„Der Wind bläst, wo er will …“

Pfingsten – Kraft und Orientierung zum Leben

Predigttext: Matthäus 16,13-19
Kirche / Ort: 78234 Engen
Datum: 25.05.2015
Kirchenjahr: Pfingstmontag
Autor/in: Pfarrer Michael Wurster

Predigttext: Matthäus 16, 13-19 (Übersetzung nach Martin Luther, Revision 1984)

Da kam Jesus in die Gegend von Cäsarea Philippi und fragte seine Jünger und sprach:Wer sagen die Leute, dass der Menschensohn sei? Sie sprachen:Einige sagen, du seist Johannes der Täufer, andere, du seist Elia, wieder andere, du seist Jeremia oder einer der Propheten. Er fragte sie:Wer sagt denn ihr, dass ich sei? Da antwortete Simon Petrus und sprach: Du bist Christus, des lebendigen Gottes Sohn! Und Jesus antwortete und sprach zu ihm:Selig bist du, Simon, Jonas Sohn; denn Fleisch und Blut haben dir das nicht offenbart, sondern mein Vater im Himmel. Und ich sage dir auch:Du bist Petrus, und auf diesen Felsen will ich meine Gemeinde bauen, und die Pforten der Hölle sollen sie nicht überwältigen. Ich will dir die Schlüssel des Himmelreichs geben: Alles, was du auf Erden binden wirst, soll auch im Himmel gebunden sein, und alles, was du auf Erden lösen wirst, soll auch im Himmel gelöst sein.

(Eigene Übersetzung Michael Wurster)

13 Jesus kam dann in das Gebiet von Caesarea Philippi und fragte seine Jünger:
Was sprechen denn die Leute, wer der Menschensohn ist?
14 Sie sagten: Die einen meinen, Johannes der Täufer, die anderen Elia, wieder andere Jeremia oder einer der Propheten.
15 Da sagte er zu ihnen: Ihr aber, was sagt ihr denn, wer ich bin?
16 Es antwortete Simon Petrus: Du bist Christus, der Sohn des lebendigen Gottes.
17 Jesus antwortete ihm: Selig bist du, Simon, Sohn des Jona, denn Fleisch und Blut haben dir das nicht offenbart, sondern mein Vater im Himmel.
18 Und ich sage dir: Du bist Petrus, und auf diesen Felsen werde ich meine Kirche bauen, und die Tore der Unterwelt werden sie nicht überwältigen.
19 Und ich werde dir die Schlüssel des Himmelreichs geben, und was du binden wirst auf der Erde, das wird gebunden sein im Himmel. Und was du lösen wirst auf der Erde, das wird auch im Himmel gelöst sein.

Exegetische und homiletische Anmerkungen
(angeregt durch W. Grundmann, ThHKNT 1986, u. E. Schweizer, NTD 1986)

Es ist auffallend, dass Mth. im Unterschied zu den beiden anderen Synoptikern das Petrusbekenntnis selbst erweitert hat („der Sohn des lebendigen Gottes“, V. 16). Außerdem bringt er als einziger das Felswort und die besondere Verheißung für Petrus. Diese Ergänzungen werden dem mth. Sondergut zugeschrieben. Es handelt sich dabei nicht um eigene Kreationen des Mth.; dafür enthält der Text zuviele aramäische gefärbte Ausdrücke wie z. B. „Barjona“, „Fleisch und Blut“, „Unterwelttore“, „Schlüssel des Himmelreichs“. Man vermutet die Quelle des Sonderguts in der syrischen Urkirche, die auch eine besondere Affinität zum Primat des Petrus aufgewiesen hat. Sie ist also alt. Allerdings wird die Petrusverheißung nicht auf Jesus selbst zurückgeführt, der von seinen Anhängern nie als von „meiner Gemeinde“ gesprochen habe; sie gilt also als nachösterliche Bildung. Dagegen wende ich kritisch ein: Sollte es Jesus unmöglich gewesen sein, eine prophetische Aussage zu tätigen?

Das Petrusbekenntnis bildet einen Höhepunkt im Mittelteil des Mth. Es nimmt das Selbstbekenntnis Jesu auf, in seinem Lobpreis 13, 53 ausgesprochen, und führt das Bekenntnis der Jünger nach der Sturmstillung 20, 28 auf eine neue Spitze. Mth. formuliert ein christliches Glaubensbekenntnis. An die Stelle des verhüllenden Begriffs „Menschensohn“ tritt nun das Bekenntnis zum „Christus“, zum verheißenen Messias; und zum „Sohn des lebendigen Gottes“, also zum Gottessohn, der Anteil an der schöpferischen und todesüberwindenden Kraft Gottes hat. Gleichzeitig markiert das Bekenntnis eine Wende: Die Wirksamkeit in Galiläa neigt sich dem Ende zu, der Leidensweg nach Jerusalem beginnt bald.

Jesus reagiert auf das Bekenntnis mit einer dreifachen Erwiderung: Erwählung, Verheißung und Bevollmächtigung. Die Erwählung wird in die Form eines Makarismus gekleidet: Simon Barjona ist ein Erwählter, der seine Offenbarung vom Vater selbst hat. Das Verheißungswort gründet auf einem aramäischen Wortspiel des Ausdrucks „Kepha“, Fels. Hier könnte auf den Tempelfelsen angespielt sein, aber nun wird der Fels personal verstanden: Er verschließt die Hadespforten für die Ekklesia und wird zum Eckpfeiler der Gemeinde. Die Bevollmächtigung mit der viel diskutierten Schlüsselgewalt ist als Einsetzung zu Lehre und Leitung der Gemeinde zu verstehen, worauf auch der Ausdruck vom Binden und Lösen zielt: Man kann ihn auf die Auslegung der Thora beziehen: Was ist erlaubt, was ist verboten – aber man kann ihn auch auf die Autorität des Leiters hinsichtlich Aufnahme zu und Ausschluss aus der Gemeinde verstehen. Es ist allerdings zu beachten, dass dem historischen Apostel Petrus nach Auskunft der Paulusbriefe und auch der Apostelgeschichte nie eine so überragende Leitungsfunktion zugekommen ist: Meistens wird ihm mindestens der Herrenbruder Jakobus, oft auch der Apostel Johannes beigesellt. Sicher war er aber eine Autorität im spirituellen Sinne. Diese Erkenntnisse führen mich dazu, in der Predigt die Verheißung an Petrus etwas zu vernachlässigen und lieber zu fragen: Was bedeutet uns heute das Bekennen überhaupt, vor allem aber das Bekennen zu Gott, zu Christus?

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Erst vor kurzem wurde ein wichtiger Gedenktag begangen: Am 8.Mai (2015)jähr te sich das Ende des 2. Weltkriegs zum 70. Mal. Für uns in Deutschland ein trauriger und frohmachender Gedenktag zugleich: Schmerzvoll wegen der Erinnerung an die Grauen des Krieges, frohmachend wegen der Befreiung von der Nazi-Herrschaft. Weniger bekannt ist, dass sich in dieser Woche ein anderes, kirchenpolitisches Ereignis jährt: Vom 29.-31. Mai 1934 fand die sogenannte Barmer Synode statt, die somit in wenigen Tagen ihr 81. Jubiläum feiert. Bei dieser Synode hatten sich die wenigen aufrechten Christen getroffen, die der Herrschaft der Nazis skeptisch gegenüberstanden. Zu deutlich war ihnen nun der totalitäre Anspruch der neuen Herren gegenübergetreten, der sich auf die ganze Gesellschaft und alle Lebensbereiche ausdehnte. Die sogenannte Gleichschaltung hatte viele gesellschaftliche Gruppen und politische Kreise zum Schweigen gebracht; erste antijüdische Parolen waren schon länger im Umlauf, antichristliche Gesinnung trat auch zu Tage. Kirchlicherseits hatten sich die „Deutschen Christen“ das Anliegen der Nazis zu eigen gemacht, ohne zu merken, dass sie ihre eigenen Grundlagen verrieten. In dieser Situation trafen sich diejenigen Christen zu einer Synode, die sich dem Anspruch der Nazis nicht beugen wollten. Die Theologen Karl Barth und Hans Asmussen entwarfen eine Erklärung, die von der Synode als Bekenntnis verabschiedet wurde. Darin heißt es in der 1. These:

Jesus Christus, wie er uns in der Heiligen Schrift bezeugt wird, ist das eine Wort Gottes, das wir zu hören, dem wir im Leben und Sterben zu vertrauen und zu gehorchen haben. Wir verwerfen die falsche Lehre, als könne und müsse die Kirche als Quelle ihrer Verkündigung außer und neben dem Wort Gottes noch andere Ereignisse und Mächte, Gestalten und Wahrheiten als Gottes Offenbarung anerkennen. – Das ist ein klares Bekenntnis, und es gibt eben diese Zeiten, in denen ein Bekenntnis gefragt ist und man hinstehen muss. So war es schon einmal gewesen, ungefähr 1900 Jahre vor der Barmer Erklärung. Jesus war eine Berühmtheit geworden, man sprach überall über ihn: Seine Heilungen, seine Wunder, aber auch seine unerhört erfrischende und ungewohnte Rede über Gott machten ihn bekannt. Doch jetzt formte sich auch der erste Widerstand gegen ihn. Die Theologen der damaligen Zeit, und die besonders Frommen, die Pharisäer, spürten genau, daß Jesu Kritik an der bisherigen Glaubenspraxis vor allem ihnen galt. Sie belauerten Jesus, sie stellten ihm Fangfragen. In dieser aufgeheizten Atmosphäre brodelten die Gerüchte, jeder hatte eine Meinung über Jesus.

(Lesung des Predigttextes)

Eine bekannte Bibelstelle, sicher. Und ein Höhepunkt im ganzen Evangelium, weil da selten so deutlich ausgesprochen wird, wer Jesus eigentlich ist. Nun aber sagt Petrus, ganz spontan, wie es seine Art war: Du bist Christus, der Sohn des lebendigen Gottes. Nach dem Bericht des Matthäus reagiert Jesus mit einer mächtigen Zusage: Petrus wird selig gepriesen, Petrus bekommt seinen Namen, der auf Deutsch „Fels“ bedeutet, und Petrus bekommt die sogenannte Schlüsselgewalt. Auf diese berufen sich die Päpste als Nachfolger des Petrus, aber in diesem Punkt hat die Ökumene vielleicht noch ein wenig Arbeit vor sich. Mich interessieren zwei andere Fragen mehr, erstens: Was hat das mit Pfingsten zu tun? Zweitens: Was hat es denn mit dem Bekennen heute auf sich? Wann und wen sollen wir bekennen?

Das Petrus-Bekenntnis am Pfingstmontag: Das passt schon, irgendwie. Denn was kann uns denn zu diesem Bekenntnis führen: Du bist Christus, der Sohn des lebendigen Gottes? Es gibt ja genügend Gründe, die gegen dieses Bekenntnis sprechen, und es gibt auch genügend Zeitgenossen, die das so nicht mehr nachsprechen können. Das ist nicht mit jedem Bekenntnis so, vieles unterliegt meiner eigenen Wahl: Ich kann mich zum VfB Stuttgart bekennen oder zu Bayern München, das ist meine Entscheidung. Ich kann mich vielleicht sogar zur Liebe zu einer gewissen Frau bekennen oder zu einem bestimmten Mann, auch das ist meine Wahl, ohne dass man die Liebe deshalb erklären könnte. Ein in bisschen ähnlich ist es mit dem Bekenntnis zu Gott oder zu Christus: Ich kann nicht immer genau erklären, wie ich zu diesem Bekenntnis gekommen bin. Jesus begründet nun, warum er den Petrus selig spricht, „denn Fleisch und Blut haben dir das nicht offenbart, sondern mein Vater im Himmel.“ In unsere Sprache übersetzt heißt das in etwa: Es war nicht deine eigene Klugheit, es war nicht dein eigenes Fassungsvermögen, was dich zu diesem Bekenntnis geleitet hat. Nein, das war Gott selbst.

Heute, am Pfingstmontag, erhalten wir einen Hinweis darauf, wie Gott an uns wirkt: Durch seinen Geist. Wir wissen nicht, wie das geht, und das müssen wir auch gar nicht, denn wer könnte schon Gottes Geist begreifen, von dem es heißt: „Der Wind bläst, wo er will, und du hörst sein Sausen wohl, aber du weißt nicht, woher er kommt oder wohin er geht“ (Joh. 3, 8) Es reicht aber, dass Gottes Geist da ist, und dass er wirkt. Er wirkt an uns, z. B. darin, dass er uns heute morgen zum Gottesdienst geführt hat. Er wirkt auch ein Bekennen in uns, denn irgendwie fasziniert uns dieser Jesus, dieser Rabbi aus Nazareth ja doch. Wenn wir uns mit ihm beschäftigen, kommen wir vielleicht mit Petrus auch zu einem Bekenntnis, und wenn es in der Form ist, die Johannes übermittelt: „Du hast Worte des ewigen Lebens, und wir haben geglaubt und erkannt, dass du der Christus bist.“ Es ist dieser Geist Gottes, der uns spüren lässt: Ja, da sind Worte des ewigen Lebens. Da ist etwas, was trägt.

Und doch fällt uns das Bekennen heute oft so schwer. Obwohl wir es eigentlich viel leichter haben. Leichter als Petrus, der später für seinen Glauben den Märtyrertod starb. Leichter auch als die Bekennende Kirche im „Dritten Reich“, die vielfach Verfolgung, Drangsalierung und sogar Einlieferung ins KZ auf sich nehmen musste. Damit verglichen sind wir wirklich privilegiert, denn in unserem Land herrscht Meinungsfreiheit und das Recht der freien Religionsausübung. Dafür können wir sehr dankbar sein, denn es ist nicht selbstverständlich, wie uns schon ein ganz kurzer Blick in die Geschichte lehrt (leider heute auch wieder in die Gegenwart). Seltsam: Gerade in unserer freien Gesellschaft fällt uns das Bekenntnis oft schwer. Warum ist das so? Vielleicht deswegen, weil wir in einer ganz anderen Zeit leben als Jesus und Petrus und die Christen im „Dritten Reich“.

Wir leben in einer toleranten und pluralisierten Gesellschaft, und ein ganzer Chor an Meinungen und Bekenntnissen prallt tagtäglich an unser Ohr. Der eine bekennt sich zu Mercedes, der andere zum BMW, die nächste zu H&M oder zu Prada, wieder andere zum bayrischen Dialekt oder der Liebe zur Oper. Das ist ja ok. Auch in der Politik, so scheint es, sind die Wahlmöglichkeiten variabel, es gibt keine Grabenkämpfe mehr wie früher. Aber der Reiz zur Auseinandersetzung scheint auch verloren gegangen zu sein. Weltanschaulich sind wir offen: Christlich – muslimisch – atheistisch: das wird gleichermaßen akzeptiert. Das ist ja auch richtig; die Freiheit, die wir haben, ist ein hohes Gut. Doch das führt uns zur Frage: Brauchen wir da überhaupt noch ein Bekenntnis? Tut das noch not? Ich würde diese Frage mit Ja beantworten: Gerade weil wir in einer Welt großer Wahlmöglichkeiten und vieler Optionen leben, gerade weil so viele Menschen Orientierung suchen in der großen Fülle an Möglichkeiten, gerade deshalb ist es gut, wenn einer/ eine hin steht und sagt: Ich habe eine Überzeugung! Ich habe etwas, was mich trägt. Das kann für andere ein Beispiel sein, das kann für andere Reibungspunkt oder Orientierungsrahmen sein, das ist nicht so wichtig. Wichtig ist, dass man sieht: Da ist jemand mit einem Bekenntnis. Da ist jemand, der hat etwas, an dem kann er/sie sich halten. Das tut ihm gut!

Natürlich tut das Bekenntnis in erster Linie mir selbst gut! Das Bekenntnis zu Jesus als dem Christus wird mir zum Haltepunkt und zum Hoffnungsanker: Da ist einer außerhalb meiner selbst, der mein Leben begleitet. Ich muss mich nicht immer selbst verstehen, ich muss nicht nur um mich kreisen, ich muss nicht alles auf den eigenen Schultern tragen. Ich bekomme von Gott Anregungen für mein Leben, ich bekomme Hoffnung in schweren Zeiten, ich bekomme Orientierung für bestimmte Entscheidungssituationen oder die Gestaltung meiner Beziehungen. Der Glaube an Gott macht mich frei, denn er befreit mich davor, mich selbst absolut zu setzen. Er befreit mich auch davor, den gesellschaftlichen Mainstream als Hauptbezugsrahmen zu setzen und ist damit ein Gefahrenanzeiger vor den Tücken des Zeitgeistes. So war es in der NS-Zeit, als die Bekenntnissynode den Deutschen Christen widerstand. So kann es auch heute sein, wenn den Bootsflüchtlingen auf dem Mittelmeer eine Stimme fehlt oder wenn niemand mitbekommt, wieviele Christen heute wieder in manchen Teilen der Welt verfolgt werden.

Das Bekenntnis zu Jesus, dem Gottessohn, und seiner Lehre vom der Herrschaft Gottes wird mich in der ein oder anderen Situation dazu bringen, die Stimme zu erheben. Wenn ich Unrecht spüre. Wenn gesprochen werden muss, und nicht Zeit zum Schweigen ist. Denn Bekennen heißt reden. Den Gang der Dinge kann ich damit nicht immer aufhalten. Das mag sein. Aber das Bekenntnis zu Gott hat eine starke widerständige Kraft: Der schon erwähnte Theologe Karl Barth hat einmal gesagt, die Mönche von Maria Laach widerstehen mit ihrem täglichen Gotteslob dem NS-Regime auf ganz eigene, stille und doch wirkmächtige Weise! Auch heute gilt: Ich kann durch mein Bekenntnis doch deutlich machen, dass mir das hilft: Der Glaube an Gott als Orientierung für meinen Alltag, als Haftpunkt und Kraftquelle in meinem Leben! Ich bezeuge damit gerade im Wirrwarr der Meinungen, im dissonanten Chor der vielen Weltanschauungen: Doch, das gibt es, den Glauben an eine Wahrheit, an Gott, an die Liebe. Dieses Bekenntnis zu Gott, dem Urquell des Lebens, zu Jesus, der ewige Worte gesprochen hat, und zum Geist, der mir diese Worte als Wahrheit aufschließt – dieses Bekenntnis gibt mir Kraft zum Leben!

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