“Das Gebet, das die Welt umspannt”
Eine Nachdichtung zum Vater unser
Predigttext: Matthäus 6,9-139 (Übersetzung nach Martin Luther, Revision 1984)
Darum sollt ihr so beten: Unser Vater im Himmel! Dein Name werde geheiligt. 10 Dein Reich komme. Dein Wille geschehe wie im Himmel so auf Erden. 11 Unser tägliches Brot gib uns heute. 12 Und vergib uns unsere Schuld, wie auch wir vergeben unsern Schuldigern. 13 Und führe uns nicht in Versuchung, sondern erlöse uns von dem Bösen. [ Denn dein ist das Reich und die Kraft und die Herrlichkeit in Ewigkeit. Amen. ]
Vorbemerkung
Das Vaterunser ist das verbreitetste Gebet der Welt. Um es heute neu und interessant zu predigen, empfehle ich, dem Theologen Eugen Drewermann folgen. Er vertritt in seinem Matthäus–Kommentar (Bd.1 S. 526 ff ) die originelle, neue These, dass man das Vaterunser in der Predigt nicht kommentieren und auslegen kann. Man kann es nur mit Empathie und Poesie nachdichten. Dafür gibt er in seinem Kommentar überzeugende Beispiele. Deswegen die Empfehlung, das Vaterunser meditierend, paraphrasierend und poetisch zu predigen und verkündigen. Zur Bibel-Auslegung und zu den Predigtüberlegungen s. die Predigt-Impulse im DtPfrbl. 3/2013, S.159 von Heinz Rußmann.
Wie können wir Christen das Vaterunser, unser wichtigstes Gebet, so verstehen, dass es aus tiefsten Herzen kommt und „Gott wohlgefällig ist“? Der bekannte Theologe Drewermann hat darauf aufmerksam gemacht, dass unser Vaterunser-Gebet im Grunde ein Gedicht ist. Wie geht man damit um? Wie kann man erfassen, was es aussagen will? Es gibt eine Grenze, Gedichte zu analysieren und zu kommentieren. Leicht verfehlt man dann den tieferen Sinn und wird nicht seelisch einschwingend eingewoben. Mit dieser Predigt möchte ich versuchen, das Vaterunser einfühlsam nachzudichten. Ich lade Sie ein, den Weg dieses Gebets gemeinsam zu gehen.
Vater unser im Himmel
Wie gut, dass wir Dich so nennen können! Hinter unserer so widersprüchlichen Welt stehst Du als ein planender väterlicher und auch liebevoll mütterlicher Wille. Du bist unser ein und alles! Davon sind wir überzeugt! Mit Dir erhält unsere Welt und die Entstehung des Lebens vom Einzeller bis zum intelligenten Menschen ihren Sinn und Zusammenhang! Du bist die Energie, die Kraft und Macht und die Intelligenz hinter der großen Wirklichkeit, die wir nicht ausloten können! – Bei allen Abenteuern unseres Lebens, die wir erleben und erleiden, wissen wir Dich um uns. Du bist uns nah. So wie ein lieber Vater, so wie eine liebe Mutter die Wege ihrer Kinder in Gedanken liebe- und vertrauensvoll aus der Ferne begleitet, so denkst Du „im Himmel“ an uns. Du hilfst uns weiter, wenn wir Dich in Not wie ein Kind anflehen. Du tröstest uns, wenn wir uns im Leid einsam fühlen. Du gibst uns einen Halt mit Mut und guten Gedanken, lässt uns wachsen und die Welt verstehen. Immer wieder lockst Du uns, mit Dir wie mit einem guten Vater zu reden. – Wir blicken zurück auf unseren Lebensweg: wie oft hast Du uns in Not und Gefahr geholfen, ja gerettet! Wie oft wurden wir in unserem Vertrauen bestärkt, dass hinter dem „Sternenzelt ein lieber Vater wohnen muß“ (Schiller )! Lieber Vater im Himmel, gib dass diese kleine und doch so große und reiche Erde ein friedlicher Wohnort wird für alle deine Menschen-Kinder und wir nach Deiner Absicht geschwisterlich mit Dir als Vater zusammenhalten und zusammenleben.
Geheiligt werde dein Name
Es gibt Augenblicke, in denen wir etwas von Deiner Liebe, Güte und Ewigkeit spüren und wir Dich anerkennen, lieben und ehren können. – Gib, dass wir das Leben heiligen und Demut lernen und wir unter Deinem Namen einander wertschätzen. Wie viele Menschen aus allen Nationen suchen Dich mit ihren Gottesdiensten, ihrer Verehrung, ihrer Liebe. Gib, dass sie sich nicht zerstreiten wegen der „richtigen“ Verehrung. Dass sie nicht die Art des Gottesglaubens anderer arrogant, unverständig und intolerant beurteilen, sie schlecht machen oder sogar mit Gewalt bekämpfen. So kann Dein Name doch nie geheiligt werden! Durch den aggressiven, rechthaberischen, kompromisslosen Streit um die rechte Heiligung, wird Dein Name besonders entheiligt und entwürdigt. Der kämpferische Streit der Religionen um Deine richtige Verehrung wird bei denen, die Dich bisher nicht verehren können, zum besonderen Grund für ihr hämisches Gespött. Schenke uns, dass wir mit offenem und reinen Herzen Dich anerkennen, ehren. Das wir es lernen, Dich und Deinen Namen zu heiligen.- Besonders bitten wir Dich, dass Dein ewiges Friedens- Reich endlich kommt.
Dein Reich komme
Was Du planst und vorhast soll endlich kommen. In diesen wirren und unübersichtlichen Zeiten mit leider vielen Kriegsschauplätzen leuchtet trotzdem manchmal etwas von Deinem Reich auf. Inseln des Friedens entstehen manchmal dort, wo Menschen sich sehen und begegnen, sich nahe kommen und versöhnen. Du, Gott-Vater, hast allein einen festen, total zuverlässigen Plan mit uns und führst deine Schöpfung zum Ziel. Du bist „unsere Zuflucht für und für“ (Psalm 90,1)und wirst alle Tränen trocknen. Du bist unser fester Halt. Du bist treu, liebevoll und ewig. Du bist unterwegs mit Deinen Kindern auf der Wanderung durch die Zeit und führst sie zum ewigen Ziel, dem Friedensreich bei Dir! Die Zeit verrinnt, bis sie umschlägt in die Ewigkeit.
Dein Wille geschehe, wie im Himmel, so auf Erden
Nicht nur in Deinem Himmelreich und im Gespräch mit Deinen Boten-Engeln und bei himmlischer Sphären-Musik der Engel in Deiner Nähe soll Dein Wille in voller Harmonie geschehen! Bringe Du das liebevolle Miteinander in Deinem Himmelreich auf unsere Erde, so dass Menschen wie Jesus fragen, was der Andere wirklich will, was er braucht, woran er leidet, was seine berechtigte Sehnsucht ist. Versöhne uns untereinander. Verwandle uns in Lichtgestalten, bis uns Dein ewiges Licht hinüberträgt zu Dir.
Unser tägliches Brot gib uns heute
Gib uns, soviel wir zum Leben notwendig brauchen! Viele von uns zersorgen sich um ihr tägliches Brot, um ihren Lebensunterhalt und um genug bezahlte Arbeit. Steh uns bei mit unseren täglichen Sorgen um unser Leben. So brauchen wir uns nicht um unsere Zukunft zersorgen. Schenke Vertrauen! – Öffne uns auch die Augen, Ohren, unser Herz und unsere Hände, dass wir verstehen wie wichtig Dir das tägliche Brot für alle Menschen ist. Gib, dass wir an die Millionen von Hungernden denken und alles tun, um ihre Not zu lindern. Es gibt genug Nahrung auf der Erde. Beschämend ist, dass wir sie nicht genug verteilen unter Deine Menschen. Gib uns Freude, uns für „Brot für die Welt“ u.ä. einzusetzen. Gib, dass wir auch im Alltag uns für Schulbrot für arme Kinder in Deutschland engagieren und uns für Arbeitsplätze für Arme einsetzen, uns umhören und Adressen verteilen.
Und vergib uns unsere Schuld, wie auch wir vergeben unseren Schuldigern
Verzeihe uns, lieber Vater im Himmel, und kehre bitte die Spuren fort, die wir lebensfeindlich in fremden Leben hinterlassen haben und die wir selbst nicht mehr in Ordnung bringen können! Vergebung allein lässt uns leben, weitergehen, sodass wir nicht im Sumpf lähmender Schuld versinken. Schuld macht uns einsam. Hartherzige Verweigerung von Vergebung auch. Wunden werden geheilt durch verzeihende Liebe. Vergebung schafft neue Gemeinschaft. Wir gehen aufeinander zu, verlassen die Schuld und räumen aus dem Weg, was uns trennt. Wir fangen neu an, leben gemeinsam, Dann wird die Freude wachsen, weil unser Leben Kreise zieht.
Und führe uns nicht in Versuchung, sondern erlöse uns von dem Bösen
Versuchungen zeigen uns zwar oft Wege zu neuen Chancen unseres Lebens. Doch es gibt auch immer wieder Versuchungen, die unser Leben gefährden. Sie können in Sucht und Unglück führen, in Verletzungen, in Irrwege und Sackgassen. Die schlimmste Versuchung: Ohne Dich und gegen Dich zu leben. Lieber Vater im Himmel ! Gib uns einen klaren, durch Jesus geschärften Blick für das Wesentliche, für das Notwendige, für das Leben, die Liebe und die Freude! Entreiße uns von allem versucherisch Bösen, Gierigem und Dummen und von der Mutlosigkeit, der Lebensverweigerug und der lähmenden Angst! Bewahre uns in allen Versuchungen!
Denn dein ist das Reich und die Kraft und die Herrlichkeit in Ewigkeit
Dein Reich möge uns alle aufnehmen mit Deiner liebevollen Energie und Großartigkeit – für alle Zeiten. Gib uns vor allem, dass wir die starke Sehnsucht nach Deinem Friedensreich nicht verlieren!
Amen
Amen, ja das stimmt, das ist felsenfest wahr! Denn Du, Gott lässt uns jetzt leben, gibst uns täglich, was wir brauchen. Deine Zukunfts- Visionen lassen uns aufblicken, wenn unsere Zuversicht dunkel und am Ende ist, Du stützt uns, wenn Stürme des Schicksals unsere Pläne ins Wanken bringen. Ein gemeinsam gesprochenes Amen erinnert uns wohltuend an die durch Dich gestiftete Gemeinschaft und deshalb: ja, Amen, ich halte mich fest an Dir, Du bist mein felsenfester Fels! Amen!
In einem homiletischen Seminar fiel einmal der Satz: „Eine gute Predigt sollte immer in der Sprache des Gebetes verfasst werden.“ Das ist hier vorzüglich gelungen. Die Formulierungen sind manchmal ungewohnt, aber in ihrer Originalität entfalten sie ihren besonderen Reiz. Souverän werden die aktuellen Themen, die Menschen bewegen, aufgenommen und vor Gott gebracht. Die Gemeinde als Gegenüber zum Predigenden tritt zurück. Sie wird in die Anbetung, Bitte und Fürbitte hineingenommen. Passt gut zum Sonntag Rogate.