Brot vom Himmel
Schon lange sind sie unterwegs. Die Beine werden müde. Der Bauch ist leer. Verflogen ist die Begeisterung des Aufbruchs, die Hoffnung auf das versprochene Land, in dem Milch und Honig fließt. Und wenn dann der eine zu dem anderen sagt: „Erinnerst Du Dich?“ Dann werden die Bilder von den Fleischtöpfen in Ägypten ganz lebendig, der Duft von Fleisch und Knoblauch und leckeren Gewürzen ganz gegenwärtig: jetzt, nach so langen Jahren, mitten auf dem Weg durch die karge Wüste, in der es an allem fehlt, was die Menschen brauchen: Wasser und Brot, eine Hoffnung, ein Ziel und die Gewissheit, dass der Weg sich lohnt und dass das Leben mehr ist als Überleben. Aus Enttäuschung wird Ärger. Aus Ärger wird Wut. Waren die vollmundigen Versprechen genauso leer, wie jetzt ihre Bäuche? „Wir haben Hunger!“ murren sie. „Gib uns was zu essen!“ fordern sie den Moses auf, der Gottes Volk durch die Wüste führt. Und Moses, der Gottesmann, setzt sich ein, betet zu Gott. Und immer wieder – auf dem 40-jährigen Weg durch die Wüste – bricht ein neuer Morgen an.
Die Kinder Israels reiben sich die Augen und fragen erstaunt: Man hu- was ist das? Und sie sammeln das Manna, das Brot, das vom Himmel fällt und werden satt – jeden Tag frisch und neu. Ein Brunnen in der Wüste stillt ihren Durst. Ach, und fast wie damals an den Fleischtöpfen in Ägypten, fallen da auch Wachteln vom Himmel. „Wunder“-bar! In kleinen Gruppen sitzen sie beieinander, stärken sich, bestärken einander, dass Gott für seine Kinder sorgt, jeden Tag neu – und dass, er, ihr Vater, sie an ein gutes Ziel führen wird. Dankbarkeit durchströmt sie und neues Vertrauen wächst: in Moses, den Gottesmann und vor allem in Gott selbst, den Geber aller guten Gaben, der Leben in Fülle verspricht.
„Gast sein einmal. Nicht immer selbst seine Wünsche bewirten mit kärglicher Kost.“
„Erinnerst Du dich?“ werden sie auch später fragen. Und eine Generation wird es der anderen erzählen, sodass die Erinnerung an das wunderbare Brot vom Himmel ganz lebendig wird. Wir singen: Alle gute Gabe (EG 508 Kehrvers) Brot von Gott „Erinnerst Du dich?“ fragen sie einander, fragen sie Jesus. Denn wie damals ihre Väter und Mütter sind auch sie satt geworden. Köstliches Gerstenbrot und fangfrischer Fisch haben gereicht für 5000 Männer, dazu Frauen und Kinder. Mit großer Selbstverständlichkeit geschieht das Wunderbare. Denn einladend und freundlich gehen Jesus und seine Jünger durch die Menge. In Gruppen finden sich die Menschen zusammen. Alle finden einen Platz. Und was in der Mitte anfängt, geht von Reihe zu Reihe, wird unter den Menschen geteilt, weitergegeben, kommt scheinbar aus nicht versiegender Quelle. Von ihr heißt es nur: Jesus nahm die Brote, dankte und gab sie ihnen (Joh 6, 11). Das gesegnete Brot wird geteilt und macht alle satt. Allein dies ist ein Wunder, wunderbar erscheint jedoch vor allem: alle machen mit. Niemand drängt sich vor. Keinen quält die Sorge, zu wenig zu bekommen oder die Letzte zu sein. Vertrauen ineinander, Achtsamkeit füreinander lässt aus Selbstsorge Fürsorge erwachsen.
„Nicht immer feindlich nach allem fassen; Einmal sich alles gefallen lassen und wissen: Was geschieht ist gut.“
Die Angst davor zu kurz zu kommen, übersehen zu werden oder gar vergessen zu sein weicht einem tiefen Vertrauen in Gott als den Gastgeber eines jeden, der dafür Sorge trägt, dass ein jeder satt wird, lebens-satt. Allein dies: aufeinander achten, miteinander teilen, füreinander sorgen – wäre viel, wäre diakonisches Handeln im Sinne Gottes, im Geiste Jesu. Gemeinde singt: Wenn das Brot, das wir teilen, als Rose blüht Brot des Lebens Doch damit nicht genug. Noch ist die Geschichte nicht zu Ende. Noch ist nicht alles gesagt. Denn erst ein Zeichen soll die Speisung der Vielen sein. Sie alle, die Hunger hatten, sind satt geworden von dem, was Gott gibt. Am Ende bleiben sogar noch 12 Körbe mit Resten übrig: Zeichen für den Überfluss, den überbordenden Reichtum, der von Gott kommt. Die 12 Körbe mit den Resten – sie sind auch Vorschuss auf die Zukunft. Ein gutes und verheißungsvolles Zeichen für kommende Zeiten. Der Hinweis auf Anderes, die Hoffnung auf mehr.
Und so wollen die Gesättigten auch noch nicht auseinander gehen. Wie sie das Brot miteinander geteilt haben, tauschen sie sich jetzt untereinander aus: Ist Jesus ein Gottesmann wie einst Mose in der Überlieferung ihrer Mütter und Väter? Will auch er ihnen den Weg dorthin zeigen, wo Gottes Verheißung sich erfüllt? Lohnt es sich, ihm nach zu folgen? Macht es Sinn, sich mit ihm auf den Weg zu machen. Wohin würde das führen? Wohin würde er sie führen? Suchend wandern ihre Blicke über die Menschenmenge. Doch Jesus ist nirgends zu sehen. Nur seine Jünger erblicken sie in einem Boot, das sie scheinbar ans gegenüberliegende Ufer des Sees bringt. Während die Einen nach einem so wunder-baren Tag zurückkehren in ihre Häuser, in ihren Alltag, machen sie die Anderen ebenfalls auf den Weg ans andere Ufer. Gestillt ist ihr Hunger nach Brot. Gelernt haben sie, das, was sie haben miteinander zu teilen, ohne dabei zu verlieren. Eher im Gegenteil: glücklicher, zufriedener, ja – erfüllt fühlen sie sich.
Offen sind aber noch so viele Fragen, an den und über den, der so reichlich gibt. Denn was wird sein, wenn der Hunger morgen wieder kommt? Wie wird es sein, wenn Jesus nicht in ihrer Mitte ist und so reichlich gibt, dass alle satt werden? Diese und viele andere Fragen gehen ihnen durch den Kopf, durch das Herz, ohne dass sie eine Antwort darauf wissen. Und so sammeln sie sich erneut um Jesus. Es ist ihnen ernst mit ihrer Bitte um das tägliche Brot, das sie sich nicht selbst verdienen müssen, sondern das von Gott geschenkt wird. Sie sehnen sich nach dem Lebens-Notwendigen, dass nicht in Konkurrenz zueinander erreicht wird, sondern erst und allein im Miteinander und Füreinander die Not aller wendet und wahres Leben ermöglicht. Genau auf solche Gedanken und Fragen zielen denn auch Jesu Worte, wenn er nun vom „wahren Brot“ spricht. „Nicht Mose hat euch das Brot vom Himmel gegeben, sondern mein Vater gibt euch das wahre Brot vom Himmel. Denn dies ist das Brot Gottes, das vom Himmel kommt und gibt der Welt das Leben.“
Brot für die Welt – Leben für die Welt: was für eine Verheißung! Gestillter Lebenshunger und Geschmack am Leben für alle Menschen überall auf der Welt! Dazu braucht es mehr als Essen und Trinken allein, gestillt soll werden jeder Lebenshunger, jeder Lebensdurst, der weit mehr umfasst – und doch lebendig ist und hörbar wird in einer tiefen Sehnsucht, die so Vieles benennt, was wir so not-wendig zum Leben brauchen. Das Lied, das wir miteinander hören/singen erklingt seit fast 30 Jahren weltweit in der ökumenischen Christenheit: “Da wohnt ein Sehnen tief in uns, o Gott, nach dir, dich zu sehn, dir nah zu sein. Es ist ein Sehnen, ist ein Durst nach Glück, nach Liebe, wie nur du sie gibst. Um Frieden, um Freiheit, um Hoffnung bitten wir. In Sorge, im Schmerz – sei da, sei uns nahe, Gott”.
Um Einsicht, Beherztheit, um Beistand bitten wir. In Ohnmacht, in Furcht – sei da, sei uns nahe, Gott. Um Heilung, um Ganzsein, um Zukunft bitten wir. In Krankheit, im Tod – sei da, sei uns nahe, Gott. Dass du, Gott, das Sehnen, den Durst stillst, bitten wir. Wir hoffen auf dich – sei da, sei uns nahe, Gott. Nicht nur Ausdruck menschlicher Sehnsucht ist dieses Lied, nicht nur Lebenshunger und Durst nach Glück, nach Liebe, der hier erklingt. Das Lied ist zugleich ein Gebet, die Ahnung und die Hoffnung, dass allein Gott es ein kann, der unseren Hunger nicht nur nach Brot, auch nach Frieden, nach Freiheit, nach Gerechtigkeit und Ganzheit stillen kann. Dass diese Hoffnung berechtigt ist, dass unsere Sehnsucht ans Ziel kommt, das verspricht Jesus denn auch den Menschen, die ihm nachgefolgt sind. Ja, ich selber bin von Gott zu euch in die Welt geschickt und Mensch geworden. Als SEIN Sohn bin ich das Brot des Lebens, das euren Lebenshunger stillen kann und wird. Wohl habe ich euch Brot zu essen gegeben – bei der Speisung am anderen Ufer, aber das wahre Brot, die Gabe Gottes an Euch, bin ich selbst. Ein schweres Wort, ein erleichterndes Wort, das wir jedes Mal erleben und feiern in der Abendmahlsgemeinschaft mit ihm und miteinander. Mit seinem Leben und seinem Sterben, mit seinen Worten und mit seinen Taten ist er als Auferstandener überall da, wo Menschen Einsicht oder Beherztheit, Nähe oder Trost, Gerechtigkeit oder Freiheit brauchen und erbitten. Nicht nur wenn wir das Abendmahl feiern, jeden Tag neu dürfen wir ihn bitten: Unser tägliches Brot sei uns heute. Denn er ist das Brot. Er ist der Wein. Schmecket und sehet, wie freundlich der Herr ist.