Erinnerung
Am Eingangstor zu einem Friedhof stehen die Worte: Zerbrochene Hoffnung, verlorenes Glück. Wenn die Besucher vom Grab zurückkommen, können sie auf der Rückseite des Tores lesen: Wer in der Liebe bleibt, der bleibt in Gott. Mit beiden Gefühlen gehen wir und viele Trauernde heute zum Friedhof. Wir schmücken die Gräber und denken an unsere verstorbenen Familienangehörigen und an die Menschen, mit denen wir befreundet sind. Schmerzen, Gefühle von Verlust und Versagen sind mehr oder weniger wieder da. Die Glut der Trauer flammt bei manchen wieder neu auf.
Aber da gibt es auch die dankbare Erinnerung an alle Liebe, welche wir mit den Verstorbenen geteilt haben. Es gibt das zaghafte oder auch große Vertrauen: Unsere Verstorbenen können nicht verloren gehen. Die Liebe bleibt. Seit es überhaupt Menschen auf dieser Erde gibt, müssen wir denken, dass die Seele unserer Toten auf dem Weg zu Gott ist. Unsere liebevollen Gedanken gehen mit ihnen. Ein Dichter hat es in Worte gefasst: „Da ist ein Land der Lebenden und ein Land der Toten, und die Brücke ist die Liebe, das einzig Bleibende, der einzige Sinn“. Der Theologe Eugen Drewermann hat es so ergreifend gesagt, dass es mich immer wieder berührt: Einen Menschen lieben und ihm so in die Augen zu sehen und so mit ihm zu sprechen, dass die Seelen sich berühren, heißt davon überzeugt sein, dass eine Seele nicht zerstört werden kann. Unser Glaube an Gott bestärkt diese innere Gewissheit.
Ewiges Leben
Aber wie soll man sich das ewige Leben bei Gott vorstellen? Wir nehmen unsere Vorstellungen für das Jenseits aus unserem persönlichen Leben. Was wir hier als Glück erlebt haben, übertragen wir auf unsere Vorstellung von der Ewigkeit. Etwa die Hälfte der Deutschen und der Menschheit insgesamt glaubt an ein Weiterleben nach dem Tod. Eine Hälfte lehnt diesen Glauben ab. Aber die Sehnsucht hat Gott selbst uns eingegeben. Unser Wunsch, auf ewig bei Gott zu sein, ist uns von Gott selbst geschenkt. Der allmächtige Schöpfer wird diese Sehnsucht nach ihm nicht enttäuschen, sondern erfüllen. Er hat uns schließlich geschaffen und so ermöglicht, ihn zu suchen und zu finden. Der Sinn aller Materie im Weltall ist, dass wir als einzige Wesen an Gott denken und uns an ihm festhalten können. Deswegen sind wir so unruhig, bis wir Ruhe finden bei Dir, Gott.
Wer bei der Vollendung der Weltgeschichte nicht dabei sein will, wenn Gott selbst alle Tränen trocknen wird, denkt nicht realistisch, sondern ist nur arm an Sehnsucht, Vertrauen, Fantasie. Wer keine Sehnsucht nach der Ewigkeit hat, ist nicht bescheiden, sondern arm dran. Wer nicht einmal mit der Neugier nach Gottes Reich stirbt, ist schon lange abgestorben. Wir alle setzen schon heute viel zu wenig ein von dem was in uns angelegt ist an Liebe, Herzlichkeit, Sehnsucht, Vision. Wir alle lieben jetzt zu wenig, deswegen brauchen wir Gott und die Gewissheit, dass Alles durch ihn zu einem guten Ende kommt.
Hoffnung
Im heutigen Predigttext zum Ewigkeitssonntag wird das ewige Leben wie ein Hochzeitsfest dargestellt, zu dem Jesus uns wie ein Bräutigam einlädt. Für uns Christen kann die Vorfreude groß sein, dass wir eingeladen sind zu diesem Reich, „wo Fried und Freude lacht“. Viele Menschen fragen uns Christen: Wie kann da für alle Menschen genug Platz sein? Ein weiser Rabbi antwortete auf die Frage: „Was macht Gott, wenn nicht alle seine Kinder in den Himmel passen?“ – „Dann reißt er die Wand zur Hölle ein, und der Himmel ist ein großer Tanzsaal!“ Jesu hat zwar nicht direkt vom Tanzsaal gesprochen, sondern von der Ewigkeit im Bild eines Hochzeitsfestes. Bei einer Hochzeit wird auch immer getanzt. Freude und Glanz, wie gut sich Gott diese Welt mit der Liebe ausgedacht hat, leuchtet auf. Ich finde das Bild für die Ewigkeit sehr schön! Das moderne Kirchenlied passt dazu: „Unser Leben sei ein Fest, Jesu Geist in unserer Mitte, Jesu Werk in unseren Händen, Jesu Geist in unseren Werken. Unser Leben sei ein Fest, an diesem Tag und jeden Tag“.
In der Ewigkeit wird Jesus mitten unter uns sein. Wir werden uns endlich so verstehen, wie Gott es eigentlich geplant hatte. Wie viele schmerzliche Missverständnisse gibt es heute zwischen Menschen, die sich im Grunde lieben? Dann werden wir uns endlich verstehen! Wenn ich es persönlich sagen darf: Ich hatte mit meinem Vater im Leben schwere Probleme, obgleich er es auf seine Weise gut meinte. Ich bin überzeugt, dass wir uns in Jesu Nähe endlich ohne Entfremdung so verstehen werden, wie Gott es gewollt hat. Das dürfen wir für alle Menschen in der Ewigkeit erwarten. In einem Gespräch mit einem Bischof und einem Politiker über das ewige Leben kamen wir zu dem Glauben, dass wir sicher dann auch manchmal unser interessantes, schönes Gespräch fortsetzen können – der Politiker machte dazu den Scherz: Aber ein Glas mit gutem Wein sollte es dort auch wieder geben!
Jesu Gleichnis lädt uns heute ein zur Vorfreude auf das Fest in der Ewigkeit. Es enthält aber auch eine ernste Ermahnung: Ihr könnt die Ewigkeit verfehlen, wenn ihr euch gedankenlos nicht richtig auf das Fest vorbereitet. Euch geschieht nur, was ihr selbst geglaubt habt. Wenn ihr das Fest vergesst, findet ihr keinen Zugang zum Fest. Wenn ihr wie im Gleichnis beim Warten aufs Fest nicht genügend Öl habt, kann euch das Fest verschlossen sein. Jesus verspricht uns das ewige Leben und ermahnt uns sehr intensiv, es nicht gedankenlos zu verspielen. Das ewige Leben beginnt schon hier und heute. Jesus warnt uns eindringlich, unsere kostbare Lebenszeit nicht zu verspielen. Dann droht uns ein Zuspät! Die Tür zum Reich Gottes ist zu, wenn wir daran überhaupt nicht mehr denken. Gegenüber dem harten und ermahnenden Wort Jesu im diesem Text vertrauen wir mehr auf die vielen Worte vom Heiland, dass er uns in seine Gemeinschaft ruft zur ewigen Freude. Wie der verlorene Sohn dürfen wir, Töchter und Söhne Gottes, umkehren!
Unterwegs
Zum Schluss möchte ich Ihnen gern einige bewährte seelsorgliche Empfehlungen für Trauernde weitergeben: Unsere Toten sind bei Gott gut aufgehoben. Du kannst und sollst Dich an sie gern und oft und liebevoll erinnern, mit ihnen reden und ihre Gräber schmücken. Wer sich aber zu lange und intensiv bei den Toten ansiedelt, ist für das Leben und Gottes Reich verloren. Er verfehlt wie im Gleichnis womöglich selbst den Zugang zum ewigen Leben, weil er sich an den Tod bindet und den Toten nachstirbt. Deswegen verabschiedete sich eine sterbende Mutter von ihren Lieben mit den Worten: Kommt dann nicht zu oft ans Grab. Wir sind nicht hier. Du brauchst für die Toten und für Dich nicht durch gute Werke irgendwie büßen. Du kannst sie loslassen und sie Gottes treuer Liebe anbefehlen. Idealisiere die Verstorbenen nicht und stelle sie nicht auf einen Denkmalssockel. Die Gefahr ist sonst groß, dass Du niemanden mehr als Partner findest, weil Du alle mit Deinem Ideal vergleichst. Dazu die lehrreiche Geschichte: Ein Pastor stellt im Gemeindekreis die rhetorische Frage, ob sie auch nur einen Menschen kennen, der edler war als Jesus? Meldet sich ein Mann: Den kenne ich! Es ist der verstorbene erste Mann meiner Frau!
Deine Trauer wird in Wellen immer wieder zurückkehren. Rechne mit der Erfahrung anderer Trauernder, dass die Intensität des Schmerzes kleiner wird und die getrosten Phasen länger werden. Schäme Dich Deiner Tränen nicht. Du hat ein Recht darauf. Vor allem: Tränen haben heilende Kraft. Sage Dir: Heute ist der erste Tag vom Rest meines Lebens. Das klingt nüchtern und trotzig. Es schafft in Dir ein Gefühl von Selbstbewusstsein und hat den Glanz eines Neuanfangs. Behalte Dein Leben lieb. Suche Gemeinschaft zu anderen. Etliche Menschen warten auf Dich. Wende die Liebe, die Du den Verstorbenen nicht mehr schenken kannst, anderen Menschen und besonders den Hilfsbedürftigen zu. Lies Kindern und Einsamen und Kranken etwas vor. Wir sind alle unterwegs in dieser Zeit und wandern ohne Ruhe auf unserm Weg der Ewigkeit zu. Wer an Jesus glaubt, kann schon jetzt die Klänge und die Gesänge und die Musik aus dem himmlischen Festsaal hören. Am Ende unseres Weges werden wir uns bei Jesus wieder nahe sein.