Das wäre schön: In einer Welt zu leben, in der jeder Mensch auf das sieht und achtet, was dem anderen Menschen nützt. In einer Gemeinschaft zu sein, in der keiner nur an sich selbst denkt, sondern an das, was dem anderen hilft und ihm gut tut. In einer Gemeinschaft, in der man sich achtet und niemand nur auf seinen eigenen Vorteil bedacht ist. Eine Welt, in der der Eigennutz, Selbstsucht und Egoismus zugunsten des Gemeinwohls gebannt und gebändigt wären. Gerne würde ich in einer solchen Welt leben, in der die Menschen miteinander befreundet sind und die Lasten und Freuden des Lebens teilen. Liebespaare wissen darum, wie wichtig solch ein freundschaftlich, liebevoller Umgang miteinander ist. Darum wird dieses Bibelwort oft für die Hochzeit ausgesucht und wie ein Motto über das gemeinsame Leben gestellt. Bertolt Brecht lässt in seiner Dreigroschenoper Frau Peachum singen (was auch einem Mann in den Mund gelegt werden kann): „Wie gern wär ich zu dir gut! Alles möchte ich dir geben, dass du etwas hast vom Leben, weil man das doch gerne tut, weil man das doch gerne tut“.Doch so einfach ist es nicht. Tut man das wirklich immer so gerne, und ist es wirklich immer das Richtige, sich selbst, seine Wünsche und Bedürfnisse zurückzunehmen? Wer bleibt, wenn ein Kind kommt, zu Hause, wer macht weiter im Beruf und klettert auf der Karriereleiter hoch? Wer steckt zurück? Oft setzt, bewusst oder unbewusst, einer sich auf Kosten des anderen durch. Dann läuft etwas schief. Schon in der kleinen Gemeinschaft zweier Menschen ist es gar nicht leicht, umzusetzen „daß ihr eines Sinnes seid, gleiche Liebe habt, einmütig und einträchtig seid“.
Unser Predigttext ist ein Ratgeber fürs tägliche Leben. Die Konfliktlinien sind wahrlich nicht auf Zweisamkeiten beschränkt, schließlich erleben wir täglich, wie „Eigennutz und eitle Ehre“ das Zusammenleben prägen: Nicht nur an Investmentbanker braucht man da zu denken, es gibt z. B. Steuerbetrug, das Erschleichen von Titeln, Aktenvernichtung, um etwas zu vertuschen. Wie schwer fällt es (uns) Christenmenschen oft, einander gerecht zu werden. Da stimme ich mit dem erwähnten Peachum an: „Ein guter Mensch sein, ja, wer wär’s nicht gern?… Wer möchte nicht in Fried und Eintracht leben? Doch die Verhältnisse, sie sind nicht so!“ Ich frage Paulus: Sind deine Ratschläge nicht fromme Wünsche? Zugleich hältst du mir mit deinen Ratschlägen, deinen Bitten, einen Spiegel vor, denn durch deine Worte erkenne ich, dass es nicht allein die (von Menschen gemachten) Verhältnisse sind. Es liegt an mir, wie sich Zusammenleben gestaltet. Ich selbst bin gefragt und gefordert, und merke, wie ich in der Gefahr bin, mich über andere zu erheben oder meinen Vorteil auf Kosten eines anderen Menschen suche. Anderseits, Paulus, muss ich dir einfach zustimmen: So, wie du es sagst, sollen Menschen miteinander umgehen. Man sieht ja, wohin es führt, wenn „Eigennutz und eitle Ehre“ Triebkräfte für menschliches Leben und Handeln sind. Wie kann ich nach deinen Ratschlägen leben und sie beherzigen, Paulus?
“Sei so gesinnt, wie Jesus Christus gesinnt war, wie es der Gemeinschaft mit ihm entspricht“, sagt mir Paulus. Du brauchst nicht bei Null anfangen. Du hast ein solides Fundament: Du bist ein „Mitbürger der Heiligen und Gottes Hausgenosse“ (Eph. 2,19, Wochenspruch). Die Taufe zeigt dir: Du bist trotz deiner Unvollkommenheit ein Kind Gottes, du kannst immer wieder aufstehen und neu anfangen. Gott hat sich in Jesus auf Augenhöhe mit euch begeben. Gott ist dir herzlich zugeneigt, lädt dich an seinen Tisch. Darum kannst du auch andere wertschätzen, ihnen auf Augenhöhe begegnen, brauchst dich nicht überheben oder nur auf deinen Vorteil schauen…. – Aber, Paulus, einfach ist das nicht. Auch wenn ich mich von Gott getragen weiß, so bin ich doch durch meine Schattenseiten gefährdet. Würde mir Paulus vielleicht antworten: Die Arbeit kann ich dir nicht abnehmen. Darum schreibe in meinem Brief: „ Also, meine Lieben, schaffet, dass ihr selig werdet. Denn Gott ist’s, der in euch wirkt beides, das Wollen und das Vollbringen“ (Phil. 2,12f.) Der Same ist gelegt. Dass er wächst, gedeiht, blüht und Frucht bringt, bist auch du gefordert. Aber bewahre die Demut. Ich weiß, dieses Wort ist bei euch nicht gerade beliebt. Doch hat es nichts mit Unterwürfigkeit und Sklavenmoral zu tun. Mein Freund Wolfgang Thierse hat es in einem Spiegelinterview schön umschrieben: „Demut ist das Bewusstsein von der Erbarmungswürdigkeit des Menschen. Das Bewusstsein, dass man Fehler und Irrtümer begeht und darauf angewiesen ist, dass einem andere verzeihen und vergeben und man selbst dazu bereit ist. Eine tiefere Einsicht in die Fehlbarkeit der eigenen Person. Und das Gefühl der Dankbarkeit für das, was gelingt.“ Frage: Welche Bedeutung hat diese Haltung für Sie? Thierse: „Meine Mutter war Zeit meines Lebens schwer krank, sie hatte Multiple Sklerose. Ich habe von Kindesbeinen an gesehen, wie sich ihr Zustand nach und nach verschlechterte, und ich konnte nichts dagegen tun. Ich musste lernen, dass es etwas gibt, das man nicht ändern kann und aushalten muss. Das Akzeptieren der Einsicht, dass nicht alles machbar ist, kann man Demut nennen“.
Besser kann man es doch fast nicht sagen – sagt Paulus zu mir. Wenn du es noch anders hören willst, kann ich dich auf den Fußballer Matthias Sammer verweisen: „Frage: Herr Sammer, was bedeutet Ihnen Demut? Sammer: Respektvoll zu sein: Gegenüber allen Menschen, egal welchen Alters, welcher Herkunft, Bildung und sozialer Stellung. Vor allem aber auch vor der eigenen Bedeutung. Wir sind alle nur Bestandteil einer großen Geschichte, das sollte jedem bewusst sein, egal wer er ist. Frage: Sie betonen die Notwendigkeit von Demut gerne, wenn es um die Persönlichkeitsentwicklung von Jungprofis geht. Warum ist Ihnen das so wichtig? Sammer: In der Gesamtpersönlichkeitsentwicklung achten wir auf Charakterstärke. Schauen Sie sich zum Beispiel die Nationalmannschaft Spaniens an: Neben den sportlichen Erfolgen zeichnet sie aus, dass ihre Spieler bescheiden auftreten, dass jeder Einzelne seine eigenen Interessen unterordnet. In diesen Merkmalen sehe ich unsere Nationalmannschaft auf einem sehr guten Weg. Mit Demut meinen wir, dass man nur ein kleiner Teil einer großen traditionellen Geschichte unseres Vereins“. „Das hat Sammer doch gut gesagt“, meint Paulus, und fasst zusammen: „Demütig sein, das bedeutet: um die eigenen Grenzen wissen. Es heißt erkennen, was man alles empfangen hat, und dafür dankbar sein, auch merken: Ohne andere Menschen geht es nicht. Füreinander da sein und nicht gegeneinander. Dabei soll Verschiedenheit sein, der einzelne Mensch soll nicht in der Masse untergehen. Gott liebt die Vielfalt seines Schöpfungsgartens. So wie Christus für euch da war, da ist, da sein wird, als der Mensch für andere. Seid so unter euch gesinnt, wie es der Gemeinschaft in Christus Jesus entspricht. So, jetzt kannst du dann Amen sagen“. Paulus, das mach ich gleich. Das Gespräch mit dir ermutigt mich zur Arbeit an mir selbst, und es leitet mich an, im anderen Menschen den Freund, die Freundin, zu sehen, der/die genauso bedürftig ist wie ich selbst – und mit mir eingeladen an Gottes Tisch.