“… dass am Tisch unserer Gesellschaft alle einen Platz finden”
Der göttliche Gastgeber lässt sich die Laune nicht verderben
Predigttext: Matthäus 22, 1-4 (Martin Luther, Revision 2017)
1 Und Jesus fing an und redete abermals in Gleichnissen zu ihnen und sprach: 2 Das Himmelreich gleicht einem König, der seinem Sohn die Hochzeit ausrichtete. 3 Und er sandte seine Knechte aus, die Gäste zur Hochzeit zu rufen; doch sie wollten nicht kommen. 4 Abermals sandte er andere Knechte aus und sprach: Sagt den Gästen: Siehe, meine Mahlzeit habe ich bereitet, meine Ochsen und mein Mastvieh ist geschlachtet und alles ist bereit; kommt zur Hochzeit! 5 Aber sie verachteten das und gingen weg, einer auf seinen Acker, der andere an sein Geschäft. 6 Die Übrigen aber ergriffen seine Knechte, verhöhnten und töteten sie. 7 Da wurde der König zornig und schickte seine Heere aus und brachte diese Mörder um und zündete ihre Stadt an. 8 Dann sprach er zu seinen Knechten: Die Hochzeit ist zwar bereit, aber die Gäste waren's nicht wert. 9 Darum geht hinaus auf die Straßen und ladet zur Hochzeit ein, wen ihr findet. 10 Und die Knechte gingen auf die Straßen hinaus und brachten zusammen, alle, die sie fanden, Böse und Gute; und der Hochzeitssaal war voll mit Gästen. 11 Da ging der König hinein zum Mahl, sich die Gäste anzusehen, und sah da einen Menschen, der hatte kein hochzeitliches Gewand an, 12 und sprach zu ihm: Freund, wie bist du hier hereingekommen und hast doch kein hochzeitliches Gewand an? Er aber verstummte. 13 Da sprach der König zu seinen Dienern: Bindet ihm Hände und Füße und werft ihn in die äußerste Finsternis! Da wird sein Heulen und Zähneklappern. 14 Denn viele sind berufen, aber wenige sind auserwählt.
Lied: "Kommt her zu mir" (EG 363)
Jesus erzählt von einem Fest. Aber Feststimmung kommt bei dieser Geschichte nicht so richtig auf. Jesus spricht von einem Hochzeitsfest mit Hindernissen, und als es endlich stattfindet, endet es mit einem Eklat, ohne Happy end, zumindest für einen Gast. Man kann sich manches gut vorstellen. Man bereitet ein besonderes Fest vor, eine Hochzeit für den Sohn, die Tochter, und alles ist so weit gerichtet und organisiert – und keiner will kommen. Alle geladenen Gäste sagen ab. Man versucht es noch einmal, lädt wieder ein. Wieder sagen alle ab. Schieben wichtige Gründe vor, warum sie nicht kommen können: Acker und Geschäfte, die Arbeit geht vor.
Jesus erzählt die Geschichte als Gleichnis, als Bildgeschichte, als Vergleich. Der König ist Gott. Gott lädt ein. Gott ruft die Menschen zu sich als seine Gäste, er bietet ihnen seine Gastfreundschaft an. Er ruft sie zu einer Tischgemeinschaft. Gott lädt auch dich und mich ein. Nehme ich die Einladung an? Gott gibt nicht auf. Nächste Runde. Weitere Gäste werden geladen: Gott bittet alle Menschen zu sich, Gute und Böse, Kleine und Große, Alte und Junge Frauen und Männer, Arme und Reiche, Kranke und Gesunde. Die Tische werden nun doch voll. Dann kommt der Gastgeber und schaut sich die Gäste an. Da entdeckt er einen, der hatte kein hochzeitliches Gewand – er spricht ihn an, dem fällt nichts ein, er verstummt. Der Gastgeber lässt ihn hinauswerfen in die Finsternis. Gott lädt ein – man kommt zu ihm – und er wirft einen hinaus. Ist das der liebe Gott, der alle Menschen liebt und ihnen vergibt? Gott ist die Liebe, heißt es bei Johannes. Ist das Liebe? Einen einzuladen, und einen dann rauszuschmeißen in die Kälte und Finsternis? Versuchen wir uns der Frage anzunähern. Wenn man eine Einladung bekommen hat, bereitet man sich dem Anlass entsprechend vor. Man bereitet sich vor, man zieht sich entsprechend an, das kann der Gastgeber doch erwarten, dass ich mich bemühe, dem Anlass entsprechend zu kommen, bei einer Hochzeit also festlich. Darum geht es Jesus, er fragt mich: Bist du bereit, Gott zu begegnen?
Hochzeit, das heißt, dass Menschen sich verbinden und vermählen, eins werden und das Leben gemeinsam in guter Gemeinschaft teilen. Gerade das bietet Gott uns an: Eins mit uns. Es ist der mystische Gedanke der Vereinigung der menschlichen Seele mit Gott, Gott in mir und ich in ihm. Gott nimmt auf sich, was mich bewegt, belastet, bedrückt, trägt das mit mir, will mich, will meine Seele davon befreien. “Kommt her zu mir alle, die ihr mühselig und beladen seid, ich will euch erquicken”, spricht Jesus. Doch um diese Verbindung einzugehen, muss ich bereit sein, bereit für Wege, die dem Willen Gottes entsprechen. Wege der Liebe. Der kritischen Frage, Mahnung und Drohung mit Rauswurf zum Trotz ist das Gleichnis zuallererst eine Einladung: Komm doch zu diesem Fest! Das Fest findet auf jeden Fall statt. Der göttliche Gastgeber lässt sich die Laune nicht verderben. Gott will die Gemeinschaft und festliche Freude für seine Menschen.
Vor allem aber ist das Bild des göttlichen Gastmahls insgesamt etwas durch und durch Positives: Die Gesellschaft als Tischgemeinschaft, so hat Peter Sloterdijk die Pointe dieses Gleichnis einmal auf den Punkt gebracht. Die große Vision des Christentums ist, dass alle Menschen der Gesellschaft an einem Tisch versammelt sind. Niemand, der sich nicht selbst ausschließt, ist von dieser Tischgemeinschaft ausgenommen. Alle können miteinander essen und trinken, fröhlich sein und feiern. Wenn heutzutage immer wieder die christlichen Werte und das Erbe der christlichen Kultur beschworen werden, dann stellt uns unser Gleichnis einen der wichtigsten dieser christlichen Werte und Impulse vor: Die Gesellschaft als Tischgemeinschaft. Das Gleichnis erzählt von einer göttlichen Einladung, von der Einladung zum göttlichen Freudenmahl und zum göttlichen Heil. Aber das heißt bei Jesus nun gerade nicht, dass dieses Fest erst irgendwann einmal in ferner Zukunft, gar im Jenseits stattfinden wird. Für Jesus erfolgt die Einladung zu diesem Fest jetzt. Die Mahlzeiten, zu denen Jesus einlädt, versteht er als Anbruch von Gottes neuer Welt.
Das Christentum, so wurde es von Friedrich Schleiermacher schon am Anfang des 19. Jahrhunderts formuliert, hat eine demokratische Tendenz. Was wir heute an Demokratie und Menschenrechten verwirklicht sehen, geht unter anderem auf diesen Impuls Jesu zurück. Dass es auf dem Weg zur Gesellschaft als Tischgemeinschaft Rückschläge und Hindernisse gibt, ist klar und erwartbar, dass auch Demokratie gefährdet ist, ist derzeit deutlich. Aber der Impuls, den Jesus mit seinem Gleichnis gesetzt hat, hat gezündet. Nun liegt es an uns, dieses Erbe fortzuführen und uns dafür einzusetzen, dass am Tisch unserer Gesellschaft alle einen Platz finden.