Christliche DNA
Die Hoffnung auf Gottes guten Willen mit der Welt braucht unsere Köpfe und Hände
Predigttext | 1. Petrus 1,18-21 |
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Kirche / Ort: | Ev. Kirche / 69190 Walldorf b. Heidelberg |
Datum: | 03.03.2024 |
Kirchenjahr: | Okuli (3. Sonntag der Passionszeit) |
Autor: | Pfarrer Dr. Uwe Boch |
Predigttext: 1. Petrus 1,18-21
Ihr wisst ja: Ihr seid freigekauft worden von dem sinnlosen Leben, wie es eure Vorfahren geführt haben. Das ist nicht geschehen durch vergängliche Dinge wie Silber oder Gold. Es geschah aber durch das kostbare Blut von Christus, dem fehlerfreien und makellosen Lamm. Dazu war er schon vor Erschaffung der Welt bestimmt. Aber jetzt ist er am Ende der Zeit für euch erschienen. Durch ihn glaubt ihr an Gott, der ihn von den Toten auferweckt und ihm Herrlichkeit verliehen hat. Deshalb könnt ihr nun euren Glauben und eure Hoffnung auf Gott richten.
Wieder tauchen wir in eine für uns seltsame und schwer begreifliche Denkwelt ein: Die des ersten Jahrhunderts.
I
Es ist ja einerseits das Spannende: Wir sind fast 2000 Jahre von dieser Welt entfernt. Sprache, Lebensumstände, religiöse Traditionen. Alles so anders und fremd. Und doch wollen wir wissen, was solche Bibeltexte, wie der, den ich gleich vorlese, für unseren Glauben bedeuten. Auch für unser Leben. Wir versuchen zu durchdringen, was so sperrig und mit sehr anspruchsvollen Worten daherkommt. Jetzt. 2000 Jahre danach. Als Christen werden wir zurückgeworfen in die Anfänge unseres Glaubens.Die Zeit, in der Autor des Petrusbriefes lebte. Die Erinnerung an Jesus selbst war etwa 50 Jahre alt. Und die Gemeinden waren klein. Da schrieb er:
Ihr wisst ja: Ihr seid freigekauft worden von dem sinnlosen Leben, wie es eure Vorfahren geführt haben. Das ist nicht geschehen durch vergängliche Dinge wie Silber oder Gold. Es geschah aber durch das kostbare Blut von Christus, dem fehlerfreien und makellosen Lamm. Dazu war er schon vor Erschaffung der Welt bestimmt. Aber jetzt ist er am Ende der Zeit für euch erschienen. Durch ihn glaubt ihr an Gott, der ihn von den Toten auferweckt und ihm Herrlichkeit verliehen hat. Deshalb könnt ihr nun euren Glauben und eure Hoffnung auf Gott richten.
Zuerst wird man freigekauft aus einer Gefangenschaft in sinnlosem Leben. Aber nicht mit materiellem, sondern durch Blut von Jesus, dem makellosen Lamm. Mit Jesus spannt der Autor einen Bogen vom Anfang der Welt bis zum Ende der Welt. Jesus war schon vom Anfang an dazu bestimmt, diesen Freikauf durchzuführen. Er ist dann sogar selbst gekommen und am Kreuz gestorben. Im Denken der Menschen damals markiert das den Bogen der Zeit. Von der Schöpfung durch Gott bis zur Wiederkunft Gottes in Jesus. Daraus bekommt der Glaube und die Hoffnung eine Perspektive. Auch wenn diese sehr kurz ist.
Wir sind es nicht gewöhnt, mit kurzen Perspektiven umzugehen. Wir sind aufgewachsen in einem Denkklima, das sich Grenzen selbst verboten hat. Für uns war die Welt weit und offen. Grenzen fielen. In Deutschland, in Europa. Die Welt war fast grenzenlos bereisbar. Krieg war ein Wort, das man in Mitteleuropa nur aus dem Geschichtsunterricht oder den Erzählungen der Alten kannte.
Energie war leicht zu erzeugen und zu gewinnen. Und billig zu bezahlen. Die Wirtschaft kannte per Definition nur eine Richtung: Wachstum. Bildung ist immer schneller und leichter zu schaffen. Das Internet bot neue Möglichkeiten, von denen man Jahre zuvor nicht zu träumen vermochte, Weltweite Vernetzung. Unbegrenzte Datenmengen. Schnell und einfach zur Verfügung. Ja, unsere Zukunft war weit und groß. Unsere Perspektive sehr weiträumig und letztlichauf Unendlichkeit ausgelegt.
II
Ganz anders damals bei den ersten Christen. Man spricht von der sogenannten „Naherwartung“. Die feste Überzeugung, dass das Ende der Welt, wie man sie kennt, nahe ist. Dass das mit einem Wiederkommen von Jesus zusammen hängt: Jesus kommt bald! Das war die Hoffnung und die Überzeugung. Die Perspektive der Christen damals war kurz. Die Zukunft sehr überschaubar. Das hat sicher Trost gegeben in einer nicht leichten Zeit. Wir wissen, dass die Christen damals in Minderheit lebten. Die Gemeinden waren klein.
Man kann sich vorstellen, so ähnlich wie heute in China, wo durchaus auch vier Menschen als Gemeinde gelten. Nicht in großen Gemeindehäusern existieren und mit riesigen Kirchen. Sondern eher unauffällig in den Häusern und Wohnungen. Wir wissen es nicht genau. Aber es kann auch sein, dass sie unter harten Restriktionen zu leiden hatten. Wie gut tut dann eine Lehre wie beim Autor des Petrusbriefes, die ein Ende dieses kläglichen Daseins verspricht: Jesus kommt wieder. Er errichtet ein Reich Gottes, in dem es den Gläubigen gut geht. Ein kurzes, aber hoffnungserfülltes Gesellschaftsbild. Die reale Perspektive ist klein, die Zukunft überschaubar.
Der Blick auf Gott aber öffnet ihnen einen neuen Blick. Durch Jesus sind sie freigekauft von den Zwängen der Welt und auf Gott können sie schauen. Schöne neue Welt. Wir brauchen uns um unsere Gesellschaften hier im gesetzten Mitteleuropa und im Westen keine Sorgen zu machen. Unendliches Wachstum. Traumhafte Perspektiven. Auf Urlaub, Wohlstand, Technisierung und ein gutes Leben. Das genaue Gegenteil. Nach dem Zweiten Weltkrieg haben wir die Perspektivlosigkeit abgelegt und gingen auf eine grenzenlos schöne Welt zu. Dass da in den ehemaligen Kolonialstaaten in Afrika und Südamerikaalles ganz und gar nicht so toll lief, das konnten wir gut verdrängen. Sorglosigkeit, sieht man von den Alltagssorgen ab.
Bis dann diese Welt immer mehr erodierte. Langsam zunächst, aber sicher. Und inzwischen immer schneller. Die Perspektive verkleinert sich. Von Jahrzehnt zu Jahrzehnt. jährlich, täglich. Ob die Ölkrise meiner Kindheit, die Kriege um Öl und Macht im Vorderen Orient. Dann näher im Balkan. Und nun in der Nachbarschaft in der Ukraine und im uns inhaltlich so nahen Israel. Und wir stehen da und sehen die Welt wieder kleiner werden. Wir erleben, wie die Prophezeiungen der Klimaforscher von vor 40 Jahren sich bewahrheiten. Und immer noch können wir nicht verstehen, dass die schöne Welt bedroht ist. Das wohlhabende Leben für immer weniger Menschen möglich ist. Wir verdrängen oder reden schön, was uns unter den Nägeln brennen sollte. Usedom und Hamburg, Rügen und das Wattenmeer. Lange Zeit haben sie nicht mehr. Dann ist dort weder Leben noch Urlaub möglich. Weil unsere Gier die Temperatur erhöht. Und das Land frisst.
Wir erleben, dass Menschen zu uns kommen auf der Flucht vor unmenschlichen Lebensbedingungen. Wir können es uns immer noch nicht eingestehen, dass Bert Brecht Recht hatte als er dichtete: „Reicher Mann und armer Mann standen da und sah`n sich an. Da sagt der Arme bleich: Wär ich nicht arm, wärst du nicht reich“. Wir suchen Sündenböcke und Wege aus der Krise, die die Flüchtlingsströme verursacht haben und verursachen werden. Im ganzen Suchen und Sorgen und Drehen um uns selbst wird die Welt noch kleiner. Der Blick noch kürzer. Und die schöne neue Informationswelt. Sie wird immer mehr zur Gefahr. Wer kann in zehn Jahren noch richtige von falscher Information unterscheiden? Wer sieht dann so klar, dass er den Wust von KI und absichtlicher Fehlinformation noch entwirren kann?
III
Da stehen nun auch wir. Vor allem unsere Kinder und Enkel. Mit zu kurzem Blick in die Zukunft. Und fehlender Perspektive für ein sinnvolles Leben. Wir sind tatsächlich Gefangene unserer eigenen Lebensweise. Gefesselt durch selbstgemachte Regeln und Mechanismen und Sachzwänge. Menschen wie wir lechzen nach Freikauf. Nach einem, der uns befreit, damit wir die Welt befreien können. Wir finden ihn so schwer. Vielleicht waren die Menschen im ersten Jahrhundert da weiter. Ihr Glaube hat ihnen den Blick immerhin auf Gott geweitet und ihre Hoffnung hat sich an ihm aufrichten können.
Wir hätten vielleicht noch die Chance, den Karren aus dem Dreck zu ziehen. Vielleicht täte auch uns der Blick auf Gott gut. Damit wir es lernen uns umzuschauen. Damit wir es ernst nehmen können: Er stellt unsere Füße auf weiten Raum. Damit wir das kleine Blickfeld erweitern. Indem wir den Kopf heben. Und nicht zurückschauen auf die alten gefüllten Fleischtöpfe. Sondern mutig und mit Kreativität und Mut nach vorne schauen können.
Wir Christen haben heute, im Gegensatz zu damals, noch eine Stimme. Wir sind noch viele und haben Einfluss. Und da tun sich Unmengen von Fragen auf? Schaffen wir es, nun nicht den Kopf einzuziehen? Vor Rechtsruck und Klimawandel. Vor Energiekrise und der Individualisierung unserer Gesellschaft? Oder sind wir so mit unseren eigenen Problemen beschäftigt? Ist unser Handeln nur noch durch finanzielle Notwendigkeiten gesteuert? Ersticken wir unter den Sachzwängen? Und drehen uns im Kreis unserer selbstgemachten Probleme? Schaffen wir es, in unserer Gesellschaft und vielleicht sogar weltweit wieder so etwas zu finden? Eine Einstellung und Hoffnung, dass Gott diese Welt gut geschaffen hat. Dass in ihr von Anfang an die Sehnsucht und der Wunsch nach Weltliebe, Menschenliebe und Liebe zum Leben eingewoben war. Dann hätten wir eine Chance.
Es muss uns Christen bewusst sein, dass wir diese Lebenseinstellung eigentlich mitbekommen haben. Sie gehört zur christlichen DNA: Es gibt Hoffnung für die Welt. In uns kann Gott in die Welt kommen. Und den Bogen spannen von der guten Schöpfung zu einem hoffnungsvollen Weiterleben auch heute. Er hat uns den Mut gegeben, gegen die Weltvernichter, die Kriegstreiber, die Macht- und Geldmenschen anzugehen. Weil er, Gott, diese Welt liebt. Und weil er uns braucht, um sie zu erhalten.
Der Rückzug in eine Naherwartung ist heute natürlich keine Alternative. Die Menschen in den Städten mit den Schildern „Das Ende ist nah“ sind eher lächerlich für unsere Welt. Längst müssten wir verstanden haben: Vertrauen auf Gott muss zur Aktivität des Menschen führen. Sonst ist es nutzlos für unsere Welt. Die Hoffnung auf Gottes guten Willen mit der Welt braucht unsere Köpfe und Hände. Unseren Mut und unsere Kreativität. Weil wir wissen: Die Welt muss verändert werden. Und der Glaube daran, dass Gott uns allen Ballast der Vergangenheit ablegen lässt. Er ist der Grundstein evangelischer Gemeinde. Und er sollte dafür sorgen, dass wir aus unserer scheinbar bequemen Situation hinter den Kirchentüren herausgehen. Die Herausforderungen der Welt benennen. Und sie in Angriff nehmen.
Den Christen damals war das nur unter Lebensgefahr möglich. Sie hatten keine gesellschaftlichen Perspektiven. Nur den Blick auf ihren Gott, der ihnen das Durchhalten möglich machte. Wir könnten noch ganz anders agieren. Viel offener und freier und wirksamer. Das ist es, was ich mir, statt weiterer Verinnerlichung und Beschäftigung mit sich selbst, von der Kirche wünsche. Ein aufgeschlossenes und gesellschaftlich aktives Christentum. Das sich einmischt. Die Äußerungen der Kirchenleitungen – katholisch und evangelisch – zur AFD und zum neuen alten Faschismus sind dafür ein mutmachendes Signal. Schaffen wir es? Das zu tun, was wir können? Die Welt wieder weit und offen zu machen? Mit unserem Glauben an den freien Rücken, den Jesus erkauft hat, im Gepäck. Mit unserer Hoffnung auf Gottes guten Willen mit der Welt im Herzen. Und mit der Liebe Gottes zur Welt als Motivation und Antrieb. Ich wünsche es mir.