Der Stein ist weg gewälzt …
Österliche Hoffnung
Erste Gedanken beim Lesen
Frauen wollen den geschundenen Körper eines Hingerichteten salben. Wie werden sie den Sabbat verbracht haben? Gespräche über die Hinrichtung, Gedanken an Jesus, Erinnerungen an Begegnungen, Worte, Heilungen? Am nächsten Tag hält sie nichts mehr. Sie wussten, wo das Grab war. Doch dann erhebt sich die Frage, wie sie hineinkommen. Die Gruft ist mit einem großen Stein verschlossen. Sie erleben es wie ein Wunder - war nicht das ganze Leben dieses Rabbiners ein einziges Wunder?! -: Der Stein ist weggewälzt. War jemand vor ihnen da? Und warum? Grabräuber? Unmittelbar nach dem grauenhaften Geschehen auf Golgatha? Die drei Frauen kriechen in die Gruft. Hatten sie keine Angst? Aber war soll geschehen?
Und was dann geschieht, werden sie wohl ihr Lebtag nicht vergessen: das Entsetzen, dass das Grab nicht leer ist. Sie werden angesprochen, konfrontiert mit einer unfassbaren Botschaft. Der Hingerichtete sei nicht (mehr) hier in diesem Grab. Er sei auferstanden. Und das sollten sie doch auch den Jüngern um Petrus weitergeben. Und noch ein Drittes: Der Gekreuzigte werden „vor euch hingehen nach Galiläa“. Und dort werdet „ihr ihn sehen, wie er euch gesagt hat“.
Eine traumatische Begegnung. Von Osterfreude kann nicht die Rede sein. Es ist zu entsetzlich, was sie in der Gruft erlebt haben. Und jetzt? Worin kann das Ziel einer Predigt bestehen? Was will Markus seinen Lesern sagen? Und wo berührt uns diese Geschichte heute?
Übersetzung
Mk 16,1 Und nachdem der Sabbat vergangen war, kauften Maria die Magdalene und Maria die Frau von Jakobus und Salome (wohlriechende) Gewürze (griech.: Aroma), damit sie, hingegangen, ihn salbten.
2 Und früh am ersten (Tag) des Sabbats kommen sie zu dem Grabmal (lat.: monumentum), als die Sonne aufging (Var: nachdem die Sonne aufgegangen war).
3 Und sie sagten zueinander: Wer wälzt uns den Stein aus der Tür des Grabmals?
4 Und aufblickend sehen sie, dass zurückgewälzt war der Stein. Denn er war sehr schwer.
5 Und als sie hineingingen in das Grabmahl, sahen sie einen Jugendlichen, sitzend zur Rechten, bekleidet mit einem weissen Gewand (griech.: stola), und sie entsetzten sich.
6 Aber er spricht zu ihnen: Seid nicht entsetzt! Jesus sucht ihr, den Nazarener, den gekreuzigten? er ist auferstanden, nicht ist er hier! Siehe, der Ort (griech.: topos), wo sie ihn hingelegt haben.
7 Aber macht euch auf! Sagt seinen Jüngern und dem Petrus, dass er euch vorangeht nach Galiläa; dort werden ihr ihn sehen, wie er euch gesagt hat.
8 Und sie rannten hinaus und flohen von dem Grabmal, denn es hatte sie Zittern und Ausser-sich-sein (griech.: ekstasis) gepackt; und niemandem sagten sie etwas; denn sie fürchteten sie.
Anmerkungen zum Text
V2 Hier wird die Frühe der Tageszeit betont, mithin die Eile und Sehnsucht der Frauen
V5 Im Grab sehen die Frauen einen Jugendlichen - wohl eine Verniedlichung der Erscheinung Gottes oder eines Engels. Nach jüdischer Lehre trägt er das weisse Gewand eines „bewährten Märtyrers“. So haben die Jünger auch Jesus gesehen bei seiner Verklärung (Mk 9,3+6)
V7 Markus sagt die Erscheinung Jesu für Galiläa voraus, was Matthäus in seinem Evangelium ausführt (28,16-20 „Missionsbefehl“). Nach Lukas erscheint Jesus in Jerusalem, und Johannes erzählt von Erscheinung am Galiläischen Meer
V8 lässt die „Auferstehung“ sprachlos enden. Keine begeisterten Berichte an die Jünger. Kein neuer Lebensmut.
Literatur: Das neue Testament - jüdisch erklärt, korrigierter Druck 2022
Lied: „Wir wollen alle fröhlich sein“ (EG 100)
„Der Herr ist auferstanden. Er ist wahrhaftig auferstanden!“ Diesen Ruf hören wir in unserem heutigen Osterevangelium. Die Freude ist groß. Das Leben hat wieder einen Sinn. Der Tod ist ein für allemal besiegt. Halleluja!
Doch unsere Geschichte versetzt uns einen argen Dämpfer. Eben noch haben die Frauen sehnsüchtig auf das Ende des Sabbats gewartet. Noch im Dunklen sind sind losgegangen, ja, losgelaufen. Vorgestern ist die Hoffnung ihres Lebens schmählich hingerichtet worden. Gekreuzigt auf Golgatha. Wie gut, dass sie wussten, wo das Grabmal ist. Sie haben sich kostbare Öle beschafft: Wir müssen doch der Hoffnung unseres Lebens noch etwas gutes tun. Salben, vielleicht einbalsamieren. Der Geruch des Todes soll nicht an ihm bleiben. Vielleicht wollten sie den Leib Jesu auch für immer bei sich haben, eine kostbare Reliquie. Ob sie ihre Absichten den Jüngern und Freunden Jesu mitgeteilt haben?
Das schwerste liegt noch vor ihnen: Gott selbst liegt in einer Totengruft, verschlossen von einem großen, schweren Stein. Wie können wir Jesus ent-decken, wie in das (auf lateinisch) monumentum gelangen? Mit traurigen, niedergeschlagenen Augen sind sie zum Grab gekommen. Nun heben sie ihre Augen auf und sehen – der Stein ist weggerollt. Da waren andere wohl schneller, mögen sie gedacht haben. Was bleibt uns jetzt noch von Gott übrig? Gab und gibt es noch andere Interessenten für Jesus? Wir dachten, er gehöre uns. Uns allein, die wir ihn auf seinem kurzen Lebensweg begleitet haben.
Anmerkung: Diese Gedanken mögen wir auch haben: Gehört Jesus nicht uns, den Christen? Und sind wir als Kirchen nicht die besten und geeignetsten Sachwalter Gottes, des Schöpfers Himmels und der Erde? Und so stieren wir gedankenverloren vor uns hin, lassen Gott in einer Gruft und Jesus in einem monumentum. Hauptsache, er kann uns nicht verloren gehen. Sind das zu freche Gedanken? Wir werden sehn!
Die drei Frauen stürzen in das Grab. Geblendet sehen sie dort einen jungen Menschen sitzen, der dem Jesus vom Berge der Verklärung gleicht. Haben wir einen Traum? Ist Gott doch nicht von anderen, von Fremden gestohlen worden? Können wir mit Jesus doch gleich wieder nach Hause gehen, das Brot brechen und Wein trinken? Doch die Euphorie kippt um in panische Angst. Was geschieht hier? Werden wir verrückt? Sehen wir in unsrer maßlosen Trauer schon Gespenster? Doch da beginnt „das Gespenst“ zu sprechen – und die drei Frauen meinen Jesus selbst zu hören: Entsetzt euch nicht! Habt keine Angst! Das war oft die Quintessenz von Jesu Leben. Jesus hatte keine Angst. Vor niemandem. Es war, als wäre er aufgehoben von einer höheren Macht. Hat er nicht öfters von seinem „Vater im Himmel“ gesprochen? Das hören sie die blendende Gestalt weiter sprechen: Ihr sucht Jesus, den Nazarener, den gekreuzigten. Ja, werden die drei gesagt haben: Den suchen wir.
Anmerkung: Jesus haben sie immer gesucht. Er war nie richtig zu greifen. Oft haben sie an ihm gezweifelt, sind auch an ihm verzweifelt. Wir wollen Jesus ganz für uns, wollen ihn verstehen, ihn uns einverleiben. Und dann hat er sich immer wieder unserem Zugriff und unseren Bitten entzogen. Ja, wir suchen Jesus immer noch – in der Bibel, in Gesprächen, in Predigten. Er ist unfassbar …
Und dann kommt das Wort, das sie und uns bis heute begleiten wird: Jesus ist auferstanden. Was heisst das? fragen wir uns. Er ist auferstanden. Er ist nicht hier. Wo ist denn Gott? Wo finden wir Jesus? fragen wir uns oft. Die Stimme weiter: Seht: der Ort, wo sie ihn hingelegt haben. Ja, werden die Frauen gedacht haben, wir sind hier, um Jesus die letzte Ehre, die letzte Ölung, zu erweisen. Wie gut, dass es einen Ort gibt … Doch die Stimme sagt: Auf! Beeilt euch: Sagt seinen Jüngern und dem Petrus (insbesondere!), dass er vor euch hergehen wird nach Galiläa! Dort werdet ihr ihn sehen, wie er euch gesagt hat. Die letzten Worte haben die Frauen kaum gehört. In panischer Angst laufen sie aus der Höhle, zitternd und entsetzt. Davon werden sie niemandem erzählen.
Und doch ist diese Geschichte aufgeschrieben worden, sodass wir sie hören können. Wir, die Hörer, stehen an der Stelle der Frauen und nähern uns Gott in einem monumentum, wo wir Gott vermuten. Was bringen wir mit? Wollen wir Gott einbalsamieren? Wofür? Ich kann dieses Bedürfnis, Gott immer bei sich zu haben, gut verstehen. In unserer Zeit der Wirren, der furchtbaren Kriege, der Zerstreuung der Menschen brauchen wir einen Halt, eine Zuflucht – und wenn es auch eine Gruft ist, in der wir Jesus betten und mit unserer Fürsorge salben wollen.
Und wenn wir sehen und erkennen, dass Er gar nicht (mehr) da ist? Dass wir Gottes verlustig gegangen sind? Dass sich uns Gott entzogen hat unseren Begriffen, Ritualen, Gesängen? Was, wenn Gott auferstanden ist aus den Ruinen unserer Gewohnheiten und Kirchen? Was, wenn Gott größer wäre als unser Herz, unser Verstand? Was, wenn wir Gott Einfür allemal nicht begreifen können, uns seiner nicht bemächtigen können? Was, wenn wir mit allen (anderen) Menschen verschiedener Religionen und Auffassungen immer wieder auf Suche nach Jesus sind, nach einem Gott, der unser aller Vater ist? Was, wenn diese Auferstehung uns alle befreit, uns gemeinsam auf den Weg zu machen?
Dieser Gott geht uns voran. Ist es Galiläa? Ist es Jerusalem? Ist es Hamburg? Der „Engel“ sagt, dass wir Gott sehen werden, wie er uns gesagt hat – in welcher Sprache auch immer, in welchem Land auch immer. Jesus ist vor uns – wie damals, als er sein Volk am Tag mit einer Wolkensäule und nachts mit einer Feuersäule begleitet hat. Und diese Osterbotschaft soll uns fröhlich machen: Gott ist immer vor uns und damit bei uns und manchmal auch in uns.