… dass die Menschen wieder Hoffnung haben

Sich neu wahrnehmen - als Seine Königskinder

Predigttext: Sacharja 9,9-10 (mit Einführung)
Kirche / Ort: Hamburg
Datum: 29.11.2020
Kirchenjahr: 1. Sonntag im Advent
Autor/in: Pastor Christoph Kühne

Predigttext: Sacharja 9,9-10 (Übersetzung nach Martin Luther, Revision 2017)

9 Du, Tochter Zion, freue dich sehr, und du, Tochter Jerusalem, jauchze! Siehe, dein König kommt zu dir, ein Gerechter und ein Helfer, arm und reitet auf einem Esel, auf einem Füllen der Eselin. 10 Denn ich will die Wagen vernichten in Ephraim und die Rosse in Jerusalem, und der Kriegsbogen soll zerbrochen werden. Denn er wird Frieden gebieten den Völkern, und seine Herrschaft wird sein von einem Meer bis zum andern und vom Strom bis an die Enden der Erde.

Eigene Übersetzung (Christoph Kühne)

Sach 9,9 (IHVH oder ein „Herold“ spricht:) Freu dich sehr, Tochter Zion / Schrei vor Freude, Tochter Jerusalem / Siehe, dein König kommt zu dir / gerecht und hilfreich (siegreich) (ist) er // ein Gebeugter (demütig, unfrei) und reitend auf einem Esel / und auf einem Füllen, einem Grautierjungen (Reittier für Männer). 10 (IHVH oder sein Herold:) Und ich werde ausrotten (abschneiden) das Streitgefährt von Ephraim (Nordreich) und die Rossmacht von Jerusalem (Südreich) / und es wird ausgerottet der Bogen des Kriegs / und er wird Frieden zusprechen den Völkern // und er wird herrschen von dem einen Ende der rings von Wasser umgebenen Erdscheibe bis zum anderen / und vom Strom bis an den Rand der Erde.

Erste Gedanken beim Lesen des Textes

Der Text springt mir entgegen: Die Worte kenn ich! Liedmelodien wachen auf. Bilder werden deutlich: Ein König reitet (im Damensitz) auf einem Esel.

Welche Bedeutung hat das Füllen der Eselin? Die Begründung für dieses Bild folgt: Gott selber will Kriegsgeräte aus dem 12-Stämme-Bund entfernen. Warum? Dann will Gott „den Völkern“, also wohl - von Israel aus - den „Heiden“, uns (!) - Frieden gebieten. Kann er das?

Von menschlichem Tun ist nicht die Rede! Und schließlich wird betont, dass Gottes Herrschaft „von einem Meer bis zum andern und vom Strom bis an die Ende der Erde“, also auf der ganzen (damals bekannten) Welt reichen wird. „Friede auf Erden“ (Weihnachten !) fällt mir ein.

Und wo bleiben die Menschen? Sie bilden eine „Negativfolie“, weil sie offensichtlich nur an Krieg und Zerstörung Interesse haben. Wie will Gott seinen „Frieden“ in der Welt erreichen? Ohne Menschen? Und wann will er das tun? Und wie?

Ich lese am Beginn der Perikope eine Ansprache an die „Tochter Zion“ und die „Tochter Jerusalem“. Ein König zieht bereits in die Stadt ein, „ein Gerechter und ein Helfer“. Bekommen die Menschen diesen Einzug mit? Oder sind sie noch zu sehr mit Konflikten, Auseinandersetzungen und Kriegen beschäftigt?

Ein aktueller Gedanke: Zieht heute in Corona-Zeiten „ein Gerechter und ein Helfer“ bei uns ein? Doch wohl kaum mit einem Esel! Wie sonst? Ich bin gespannt auf die Lektüre des Textes!

Anmerkungen zum Predigttext

Die Perikope findet sich in zwei anonymen Sammlungen, die dem Sacharjabuch angefügt sind und „Deuterosacharja“ genannt werden (Sach 9-14). Themen von DtSach sind Ankündigungen der Heilszeit für Zion wie auch für „die Völker“, sowie die Ziontradition und die Erwartung eines „allein von Gott beschützten neuen Jerusalems“.

Sach I (= IHVH hat sich erinnert), ist der Sohn von Iddo (Sach 1,1). Er stammt aus einer Priesterfamilie. Seine datierbaren Worte und Visionen sind in der Zeit 520-518vC entstanden - also knapp zwanzig Jahre nach dem Ende des »Babylonischen Exils«. Sacharja tritt in einer Zeit auf, in der sich die Hoffnungen auf eine schnelle und großartige Restauration Israels nicht erfüllt haben (vgl. Haggai) und in der der Zweite Tempel noch nicht eingeweiht ist (515 v. Chr.). Nach den Visionen hat er wohl in Judäa (Jerusalem) gewirkt.

Die Perikope erinnert an Sach 2,14ff. Sach 3,10 malt das Bild vom Weinstock, unter den „einer den andern einladen (wird)“. Sach I will, dass kein Unrecht an Witwen, Waisen, Fremdlingen und Armen geschieht (Sach 7,9f. 8,16f).

Literatur

https://www.grin.com/document/110835

 

 

 

 

 

 

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Mit dem heutigen Sonntag endet die 4-wöchige Zeit des Lockdown. Ein Musiker aus Ahrensburg bei Hamburg hat in diesem Corona-Jahr „Fastenbriefe“ an seine Chormitglieder geschickt und damit diesem Jahr eine nachdenkliche Bedeutung gegeben. Wir befinden uns immer noch in einer Fastenzeit. Auch die nun beginnende Adventszeit ist eine Zeit der Zurüstung, der Stille, der Besinnung – und früher auch des Fastens. Auf Weihnachten hin.

I.

Ich weiss noch, wie ein Journalist des Hamburger Abendblatts vor 4 Wochen den Lockdown als Vorbereitung auf Weihnachten beschrieben hat: Haltet Euch an die Regeln! Damit können wir das Virus besiegen. 4 Wochen Verzicht – und dann an Weihnachten wieder Freude, Zusammentreffen, Kontakt. neues Leben. Was ist heute davon geworden?

Wir sind alle hungrig nach Leben, nach Berührung, nach Feiern und ausgelassenem Tanzen. Wir haben Verzicht geleistet, haben andere Kommunikationsmittel miteinander entdeckt, vielleicht wieder Briefe geschrieben, vielleicht neu gesehen, mit wem ich eigentlich wirklich Kontakt haben will. Neue Suche nach Menschen, die uns bereichern und unser Leben lebenswert machen …

II.

Vielleicht haben die Menschen im 6. vorchristlichen Jahrhundert ähnliche Erfahrungen gemacht. Gut 20 Jahre waren es her, dass erst Israels Nordreich und schließlich auch das Südreich, also Judäa und Jerusalem deportiert worden sind. Der Staat Davids ist zerschlagen. Fremde Herrscher regieren das Land. Familien sind auseinandergerissen wie auch Freundschaften. Die Armut ist größer geworden. Der soziale Frieden ist hin. Misstrauen und Missgunst herrschen. Mit der Zerstörung des Tempels ist auch der „Schemel Gottes“ zerbrochen.

Wo ist Gott? Wie lange müssen wir diese Zeit aushalten? Wann kommt Gott zurück? Gibt es ihn überhaupt – die Götter der „Heiden“ sind sichtbar. Sie stellen etwas her: Macht, Schönheit, Glanz. Sie stehen in Tempeln. Priester opfern ihnen. Die Menschen lassen sich die Opfer etwas kosten. Aber die zurückgebliebenen Israeliten haben keinen Halt mehr. Im Laufe der Zeit werden Begegnungshäuser, Synagogen, den Tempel ersetzen. Aber ist Gott dort gegenwärtig? Die „Heiden“ können ihre Götter bezirzen, können sie füttern und gnädig stimmen. Aber wie erreichen wir nach dem Fall des Tempels unseren Gott, fragen sich die Menschen verzweifelt?

III.

Da tritt in Israel ein Mann auf. Er stammt aus einer Priesterfamilie, die nach Babylon deportiert und verschleppt worden ist. Sacharja heisst der Mann. Sein Name ist Programm: „IHVH hat sich erinnert“. Gott ist also kein Gebilde aus Gold, Stein oder Metall, sondern er ist eher mit menschlichen Zügen versehen. Er kann vergessen und sich erinnern. Was heisst das?

Sacharja hat Visionen. Die Menschen nennen ihn deshalb einen Propheten, also einen Menschen, der durch die Dinge blickt und Gottes Gedanken weitergibt. Die Visionen (in den ersten 8 Kapiteln des Sacharjabuches) sind – für mich – schwer zu verstehen. Haben sie die Menschen damals in ihrer Fastenzeit getröstet?

Ein anonymer Mensch übernimmt das Anliegen von Sacharja. Er nennt sich mit dem selben Namen: Sacharja. Er will, dass die Menschen wieder Hoffnung haben, dass sie leben und lachen lernen. Dass die Fastenzeit vorüber ist. Das die Fremdheit aufgehoben ist und die Menschen sich wieder begegnen, wie sie auch Gott wieder begegnen können. Und dazu mutet er den Verzweifelten ein Bild zu, dass auch heute zu den bekanntesten Bildern der Bibel gehört. Und das Freude wecken will. Ich lese Sach 9,9+10:

(Lesung des Predigttextes)

Die Bilder leuchten: Ein Mensch sitzt auf einem Esel – oft im Damensitz dargestellt. Seine Insignien weisen ihn als König aus. Jubelnde Menschen winken mit Palmzweigen, legen Teppiche und ihre Kleider auf den Weg: Kein Stäubchen soll ihn netzen! Doch dieser König ist zerrissen: einerseits sieht man ihn „gerecht und siegreich“. Andrerseits ist er „demütig“. Das hebräische Wort drückt Abhängigkeit aus, Unmündigkeit.

Hier ist ein Mensch, der rechtlos ist, unterdrückt, den man über den Tisch zieht, ihn auspresst, verflucht. Ist er einer von uns in seiner Hoffnungslosigkeit, Verzweiflung, Aussichtslosigkeit? Könnte er die heutigen Kollegen mit Kurzarbeit oder sogar Arbeitslosigkeit verstehen? Kennt er die Angst vor Covit 19, die Ängste vor Ansteckung, vor bleibenden und langwierigen Schäden?

IV.

Sacharja mutet uns einen solchen König zu, der bei uns einzieht – der Prophet spricht im Präsenz: „Heute muss ich in deinem Hause sein!“ wird Jesus später einmal dem Zöllner Zachäus zurufen  (Luk 19,5). Das ist der Gott der Bibel, der uns gerecht, der „hilfreich“ sein will (in diesem Wort verbirgt sich der Name Jesus).

In der damaligen Zeit nach der „Babylonischen Gefangenschaft“ wie auch in der heutigen „Fastenzeit“ von Covid 19, in der wir unsicher sind, wie wir uns miteinander verhalten sollen, in der Regeln unser Leben bestimmen und ein Virus, dessen Kraft und Gefährlichkeit immer noch nicht sicher erwiesen sind.

In einer Zeit, in der Berührung eine Gefahr darstellt, in der Singen zu einer Waffe geworden ist und Zärtlichkeit neu durch „Abstand“ definiert wird. In einer Zeit, in der wirtschaftliche, kulturelle und persönliche Zusammenbrüche an der Tagesordnung sind. In einer solchen Zeit zieht Gott ein. Ist uns da zum Jauchzen, zum Singen, zum Jubeln und Feiern?

Dieser „König“ lässt unsre Waffen zerbrechen, lässt uns weich werden, lässt uns hinsehen, wer der Andere ist. Er lässt eine neue Begegnung zwischen uns Menschen zu. Wir nehmen uns neu wahr als Seine Kinder. Die Corona-Zeit hat viele neue kreative Versuche mit sich gebracht. Viele YouTube-Gottesdienste sind von einer Phantasie geprägt, die ich vorher nicht erlebt habe.

Ich erinnere gerne einen „Gottesdienst“ in Flensburg, wo in einer Stadtkirche ein junger Mann mit einem Cross-Rädchen auf einer Half pipe gefahren ist. Dazu spielte die Orgel einen Osterchoral. Und der Filmer hat den Akrobaten in fliegenden Posen festgehalten. Im Hintergrund ein Ölgemälde vom sinkenden Petrus. Als Zuschauer habe ich die gewaltige Kraft von Ostern neu erlebt …

Gott zieht jetzt schon bei uns ein. Manchmal erkennen wir ihn daran, dass sich unter uns Menschen eine Gelassenheit ausbreitet, ein Frieden, eine Versöhnung, die wir vorher nicht geahnt haben. Und es ist „Frieden auf Erden und den Mensch (s)ein Wohlgefallen“. So werden wir es Weihnachten wieder erleben.

 

 

 

 

 

 

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Ein Kommentar zu “… dass die Menschen wieder Hoffnung haben

  1. Pastor i.R.Heinz Rußmann

    Die frohe Ankündigung von Jesu Einzug in Jerusalem und seine Friedensbotschaft wird bei Sacharja schon prophezeit. Im Sinne der Predigt von Pastor Kühne sollen wir Jesus einziehen lassen in unsere Gesellschaft und in unser Leben und heute Gelassenheit und Frieden und Versöhnung verbreiten. In dieser Adventszeit soll ja ganz einmalig die bedrückende Corona-Zeit gemildert werden. Gemilderte Coronazeit und Adventszeit sind erstmal Zeiten der Besinnung , auch weil wir hungrig sind nach Leben und Kontakten. Der Prediger zieht interessante Parallelen vom Predigttext und den notvollen Zuständen bei der Deportation der Israeliten nach Babylon und heutiger Corona-Zeit und dem hoffnungsvollen Auftreten eines Heils-Propheten und dem Auftreten von Jesus in der Adventszeit. Gott will auch jetzt bei uns einziehen und inneren Frieden verbreiten. – Eine gelungene Predigt welche den alttestamentlichen Text mit Jesus und unserm Heute aktuell verbindet.

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