“Das Leben sortieren”
Trauer - Das Gute behalten
Predigttext 1. Thess 5,14-2 (Übersetzung nach Martin Luther)
14 Wir ermahnen euch aber: Weist die Unordentlichen zurecht, tröstet die Kleinmütigen, tragt die Schwachen, seid geduldig mit jedermann. 15 Seht zu, dass keiner dem andern Böses mit Bösem vergelte, sondern jagt allezeit dem Guten nach, füreinander und für jedermann. 16 Seid allezeit fröhlich, 17 betet ohne Unterlass, 18 seid dankbar in allen Dingen; denn das ist der Wille Gottes in Christus Jesus für euch. 19 Den Geist löscht nicht aus. 20 Prophetische Rede verachtet nicht. 21 Prüft aber alles und das Gute behaltet. 22 Meidet das Böse in jeder Gestalt. 23 Er aber, der Gott des Friedens, heilige euch durch und durch und bewahre euren Geist samt Seele und Leib unversehrt, untadelig für das Kommen unseres Herrn Jesus Christus. 24 Treu ist er, der euch ruft; er wird’s auch tun.
Zur Predigt
Im Gottesdienst werden drei Trauerfamilien anwesend sein. Die Predigt nimmt die Stichworte „Ordnung halten“ und „das Gute behaltet“ aus dem Paulusbrief auf entfaltet das Thema „Aufräumen“, „das Leben sortieren“ im Allgemeinen und nach einem Trauerfall. Den Verweis auf die Aufräumexpertin, von der in der Predigt die Rede ist, habe ich aufgenommen aus der Facebook-Gruppe „Predigtkultur“.
Lieder
Lobe den Herrn, meine Seele (LW 46) OHeiliger Geist, o heiliger Gott (EG 131)
Ich sing dir mein Lied (LW 48)
Ordnung ist das halbe Leben. Wer Ordnung hält, ist nur zu faul zum suchen. Aufräumen liegt voll im Trend. Liegt es daran, dass die meisten Kleiderschränke mehr als voll sind? Und trotzdem stehen viele vor dem Schrank und wissen nicht, was sie anziehen sollen. Ein Luxus-Problem, auf jeden Fall. Einer Umfrage zufolge tragen wir mindestens 60 Prozent unserer Kleidung nur ein, zweimal oder gar nicht, der berühmte Fehlkauf.
Auf dem Büchermarkt gibt es zahlreiche Hilfen, was das Aufräumen angeht. Allen gemeinsam ist das versprechen, dass die Ordnung im Kleiderschrank, in der Küche oder im Schulranzen weit über das einfache Sortieren hinausgeht, es geht um das Aufräumen der Seele, um das Ordnen in der eigenen Welt. Dahinter steht die Überzeugung, dass die Unordnung im Zimmer die Unordnung des Herzens wiederspiegelt.
Berühmt ist eine Japanerin Marie Kondo mit ihrer Aufräum-Methode Kon-Mari geworden. Sie geht davon aus, dass wir zwei Drittel der Dinge in unserem Haushalt, in unserem Kleiderschrank, an unserem Arbeitsplatz nicht gebrauchen, nicht benötigen. Um die Fülle der Gegenstände vor Augen zu führen, die z.B. unseren Kleiderschrank verstopfen, rät sie, alle Kleidungsstücke, wirklich alles, von den T-Shirts, der Skihose bis zu den BIsiness Anzügen wirklich alles auf einen Haufen zu legen. Fast jeder ist erstaunt, ja geschockt, was für ein Riesen-Berg an Textilien da entsteht und man nimmt Kleidungsstücke in die Hand, die man gar nicht mehr als die eigenen erkennt, weil sie in der hintersten Ecke, in verschiedenen Zimmern und Schränken verstreut lagen. Spätestens dann wird jedem und jeder bewusst: Ich muss Ordnung schaffen, sonst verliere ich den Überblick.
Auch der Apostel Paulus hält das Thema Ordnung halten für wichtig. Er hält es für so bedeutsam, dass er in seinem Brief an seine Gemeinde in Thessaloniki schreibt: Wir ermahnen euch aber, lieber Brüder (und ich ergänze: liebe Schwestern): „Weist die Unordentlichen zurecht, tröstet die Kleinmütigen, tragt die Schwachen, seid geduldig gegen jedermann“. Kümmert euch um die, die keine Ordnung haben in ihrem Leben. Weist sie darauf hin, helft ihnen, aufzuräumen!
Bei Kon-Mari kommt jetzt der Kern des Aufräumens: Jedes einzelne Teil von diesem Haufen muss in die Hand genommen werden. Jedes. Hinfühlen. Hinschauen. Und dann: das Gehirn ausschalten. Ganz nach dem Körpergefühl gehen. Wie fühle ich mich mit diesem Pullover? Verspanne ich mich spontan, sinkt meine Laune oder hüpft mein Herz und alles sagt in mir sofort „Ja!“? Behalten darf man nur, was Freude macht. Doch: Was möchte ich behalten?
Aufräumen heiß Abschiednehmen. Am schwersten: Die alte Kleidung auszusortieren, Stücke, die schon Jahre im Kleiderschrank verbracht haben, ganz hinten oder ganz unten. Die Erinnerungsstücke. Da ist das Kleid, das du zur Taufe deiner Tochter angehabt hast. Es passt dir schon lange nicht mehr und ist vollkommen aus der Mode. Aber es auszusortieren? Das fällt schwer. Da ist die Weste, die deine Schwester dir gestrickt hat. Angezogen hast du sie noch nie, aber wegwerfen?
Da ist das Hemd, das dir deine Frau zum Hochzeitstag geschenkt hat. Sie mochte die Farbe so gern leiden. Es ist dir am Hals zu eng, aber es hängt immer noch in deinem Schrank. Bei der japanischen Aufräumexpertin kommen diese Erinnerungsstücke darum ganz zum Schluss dran. Denn es braucht Zeit zu entscheiden, welches Stück ich behalten will- ja sie empfiehlt wirklich nur eines zu behalten – und alles andere loszulassen.
Was will ich behalten? Wenn ein Mensch stirbt, stellt sich diese Frage. Mancher Kleiderschrank ist noch gefüllt mit den Sachen der Mutter. Haben Sie schon hineingeschaut, was da noch alles hängt? Haben Sie ihren Duft in der Nase, wenn Sie den Schrank öffnen? Haben Sie gar manches Stück in die Hand genommen? Mamas Lieblingsbluse, die sie zu besonderen Anlässen so gern getragen hat. Ihr Hut, der ihr so gut zu Gesicht stand. Der Pullover deines Bruders, all seine Sachen, die jetzt gesichtet werden müssen. Das alles aufzuräumen, zu sortieren. Das ist jetzt noch wie ein Berg, der vor einem liegt.
Und das ist ja nicht alles, was es zu sortieren gilt, wenn jemand verstirbt. Da ist ein Leben zu Ende, das so eng mit dem eigenen verwoben war, das macht etwas mit einem. Die eigene Endlichkeit rückt näher. Und man spürt plötzlich, was wirklich wichtig ist. Die letzten Wochen oder Tage, die man mit dem Menschen verbringen durfte. Die leisen Stunden des Abschieds. Oder der Schock, dass dieser liebe Mensch plötzlich tot ist, womit man überhaupt nicht gerechnet hat.
Die Trauerfeier, die lieben Worte des Mitgefühls von so vielen Menschen; einige hatte man davon selbst schon aus den Augen verloren. Und nicht zuletzt sortiert sich auch die Familie neu, zwangsläufig. Wie werden wir sein ohne sie, ohne ihn? Wer steht jetzt wo, übernimmt welche Aufgaben, welche Rolle? All das und noch viel mehr muss man erst einmal sortiert, verarbeiten werden in der Seele. Und ganz sicher gibt es auch Dinge, die mir in dieser Trauerzeit in den Blick geraten, die möchte ich gar nicht so gern anfassen, davon lasse ich doch lieber die Finger.
Auch die Menschen, an die Paulus seinen Brief schreibt, haben diese Fragen. Auch sie wollen ihr Leben aufräumen, denn sie sind Christinnen und Christen geworden, Kinder des Lichts. Wie können wir unser Leben im Geist Gottes sortieren? Wie kann sich das Licht, das der Glaube in uns angezündet hat, sich in unserem Leben ausbreiten?
Einen ganz kurzen Rat hat Paulus an diese Menschen. Er schreibt schlicht: „Prüft alles, das Gute behaltet!“ Aber was will ich behalten? Vor dem Behalten steht das Aufräumen, steht das Loslassen. Das kann ungemein entlasten. Nicht nur dass der riesige Kleidungsberg irgendwann bewältigt wird, wenn man festgestellt hat, was einem davon wirklich noch Freude macht. Auch Erinnerungen und Gedanken, die wir uns um einen verstorbenen Menschen machen, die uns ungemein belasten, dürfen wir loslassen. Wir müssen sie nicht Zeit unseres Lebens mit uns herumschleppen.
Oft sind das Schuldgefühle. Habe ich mich Zeit seines Lebens gut genug gekümmert? Hätte ich für sie nicht noch mehr tun können? Hätte ich in dem Konflikt nicht nachgeben müssen, den wir noch miteinander hatten? Haben wir uns eigentlich richtig verabschiedet oder hätte ich ihr gern noch etwas gesagt? Diese Gedanken, die nicht gut tun, dürfen wir loslassen, wenn wir jetzt aufräumen.
Gott verspricht, dass er für uns das aufräumt, das wir selbst nicht mehr ordnen konnten. Und Gott sagt: Jetzt ist alles gut. Der liebe Mensch, um den du trauerst, der ist bei mir. Und zwischen euch ist alles in Ordnung. Dafür habe ich gesorgt.
Und nach dem Loslassen kommt jetzt das Behalten. Endlich. Das ist für die wichtig, die nicht gut wegwerfen können. Da sind die vielen schöne Momente, die einem durch den Kopf gehen, wenn wir an das Leben mit dem Menschen denken, den wir verabschieden mussten. Das laute Lachen unseres Sohnes und Bruders, das so unbeschwert war. Ich spüre, wie es in mir lächelt, wenn ich daran denke. Das leise Brummen, wenn Mama etwas nicht gepasst hat. Wir schmunzeln immer noch. Das leise Knistern in Omas Teetasse, wenn sie den Ostfriesentee eingegossen hat. Das fühlte sich so warm an. Die Erinnerung daran, was Mama für uns getan hat, wie sie sich immer für uns eingesetzt hat. Die Wertschätzung, die unser Bruder von so vielen Menschen erfahren hat, die ihn kannten.
All das kann uns niemand nehmen, das wird uns immer verbinden. Das behalten wir in unserem Lebensschrank. Und wenn es nur ein gutes Stück ist. Das, was unser Herz zum Hüpfen bringt. Und dann breitet sich dieses Licht aus in unserem Leben, die Dankbarkeit, die uns von innen immer mehr zum Strahlen bringt. Prüft alles, aber das Gute behaltet. Und zum Schluss der Wunsch des Apostel Paulus an uns: „Seid allezeit fröhlich, betet ohne Unterlass, seid dankbar in allen Dingen.“