In unserer Gegend wird der Geburtstag Johannes des Täufers – zugleich der Tag der Sommersonnenwende – mit eigenen Gottesdiensten begangen, sei es wie in Jochsberg am Sonntag vor dem 24. Juni, sei es wie in Wiedersbach und Leutershausen mit abendlichen Gottesdiensten im Freien am Gedenktag selbst. Es ist eine Feier am Höhepunkt des Jahres. Weil viele Gemeindeglieder beim Gottesdienst stehen müssen, sollte sich die Predigt nicht unnötig in die Länge ziehen. In diesem Jahr hat die Kirche für die Predigt an Johanni den Bericht von der Verkündigung des Johannes im Matthäusevangelium, Kapitel 3,1-12, vorgesehen. Ich lese daraus drei Verse (V. 1-2 und V. 10):
Zu der Zeit kam Johannes der Täufer und predigte in der Wüste von Judäa und sprach: Tut Buße, denn das Himmelreich ist nahe herbeigekommen!
Es ist schon die Axt den Bäumen an die Wurzel gelegt. Darum: Jeder Baum, der nicht gute Frucht bringt, wird abgehauen und ins Feuer geworfen.
„Es ist schon die Axt den Bäumen an die Wurzel gelegt.“, sagt Johannes. Ein erschreckender Satz. Wir hören ihn in der Zeit des Jahres, da „die Bäume voller Laub“ stehen und „das Erdreich seinen Staub“ mit einem „grünen Kleid“ bedeckt. Die Linden durften in dieser Zeit, die Eichen rauschen im Wind, die Ahornbäume strecken sich der Sonne entgegen.
Freilich: Es gibt allenthalben Bäume, die nur noch auf die Axt warten. Ein paar Jahre lang bin ich öfters zu Gastpredigten in den Frankenwald hinaufgefahren. Hinter Kronach wird das Tal enger, an den Hängen rechts und links der Bahnstrecke stehen kilometerweit die kahlen, brauen und grauen Bäume, Skelette nur noch. Die Axt kommt in Gestalt der Harvester, die Bäume in kürzester Zeit in Hackschnitzel verwandeln. Auch in unserer Gegend spricht man vom „Käferholz“, von Bäumen also, die in den Dürresommern dem Borkenkäfer nichts mehr entgegensetzen können.
„Es ist schon die Axt den Bäumen an die Wurzel gelegt.“ Ja, aber noch umgeben uns die Bäume, die voller Laub stehen, die duften und leuchten im Licht der Morgen- und der Abendsonne. Noch sehen wir in den Apfelbäumen die kleinen, grasgrünen Früchte und hoffen, dass sie bis zur Ernte hängen bleiben und reifen. Auch der strenge Prediger Johannes rechnet damit, dass Bäume stehen und gute Frucht bringen. So lasst uns heute von Bäumen sprechen. Ich mache dabei drei Schritte: Bäume als Trost; Bäume in der Bibel; Bäume als Gleichnis für uns Menschen.
Bäume als Trost
Immer wieder einmal greife ich zu einem kleinen Bändchen mit Briefen von Rosa Luxemburg. Am 3. Juni 1917 schreibt sie aus dem Gefängnis in Wronke an ihre Freundin Sonja Liebknecht:
„Sonjuscha, wissen Sie, wo ich bin, wo ich Ihnen diesen Brief scheibe? Im Garten! Ich habe mir ein kleines Tischchen herausgeschleppt und sitze nun versteckt zwischen grünen Sträuchern. Rechts von mir die gelbe Zierjohannisbeere, die nach Gewürznelken durftet, links ein Ligusterstrauch, über mir reichen ein Spitzahorn und ein junger, schlanker Kastanienbaum einander ihre breiten, grünen Hände, und vor mir rauscht langsam mit ihren weißen Blättern die große, ernste und milde Silberpappel. Auf dem Papier, auf dem ich schreibe, tanzen leichte Schatten der Blätter mit hellen Lichtkringeln der Sonne …“. Sie fährt fort: „Man spürt schon die Johannistimmung – die volle, üppige Reife des Sommers und den Lebensrausch.“
Rosa Luxemburg gehörte und gehört wohl immer noch zu den Schrecken des deutschen Bürgertums. Dennoch war das Kaiserreich klug genug, ihr auch im Gefängnis einen Aufenthalt im Garten zu gestatten. Im Januar 1919 wurde sie verraten und ermordet – von Leuten, die auch heute wieder Gesinnungsgenossen in Deutschland haben. Doch der Hauptmann Waldemar Pabst, der damals den Befehl zu ihrer Ermordung gab, berichtet noch 1962: „Wie sie abgeholt wurde zum Transport, hat sie in Goethes Faust gelesen, Faust II sogar.“ Rosa Luxemburg war keine Christin, auch keine gläubige Jüdin. Aber sie schöpfte ihren Trost aus den Bäumen im Garten des Festung Wronke und aus der Stimme des Rotkehlchens vor ihrem Fenster. Mit diesem Trost konnte sie leben und kämpfen gegen den Krieg und die Kriegsbegeisterung in Deutschland. Mit diesem Trost konnte sie am Ende auch sterben.
Bäume in der Bibel.
Wer in der Bibel nach Bäumen sucht, der findet schnell und viel. Das fängt natürlich an mit dem „Baum des Lebens“ im Garten Eden, dem Baum, dessen Früchte so ungeheuer verlockend sind und der darüber zum Baum der Versuchung und der Vertreibung wird. Am Ende der Bibel aber, in der Offenbarung des Johannes, gibt Gott den Menschen aufs Neue „Zugang“ zum Baum des Lebens (Offenbarung 22,14).
Dann kommen verstecktere Dinge. Debora, die Amme Rebekkas, ist mit dem jungen Mädchen aus Haran gekommen und hat sie zu Isaak begleitet. Als Debora stirbt, wird sie begraben „unter der Eiche“ bei Bethel. Man nennt diese Eiche fortan die „Klageeiche“ (1. Mose 35,8). Unter dieser Eiche lässt sich ein Lied singen von der lebenslangen Treue einer Frau zu dem Kind, das sie großgezogen hat. Auch Gesetze über Bäume gibt es: Wenn man zum Beispiel eine Stadt belagert, so soll man die Bäume im Umfeld der Stadt nicht „umhauen“, von ihren Früchten kann man doch essen; gegen Bäume soll man keine Kriege führen (5. Mose 20,19).
Eine scharfe Kritik am Königtum findet sich in einem Gleichnis im Buch der Richter. Da erzählt jemand: Die Bäume gehen hin, um einen König über sich zu wählen. Der Ölbaum lehnt ab. Soll er aufhören, Öl zu spenden und stattdessen „über den Bäumen schweben“? Der Feigenbaum lehnt auch ab und der Weinstock ebenso. Am Ende wird der Dornbusch der König der Bäume. So ähnlich verhält es sich mit den Königen der Menschen (Richter 9, 8-21)
Ich könnte noch lange erzählen, von Bäumen, aus deren Blättern man „Arznei“ gewinnt (Ezechiel 47,12) und von dem „Maulbeerfeigenbaum“, auf den der Zöllner Zachäus gestiegen ist, um Jesus zu sehen (Lukas 19,1-10). Wenn ich einmal mit der Auslegung der Königsbücher fertig bin und immer noch Kraft habe, sollte ich vielleicht Baumpredigten halten.
Bäume als Gleichnis für uns Menschen.
Bäume haben sehr viel mit uns Menschen zu tun. Paul Gerhardt bringt es wie immer auf den Punkt: „Mach in mir deinem Geiste Raum, dass ich dir werd‘ ein guter Baum, und lass mich Wurzel treiben“.
Nicht umgehauen sollen wir werden, weil unsere Früchte genießbar sind. Mag die Axt an unsere Wurzel gelegt sein, sie soll uns nicht fällen. Überhaupt: Unsere Wurzeln. Unsichtbar sind sie und doch so wichtig. Sie halten uns, wenn der Wind in unsere Zweige fährt, wenn Stürme über unser Leben gehen. Und wenn wir auch alt werden: Wir treiben immer neu Wurzeln, immer tiefer hinunter, bis zum Urgrund unseres Lebens, zu Gott.
Der älteste Baum in unserer Gegend ist die Kreuzeiche zwischen Hinterholz und Hürbel. Wohl sechshundert Jahre ist sie alt und wird doch jedes Jahr wieder grün, treibt ihre Wurzeln hinunter in eine Tiefe, die unseren Blicken verborgen ist. Um Johanni herum ist eine gute Zeit, von der Kreuzeiche zu lernen. So soll es sein mit uns allen, wenn wir auch keine sechshundert Jahre alt werden. Leben sollen wir „wie ein Baum, gepflanzt an den Wasserbächen, der seine Frucht bringt zu seiner Zeit, und seine Blätter verwelken nicht“ (Psalm 1,3).