz-Eisinger

Predigttext: Lukas 11, (1-4.) 5-13 (Übersetzung nach Martin Luther, Revision 2017)

Das Vaterunser
1 Und es begab sich, dass er an einem Ort war und betete.

Als er aufgehört hatte, sprach einer seiner Jünger zu ihm: Herr, lehre uns beten, wie auch Johannes seine Jünger lehrte.

2 Er aber sprach zu ihnen: Wenn ihr betet, so sprecht:

Vater! Dein Name werde geheiligt. Dein Reich komme.  3 Gib uns unser täglich Brot Tag für Tag
4 und vergib uns unsre Sünden; denn auch wir vergeben jedem, der an uns schuldig wird.
Und führe uns nicht in Versuchung.

Der bittende Freund
5 Und er sprach zu ihnen:

Wer unter euch hat einen Freund und ginge zu ihm um Mitternacht und spräche zu ihm:

Lieber Freund, leih mir drei Brote;
6 denn mein Freund ist zu mir gekommen auf der Reise, und ich habe nichts, was ich ihm vorsetzen kann,

7und der drinnen würde antworten und sprechen: Mach mir keine Unruhe! Die Tür ist schon zugeschlossen und meine Kinder und ich liegen schon zu Bett; ich kann nicht aufstehen und dir etwas geben.

8Ich sage euch: Und wenn er schon nicht aufsteht und ihm etwas gibt, weil er sein Freund ist, so wird er doch wegen seines unverschämten Drängens aufstehen und ihm geben, so viel er bedarf.

Zuversicht beim Beten
9 Und ich sage euch auch:

Bittet, so wird euch gegeben; suchet, so werdet ihr finden; klopfet an, so wird euch aufgetan. 10Denn wer da bittet, der empfängt; und wer da sucht, der findet; und wer da anklopft, dem wird aufgetan.

11 Wo bittet unter euch ein Sohn den Vater um einen Fisch, und der gibt ihm statt des Fisches eine Schlange?
12 Oder gibt ihm, wenn er um ein Ei bittet, einen Skorpion?
13 Wenn nun ihr, die ihr böse seid, euren Kindern gute Gaben zu geben wisst, wie viel mehr wird der Vater im Himmel den Heiligen Geist geben denen, die ihn bitten!

 

 

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Lukas erzählt Geschichten.[1] Geschichten aus dem Leben. Geschichten vom Glauben. Lukas erzählt. Immer gibt er Jesu Worten einen konkreten Rahmen. Jesus doziert nicht. Er antwortet auf Fragen. Er lehrt nicht theoretisch. Er deutet und wertet konkrete Situationen. Dadurch ist er uns heute besonders nah. Auf diese Weise schreibt er uns heute auch eine Geschichte in den Sinn, voller Bilder und voller Leben:

Jesus betet. Es wurde Zeit. Die Tage davor waren von Debatten und Diskussionen geprägt. Es war also Zeit zum – wie man früher so schön formulierte – zum „Innehalten“. So sehen ihn die Jünger. Jesus betet. Etwas abseits. In sich zurückgezogen. Still.

Die Jünger würden so etwas auch gerne können: Sich in die Ruhe zurückziehen. Sich vom Alltag absetzen. Sich Raum nehmen für Stille zum Hören und Reden. Sie sehen, wie Jesus in Kontakt mit Gott bleibt. Immer wieder. Sie sehen es. Nun will es einer wissen: „Herr, lehre uns beten, wie auch Johannes seine Jünger lehrte.“ Die Antwort ist einfach: Rede mit Gott darüber, worauf es im Leben ankommt. Dann wirst Du begreifen, wer Gott für Dich ist. Das spricht sich dann so: Vater! Dein Name werde geheiligt.
Sprich mit Gott
Dein Reich komme.
Gott lebt und regiert
Gib uns unser täglich Brot Tag für Tag
Gott kümmert sich täglich um deine leiblichen Bedürfnisse
und vergib uns unsre Sünden; denn auch wir vergeben jedem, der an uns schuldig wird.
Gott kümmert sich täglich um deine seelischen Bedürfnisse
Und führe uns nicht in Versuchung.
Gott hilft, auf einem guten Weg zu bleiben, dass das Leben gelinge.

Da ist alles drin: Himmel und Erde, Leib und Seele, Gottes Herrschaft und Menschenmacht. In wenigen Worten ist das Wichtigste gesagt. Vielleicht hat Jesus damals ganz ähnlich gebetet. Schon zu seiner Zeit Jesu war in den Synagogen und im Tempel die „Amida“[2] („Stehgebet“) das Hauptgebet der jüdischen Liturgie. Es wird häufig als Schemoné Essré bezeichnet: Als „Achtzehngebet“. Vielleicht betete Jesus unter den Blicken der Jünger das Gebet mit den 18 Bitten, das mit einem großen Lob Gottes beginnt:

Gelobt seist du, Ewiger, unser Gott
und Gott unserer Väter und Mütter,
Gott Abrahams, Gott Isaaks und Gott Jakobs,
Gott Sarahs, Gott Riwkahs (=Rebekka),
Gott Rachels und Gott Leahs,
großer, mächtiger und erhabener Gott.
Du spendest beglückende Wohltaten,
waltest über das All,
gedenkst der Frömmigkeit der Väter und Mütter[3]

Die Geschichte des Volkes ist untrennbar mit Gott verbunden und sie bildet im Hauptgebet den Anfang: Abraham, Isaak und Jakob – Sarah, Rebekka, Rachel und Leah. Sie stehen für Generationen von Gottes- und Menschengeschichte. Erst nach dieser Erinnerung kommen die Bitten. 18 Bitten zum Leben, über Gott und die Welt. Für die Jünger darf es einfacher sein: Vater, dein Name werde geheiligt… – Wir kennen diese Worte in- und auswendig. Die Jünger Jesu lernen mit diesen Worten beten. Sie bleiben in Kontakt mit Gott. Täglich. Immer. Und das verändert ihr Leben. Was sie sich von Gott erhoffen, wird ihnen bewusst und damit auch zur eigenen Aufgabe. Doch damit ist das Beten noch nicht im Herzen angekommen. Wer verzagt und aus gutem Grund ängstlich geworden ist, der muss fragen: Nützt das Gebet denn auch? Hilft Gott? Oder gehen unsere Bitten wohl in den Himmel, stoßen aber auf taube Ohren?

Jesus erzählt genau dazu eine Geschichte: Ihr wisst doch, dass ein Mann mitten in der Nacht einen Freund aus dem Schlaf wecken kann: Lieber Freund, leih mir drei Brote; 6denn mein Freund ist zu mir gekommen auf der Reise, und ich habe nichts, was ich ihm vorsetzen kann, … Wenn schon nicht aus Freundschaft – immerhin wären mitten in der Nacht die Kinder wach geworden; und jeder, der Kinder hat, weiß, dass man die mitten in der Nacht nicht wachhaben will! – trotzdem würde er dem aufdringlich bittenden Freund aus der Verlegenheit helfen. Und sei es nur, um wieder seine Ruhe zu haben. So verspricht Jesus pointiert: Bittet, so wird euch gegeben; suchet, so werdet ihr finden; klopfet an, so wird euch aufgetan.

Manès Sperber, der aus Galizien stammende jüdische Philosoph, Schriftsteller und Sozialpsychologe, beschreibt in seinen Erinnerungen genau die Welt, die Jesus als Beispiel nimmt:
Es gab bei uns Bettler aller Art: Die „Verschämten“, die nur eine Anleihe machen wollten, die sie aber nie zurückzahlen konnten… Dann gab es die professionellen Bettler, die … vor allem [auftraten], wenn wohlhabende Familien ihre Kinder verheirateten oder einen der ihren begruben. Es gab die Armen, die still hungerten und froren; sie lebten von „Wundern“, die immer eintraten … dass die Kinder in die Fremde fuhren und den darbenden Eltern immer wieder einige Gulden schickten.
Wieviele auch hungerten, niemand verhungerte. Man erzählte: Mitglieder der Gemeinde weckten den Rabbi am frühen Morgen: „Es ist etwas Furchtbares geschehen“, klagten sie. „In unserer Mitte ist einer hungers gestorben, man hat ihn soeben tot in seiner Stube aufgefunden.“ Darauf der Rabbi: „Das ist nicht wahr. Ja, es ist unmöglich. Hättest du oder du oder du ihm ein Stück Brot verweigert, wenn er es verlangt hätte?“ – „Nein“ antworteten sie, „aber Elieser war zu stolz, um etwas zu bitten-“ „Also sagt nicht, daß mitten unter uns einer hungers gestorben ist, denn Elieser ist an seinem Stolze zugrunde gegangen.“[4]

Jesus ermutigt die Jünger, zu bitten, wenn sie beten. Denn Gott will nicht nur verehrt, sondern vor allem geglaubt werden. Und Glaube hilft zum Leben. Ob der Glaube trägt oder im Licht der Vernunft der Zweifel zu stark wird, das ist eine überaus moderne Frage. Jesus ermutigt zu bitten. Er ermutigt zu beten. Damit im Beten der Kontakt zu Gott und die Macht der Hoffnung nicht verloren geht. Viele kennen auch noch Martin Luthers „Anleitung zum Gebet“, die mit dem Alltag beginnt:

Wenn ich fühle, daß ich durch fremde Geschäfte oder Gedanken bin unlustig zu beten geworden, hebe ich an, das Vaterunser, die Zehn Gebote, den Glauben, danach ich Zeit habe, etliche Sprüche Christi, Pauli oder Psalmen mündlich bei mir zu sprechen. Und er ergänzt: Wenn er Zeit habe, bete er es als eine Lehre und denke, was unser Herrgott darin so ernstlich fordert. Zum andern mache ich eine Danksagung daraus, zum dritten eine Beichte, zum vierten ein Gebet.

Wie Jesus zog sich Martin Luther bewusst zum Beten zurück und mit Hilfe des Vaterunsers findet er den Weg aus dem Alltag in die Ruhe Gottes. Solches Beten tut bis heute gut. Es nimmt uns aus der Welt heraus: Aus Arbeit und zu hohen Erwartungen; aus Streit und Neid; aus Gewohnheit und Langeweile; aus Angst und Zweifel.

Beten verändert das eigene Leben. Wie auch immer jeder und jede Einzelne im Gebet Gott begegnet: Es prägt. Lukas erzählt das mit Geschichten und berichtet von Jesus, der betet; und der dann wieder mit Geschichten antwortet: Gott als Freund; Gott als Vater – mit Bildern also, die uns nah und vertraut sind. Es gibt kein richtig oder falsch, wie ein Mensch Gott im Beten erfährt. Nur dieses Vertrauen, dass treues Beten nützt, über Generationen hinweg. Die Bibel ist voller Geschichten davon und verschweigt auch Verzweiflung und Not nicht: Das Buch Hiob erzählt davon in ehrlichster Weise.

Geschichten vom Glauben. Geschichten aus dem Leben. Lukas erzählt sie uns. Und nimmt uns so mit in die unendliche Geschichte des liebenden Gottes, der antwortet, wenn wir beten.

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[1] Vgl. Eduard Schweizer, Das Evangelium nach Lukas. 18V&R 1982. S. 125 zSt.

[2] Vgl. „Amida“. In: Das wissenschaftliche Bibellexikon im Internet. Dt. Bibelgesellschaft. Das wissenschaftliche Bibellexikon im Internet :: bibelwissenschaft.de

[3] Zit. n. Predigtmeditationen im christlich-jüdischen Kontext. Hg. v. Studium in Israel e.V. Berlin 2021, S. 235

[4] Manès Sperber, Die Wasserträger Gottes. All das Vergangene… Europaverlag Wien 1974. S. 21f.

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Ein Kommentar zu “Betende Gemeinde

  1. Pastor i.R. Heinz Rußmann

    Sehr lebendig wird in der Predigt berichtet, dass der Evangelist Lukas in einer konkreten Situation von Jesus berichtet , wie er der Bitte eines Jüngers nachkommt: Lehre uns beten ! Jesus erinnert an das alles umfassende Vaterunser-Gebet und an das 18 Bitten-Gebet. Ganz existentiell ist dann von Jesus seine Beispiel-Geschichte vom bittenden , hungrigen Freund, um Brot in der Nacht. Wer nicht bitten kann , stirbt womöglich im Notfall am eigenen Stolz. Luther hat auch eine rechte Anweisung für das Beten in Not gegeben. Lukas nimmt uns durch sein Evangelium durch Jesu Worte und Jesu Auslegung mit in die unendliche Geschichte des liebenden Gottes , der uns antwortet, wenn wir ihn mit dem Herzen und Verstand anrufen. –
    Sehr einleuchtend werden alle Leser der Predigt eingeführt, wieder sehr innig zu beten zu Gott !

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