“… dass die Welt glaube”

Wo ist der Platz der Kirche?

Predigttext: Johannes 15,1-8 (mit liturgischen Empfehlungen)
Kirche / Ort: Heidelberg
Datum: 03.05.2020
Kirchenjahr: Jubilate (3. Sonntag nach Ostern)
Autor/in: Kirchenrat Pfarrer Dr. theol. Heinz Janssen

Predigttext: Johannes 15,1-8 (Übersetzung nach Martin Luther, Revision 1984) 1 (Jesus Christus spricht:) Ich bin der wahre Weinstock, und mein Vater der Weingärtner. 2 Eine jede Rebe an mir, die keine Frucht bringt, wird er wegnehmen; und eine jede, die Frucht bringt, wird er reinigen, daß sie mehr Frucht bringe. 3 Ihr seid schon rein um des Wortes willen, das ich zu euch geredet habe. 4 Bleibt in mir und ich in euch. Wie die Rebe keine Frucht bringen kann aus sich selbst, wenn sie nicht am Weinstock bleibt, so auch ihr nicht, wenn ihr nicht in mir bleibt. 5 Ich bin der Weinstock, ihr seid die Reben. Wer in mir bleibt und ich in ihm, der bringt viel Frucht; denn ohne mich könnt ihr nichts tun. 6 Wer nicht in mir bleibt, der wird weggeworfen wie eine Rebe und verdorrt, und man sammelt sie und wirft sie ins Feuer, und sie müssen brennen. 7 Wenn ihr in mir bleibt und meine Worte in euch bleiben, werdet ihr bitten, was ihr wollt, und es wird euch widerfahren. 8 Darin wird mein Vater verherrlicht, daß ihr viel Frucht bringt und werdet meine Jünger.

Zum Predigttext und zur Gestaltung der Predigt

Der Weinstock ist eine wichtige biblische Metapher zur Veranschaulichung der Beziehung zwischen Gott und seinem Volk (zB Jesaja 5) bzw. Jesus und den Seinen (Johannes 15,1-8). Die Predigt zur Gleichnisrede Jesu vom Weinstock und Weingärtner habe ich mit acht Mitarbeiterinnen und Mitarbeitern der Gemeinde vorbereitet. Jesu Worte regten uns an, über unseren persönlichen Platz und den Platz von Kirche und Gemeinde im Bild des Weinstocks nachzudenken. Die Ergebnisse der Gespräche habe ich in acht Sprecheinheiten verarbeitet, die – wie auch die Bibelverse - von den genannten Mitarbeiterinnen und Mitarbeitern gesprochen werden. Zusammen mit mir sind es neun Sprecherinnen und Sprecher, und es kommen die Choristinnen und Choristen hinzu, die im Wechsel mit der Gemeinde in das Verkündigungsgeschehen einbezogen sind (der Part des Chores kann auch von der Gemeinde oder einem kleinen Ad-hoc-Chor übernommen werden). Selbstverständlich gehe ich bei dieser Verkündigungsform nicht auf die Kanzel, sondern bleibe auf der Ebene der anderen Mitbeteiligten.

Lieder:

Eingangslied bzw. Loblied, das am Ende der Predigt nocheinmal aufgenommen wird: „Jubilate Deo“ (EG 181.7, Kanon)

 

 

Lied vor der Predigt: „Bei dir Jesus will ich bleiben stets in deinem Dienste stehen; nichts soll mich von dir vertreiben, will auf deinen Wegen geh. Du bist meines Lebens Leben, meiner Seele Trost und Kraft, wie der Weinstock seinen Reben zuströmt Kraft und Lebenssaft“ (EG 406)
Schlusslied: „Dank sei dir, Vater“ (EG 227, besonders Strophe 5 „…eins laß uns sein wie Beeren einer Traube, dass die Welt glaube“)

 

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“Bei dir, Jesu, will ich bleiben…”, so heißt es in dem Liedtext von Philipp Spitta. In dem Lied klingt das Bild vom Weinstock an, das im Predigttext entfaltet ist. Der Weinstock ist ein Bild für Gemeinschaft, Zusammengehörigkeit, guter Beziehung, ein Bild für Kirche. Um dieses Miteinander einmal sichtbar und hörbar zum Ausdruck zu bringen, gestalten jetzt mehrere Mitarbeiterinnen und Mitarbeiter die Predigt mit. Jede und jeder wiederholt einen Bibelvers des Predigttextes in der ökumenischen Übersetzung “Die Gute Nachricht Bibel” und sagt einige Gedanken dazu. Der Chor (bzw. die Gemeinde) nimmt die Bibelworte und Gedanken mit Bittgesängen aus Taizé auf.

(Vers 1) Jesus Christus spricht: Ich bin der wahre Weinstock, und mein Vater der Weinbauer.
(Vers 2) Er entfernt jede Rebe an mir, die keine Frucht bringt; aber die Frucht tragenden Reben reinigt er, damit sie noch mehr Frucht bringen.

(Lied:) „Bleibet hier und wachet mit mir“ (EG 789. 2)

SprecherIn 1:
Jesus ist der wahre Weinstock, gepflanzt von Gott, dem wahren Weinbauer. Gott gab Jesus einen Auftrag: Er soll die göttlichen Wahrheiten und Weisheiten – wie ein Weinstock die Kraft und den Saft – weitergeben, damit viele und gute Früchte wachsen können. Die Früchte sind wir, die wir zu ihm gehören. Doch muss der Weingärtner nicht an verschiedenen Orten verschiedene Weinstöcke pflanzen? Jeder Boden lässt die Pflanzen anders gedeihen.

SprecherIn 2:
Durch meinen Glauben an Gott fühle auch ich mich als Rebe am Weinstock, sie besteht aus vielen vielen kleinen einzelnen Trauben. Einige dieser Trauben symbolisieren für mich Glaube, Mut Kraft, Stärke und Liebe. Ich möchte sie einsetzen für meine Familie, meine Freunde und Bekannten, für meinen Beruf, für meine Interessen und Hobbys, für neue Ideen, für Fremde, für meine Kirchengemeinde. Ich habe keine Angst, dass ich als Rebe am Weinstock keine Frucht bringe. Wenn auch die eine oder andere Traube vertrocknet oder gar verschimmelt, so gibt es doch reichlich Früchte, die kräftig und süß werden.

(Lied) „Bleib mit deiner Gnade bei uns“ (EG 789. 7)

(Vers 3) Ihr seid schon rein geworden durch das Wort, das ich euch verkündet habe.
(Vers 4) Bleibt mit mir vereint, dann werde auch ich mit euch vereint bleiben. Nur wenn ihr mit mir vereint bleibt, könnt ihr Frucht bringen, genauso wie eine Rebe nur Frucht bringen kann, wenn sie am Weinstock bleibt.

(Lied) „Bleibet hier und wachet mit mir“ (EG 789, 2)

SprecherIn 3:
Rein werden durch Worte – welch ein großes Geschenk! Ich brauche Ohren, um zu hören, und ein Herz, um zu glauben und berührt zu werden. Wenn ich die Worte der Verkündigung Jesu höre, annehme und in mir wirken lasse, so werden die dunklen, schattigen Seiten meines Lebens erhellt, und ich kann mich im Vertrauen auf Gott mit ihm vereint fühlen. Die Worte, die Christus spricht, sind von Gottes gutem Geist erfüllt und bringen das Leben.

SprecherIn 4
Jeder Weinstock braucht seinen bestimmten Platz. Wird er von uns wahrgenommen? Wer hilft mit bei der Pflege des Weinstocks? Wir haben eine Aufgabe. Ich wünsche mir, dass die guten Früchte auch in unserer Kirche wachsen und gesehen werden.

(Lied) „Bleib mit deiner Gnade bei uns“ (EG 789. 7)

(Vers 5) Ich bin der Weinstock und ihr seid die Reben. Wer mit mir verbunden bleibt, so wie ich mit ihm, bringt reiche Frucht. Denn ohne mich könnt ihr nichts ausrichten.
(Vers 6) Wer nicht mit mir vereint bleibt, wird wie eine abgeschnittene Rebe fortgeworfen und vertrocknet. Solche Reben werden gesammelt und ins Feuer geworfen, wo sie verbrennen.

(Lied) „Bleibet hier und wachet mit mir“ (EG 789. 2)

SprecherIn 5:
Für mich ist dies eine großartige Verheißung, ein Versprechen der besonderen Zuwendung Jesu: Er ist der Weinstock, aus dem wir als Reben unsere Kraft zugeführt bekommen. So können wir als ein Jahrgang an diesem über 2000 jährigen Weinstock neu austreiben, Blätter bilden, Fruchtknoten ansetzen, die auf Bestäubung warten. Sie sollen vor Frost bewahrt bleiben. Es ist uns reiche Frucht verheißen, wenn wir mit ihm verbunden sind. Gott ist es, der den Jahreslauf bestimmt und damit auch unser Wachsen, die Reife und die Ernte!

SprecherIn 6
: Es kommt darauf an, dass wir uns an Gott, seine Kraft, seinen Geist, an Jesus binden. Wir sind nicht immer in Verbindung mit ihm, wir sind nicht immer in ihm. Machen wir nicht alle diese Erfahrung? Wir fühlen uns oft wie verdorrt. Aber wir sind nicht allein. Wir werden gesammelt, wenn wir wie die Reben verdorrt sind, und wir kommen ins Feuer. Feuer ist für mich Sinnbild einer großen Verwandlungskraft. Es steht für mich für die Verwandlung, die mit uns geschehen muss, wenn wir nicht in ihm sind.

(Lied) „Bleib mit deiner Gnade bei uns“ (EG 789. 7)

(Vers 7) Wenn ihr mit mir vereint bleibt und meine Worte in euch lebendig sind, könnt ihr den Vater um alles bitten, was ihr wollt, und ihr werdet es bekommen.
(Vers 8) Die Herrlichkeit meines Vaters wird ja dadurch sichtbar, daß ihr reiche Frucht bringt und euch so als meine Jünger erweist.

(Lied) „Bleibet hier und wachet mit mir“ (EG 789. 2)

SprecherIn 7
Diese Zusage Jesu kann eine tröstliche Perspektive sein, aber auch eine Hürde. Ein Mensch, dessen Bitten nicht oder nicht in der von ihm erhofften Weise erfüllt werden, könnte zu der Meinung kommen, er habe im Glauben versagt, was ihn in große Nöte stürzen kann. Ich glaube nicht, dass es Jesus in das Belieben des Menschen stellte, um alles bitten zu können, vielmehr verstehe ich seine Worte so: Jesus hat es als eine Konsequenz von Glauben und Bewahrung seiner Worte und Verkündigung angesehen, dass der Mensch gegenüber Gott Bitten äußern wird, wann immer ihm danach ist.

SprecherIn 8:
Aus dem Zusammenhang der Abschiedsrede, in dem Jesu Gleichnis steht, klingt die Angst der Jünger an, wie es weitergehen soll. Jesus ermutigt seine Jünger, auch nach Jesu Abschied weiterzumachen, in seinem Sinne zu leben und zu handeln, um damit Gott zu verherrlichen. In der Bergpredigt sagte Jesus: “Lasst euer Licht leuchten vor den Leuten, damit die Leute eure guten Worte sehen und unseren Vater im Himmel preisen”. Gott will in und durch uns wirken.

(Lied) Bleib mit deiner Gnade bei uns (EG 789.7)

PfarrerIn
Wo ist der Platz der Kirche in Jesu Bildwort vom Weinstock, von den Reben, der Frucht und den Früchten? Gehen wir davon aus, dass der Weinstock im Ersten Testament, der Hebräischen Bibel, oft ein Bild für das Gottesvolk Israel ist, so ist von vornherein deutlich: Die Kirche nimmt nicht den Platz des biblischen Israel ein. Sie gehört zu den Reben – und Jesus, der Christus, ist es, der in Jesu Gleichnis vom Weinstock, beide, Israel und die Kirche, verbindet. Der Weinstock und die Reben dürfen nicht miteinander verwechselt, und die Kompetenz Gottes, des Weingärtners, darf durch manche schnelle “Veredelungsversuche” nicht eingeschränkt werden.

Mir gefällt das Bild, das uns Jesus mit seinen Worten vom wahren Weinstock vor unsere Augen malt, ein starkes Bild für Zusammengehörigkeit und Zusammenwachsen, zugleich eine Warnung vor dem “Ohne-mich” oder “Nur-ich-allein”-Standpunkt: Alle haben einen Platz, und niemand ist unwichtig, geringer, weniger oder mehr Wert, wir gehören zusammen, können wachsen und zusammenwachsen.

Und die Frucht, die Früchte? – Wir können sie mit dem Handeln der Kirche in Nächstenliebe, Diakonie und lebenspraktischer Antwort auf die Herausforderungen unserer Zeit in Verbindung bringen. “Wir wollen leben, was wir glauben”, ist ein Leitsatz in der Diakonie. In einem Glaubensbekenntnis heißt es: “Ich glaube an Jesus von Nazareth, den Lebendigen… Jesus von Nazareth heißt mich hoffen, dass Menschen miteinander leben können, ohne sich gegenseitig auszustechen… und klein zu machen. Er heißt mich hoffen, dass die Menschen die Erde nicht zerstören werden. Deshalb glaube ich an eine Kirche der Zukunft, an eine Kirche, in der sich die Gebeugten aufrichten können, Hungernde satt werden und Traurige wieder atmen können…”

Dieser Bibeltext erinnert uns an das Sorgen Gottes für uns. Mit seinem Gleichnis vom Weinstock will Jesus in uns das Vertrauen wecken: Gott wird wie ein Weingärtner Sorgfalt walten lassen, auch beim Beschneiden, Wegnehmen und Reinigen der Reben. Es sind Bilder der Veränderungen zum Guten hin, Bilder der ständigen, immer wieder möglichen Erneuerung, die uns tiefer sehen lassen, auch wenn wir das Gute nicht immer auf den ersten Blick erkennen. Wir können leicht mutlos werden, wenn unsere Aktionen nicht den erhofften Erfolg haben. Aber bedenken wir: Schon ein einziger Weinstock, eine einzige Rebe, Beere oder Traube können köstlichen Wein hervorbringen, der „des Menschen Herz erfreut“ (Psalm 104). Es kommt nicht auf die Masse an, sondern dass ein einzelner Mensch erkennt, wohin er gehört. “Eine Traube von Gott füllt alle Krüge mit Wein” (J. G. Hamann), und viele Beeren ergeben eine Traube. „Eins laß uns sein wie Beeren einer Traube, dass die Welt glaube“, heißt es in einem Lied (EG 227,5). Was immer sich verändert und ändern muss oder gegen unseren Willen geschieht und uns enttäuscht – eine Kirche, eine Gemeinde, die Gott vertraut und mit Jesus in Verbindung bleibt, hat Zukunft und bringt in der Kraft des Heiligen Geistes reiche Frucht. „Die Frucht des Geistes aber“, schreibt der Apostel Paulus, „ist Liebe, Freude, Friede, Langmut, Freundlichkeit, Güte, Treue, Sanftmut und Selbstbeherrschung“. Indem wir uns daran stets von Neuem orientieren, ehren und loben wir Gott. „Jubilate Deo“. Stimmen wir ein! (EG 181.7)

 

 

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2 Kommentare on ““… dass die Welt glaube”

  1. Hans-Dieter Krüger

    Es ist nahe liegend und richtig, den Predigttext mit dem schönen Lied von Spitta „Bei dir Jesu will ich bleiben“ zu verbinden. Interessant, selten zu finden und gut gelungen halte ich auch die Arbeit des Predigtvorbereitungskreises, wie die einzelnen Bildern dieses Jesuswortes interpretiert wurden und das in einer bemerkenswert angenehm moderaten Sprache, wobei ich mich noch mehr auf das Thema „Frucht bringen“ konzentriert hätte und zur Akzentuierung unbedingt den Apostel Paulus mit seinen Worten aus Galater 5 herangezogen hätte: „ 22 Die Frucht des Geistes aber ist Liebe, Freude, Friede, Langmut, Freundlichkeit, Güte, Treue, 23 Sanftmut und Selbstbeherrschung“. Dankbar wären die Lesenden, wenn die Liedstrophen nicht nur angegeben, sondern auch ausgedruckt würden.

  2. Heinz Janssen

    Lieber Kollege Krüger,
    ich danke Ihnen sehr für Ihren freundlichen Kommentar. Sehr dankbar bin ich Ihnen für den Hinweis auf das wichtige Pauluswort. Ich habe es soeben noch eingearbeitet. Die Liedstrophen werde ich morgen noch ausschreiben. Die Predigtausarbeitung ist ja z.Zt. zum Lesen bestimmt. Vielleicht können sich die Lesenden in der einen oder anderen Stimme finden.
    Sehr dankbar für Ihre Mitarbeit und Ihr Mitdenken grüßt Sie
    Ihr Heinz Janssen

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