Der böse Kapitalist, der glaubt

Zachäus - kluger Kletterkünstler

Predigttext: Lukas 19,1-10
Kirche / Ort: Karlsruhe
Datum: 13.09.2020
Kirchenjahr: 14. Sonntag nach Trinitatis
Autor/in: Pfarrer PD Dr. Wolfgang Vögele

Predigttext: Lukas 19,1-10 (Übersetzung nach Martin Luther)

Und [Jesus] ging nach Jericho hinein und zog hindurch. Und siehe, da war ein Mann mit Namen Zachäus, der war ein Oberer der Zöllner und war reich. Und er begehrte, Jesus zu sehen, wer er wäre, und konnte es nicht wegen der Menge; denn er war klein von Gestalt. Und er lief voraus und stieg auf einen Maulbeerfeigenbaum, um ihn zu sehen; denn dort sollte er durchkommen. Und als Jesus an die Stelle kam, sah er auf und sprach zu ihm: Zachäus, steig eilend herunter; denn ich muss heute in deinem Haus einkehren. Und er stieg eilend herunter und nahm ihn auf mit Freuden. Da sie das sahen, murrten sie alle und sprachen: Bei einem Sünder ist er eingekehrt. Zachäus aber trat herzu und sprach zu dem Herrn: Siehe, Herr, die Hälfte von meinem Besitz gebe ich den Armen, und wenn ich jemanden betrogen habe, so gebe ich es vierfach zurück. Jesus aber sprach zu ihm: Heute ist diesem Hause Heil widerfahren, denn auch er ist ein Sohn Abrahams. Denn der Menschensohn ist gekommen, zu suchen und selig zu machen, was verloren ist.

 

 

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Da hat ein Prediger und Wunderheiler in Jericho Erwartungen geweckt und Aufsehen erregt.

I.

Auch der ebenso kleine wie wohlhabende Zöllner Zachäus interessiert sich für den Prediger aus Nazareth. Neugierig ist Zachäus. Diese Predigt würde er gerne hören. Neugier ist eine kluge Ausgangshaltung, um sich dem Rabbi und Prediger zu nähern, wobei der kleine Zachäus allerdings auf groß gewachsene Schwierigkeiten trifft. Und diese Schwierigkeiten, die Zachäus in aller Pfiffigkeit löst, machen ihn für die Zuhörer der Geschichte zur zweiten Hauptfigur. In ihn, den Zöllner, bauen sie ihre eigenen Vorstellungen hinein.

Für die Älteren rückt der Beruf des Zöllners ins Zentrum. Sie sehen in ihm den humorlosen Kontrolleur am Schlagbaum der Grenze. Er trägt eine blaugraue, braungraue oder – wie damals die Beamten an der deutsch-deutschen Grenze –grau-graue Uniform, mit glänzenden Messingknöpfen, mit farblich passender Schirmmütze und mit einem Lederholster für die Dienstwaffe. Mit solchen verbeamteten Zöllnern verbindet sich das Bild von gelangweilten, nuschelnden Personen, die aus der großen Menge der normalen Passagiere und Passanten die wenigen herauspicken, bei denen es sich lohnt, dem Verdacht auf Schmuggel und Straftatnachzugehen.

Innerhalb der Europäischen Union sind solche mit Zöllnern besetzten Grenzen schon vor Jahren gefallen, die Jüngeren erinnerten sich erst wieder daran, als Anfang des Jahres bei Ausbruch der Corona-Epidemie Grenzen geschlossen wurden. Die Zöllner, die dann an den renovierungsbedürftigen Glashäuschen neben den Schranken saßen, suchten nicht mehr nach Zigaretten oder Drogen. Sie nahmen die Temperatur ab, um zu verhindern, daß das Corona-Virus ins Land geschmuggelt wurde. Zachäus, das muß man wissen, trug weder eine Uniform noch nahm er die Temperatur ab. Er war Zöllner, aber kein Zollbeamter, er war im Grunde ein privater Unternehmer, der von der römischen Besatzungsmacht eine sich sehr lohnende Lizenz zum Geldverdienen erworben hatte.

II.

Kinder und Konfirmanden sehen in Zachäus weder den Zöllner noch den Kapitalisten. Sie sehen vor allem den kleingewachsenen Menschen, der so listig auf den Maulbeerbaum klettert, um sich bessere Sicht zu verschaffen.  So wird Zachäus zum Helden von Kindergottesdienst- und Kindergartenkindern. Der klein gewachsene Oberzöllner Zachäus gehört in eine Reihe mit ihren Lieblingsgestalten aus den schönsten Kinderbüchern. Er ist ein Leib- und Seelenverwandter von Pippi Langstrumpf, Kalle Blomquist, Jim Knopf und Michel aus Lönneberga. Kinder lieben Zachäus – aus ihren ganz eigenen Gründen.

Um erwachsen zu werden, brauchen Kinder Vorbilder und Geschichten, Erzählungen, denen sie mit Begeisterung zuhören können. In den Geschichten finden sie kleine und große Menschen, die sie bewundern und an denen sie sich orientieren. Zwei mal Drei ist Neun. Pippi Langstrumpf macht einfach, was sie will. Sie lacht über den Piratenvater, die trotteligen Polizisten und die strenge Lehrerin. Die freche Göre weiß einfach alles besser als die Erwachsenen. Darüber amüsieren sich kleine Kinder, die selbst gerne alles besser wüßten als die Erwachsenen. Und hoffentlich amüsieren sich auch die Erwachsenen.

So paradox es klingen mag: Die erzählte unwirkliche Welt führt die Kinder in die richtige wirkliche Welt ein. Die wunderbaren Geschichten helfen den Kleinen, sich in der Welt zu orientieren und zurechtzufinden. Kinder lieben es, wenn Michel oder Kalle Blomquist die Erwachsenen ärgern, die Welt der Großen auf den Kopf stellen, die trostlosen Verhältnisse der Erwachsenenwelt mit Streichen und Schabernack zum Tanzen bringen. Dann regen sich zwar Polizisten, Väter und Lehrerinnen auf, aber die Kleinen haben die Lacher – und die pädagogische Wahrheit – auf ihrer Seite.

III.

Zeitgenössische Hörer des Lukasevangeliums hätten diese Kindervorliebe nicht nachvollziehen können. Zwar ist Zachäus klein gewachsen, aber für die damaligen Hörer geht diese Kindersympathie unter in dem einen Faktum, daß er sich durch seine Zoll-Lizenz zu einem sehr zweifelhaften Reichtum bereichert.

Zachäus war bestimmt kein Zöllner in grüner, grauer oder brauner Uniform. Wahrscheinlich war er besser angezogen als alle anderen, darüber sagt Lukas nichts. Er stand nicht an einer Ländergrenze, sondern am Stadttor und hielt dort bei jedem, der auf dem Markt sein Gemüse verkaufen wollte, die Hand auf. Zoll war eine Angelegenheit der Besatzungsmacht, die solche Zollplätze wie eine Pfründe an den Meistbietenden versteigerte, nach dem Prinzip des Franchising.

Der Zöllner, der den Standplatz ersteigert hatte, konnte alles, was er über den Kaufpreis hinaus einnahm, für sich selbst behalten. Die römischen Besatzer und die Zöllner machten beide damit ihr Geschäft, eine win-win-Situation, bei der das Volk, die täglichen Passanten am Stadttor, finanziell erheblich verlor. Mit diesem offiziell ergaunerten Gewinn machten sich Zöllner beim Volk außerordentlich unbeliebt.

Zachäus war ein Oberzöllner, das heißt, er hatte Angestellte, die für ihn arbeiteten, oder er verpachtete seine Pfründe an andere Zöllner weiter. Wenn er mit heutigen Berufszweigen zu vergleichen wäre, dann eher mit einem Drogenbaronen, Zuhältern oder windigen Grundstücksspekulanten. Wer sich mit dem Schlagstock der politischen Korrektheit einer solchen Personen nähert, für den ist die Angelegenheit von vornherein beendet. Solch eine Person steckt so tief in der Schublade des zwielichtigen Bösen, daß sie nie und nimmer herausklettern könnte. Dabei beweist sich der kleine Kapitalist Zachäus ausgerechnet als kluger Kletterkünstler.

IV.

An der Ausfallstraße nach Jericho-Stadt hat sich eine größere Menge versammelt. Zachäus kann nur die breiten Rücken seiner Vorderleute sehen, und deswegen klettert er kurz entschlossen und behende auf einen Maulbeerbaum. Diese standen in Palästina als klassische Alleebäume am Straßenrand. Sie sollen Schatten spenden. Wenn jemand am Stamm hochklettert und sich in die Äste setzt, fällt das auf, bei den Umstehenden, aber auch bei Jesus selbst, der gerade mit der Menge seiner Jünger in die Stadt einzieht.

Der Blick des Predigers aus Nazareth fällt zielgenau auf den Maulbeerbaum und dann auf den Kletterer Zachäus im Geäst. Und bei diesem einen verblüfften Blick läßt es Jesus nicht bewenden. Er spricht Zachäus an und lädt sich ungeniert zum Essen ein. Den Rest der Menge scheint er nicht zu beachten. Dieser Rest der Menge allerdings macht sich dann durch Murren vernehmlich bemerkbar. Durch Klettern und Blicke ist eine Beziehungsgeschichte entstanden. Diese zufällige Beziehung mündet in ein gemeinsames Abendessen. Die Mehrheit der Menge billigt das nicht. Sie ist auch nicht eingeladen.

Es fällt auf, daß Jesus dieses gemeinsame Abendessen mit dem reichen Kletterer Zachäus nicht dazu nutzt, um ihn oberlehrerhaft über den Umgang mit erbeuteten Geldgewinnen zu belehren. Die faszinierende Pointe des Abendessens und damit der ganzen Geschichte besteht darin, daß Zachäus selbst aus dieser Begegnung mit Jesus von Nazareth persönliche Konsequenzen zieht: Er gibt die Hälfte seines Besitzes ab, und Gestohlenes gibt er vierfach zurück.

V.

Dürfen Christen reich sein und mit ihrem Besitz protzen? Oder ist Armut die Bedingung allen Glaubens? Der Evangelist Lukas erzählt von anderen Reichen, vom Zöllner Levi (Lk 5,27-32), der nicht zögert, seinen ganzen Besitz aufzugeben und Jesus als Jünger nachzufolgen. Und der lukanische Jesus warnt ausdrücklich vor Habgier (Lk 12,15).

Radikalen Verzichtsforderungen steht die Kompromißlösung des Zachäus gegenüber. Sicherlich steht er auch mit seinem halbierten Besitz nicht auf der Seite der Verarmten und Benachteiligten. Je länger ich selbst darüber nachdenke, desto wichtiger scheint mir, daß Zachäus diese sozialethische Lösung für sein Verhältnis zu seinem Besitz aus eigenem Antrieb entwickelt.

Zachäus folgt nicht einer Forderung, er beugt sich nicht einer Indoktrination, sondern er entwickelt eine eigenständige Lösung aus seinen neu gewonnenen Überzeugungen heraus. Wissenschaftliche Ausleger haben vermutet, daß sich in dieser Geschichte Spannungen in der Urgemeinde spiegeln, die sich aus Milieu- und Statusunterschieden zwischen wohlhabenderen und ärmeren Christen ergaben. Die Geschichte des Kletterers Zachäus zeigt an, daß die Gemeinden unterschiedliche Lösungen tolerieren mußten, was den Umgang mit Geld und Besitz anging. In den Gemeinden leben reichere und ärmere Christen zusammen.

Aber hat Lukas diese Geschichte wirklich rein aus ethischen und finanzpolitischen Gründen erzählt? Kann man die Geschichte auf das sozialpolitische Thema zuspitzen? Die List mit dem Maulbeerbaum, der Kleinwuchs des Zachäus, das opulente Gastmahl mit Jesus – all das wäre nur Mittel zum Zweck einer moralischen Botschaft, die Lukas auch kürzer hätte fassen können: ‚Den Reichen und Zöllnern sage ich, Jesus: Halbiert euren Reichtum. Wenn ihr betrogen habt, erstattet alles vierfach zurück.’  Bei solchen Vorschriften sehen die Zuhörer förmlich den erhobenen quengelnden moralischen Zeigefinger. Dafür muß nicht erst ein Maulbeerbaum am Straßenrand wachsen.

Die Geschichte von Zachäus läßt sich nicht auf eine moralische Botschaft verkürzen. Die Erzählung gewinnt ihren spirituellen Glanz erst aus den kleinen Details. Lukas setzt diese um der größeren Wirkung willen sehr sparsam ein. Diese Kleinigkeiten erst machen die Geschichte und den Glauben des Zachäus unverwechselbar.

Der Segen des Glaubens, den Zachäus nach diesem Abendessen gefunden hat, ist höchst individuell. Mit einem starren Schubladensystem aus politischer und klerikaler Korrektheit lassen sich Fragen des Glaubens, der Politik und des Sozialen nicht lösen. Der Trost des Glaubens liegt in einer individuellen Lösung, die Zachäus aus einer eigenen denkenden und handelnden Anstrengung heraus findet. Das Evangelium, das Jesus verkündigt, bevorzugt nicht diejenigen, die sich schon immer auf der richtigen kirchlichen Seite wähnen. Es wirkt nicht entlang der Trennlinien von Schwarz und Weiß, die sich Menschen konstruieren, damit sie diese chaotische und unübersichtliche Welt besser verstehen.

Genau darin besteht der Trost von Jesu guter Nachricht. Die starren, konventionellen Meinungsfronten von Richtig und Falsch werden nicht bestätigt, sondern so durcheinandergebracht, daß sich Neues entwickeln kann. Am Schluß der Predigtgeschichte heißt es: Der Menschensohn sucht und macht selig, was verloren ist. Rettung besteht darin, ein klein wenig aus dem Selbstverständlichen herauszugehen und aus der Perspektive des Glaubens einen neuen Blick auf die Welt zu riskieren.

Menschen verlieren sich auf ihre eigene Art in der Welt und kommen auf ihre eigene Art wieder zum Glauben. Ich empfinde viel Sympathie dafür, wie schlau und einfallsreich sich Zachäus aus dieser Verlorenheit herausgewunden hat und auch dafür, wie er mit Hilfe Jesu in den Schoß des Glaubens zurückgekehrt ist.

Und der Friede Gottes, welcher Schwarz und Weiß, Gut und Böse weiter übergreift, hole euch aus diesen starren Schubladen heraus und bewahre euch in Christus Jesus.

 

 

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Ein Kommentar zu “Der böse Kapitalist, der glaubt

  1. Pastor i.R.Heinz Rußmann

    Sehr gut aufgebaut und verständlich ist diese Predigt. In fünf Schritten zeigt sie, wie die Zuhörer wohl ihre eigenen Vorstellungen hineinlegen. Die Älteren sehen in Zachäus den betrügerischen Beamten mit einer römischen Lizenz. Kinder amüsieren sich über die Erwachsenen ähnlich wie Pippi Langstrumpf. Sie lieben diese Story. Sachlich gesehen hatte Zachäus Angestellte und war ein reicher, betrügerischer einsamer Kapitalist. Zachäus klettert auf den Baum mit der Sehnsucht, Jesus zu sehen und zu sprechen. Fünftens:Anwendung: Es ist wohl kein moralischer Text zum Geldspenden heute, sondern eine Aufforderung an uns, mit Jesus neu umzugehen mit Außenseitern. Dadurch gab Zachäus seinen Unglauben auf mit Jesu Hilfe. – Man kann die Fragen an die Predigt stellen: Müssen wir nicht viel mehr für die hungernden Armen der Welt spenden? Noch ein Hinweis: Eugen Drewermann hat im seinem Lukas-Kommentar sehr tiefsinnig und aktuell über das Aussenseiter-Problem nachgedacht. Wie viele reiche und einsame Aussenseiter gibt es heute? Jesus kann mit seiner Zuwendung und Liebe glücklich machen.

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