Der einzige Zeuge

Auferstehung

Predigttext: 1. Korinther 15,1-11
Kirche / Ort: Ev. Oberkirchenrat / Karlsruhe
Datum: 09.04.2023
Kirchenjahr: Ostersonntag
Autor/in: PD Pfarrer Dr. theol. Wolfgang Vögele

Predigttext: 1. Korinther 15,1-11 (Übersetzung nach Martin Luther, Revision 2017)

Ich erinnere euch aber, Brüder und Schwestern, an das Evangelium, das ich euch verkündigt habe, das ihr auch angenommen habt, in dem ihr auch fest steht, durch das ihr auch selig werdet, wenn ihr’s so festhaltet, wie ich es euch verkündigt habe; es sei denn, dass ihr’s umsonst geglaubt hättet. Denn als Erstes habe ich euch weitergegeben, was ich auch empfangen habe: Dass Christus gestorben ist für unsre Sünden nach der Schrift; und dass er begraben worden ist; und dass er auferweckt worden ist am dritten Tage nach der Schrift; und dass er gesehen worden ist von Kephas, danach von den Zwölfen. Danach ist er gesehen worden von mehr als fünfhundert Brüdern auf einmal, von denen die meisten noch heute leben, einige aber sind entschlafen. Danach ist er gesehen worden von Jakobus, danach von allen Aposteln. Zuletzt von allen ist er auch von mir als einer unzeitigen Geburt gesehen worden. Denn ich bin der geringste unter den Aposteln, der ich nicht wert bin, dass ich ein Apostel heiße, weil ich die Gemeinde Gottes verfolgt habe. Aber durch Gottes Gnade bin ich, was ich bin. Und seine Gnade an mir ist nicht vergeblich gewesen, sondern ich habe viel mehr gearbeitet als sie alle; nicht aber ich, sondern Gottes Gnade, die mit mir ist. Ob nun ich oder jene: So predigen wir, und so habt ihr geglaubt.

 

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An Ostern werden wir alle zu Neubürgerinnen und Neubürgern von Korinth. Niemand muß dafür Toga und Sandalen anziehen und sich einen Bart wachsen lassen. Es genügt, der christlichen Gemeinde anzugehören. Ihr hat Paulus einen langen theologischen Brief geschickt hat. Als Korinther lassen wir uns im Brief nahebringen, wie der Apostel Osterfreude aufblühen läßt. Und das, was er zu sagen hat, läßt sich wie auf einer Bühne darstellen. Staunenswertes soll zu sehen sein. Wir, die spätmodernen korinthischen Bürgerinnen und Bürger sind Fernsehen und Smartphone gewohnt, brauchen anschauliche Bilder für Ostern. Und dafür will eine Bilderbühne gebaut sein.

Hinten, im Bühnenrückraum verhängt ein großes schwarzes Tuch die Wand. In riesigen Großbuchstaben hat jemand darauf in ungelenker Pinselschrift das Wort AUFERSTEHUNG gemalt und ein großes Ausrufezeichen dahinter gesetzt. Jemand anderes hat die Buchstaben in grellen Farben ausgemalt: das A in Pink, zweimal E in schreiendem Orange, zweimal U in giftigem Grün. Rechts an der Rampe sitzt eine junge Frau, die in einen Apfel beißt. Hinter ihr steht eine Gruppe von drei Männern; gelegentlich nippen sie an ihren Weingläsern. Auf der anderen Seite der Bühne bricht ein weiterer Komparse kleine Stückchen von einem Baguette ab und ißt sie, langsam kauend.  Er steht vor dem großformatigen Bild eines Sonnenaufgangs. Daneben hängen zwei Bilder. Das eine zeigt einen alten Mann in schwarzer Kleidung, ein aufgeschlagenes Buch in der Hand. Das Porträt erinnert an Rembrandt. Das andere Bild reproduziert den Isenheimer Altar von Matthias Grünewald. Vor dieser Kulisse springen ausgelassen drei Kinder und rufen dabei: Auferstehung ist Essen, Ostern ist Trinken! Wir freuen uns an Ostern – la, la, la, la. Am Anfang verwirrt das Ostertheaterstück die Zuschauer. Die Geschichte scheint noch nicht richtig begonnen zu haben.

Auftritt Paulus: Er trägt schlichte schwarze Kleidung, einen grauen Bart, ein älterer Mann. Er erinnert an das Bild an der Seitenwand. Die Zuschauer fragen sich, wie der wirkliche Paulus ausgesehen haben mag. Strenge Ausleger pflegen diese Frage nach dem Aussehen des Paulus einfach abzulehnen. Er hat in seinen Briefen kein schriftliches Selfie vorgelegt. Seine Leser aber haben sich stets eine persönliche Vorstellung von ihm gemacht. In einer sehr frühen Lebensgeschichte des Paulus aus dem 2. Jahrhundert findet sich die folgende Beschreibung. Der Beobachter sah angeblich „einen Mann klein von Gestalt, mit kahlem Kopf und krummen Beinen, in edler Haltung mit zusammengewachsenen Augenbrauen und ein klein wenig hervortretender Nase, voller Freundlichkeit; denn bald erschien er wie ein Mensch, bald hatte er eines Engels Angesicht.“ (ActPaul 3,3) Antike Schriftsteller haben sich an die Konvention gehalten, den Apostel in der Kleidung zu zeigen, die für einen Philosophen üblich war.

Jahrhunderte nahm der holländische Maler Rembrandt diese Konvention auf. Sein Paulus hält ein Buch in der Hand, in dem er offenbar gerade gelesen hat. Aha, das Bild an der Bühnenseite, denken die Zuschauer. Paulus trägt einen weiß-goldenen Turban, unter dem graue Löckchen hervorsprießen. Er schaut die Betrachter aus Knopfaugen mit einem Blick an, der neben Selbstbewußtsein und Vertrauen auch Zweifel und ein wenig Irritation enthält.

Der Briefschreiber Paulus, der wirkliche Apostel hätte dazu gar keinen Grund gehabt. Der Paulus auf der Bühne gibt dem Briefeschreiber eine erklärende Stimme: Liebe Zuschauer im Parkett, liebe Gemeinde in den Bänken, ich weiß, wovon ich rede, wenn ich von Auferstehung spreche. Ich habe diese Geschichte nicht erfunden. Sondern ich gebe weiter, was mir andere gesagt haben. Da ist etwas geschehen, was der Schrift, der Bibel entspricht. Gott hat seinen Willen kundgetan. Mit Ostern hat Christus das Kreuz des Leidens und den Tod besiegt. So soll es sein.

Ganz bewußt habe ich nicht geschrieben: Ich habe den Auferstandenen wie einen körperlichen Menschen gesehen. Sondern ich habe geschrieben: Er ist mir erschienen. Er ließ sich sehen. Im Griechischen kann ich das besser ausdrücken als im Deutschen. Es ging um eine Vision. Wäre jemand dabei daneben gestanden, er hätte vermutlich nichts gesehen. Neben mir lebten damals noch viele andere Zeugen, denen der Auferstandene ebenfalls erschienen ist. Sie könnten darüber berichten wie ich. Entscheidend ist für mich nicht das Mirakel, die Überwindung der Naturgesetze. Entscheidend ist, daß Gott ausgerechnet mich für würdig hielt, den Auferstandenen zu sehen. Denn ich war ja, so habe ich es selbst formuliert,  so eine Art Mißgeburt, jemand, der die christlichen Gemeinden verfolgt hat, weil er sie zerstören wollte. Bevor mich Gott eines Besseren belehrt hat.

So weit der Paulus auf der Bühne, und er zeigt dann auf das Porträt, eine schlechte Kopie des Paulus-Porträts von Rembrandt aus dem Rijksmuseum in Amsterdam. Und der Paulus-Schauspieler fährt fort: Der da hat mich gemalt vor ein paar hundert Jahren. Das Bild hat er genannt ‚Selbstporträt als Apostel Paulus‘. Als Maler wußte er, was er konnte, und deshalb ist er auch stets in die großen Schuhe geschlüpft, wenn er es auch nicht so weit trieb wie vor ihm Alfred Dürer, der sich gleich als Christus porträtiert hat. Rembrandt war da anders. Er wußte um die Stelle, wo Paulus sagt: Ich bin es nicht wert, daß der Auferstandene mir erscheint. Ich bin es nicht wert, und wir alle sind es nicht wert. So weit die Rede des Schauspieler-Paulus.

Es ist mit Ostern und der Auferstehung nicht so einfach, wie es manche machen, die sich für besonders fromm halten. Gott hat nicht einfach den toten Körper Jesu wieder belebt. Danach ißt Jesus nimmt Jesus dann mit den Emmaus-Jüngern das Abendmahl. Aber selbst die  Emmaus-Jünger erkennen den Auferstandenen nicht sofort. Alle Geschichten des Neuen Testaments über Auferstehung, auch die vermeintlich realistischen, enthalten diese offenen oder versteckten Warnhinweise. Die Bibel spielt sie ein, wo Menschen den Wunsch äußern, Gott unmittelbar zu sehen.

Auferstehung und die Erkenntnis, das Sehen Gottes gehören zusammen. Das Staunenswerte besteht darin: Auferstehung ist ein Schritt über die Wirklichkeit hinaus. Und darum läßt sie sich nicht mit den Kriterien dieser Wirklichkeit begreifen: Beweisen, Messen, Kartieren, Verrechnen. Osterfreude und -lachen zielen darauf, daß Gott diesen einen kleinen Schritt auf Jesus Christus – und damit auf uns alle zukommt. Das sprengt den Rahmen normaler, alltäglicher Wirklichkeit. Deswegen sagt Paulus: Der Auferstandene erscheint oder er läßt sich sehen. Die Personen unseres täglichen Lebens erscheinen gerade nicht. Wir sehen sie, und sie sehen uns.

Daß sich der Auferstandene dem unwürdigen Paulus zeigt, vergrößert das Wunder. Paulus ist der einzige Zeuge, dem eine Vision des Auferstandenen zuteilwurde. Auferstehung trifft – wie bei Paulus, wie bei Rembrandt – die Menschen, die es nicht verdient haben. Paulus weiß sehr genau, daß er – in der Sprache der Bibel – ein sündiger Mensch war. Er hatte sich verfangen in den banalen Untiefen der Wirklichkeit, hatte Fehler begangen. Er war nicht würdig, Jesus Christus zu sehen. Er war nicht würdig, Gott – wie er selbst im 1Kor schrieb – von „Angesicht zu Angesicht“ zu sehen. Wer darum in der Gegenwart, in seinem Alltag von Ostern und der Auferstehung redet, der kann das nur im Glauben tun, nicht im sicheren Wissen über ein Ereignis dieser Wirklichkeit. Denn Auferstehung bedeutet: Gott tut einen wichtigen und entscheidenden Schritt über diese Wirklichkeit von Krankheit und Leiden, von Gebrechlichkeit, Sterben und Tod hinaus. Ostern ist der Anfang neuen Lebens, das diese Wirklichkeit übertrifft, ein Grund zur Auferstehungsfreude und zum Osterlachen.

Auferstehung erleben wir nur im Glauben, und darum können wir von ihr auch nur in Bildern reden. Wenn Sie sich, liebe Brüder und Schwestern, an die Bilder, Personen und Requisiten erinnern, mit der ich am Anfang die Bühne von Ostern ausstaffiert habe, dann erinnern Sie sich an den Sonnenaufgang. Ich weiß, das ist ein abgegriffenes und oft mißbrauchtes Bild. Denken Sie aber an den wunderbaren Isenheimer Altar Matthias Grünewalds, wo der Auferstandene mit dem Licht der strahlenden, aufgehenden Morgensonne verschwimmt. In der Auferstehung lassen sich Gott und Jesus Christus gar nicht mehr unterscheiden. Ein zweites Bild finde ich in Essen und Trinken. Wer ein Stück Brot ißt und einen Schluck Wein trinkt, der spürt etwas von der neuen Gemeinschaft Jesu Christi mit den glaubenden Menschen. Sie erfahren in Brot und Wein die Gnade Gottes. Die Teilnehmer des Abendmahls wissen aber, daß sie nach dem Gottesdienst zurückgehen in die normale, alltägliche Welt. Das letzte Bild für die Auferstehung ist das ausgiebige, herzliche Lachen, mit dem sich Glaubende an Ostern freundlich gegenübertreten. Im Namen Gottes machen sie die sonst so unnachgiebige Gewalt des Todes lächerlich.

Wer glaubt, wer am Gottesdienst und am Abendmahl teilgenommen hat, der hat etwas von der Auferstehung gespürt. Die Glaubenden bemerken staunend diesen einen kleinen Riß in der Wirklichkeit, der Ostern heißt. Mit ihm, mit diesem Riß bricht Gottes Gnade in die Welt ein.

Nochmals: Auferstehung ist kein Mirakel, nicht der übernatürliche Beweis, daß Jesus Gottes Sohn ist. Es geht auch nicht um das Zugeständnis, daß in dieser Welt mehr Dinge möglich sind als die Schulweisheit gelehrt hat. Ostern weckt in uns die tiefe Überzeugung, daß Gott selbst uns Menschen und dieser Welt gnädig gegenübertritt. Deswegen spricht Paulus am Ende dieser Briefpassage mehrfach von der Gnade Gottes. Auf der Bühne des Auferstehungspanoramas ist sie das wichtigste, wenn auch unsichtbare Requisit. Die Gnade Gottes läßt sich nicht mit Händen greifen. Aber sie läßt sich im Abendmahl symbolisch essen und trinken. Sie zeigt sich in Bühnenbildern. Sie zeigt sich in Lachen und Osterfreude. Und die Gnade Gottes, welche höher ist als alles, was wir uns denken und vorstellen können, bewahre eure Herzen und Sinne in Christus Jesus. Amen.

Ich habe die Predigt mit dem üblichen Friedensgruß abgeschlossen, um sie in einem kurzen Postskriptum noch mit einer kurzen Paulusparodie zu vergnügen, damit wir alle sicher und wohlbehalten den Übergang zum Osterlachen schaffen. Ich habe diese wenigen gereimten Sätze ausgeborgt von Robert Gernhardt. Über sie können Christen und Indianer lachen:

„Paulus schrieb an die Komantschen:
Erst kommt die Taufe, dann das Plantschen.

Paulus schrieb an die Apatschen:
Ihr sollt nicht nach der Predigt klatschen.

Paulus schrieb den Irokesen:
Euch schreib’ ich nichts, lernt erstmal lesen.“

 

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