“Da wohnt ein Sehnen tief in uns …”

Brot, das den Lebenshunger stillt

Predigttext: Johannes 6, 30-35 (mit homiletischen und liturgischen Hinweisen)
Kirche / Ort: St. Martinskirche / Spenge
Datum: 30.07.2017
Kirchenjahr: 7. Sonntag nach Trinitatis
Autor/in: Pfarrerin Brigitte Janssens

Predigttext: Johannes 6, 30-35 (Übersetzung nach Martin Luther, Revision 2017)

30 Da sprachen sie zu ihm: Was tust du für ein Zeichen, auf dass wir sehen und dir glauben? Was wirkst du? 31 Unsre Väter haben Manna gegessen in der Wüste, wie geschrieben steht (Psalm 78,24): »Brot vom Himmel gab er ihnen zu essen.« 32 Da sprach Jesus zu ihnen: Wahrlich, wahrlich, ich sage euch: Nicht Mose hat euch das Brot vom Himmel gegeben, sondern mein Vater gibt euch das wahre Brot vom Himmel. 33 Denn dies ist das Brot Gottes, das vom Himmel kommt und gibt der Welt das Leben. 34 Da sprachen sie zu ihm: Herr, gib uns allezeit solches Brot. 35 Jesus aber sprach zu ihnen: Ich bin das Brot des Lebens. Wer zu mir kommt, den wird nicht hungern; und wer an mich glaubt, den wird nimmermehr dürsten.

Gedanken zum Predigttext und zur Gestaltung von Predigt und Liturgie

„Unser tägliches Brot sei uns heute!“ – Diese Bitte markiert das Ziel des Weges und zugleich der Predigt, zu dem die Perikope einlädt. Die Erinnerung an die Speisung des Volkes Israel auf seiner Wüstenwanderung wird lebendig bei den 5000 Menschen, die zu Beginn des 6. Kapitels des Johannes-Evangeliums satt werden von 5 Gerstenbroten und 2 Fischen. Das murrende Volk in der Wüste, die nach johannäischem Verständnis noch unentschlossene Volksmenge, sie stehen für all die Menschen, die eher spüren als schon wissen, dass der Mensch nicht vom Brot allein lebt. Ja, alle wollen und sollen satt werden. Aber ist der Lebenshunger damit umfassend gestillt? Reicht das Brot allein, um Geschmack am Leben zu finden? Über drei Stationen führt der Weg zum Ziel: Manna- das Brot vom Himmel in der Wüste: Gott sorgt für seine Kinder. Sie werden satt, sie murren nicht, sie erkennen Gott als Geber. Die Speisung der 5000: Gottes Sorge befähigt zur Fürsorge oder: Das Teilen lernen Der Geber wird zur Gabe: Jesus Christ ist das Brot des Lebens, das unseren Lebenshunger stillt.

Am 7. Sonntag nach Trinitatis möchte ich in der sommerlichen Gottesdienstgemeinde das Volk sehen, das sich Gott als den Geber aller guten Gaben bewusst macht, dem eigenen Hunger nach Leben nachspürt und Geschmack findet an Jesus als dem Brot des Lebens. Dankbarkeit, Sehnsucht und Erfüllung sollen dabei nicht allein gepredigt und gehört werden, sondern im gemeinsamen Singen während der Predigt persönlichen und gemeinschaftlichen Ausdruck bekommen. Diesem Wechsel korrespondiert die Psalmcollage, in der biblische Worte aus Psalm 34 im Wechsel mit Worten Rainer Maria Rilkes erklingen: Psalmcollage

Als ich GOTT suchte, antwortete GOTT mir und errettete mich aus aller meiner Furcht. Die auf GOTT sehen, werden strahlen vor Freude, und ihr Angesicht soll nicht schamrot werden. Gast sein einmal. Nicht immer selbst seine Wünsche bewirten mit kärglicher Kost. Als ein Mensch im Elend rief, hörte GOTT und half ihm aus allen seinen Nöten. Der Engel GOTTES lagert sich um die her, die GOTT fürchten, und hilft ihnen heraus. Nicht immer feindlich nach allem fassen; Einmal sich alles gefallen lassen und wissen: Was geschieht ist gut. Schmecket und sehet, wie freundlich GOTT ist. Glücklich der Mensch, der auf GOTT traut. Psalm 34,5–9
Rainer Maria Rilke, Die Weise von Liebe und Tod des Cornets Christoph Rilke, 14. Abschnitt – entnommen aus einem Gottesdienstprojekt für den Gründonnerstag zu 1 Kor 11,23–26, erarbeitet von Ute Grümbel und Thomas Hirsch-Hüffell (www.gottesdienstinstitut-nek.de).

Literatur
Stefan Holtmann zur Stelle in GottesdienstPraxis, III. Perikopenreihe, Band 3, Gütersloh 2017

Lieder
Wir pflügen und wir streuen (EG 508)

Wenn das Brot, das wir teilen (EG RWL 666)

Da wohnt ein Sehnen tief in uns (LebensWeisen, Beiheft 05 zum EG, Nr. 19)

Er ist das Brot, er ist der Wein (EG 228)

 

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Brot vom Himmel

Schon lange sind sie unterwegs. Die Beine werden müde. Der Bauch ist leer. Verflogen ist die Begeisterung des Aufbruchs, die Hoffnung auf das versprochene Land, in dem Milch und Honig fließt. Und wenn dann der eine zu dem anderen sagt: „Erinnerst Du Dich?“ Dann werden die Bilder von den Fleischtöpfen in Ägypten ganz lebendig, der Duft von Fleisch und Knoblauch und leckeren Gewürzen ganz gegenwärtig: jetzt, nach so langen Jahren, mitten auf dem Weg durch die karge Wüste, in der es an allem fehlt, was die Menschen brauchen: Wasser und Brot, eine Hoffnung, ein Ziel und die Gewissheit, dass der Weg sich lohnt und dass das Leben mehr ist als Überleben. Aus Enttäuschung wird Ärger. Aus Ärger wird Wut. Waren die vollmundigen Versprechen genauso leer, wie jetzt ihre Bäuche? „Wir haben Hunger!“ murren sie. „Gib uns was zu essen!“ fordern sie den Moses auf, der Gottes Volk durch die Wüste führt. Und Moses, der Gottesmann, setzt sich ein, betet zu Gott. Und immer wieder – auf dem 40-jährigen Weg durch die Wüste – bricht ein neuer Morgen an.

Die Kinder Israels reiben sich die Augen und fragen erstaunt: Man hu- was ist das? Und sie sammeln das Manna, das Brot, das vom Himmel fällt und werden satt – jeden Tag frisch und neu. Ein Brunnen in der Wüste stillt ihren Durst. Ach, und fast wie damals an den Fleischtöpfen in Ägypten, fallen da auch Wachteln vom Himmel. „Wunder“-bar! In kleinen Gruppen sitzen sie beieinander, stärken sich, bestärken einander, dass Gott für seine Kinder sorgt, jeden Tag neu – und dass, er, ihr Vater, sie an ein gutes Ziel führen wird. Dankbarkeit durchströmt sie und neues Vertrauen wächst: in Moses, den Gottesmann und vor allem in Gott selbst, den Geber aller guten Gaben, der Leben in Fülle verspricht.

„Gast sein einmal. Nicht immer selbst seine Wünsche bewirten mit kärglicher Kost.“

„Erinnerst Du dich?“ werden sie auch später fragen. Und eine Generation wird es der anderen erzählen, sodass die Erinnerung an das wunderbare Brot vom Himmel ganz lebendig wird. Wir singen: Alle gute Gabe (EG 508 Kehrvers) Brot von Gott „Erinnerst Du dich?“ fragen sie einander, fragen sie Jesus. Denn wie damals ihre Väter und Mütter sind auch sie satt geworden. Köstliches Gerstenbrot und fangfrischer Fisch haben gereicht für 5000 Männer, dazu Frauen und Kinder. Mit großer Selbstverständlichkeit geschieht das Wunderbare. Denn einladend und freundlich gehen Jesus und seine Jünger durch die Menge. In Gruppen finden sich die Menschen zusammen. Alle finden einen Platz. Und was in der Mitte anfängt, geht von Reihe zu Reihe, wird unter den Menschen geteilt, weitergegeben, kommt scheinbar aus nicht versiegender Quelle. Von ihr heißt es nur: Jesus nahm die Brote, dankte und gab sie ihnen (Joh 6, 11). Das gesegnete Brot wird geteilt und macht alle satt. Allein dies ist ein Wunder, wunderbar erscheint jedoch vor allem: alle machen mit. Niemand drängt sich vor. Keinen quält die Sorge, zu wenig zu bekommen oder die Letzte zu sein. Vertrauen ineinander, Achtsamkeit füreinander lässt aus Selbstsorge Fürsorge erwachsen.

„Nicht immer feindlich nach allem fassen; Einmal sich alles gefallen lassen und wissen: Was geschieht ist gut.“

Die Angst davor zu kurz zu kommen, übersehen zu werden oder gar vergessen zu sein weicht einem tiefen Vertrauen in Gott als den Gastgeber eines jeden, der dafür Sorge trägt, dass ein jeder satt wird, lebens-satt. Allein dies: aufeinander achten, miteinander teilen, füreinander sorgen – wäre viel, wäre diakonisches Handeln im Sinne Gottes, im Geiste Jesu. Gemeinde singt: Wenn das Brot, das wir teilen, als Rose blüht Brot des Lebens Doch damit nicht genug. Noch ist die Geschichte nicht zu Ende. Noch ist nicht alles gesagt. Denn erst ein Zeichen soll die Speisung der Vielen sein. Sie alle, die Hunger hatten, sind satt geworden von dem, was Gott gibt. Am Ende bleiben sogar noch 12 Körbe mit Resten übrig: Zeichen für den Überfluss, den überbordenden Reichtum, der von Gott kommt. Die 12 Körbe mit den Resten – sie sind auch Vorschuss auf die Zukunft. Ein gutes und verheißungsvolles Zeichen für kommende Zeiten. Der Hinweis auf Anderes, die Hoffnung auf mehr.

Und so wollen die Gesättigten auch noch nicht auseinander gehen. Wie sie das Brot miteinander geteilt haben, tauschen sie sich jetzt untereinander aus: Ist Jesus ein Gottesmann wie einst Mose in der Überlieferung ihrer Mütter und Väter? Will auch er ihnen den Weg dorthin zeigen, wo Gottes Verheißung sich erfüllt? Lohnt es sich, ihm nach zu folgen? Macht es Sinn, sich mit ihm auf den Weg zu machen. Wohin würde das führen? Wohin würde er sie führen? Suchend wandern ihre Blicke über die Menschenmenge. Doch Jesus ist nirgends zu sehen. Nur seine Jünger erblicken sie in einem Boot, das sie scheinbar ans gegenüberliegende Ufer des Sees bringt. Während die Einen nach einem so wunder-baren Tag zurückkehren in ihre Häuser, in ihren Alltag, machen sie die Anderen ebenfalls auf den Weg ans andere Ufer. Gestillt ist ihr Hunger nach Brot. Gelernt haben sie, das, was sie haben miteinander zu teilen, ohne dabei zu verlieren. Eher im Gegenteil: glücklicher, zufriedener, ja – erfüllt fühlen sie sich.

Offen sind aber noch so viele Fragen, an den und über den, der so reichlich gibt. Denn was wird sein, wenn der Hunger morgen wieder kommt? Wie wird es sein, wenn Jesus nicht in ihrer Mitte ist und so reichlich gibt, dass alle satt werden? Diese und viele andere Fragen gehen ihnen durch den Kopf, durch das Herz, ohne dass sie eine Antwort darauf wissen. Und so sammeln sie sich erneut um Jesus. Es ist ihnen ernst mit ihrer Bitte um das tägliche Brot, das sie sich nicht selbst verdienen müssen, sondern das von Gott geschenkt wird. Sie sehnen sich nach dem Lebens-Notwendigen, dass nicht in Konkurrenz zueinander erreicht wird, sondern erst und allein im Miteinander und Füreinander die Not aller wendet und wahres Leben ermöglicht. Genau auf solche Gedanken und Fragen zielen denn auch Jesu Worte, wenn er nun vom „wahren Brot“ spricht. „Nicht Mose hat euch das Brot vom Himmel gegeben, sondern mein Vater gibt euch das wahre Brot vom Himmel. Denn dies ist das Brot Gottes, das vom Himmel kommt und gibt der Welt das Leben.“

Brot für die Welt – Leben für die Welt: was für eine Verheißung! Gestillter Lebenshunger und Geschmack am Leben für alle Menschen überall auf der Welt! Dazu braucht es mehr als Essen und Trinken allein, gestillt soll werden jeder Lebenshunger, jeder Lebensdurst, der weit mehr umfasst – und doch lebendig ist und hörbar wird in einer tiefen Sehnsucht, die so Vieles benennt, was wir so not-wendig zum Leben brauchen. Das Lied, das wir miteinander hören/singen erklingt seit fast 30 Jahren weltweit in der ökumenischen Christenheit: “Da wohnt ein Sehnen tief in uns, o Gott, nach dir, dich zu sehn, dir nah zu sein. Es ist ein Sehnen, ist ein Durst nach Glück, nach Liebe, wie nur du sie gibst. Um Frieden, um Freiheit, um Hoffnung bitten wir. In Sorge, im Schmerz – sei da, sei uns nahe, Gott”.

Um Einsicht, Beherztheit, um Beistand bitten wir. In Ohnmacht, in Furcht – sei da, sei uns nahe, Gott. Um Heilung, um Ganzsein, um Zukunft bitten wir. In Krankheit, im Tod – sei da, sei uns nahe, Gott. Dass du, Gott, das Sehnen, den Durst stillst, bitten wir. Wir hoffen auf dich – sei da, sei uns nahe, Gott. Nicht nur Ausdruck menschlicher Sehnsucht ist dieses Lied, nicht nur Lebenshunger und Durst nach Glück, nach Liebe, der hier erklingt. Das Lied ist zugleich ein Gebet, die Ahnung und die Hoffnung, dass allein Gott es ein kann, der unseren Hunger nicht nur nach Brot, auch nach Frieden, nach Freiheit, nach Gerechtigkeit und Ganzheit stillen kann. Dass diese Hoffnung berechtigt ist, dass unsere Sehnsucht ans Ziel kommt, das verspricht Jesus denn auch den Menschen, die ihm nachgefolgt sind. Ja, ich selber bin von Gott zu euch in die Welt geschickt und Mensch geworden. Als SEIN Sohn bin ich das Brot des Lebens, das euren Lebenshunger stillen kann und wird. Wohl habe ich euch Brot zu essen gegeben – bei der Speisung am anderen Ufer, aber das wahre Brot, die Gabe Gottes an Euch, bin ich selbst. Ein schweres Wort, ein erleichterndes Wort, das wir jedes Mal erleben und feiern in der Abendmahlsgemeinschaft mit ihm und miteinander. Mit seinem Leben und seinem Sterben, mit seinen Worten und mit seinen Taten ist er als Auferstandener überall da, wo Menschen Einsicht oder Beherztheit, Nähe oder Trost, Gerechtigkeit oder Freiheit brauchen und erbitten. Nicht nur wenn wir das Abendmahl feiern, jeden Tag neu dürfen wir ihn bitten: Unser tägliches Brot sei uns heute. Denn er ist das Brot. Er ist der Wein. Schmecket und sehet, wie freundlich der Herr ist.

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2 Kommentare on ““Da wohnt ein Sehnen tief in uns …”

  1. Pastor i.R.Heinz Rußmann

    Sehr lebendig und plastisch und interessant predigt Pfarrerin Janssens zu Beginn über das Brot des Himmels, Das hatten die Israeliten als Manna in der Wüste bei der Flucht aus Ägypten gefunden. “Erinnerst Du Dich” , fragen die Jünger Jesus bei der Speisung der 5.000 daran .Das gesegnete Brot macht alle satt und vertreibt Hunger und Feindlichkeit. – Offen bleiben viele Fragen an Jesus. Und die Verheißung und die Sehnsucht nach Frieden und Gottes-Nähe. Wir beten und haben die Sehnsucht nach Jesus. Im Abendmahl ist Jesus ganz bei uns Christen und ernährt unsere Seele. . – Wie gesagt erzählt die Pfarrerin die Gerschichte großatig und faszinierend. Das Riesen-Problem des Hungers in der Welt und besonders in Afrika , sollte man es nicht ansprechen ?

  2. Brigitte Janssens

    Sie haben Recht: das Problem des Hungers in der Welt ist anzusprechen. Das war das Thema meiner Auslegung der Perikope in 2010 getan. Die Predigt ist zu finden im Archiv des HPF. MfG Brigitte Janssens

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