„Das Geheimnis Gottes …“
Noch eine andere Wirklichkeit als unsere sichtbare Realität?
Predigttext: 1. Korinther 2,1-10 (Übersetzung nach Martin Luther, Revision 2017)
21Auch ich, meine Brüder und Schwestern, als ich zu euch kam, kam ich nicht mit hohen Worten oder hoher Weisheit, euch das Geheimnis Gottes zu predigen. 2Denn ich hielt es für richtig, unter euch nichts zu wissen als allein Jesus Christus, ihn, den Gekreuzigten. 3Und ich war bei euch in Schwachheit und in Furcht und mit großem Zittern; 4und mein Wort und meine Predigt geschahen nicht mit überredenden Worten der Weisheit, sondern im Erweis des Geistes und der Kraft, 5auf dass euer Glaube nicht stehe auf Menschenweisheit, sondern auf Gottes Kraft. 6Von Weisheit reden wir aber unter den Vollkommenen; doch nicht von einer Weisheit dieser Welt, auch nicht der Herrscher dieser Welt, die vergehen. 7Sondern wir reden von der Weisheit Gottes, die im Geheimnis verborgen ist, die Gott vorherbestimmt hat vor aller Zeit zu unserer Herrlichkeit, 8die keiner von den Herrschern dieser Welt erkannt hat; denn wenn sie die erkannt hätten, hätten sie den Herrn der Herrlichkeit nicht gekreuzigt. 9Sondern wir reden, wie geschrieben steht (Jes 64,3): »Was kein Auge gesehen hat und kein Ohr gehört hat und in keines Menschen Herz gekommen ist, was Gott bereitet hat denen, die ihn lieben.« 10Uns aber hat es Gott offenbart durch den Geist; denn der Geist erforscht alle Dinge, auch die Tiefen Gottes.
Unsere Weisheit
Als Religionslehrer in der Schule steht man manchmal ganz schön hilflos da. Da kommt man in Versuchung, andere Lehrer zu beneiden: Den Erdkundelehrer, der eine Landkarte mitbringen kann und von schönen Ländern zu erzählen weiß. Den Chemielehrer, der mit spannenden Versuchen die Aufmerksamkeit einer ganzen Klasse gewinnt. Den Mathematiklehrer der mit seinen gekonnten Zahlenspielen sich des Respektes seiner Schüler gewiss sein kann.
Armer Religionslehrer! Keine schönen Länder, keine aufregenden Experimente, keine faszinierenden Zahlen. Da ist nichts, was die Schüler in den Bann schlagen könnte. Mit leeren Händen steht man als Religionslehrer vor der Klasse und zappelt sich ab. Fängt man an, von Christus zu erzählen und seiner Bedeutung für uns, gerät man schnell ins Philosophieren. Gähnendes Desinteresse legt sich auf die Schüler. Wie kann man vom Kreuz so erzählen, dass der Gekreuzigte für die Schüler „lebendig“ wird? Schon der Apostel Paulus ist sich dessen bewusst: „Auch ich, liebe Geschwister, als ich zu euch kam, kam ich nicht mit hohen Worten und hoher Weisheit, euch das Geheimnis Gottes zu verkünden. … Und ich war bei euch in Schwachheit und in Furcht und mit großem Zittern.”
Selbst der große Apostel Paulus, der die schönen Länder des Mittelmeeres bereist und christliche Gemeinden gegründet hat, dem in Athen das Experiment, den „unbekannten Gott der Athener“ mit der Christusgestalt zu füllen, misslungen ist, der fantastische Zahlen der Statistik in seiner Missionstätigkeit aufweisen kann, selbst er muss sich seine Hilflosigkeit eingestehen.
„Wovon wir reden,… ist nicht eine Weisheit dieser Welt.” An den Gräbern stehen wir und bezeugen angesichts der schmerzlichen Vergänglichkeit, die uns in tiefe Trauer stürzt, das Geheimnis Gottes. Wir sprechen davon, dass Gottes Wege unergründlich sind und sind manchmal ratlos mit den Trauernden. Inwiefern können wir trösten mit der ausgesprochenen Hoffnung, dass unsere Verstorbenen bei Gott geborgen sind. Es ist ja so schwer vorstellbar, dass da noch eine andere Wirklichkeit als unsere sichtbare Realität ist. Wir bezeugen lebhaft, was unsere Vorfahren im Glauben in den heiligen Schriften bezeugt haben. Und doch müssen wir uns mit Paulus eingestehen: „Wovon wir reden,… ist nicht eine Weisheit dieser Welt.” Da ist es schwer, sich verständlich zu machen.
Gottes Weisheit
Was wir aus der Bibel hören, klingt oft wie die Botschaft aus einer fremden Welt: „Wir reden von der Weisheit Gottes, die im Geheimnis verborgen ist.” Normalerweise sind Geheimnisse wie verschlossene Räume. Jemand erzählt uns, was darin verschlossen ist und macht uns neugierig. Wir brennen darauf, den verschlossenen Raum zu öffnen und einzutreten, damit wir sehen, was sich darin verbirgt. Geheimnisse beflügeln unsere Phantasie. Wir entwickeln Vorstellungen von dem, was uns als Geheimnis verborgen bleibt. Ein solches Geheimnis ist das Kreuz Jesu. Vielleicht darf man sagen, dass dieses Kreuz so etwas ist, wie der Schlüssel zu der verschlossenen Welt Gottes. Dieses Kreuz steht gewissermaßen auf der Grenze zwischen unserer erkennbaren Wirklichkeit und der unbegreiflichen Wirklichkeit Gottes. Zum einen lässt es unsere eigene Wirklichkeit deutlich werden:
Das Kreuz ist ein Symbol von Macht und Gewalt. Wer nicht in das Schema dieser Welt passt, wird Opfer der Mächtigen und ihrer Gewalt. Ob in der Schule oder am Arbeitsplatz: Der Stärkere tyrannisiert den Schwachen. Mobbing und Intrigen machen sich breit. Manche gehen über Leichen, wie man sagt, und nutzen alle Mittel, um ihre eigenen Interessen durchzusetzen. Ans Kreuz hat man Jesus geschlagen, weil er diese Wirklichkeit in Frage gestellt hat. Diese Wirklichkeit von Macht und Gewalt, vom Recht des Stärkeren. Die grausame Wirklichkeit, die von Rache und Heimzahlung geprägt ist.
Doch lässt das Kreuz zum anderen Gottes Wirklichkeit erkennen. Die Wirklichkeit der Barmherzigkeit. Das Kreuz ist so zum Symbol von Vergebung und Versöhnung geworden. Daraus erwächst uns eine wunderbare Kraft, die unsere natürlichen Kräfte übersteigt. Die Kraft, geschehenes Unrecht zu überwinden und hinter uns zu lassen. Die Kraft, auf andere zuzugehen und ihnen die Hand zu reichen. Die Kraft, barmherzig statt angemessen, liebevoll statt in gleicher Weise, zärtlich statt gewaltig zu reagieren. Darin wird Christus gepredigt: In der Schwachheit der Liebe, die weiser ist als alle Macht dieser Welt. In der Schwachheit der Liebe, die uns wunderbare Kräfte schenkt.
So steht das Kreuz an der Schwelle zweier ganz unterschiedlicher Wirklichkeiten und hat ein doppeltes Gesicht. Einerseits als Symbol von Macht und Gewalt, Vernichtung und Tod, Symbol unserer Welt. Andererseits als Symbol der Barmherzigkeit, von Vergebung und Versöhnung. Symbol der geheimnisvollen Welt Gottes, einer wunderbaren Weisheit.
Lebensweisheit
Weil das Leben Geschichten schreibt – und Geschichten vom Leben erzählen, möge uns die folgende Geschichte verdeutlichen, wie diese beiden Wirklichkeiten einander begegnen. Die Wirklichkeit der „Macht und Gewalt“ auf der einen Seite und auf der anderen Seite die Wirklichkeit von „Barmherzigkeit und Vergebung.“
>Don Bosco (gest. 1888), der begnadete Erzieher, Priester und Schriftsteller, kümmerte sich im 19. Jahrhundert um die vielen verwahrlosten Jungen in Turin und Umgebung. Immer wieder fehlten die dazu notwendigen Mittel. In seiner Not bat er seine verwitwete Mutter, zu ihm zu kommen und ihm zu helfen. Der Dienst an den Jungen war eine harte Geduldsprobe für die alte Mutter. Als die Kinder ihr eines Tages den Gemüsegarten beim Spielen zertrampelt hatten, war ihre Geduld erschöpft. Sie packte ihre Sachen zusammen und wollte das Haus verlassen, um in ihre Heimat zurückzukehren. An der Haustüre begegnete sie ihrem Sohn. Dieser erfasste sofort die Situation. Er führte die Mutter unter ein großes Kreuz in seinem Haus. Da standen sie nun – die Mutter und ihr Sohn. Nach einigen Minuten des Schweigens sagte die Mutter mit dem Blick auf den Gekreuzigten: „Ich hatte ihn vergessen“. Daraufhin packte sie ihre Sachen wieder aus und ging zurück an ihre Arbeit.<
Wie schön, wenn Gottes Weisheit stärker ist als unsere. Wie schön, wenn die Barmherzigkeit das letzte Wort behält.
Pfarrer Klein beginnt einleuchtend mit einer Erfahrung, die ich jahrzehntelang als nebenamtlicher Religionslehrer mit Primanern auch gemacht habe: es ist nicht einfach, jungen Menschen die Bedeutung Jesu nahezubringen. Auch Paulus, der bedeutendste Missionar der ganzen Kirchengeschichte berichtet davon. Das Kreuz Christi aber schließt die verschlossene Welt Gottes auf. Einerseits ist es ein Symbol der Rache von den Mächtigen der Welt an Menschen , die ihnen nicht ins Konzept passen. Andererseits ist das Kreuz das Symbol dafür, dass Jesus sich für Schwache und Schuldige stellvertretend aufopfert, damit ihnen vergeben werden kann. Zur Erklärung erzählt Pfarrer Klein von Don Bosco und einer aufopferungsvollen Mutter. Gottes Barmherzigkeit behält das letzte Wort, ist ein in schöner, zusammender Schlussatz