Das Wort vom Kreuz
Aber das Kreuz will mehr als an Lebensrändern und in Krisenzeiten aufrichten
Predigttext: 1.Korinther 1,18-25 (Übersetzung nach Martin Luther, Revision 1984)
18 Denn das Wort vom Kreuz ist eine Torheit denen, die verloren werden; uns aber, die wir selig werden, ist's eine Gotteskraft.
19 Denn es steht geschrieben: Ich will zunichte machen die Weisheit der Weisen, und den Verstand der Verständigen will ich verwerfen.“
20 Wo sind die Klugen? Wo sind die Schriftgelehrten?Wo sind die Weisen dieser Welt? Hat nicht Gott die Weisheit der Welt zur Torheit gemacht?
21 Denn weil die Welt, umgeben von der Weisheit Gottes, Gott durch ihre Weisheit nicht erkannte, gefiel es Gott wohl, durch die Torheit der Predigt selig zu machen, die daran glauben.
22 Denn die Juden fordern Zeichen und die Griechen fragen nach Weisheit,
23 wir aber predigen den gekreuzigten Christus, den Juden ein Ärgernis und den Griechen eine Torheit;
24 denen aber, die berufen sind, Juden und Griechen, predigen wir Christus als Gottes Kraft und Gottes Weisheit.
25 Denn die Torheit Gottes ist weiser, als die Menschen sind, und die Schwachheit Gottes ist stärker, als die Menschen sind
Exegetische und homiletische Einführung
Ein hoffentlich warmer Junisonntag, eine freundlich-erwartungsvolle Taufgesellschaft, das Kind bekommt den Engel-Spruch auf den Weg gegeben. Und dann ein Predigtwort, das sich einem herausfordernd und störrisch in den Weg stellt - das Wort vom Kreuz. Ein Wort, das mehr sein will als eines von mehreren Dogmen; aus dem sich mehr ergeben soll als eine weitere Lebensregel – ein Vorzeichen vor der Klammer, ein Wort, das einem den Himmel aufspannt (Gotteskraft!) und gleichzeitig den Boden unter den Füßen wegzieht. „Krisis“ sagen die Theologen. Wer kann damit noch etwas anfangen? Aber das will das Wort vom Kreuz ja auch gar nicht. Nicht wir sollen etwas damit anfangen, Gott will selber etwas anfangen mit uns. Aber wäre es dann nicht sinnvoller, anstatt zu predigen die Passionsgeschichte vorzulesen? Schweigen? Dem Wort nicht im Weg stehen? Trauen würde ich mich das nicht.
Aber die Herausforderung will ich annehmen.
Ein Taufsonntag: Der ruft doch danach, die Glaubensbotschaft so zu formulieren, dass Eltern sie gerne ihrem Kind mitgeben wollen, dass sie sie als Segen empfinden. Aber geht das? Die Eltern wünschen ihrem Kind einen Engel, der es hilfreich begleitet bei dem Versuch, das Leben zu meistern, den eigenen Weg zu finden. Klugheit und Weisheit sind da gerade gefragt! Der Engel soll schützen, wo es schwierig wird. Aber das Kreuz will mehr als an Lebensrändern und in Krisenzeiten aufrichten. Es will den Menschen von sich selbst und seiner Sicherheit wegführen und ihm sagen, dass gerade und nur im Tod neues Leben anbricht. Das in einer Welt, deren erste Weisheit heißt: Du sollst dich nicht erschüttern lassen?
Eine Hilfe könnte sein: Paulus will nicht lehren. Zumindest nicht nur. Er beginnt seinen Brief bestärkend, spricht von geistlichem Reichtum und Gottes Treue. Ähnlich endet der Predigtabschnitt. Die Gemeinde verhakt sich in Positionskämpfen, die Stärke zur simulieren, verliert mit dem Blick für die eigene Schwachheit auch den Blick für die wahre Stärke. Ehrlich sich auf der Spur bleiben, das wäre eine gute Mitgift für die Lebensreise. Nichts ist so ehrlich wie das Kreuz.
Medizin muss schlecht schmecken, sonst taugt sie nichts, hieß es früher bei uns daheim, wenn wir Kinder uns gegen den mütterlich verordneten Hustensaft zur Wehr setzen wollten. Dunkel erinnere ich mich auch noch an den Geschmack von Lebertran. „Kindern in der Bundesrepublik wurde bis in die 1960er Jahre zur Vorbeugung und Kräftigung täglich ein Löffel voll verabreicht. Der Geschmack gilt als penetrant“, las ich bei Wikipedia. Immerhin, schon damals gab es den Versuch, den Lebertran durch die Beigabe von Mandarinen- oder Zitronengeschmack akzeptabler zu machen. Viel geholfen hat das allerdings nicht. Wir Kinder beneideten unsere jüngste Schwester, bei der solche Versuche dann endlich gnädig eingestellt wurden.
Unser Bibelwort macht gar nicht erst den Versuch, akzeptabel zu sein. Verloren, Torheit, Ärgernis, solche Worte bleiben hängen. Und das an einem Taufsonntag. Sie wollen den Segen spüren, wollen vielleicht später einmal Ihrem Sohn den Glauben schmackhaft machen – und dann Lebertran! Andere Worte aus dem 1. Korintherbrief, Glaube-Hoffnung-Liebe zum Beispiel, wären da doch viel passender gewesen. Immerhin, wir hören auch andere Worte. Gotteskraft zum Beispiel. „Denen aber, die berufen sind, Juden und Griechen, predigen wir Christus als Gottes Kraft und Gottes Weisheit.“ Das klingt schön. Aber der Wermutstropfen folgt sofort: „Denn die Torheit Gottes ist weiser, als die Menschen sind, und die Schwachheit Gottes ist stärker, als die Menschen sind“. Weiser – stärker: Warum denn immer diese Vergleiche? Gott groß und stark – der Mensch klein und schwach. Muss die Kirche den Menschen erst klein machen, damit sie Gott groß machen kann? Das ist doch sogar gefährlich! Der eine Graben reißt neue Gräben auf – zwischen Menschen! Die einen selig, die anderen verloren, wir richtig – die falsch. Da kommt einem doch gleich der Vorwurf Fundamentalismus in den Kopf.
Ist unser Bibelabschnitt ein fundamentalistischer Text? Ja. Fundamentalistisch insofern, als er uns ein Fundament unter die Füße legt. Aber ein Fundament, das einem unter denselben Füßen dann gleich wieder den Boden wegzieht. Unser Verstand, unsere Klugheit sollen nichts gelten. Gott hat die Weisheit der Welt zur Torheit gemacht. Aber warum? Was könnten wir denn (Name) Besseres wünschen als Verstand und Klugheit? Gut, er wird irgendwann in Situationen kommen, in denen auch Verstand und Klugheit nicht viel nützen. Krisensituationen, die erlebt jeder mal. Verstand und Klugheit sind auch sicher nicht das einzige, was zählt. Trotzdem, ohne Verstand und Klugheit käme er nicht weit. Je mehr davon, desto besser. Wer weiß, vielleicht ist unter den Taufgeschenken heute ja auch ein T-Shirt mit der Aufschrift: Abi 2034!
Von Paulus, der den 1. Korintherbrief geschrieben hat, würde so ein Geschenk allerdings eher nicht kommen. Wenn Paulus unserem Taufkind etwas schenken würde, wäre das wahrscheinlich ein Kreuz. In den Worten, die schmecken wie Lebertran und so wirken, als wollten sie uns Menschen klein machen, ist das das Hauptthema. „Wir aber predigen den gekreuzigten Christus … als Gottes Kraft und Gottes Weisheit.“ Aus allem was Paulus sagt, geht hervor: Ohne Kreuz geht’s nicht. Das Kreuz ist nicht eine von vielen Sachen, die man über den christlichen Glauben sagen kann. Das Kreuz ist d i e Sache. Die Tatsache, dass Jesus am Kreuz gestorben ist, ist d i e Sache des christlichen Glaubens. Und darum auch d i e Sache des christlichen Lebens. Paulus sagt: Wenn Ihr Euch nicht klar macht, was das Kreuz für Euch bedeutet, braucht ihr mit dem Christentum gar nicht erst anzufangen – oder könnt gleich wieder aufhören. Damit würde Paulus sicherlich auch heute anecken. Am wenigsten allerdings bei Kindern.
Wenn Kinder in der Kirche sind, fällt ihnen schnell das Kreuz auf. Warum hängt der denn da? Gell, das ist der Jesus. Der ist gestorben, obwohl er doch gar kein Böser war. Kinder empfinden, was Erwachsene oft schon in die Gewohnheitskiste abgelegt haben: dass das nicht in Ordnung ist. Sie empfinden das Anstößige des Kreuzes, den Stein des Ärgernisses. Erwachsene lassen sich nicht gern ärgern. Könnten wir Jesus nicht auch ohne das Kreuz haben? Wäre dann nicht vieles einfacher? Der sturmstillende Jesus, der der die Kinder auf den Arm nimmt, der mit dem verlorenen Sohn und gerne auch der Jesus vom Ostermorgen, der die Traurigen wieder froh macht – aber warum das Kreuz? Ja, der ist für uns gestorben, damit wir trotz unserer Sünden in den Himmel kommen – aber gnädig sein kann Gott doch auch ohne Kreuz! Der ist gestorben, weil böse Menschen neidisch auf ihn waren – aber so böse sind wir doch nicht. Was hat das Kreuz mit uns zu tun? Wie sollen wir Kindern das Kreuz beibringen? Vor allem aber: warum? Wir stellen es in unsere Kirchen als christliches Erkennungszeichen. Wir gestalten Taufkerzen damit. Aber wir lassen uns davon doch nicht unser Leben auf den Kopf stellen! Christliche Werte leben kann ich auch ohne Kreuz.
Nein, sagt Paulus, das kannst du nicht. Nicht wirklich jedenfalls. Du bildest es dir nur ein. Das Kreuz ist sozusagen das Vorzeichen vor der Klammer. Die Frage ist nur, ob es ein Plus oder ein Minus ist. Stellt das Kreuz uns, das Leben, die Menschheit, das alles in den Schatten? Oder stellt es uns ins Licht? Paulus wäre sicherlich der Meinung: Ins Licht. Auch wenn es nicht so klingt. Aber das Wort vom Kreuz, das ist für ihn Evangelium. Frohe Botschaft. Alles was so anstößig klingt, dass wir Menschen klein gemacht scheinen, unsere Weisheit und Klugheit in den Schatten gestellt, wir selber vor die Alternative gestellt: gerettet oder verloren – all das soll uns am Ende gut tun. Mein Beispiel vom Lebertran war nicht ohne Grund gewählt. Lebertran platzt geradezu vor Vitaminen. Das Kreuz – Vitamine für unser Leben. Vita heißt Leben. Das Kreuz will uns lebendig machen. Uns helfen wirklich zu leben. Gott will uns retten, würde Paulus sagen. Ich wage es und sage dasselbe für uns heute neu: Gott will uns glücklich machen. Glücklich im Sinne von lebendig. Glücklich ist der, der wirklich das Leben in sich spürt. Das will das Kreuz.
Ein kleines Beispiel: Ich schätze Sie so ein, liebe Tauffamilie, dass Sie (Name) doch kein T-Shirt „Abi 2034“ zur Taufe schenken. Sie werden Ihren Sohn nicht zum Abitur prügeln. Sie sind gelassener. Sie werden sagen: Wir machen den Bildungs-Hype nicht mit. Natürlich freuen wir uns, wenn er gute Leistungen bringt. Aber Hauptsache er wird glücklich und findet seinen Weg. Dazu wollen wir ihm helfen und ihn nicht zum Sklaven unseres Ehrgeizes machen. Und vor allem wollen wir ihm beibringen, dass ein Mensch ohne Abitur genauso viel wert ist wie mit.
In Korinth, in Griechenland damals überhaupt, da war der Bildungs-Hype auch ziemlich groß. Philosophenschulen gab es wie Sand am Meer. Die Menschen in der Gemeinde waren zwar in der Regel einfache Leute. Aber es ging Gerede um: Kommt, lasst euch lieber von dem taufen, geht lieber bei dem in die Christenlehre, der ist gescheiter. Paulus merkte, wie Spaltungen entstanden und Menschen unsicher wurden. Er schrieb der Gemeinde: Ihr habt das Vorzeichen vor der Klammer vergessen. Ihr lauft gerade völlig in den Spuren dieser Welt. Ihr folgt dem Trend, der gerade dran ist. Die „Weisheit dieser Welt“ – das ist der Trend, der gerade dran ist. Was die Maßstäbe setzt. Das Kreuz aber setzt andere Maßstäbe. Das Kreuz setzt Maßstäbe, bei denen nicht die einen von vornherein unterlegen sind. Solche Trends spiegeln Leben nur vor. Sie sind aber nicht das wahre Leben. Und sie machen bestimmt nicht glücklich.
Wir haben alle irgendwelche Trends in uns. Innere Leitlinien, denen wir meinen folgen zu müssen. Eine gute Mutter sein, möglichst lange gesund bleiben, mir oder jemand anderem etwas beweisen wollen – ich persönlich habe viel von mir gelernt, als ich mich nach solchen Trends in mir gefragt habe. Und ich lerne immer noch. Viele von ihnen sind nicht schlecht. Aber sie taugen nicht als Vorzeichen vor der Klammer. Das Vorzeichen vor der Klammer ist das Kreuz. Auf den ersten Blick: Niederlage. Schwachheit. Tod. Aber im Endeffekt für uns: Leben. Wie in der Mathematik: Minus mal minus gibt plus. Das Kreuz bringt zur Erkenntnis, wo Menschen an ihren Maßstäben scheitern. Es hilft, die Maßstäbe so zu verändern, dass sie lebendig machen. Lebendig, und: glücklich.