Der herunter gekommene Gott
Gottes Abstieg in die Welt der Aufsteiger
Predigttext | 2. Korinther 8,9 |
---|---|
Kirche / Ort: | Worms/Hohen-Sülzen |
Datum: | 26.12.2024 |
Kirchenjahr: | Christfest (2) |
Autor: | Pfarrerin Dorothea Zager |
Predigttext: 2. Korinther 8,9 (Übersetzung nach Martin Luther)
Ihr wisst ja, was Jesus Christus, unser Herr, in seiner Liebe für euch getan hat. Er war reich und wurde für euch arm; denn er wollte euch durch seine Armut reich machen.
Der verarmte Gott
„Gottes Abstieg in die Welt der Aufsteiger" – ihn fasst Paulus in seinen Vers. Der verarmte Gott und der reich gemachte Mensch. Die Geschichte Jesu in ökonomischen Begriffen.
Er wurde arm.
Tatsächlich: Jesus wurde in einem Stall geboren, der einem anderen gehörte. Jesus fuhr in einem Boot über den See, das einem andern gehörte. Er verteilte Brot und Fische, die andern gehörten. Er feierte in einem Haus, das andern gehörte. Er ritt auf einem Esel in die Stadt, der einem anderen gehörte. Er wurde in ein Grab gelegt, das einem andern gehörte. Ein armes Leben, erst recht nach unseren heutigen Begriffen.
Damit hat er aber viele reich gemacht.
Die Ehebrecherin, die er vor dem Tode gerettet hat, kann davon erzählen. Der Blinde, dem er die Augen geöffnet hat, sieht das. Der Stumme mit dem bösen Geist kann ein Lied davon singen. Zachäus, der nach der Begegnung mit ihm in seinem Leben aufräumt; die Samariterin am Brunnen mit den vielen Männern; der an Körper und sozialen Beziehungen Gelähmte am Teich Bethesda; der kranke Bettler an der Schönen Pforte des Tempels; Nikodemus, der ihn bei Nacht und Nebel besucht; und viele viele andere … - die Reihe ließe sich fortsetzen.
Ihnen allen hat er seine Zuwendung geschenkt, seine Aufmerksamkeit und seine Anteilnahme. Den meisten hat er tatkräftig geholfen, vielen aber einfach nur zugehört, Mut zugesprochen, einen guten Rat gegeben. Und sie dadurch reich gemacht. Jesus Er hat Menschen die Zuwendung Gottes erleben lassen, er hat sie heil gemacht, aus Schuld befreit und ihnen ihre Selbstachtung wiedergegeben.
Seine Begleiter, Freunde und Jüngerinnen haben das hautnah miterlebt; begriffen aber haben sie es erst nach seinem armseligen Ende am Kreuz und nach dem Ostermorgen, als sie seiner Wundmale gewahr wurden. Da erst wurde es, so paradox es klingt, für sie Weihnachten, da erst begriffen sie, was das Weihnachtslied besingt:
"Er ist auf Erden kommen, arm, dass er unser sich erbarm und in dem Himmel mache reich und seinen lieben Engeln gleich." (eg 15,6)
Ausgleich zwischen Arm und Reich
Doch halt! Es geht in unserem Pauluswort nicht nur um den Reichtum im Himmel, jedenfalls nicht in erster Linie. Das verrät uns ein Blick auf den Zusammenhang. Unser kurzer Predigttext steht mitten in einem Bettelbrief des Paulus. Paulus redet nämlich im Kapitel 8 massiv vom Geld. Er sammelt in den von ihm gegründeten Gemeinden und hier insbesondere in der reichen Stadt Korinth eine Kollekte für die verarmten Christen in Jerusalem. Und er scheut sich nicht, den Christen dort ins Gewissen zu reden: Dass auf der einen Seite des Meeres reiche Christen „im Überfluss", auf der anderen aber bettelarme Christen „im Mangel" leben, das darf nicht so bleiben! Es muss Gleichheit zwischen ihnen hergestellt werden. Sonst respektiert der Apostel ja die Verschiedenheit der Gaben in der christlichen Gemeinde und tritt leidenschaftlich ein für die Gemeinschaft der Verschiedenen (vgl. 1.Kor 12!). Hier aber kämpft er um so heftiger für den Ausgleich im wirtschaftlich-finanziellen Bereich.
Paulus will seinen Lesern, und damit ja auch uns, einschärfen: So gewiss Gottes Gnade sich nicht auf die materielle Situation des Menschen bezieht, so gewiss geht sie aber auch nicht daran vorbei. Das will ja so schwer in den Kopf, noch schwerer ins Herz und am schwersten in die Hand, dass Gott in uns zur Welt kommt, in unseren Worten und Taten. „Dem Hungernden muss Gott in Gestalt von Brot erscheinen", hat Gandhi mal gesagt. Aber Brot fällt nicht vom Himmel; Brot muss gebacken werden!
Die Korinther werden von Paulus bei ihrem Reichtum gepackt. So müssen diese Worte des Paulus den Korinthern auch in den Ohren geklungen haben. Gottes Menschwerdung geht nicht am Portemonnaie derer vorbei, die genug zum Leben haben.
Warum wir Reichen oft arm sin
Eine alte griechische Sage erzählt vom König Midas auf Kreta: Einer der zahlreichen Götter wollte ihm eine Bitte erfüllen. Ohne groß zu überlegen, wünschte sich Midas: „Alles, was ich berühre, soll zu Gold werden." So geschah es, und im Nu funkelte und glitzerte in seiner Umgebung alles, was Midas nur anrührte. Aber die Begeisterung darüber währte nicht lange: Als Midas nämlich hungrig nach einem Stück Brot griff ...
Sie verstehen, was uns diese Geschichte zeigen will: Grenzenloser Reichtum stillt den Hunger nicht, im Gegenteil: Er lässt einen verhungern. In der alten Sage, aus ferner Vergangenheit, erkennen wir unsere heutige gleißende Goldwelt wieder, die Welt des „Schneller-höher-weiter", nein, nicht nur im Sport, sondern beim Geldverdienen und beim Geldausgeben. Midas wollte reich sein und verarmte.
Für Christen kann diese Weihnachtsbotschaft nicht ohne Folgen bleiben bis in den persönlichen und in den politischen Alltag hinein. Wir können zwar keine bessere Welt schaffen, aber wir können mit unseren kleinen Mitteln helfen, dass andere nicht Not leiden. Ganz konkret.
Gott möchte aus armen Reichen, deren Reichtum nur ihnen selbst hilft, reiche Arme machen, die ihren Reichtum teilen. „Nicht der ist reich, der vieles hat, sondern der vieles gibt," schreibt Erich Fromm in seinem Buch „Die Kunst des Liebens".
Nun geschieht ja schon viel bei uns. Manch einer unter uns hat sich von den Bittbriefen erwärmen lassen, die uns der Briefträger in der Vorweihnachtszeit massenhaft in den Kasten geworfen hat. Viele haben gegeben für „Brot für die Welt", für die Diakonie, für Unicef oder für was auch immer. Viele Ehrenamtliche haben genäht und gestrickt, gebacken und gekocht und unter Einsatz von Zeit und Kraft in Basaren überall im Lande verkauft, um mit dem Reinerlös Gutes zu tun. Viele unter uns wissen nicht nur, sondern praktizieren auch im Stillen, dass Gott uns unseren Reichtum zum Geben gegeben hat.
Warum Arme oft reicher sind als wir
Kennen Sie die Geschichte „Als ich Christtagsfreude holen ging“ von Peter Rosegger? Seine Familie und er waren bitter arm. Eine Waldarbeiterfamilie im 19. Jahrhundert mit sieben Kindern in einem winzigen Haus. Peter erzählt davon, wie er kurz vor Weihnachten in einer Tageswanderung Lebensmittel für das Christtagsessen besorgen soll – und dies mit großer Freude tut. Auf seinem Heimweg darf er Mittagessen: ein trockenes Brötchen und eine Handvoll getrocknete Pflaumen. Sonst nichts. Und er berichtet, wie sehr er diese köstliche Mahlzeit in der Anstrengung dieser Wanderung genossen hat. Er beschreibt diesen Genuss mit den Worten: „Was war ich so reich damals, als ich arm war.“ Was berührt uns daran so? Es ist die Bescheidenheit. Die Dankbarkeit, die aus solchen Worten spricht.
Wir Wohlhabenden haben so viel, und doch sind wir oft nicht glücklich. Manch ein armer Mensch hat so wenig und ist doch über dieses Wenige glücklich
Warum ist das so krumm eingerichtet in unserer Welt? Wir sollten dringend etwas dagegen tun!
Teilen wir unseren Reichtum mit den Armen und Geschundenen dieser Welt, damit sie wieder satt und froh und glücklich werden.
Und lassen wir uns von ihrer Demut, ihrer ankbarkeit für Kleinigkeiten, von ihrer Bescheidenheit anstecken. „Gottes Abstieg in die Welt der Aufsteiger“ – genauso kann man das Christfest in seinem tiefsten Sinn beschreiben.
Gott gab uns sein kostbarstes: seine ganze Liebe in seinem einzigen Sohn. Und er kam arm. Um die Armen reich zu machen und um uns Reichen zu zeigen: Du wirst Gottes Liebe nur dann spüren, wenn Du demütig bist, bescheiden und liebevoll. Dann aber wirst Du das ganze Glück eines Menschen erleben, der rundherum geliebt und anerkannt ist. Lassen Sie uns gleich heute damit anfangen.