Die Kraft der Liebe

In Konflikten von Gottes Liebe getragen

Predigttext: 1. Johannes 4,16b-21
Kirche / Ort: Ev. Kirche Dahl, Hagen
Datum: 11.06.2023
Kirchenjahr: 1. Sonntag nach Trinitatis
Autor/in: Pfarrer Norbert Deka

Predigttext: Johannes 4, 16b-21 (Übersetzung nach Martin Luther, Revision 2017)

16b Gott ist Liebe; und wer in der Liebe bleibt, der bleibt in Gott und Gott in ihm.
17Darin ist die Liebe bei uns vollendet, auf dass wir die Freiheit haben, zu reden am Tag des Gerichts; denn wie er ist, so sind auch wir in dieser Welt.
18Furcht ist nicht in der Liebe, sondern die vollkommene Liebe treibt die Furcht aus. Denn die Furcht rechnet mit Strafe; wer sich aber fürchtet, der ist nicht vollkommen in der Liebe.
19Lasst uns lieben, denn er hat uns zuerst geliebt.
20Wenn jemand spricht: Ich liebe Gott, und hasst seinen Bruder, der ist ein Lügner. Denn wer seinen Bruder nicht liebt, den er sieht, der kann nicht Gott lieben, den er nicht sieht.
21Und dies Gebot haben wir von ihm, dass, wer Gott liebt, dass der auch seinen Bruder liebe.

Lied nach der Predigt:
„Liebe ist nicht nur ein Wort“ (EG 665, Ausgabe RWL)

 

 

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“Wie sieht Gott eigentlich aus?“ Vielleicht haben Ihre Kinder Sie das schon einmal gefragt.
Oder Sie haben es sich auch selbst schon einmal gefragt: Wie kann ich mir Gott eigentlich vorstellen? Woran erkenne ich, dass er da ist? Wie merke ich, dass er mich sieht? Schon immer haben Menschen so gefragt. Wenn wir in die Bibel schauen, dann beschreiben Menschen Gott auf ganz unterschiedliche Weise: Er ist das Licht, der Fels, die Quelle, der Hirte, der Weg, ein Vater, ein Freund. Der Apostel Johannes hat seiner Gemeinde in einem Brief weitergegeben, woran er Gott erkennt. Für ihn ist Gott in einem Gefühl erfahrbar, das wir alle kennen und mit dem wir alle Erfahrungen haben: die Liebe. Hören, was er seiner Gemeinde dazu schreibt.

(Lesung des Predigttextes)

I.

Liebe kann man sehen. Wir erkennen sofort, wenn die Liebe sichtbar wird. Wer auf dem Spielplatz ein weinendes Kind auf dem Schoß der Mutter sieht, weiß, was das Kind empfindet: Die Schramme am Knie tut plötzlich nur noch halb so weh, weil die Mutter das Kind tröstet. Man fühlt sich geborgen, beschützt und in Sicherheit, alle Schmerzen zum Trotz. So wie eine Mutter tröstet auch Gott den Menschen in seinem Leid, sagt der Prophet Jesaja (Jesaja 66,13).

Wenn zwei Verliebte auf einem Spaziergang Hand in Hand miteinander gehen, dann sieht man ihnen an, dass die Umgebung für sie keine Rolle spielt. Sie schweben über dem Boden. Sie schauen einander an, als ob es nur sie beide auf der Welt gäbe. Sie halten einander im Arm, und wirken, als wenn sie eins wären. Wenn man wirklich verliebt ist, befindet man sich zwischen Himmel und Erde. Wer das schon einmal erlebt hat, vergisst es nie. Und er versteht auch, was gemeint ist, wenn jemand sagt: Liebe ist, wenn du morgens aufwachst und die Sonne scheint, obwohl es regnet. Die Liebe sorgt dafür, dass ich meinen geliebten Menschen ganz deutlich spüre, obwohl er gar nicht in der Nähe ist. Sie ist auch der Grund dafür, dass Menschen viele Jahre, manchmal ein ganzes Leben lang beieinanderbleiben, obwohl das Leben nicht einfach ist.

Liebe ist wie das Meer: es geht auf und ab, aber es bleibt immer. Ein Ort, den wir nicht sofort mit der Liebe in Verbindung bringen, ist der Friedhof. Doch am Grab werden die meisten Liebesgeschichten erzählt. Die Tränen und die Trauer der Menschen zeigen, wie weh es tut, wenn wir Abschied nehmen müssen und spüren: Hier endet die Geschichte, die mich auf der Erde mit diesem geliebten Menschen verbindet. Auch hier befinden wir uns zwischen Himmel und Erde und bemerken: Die Liebe ist die Kraft, die den geliebten Menschen bei mir hält. Die Liebe macht es möglich, dass ich den geliebten Menschen spüre, obwohl er  nicht mehr da ist. Die Liebe macht es möglich, dass ich mich mit ihm verbunden fühle, mit ihm spreche und seine Worte höre, obwohl ich weiß, dass er nicht mehr bei mir ist. Spätestens hier wird deutlich, dass die Liebe nicht nur zwischen Himmel und Erde ist, sondern auch etwas Göttliches hat.

II.

Johannes sieht in all diesen Begegnungen Gott und seine Liebe am Werk. „Lasst uns lieben, denn er hat uns zuerst geliebt“ – ruft er seiner Gemeinde zu. Er sagt das, weil die Liebe Gottes zum Menschen für ihn in der Mutterliebe, in der Liebe verliebter Menschen und der Liebe der Menschen am Grab erkennbar wird. Für Johannes ist die Liebe Gottes zum Menschen gerade darin erkennbar, dass Jesus Christus unter uns Menschen war und für uns gestorben und auferstanden ist. Die Geschichte Jesu ist für Johannes die Liebesgeschichte Gottes mit den Menschen.

Für Jesus Christus war die Liebe Gottes zu den Menschen so weitreichend, dass er dazu aufforderte, auch die zu lieben, von denen man selbst nicht geliebt wird. Auch die Menschen, die einem Böses wollen, die Feinde. Jesus selbst konnte noch am Kreuz für diejenigen bitten, die ihn umbringen wollten. So weit geht Johannes in seiner Vorstellung davon, wie Menschen miteinander umgehen sollen, nicht. Aber auch für Johannes ist die Liebe zwischen den Menschen kein zufälliges Ereignis. Wer – wie er – erkannt hat, dass Gott die Liebe ist, für den wird die Liebe zur Grundhaltung seines eigenen Lebens. An den Taten, die man tut, erkennt man den Glauben an Gott und die Verbundenheit mit ihm. Um es mit Johannes zu sagen: Gott ist Liebe; und wer in der Liebe bleibt, der bleibt in Gott und Gott in ihm.

Die Liebe wird zum entscheidenden Kriterium und zum Erkennungsmerkmal eines Christen. Spätestens hier merken wir: Johannes hat keine romantische Vorstellung von der Liebe. Er weiß, dass die meisten Liebesgeschichten auch Konfliktgeschichten sind. Es gibt neben den wunderbaren Beschreibungen der Liebe Gottes eben auch den menschlichen Hass. Johannes geht nicht so weit wie Jesus. Er fordert nicht die radikale Liebe auch derer, die einen selbst als Menschen ablehnen. Für ihn zeigt ein Mensch schon dann seine aufrichtige Liebe, wenn er seinen Bruder und seine Schwester liebt. Hier sind sicherlich nicht nur die leiblichen Verwandten gemeint, sondern alle Mitglieder der christlichen Gemeinde.

III.

Es war wohl schon in der Gemeinde des Johannes so, dass sich nicht alle so geliebt haben, wie Johannes es sich wünscht. Die Liebe untereinander hat es seit dieser Zeit in unseren Kirchengemeinden nicht einfacher. Das Kind, das auf dem Schoß der Mutter getröstet wird, ist irgendwann erwachsen. Es geht eigene Wege und bleibt doch in den Augen der Mutter immer das Kind. Es ist für manche schwer zu ertragen, dass die eigene Mutter und auch der eigene Vater Einfluss nimmt in der Familie, im beruflichen Leben und bei der Erziehung der eigenen Kinder. Niemand bleibt immer so frisch verliebt, dass die Sonne scheint, obwohl es regnet. Wenn dann am Ende keine Sonne mehr scheint und es nur noch regnet, wird eben manchmal der Hass erkennbar und nicht die Liebe. Auch am Grab wird manchmal deutlich, dass der Konflikt so stark war, dass eine Versöhnung nicht möglich war.

Johannes weiß, dass nicht jede Liebesgeschichte zwischen uns Menschen ein Happy End hat. Und wir wissen es auch. Gerade deshalb erinnert er seine Gemeinde daran, dass Gott seine Liebesgeschichte mit uns Menschen immer noch schreibt und wir darin vorkommen. Johannes nimmt uns ernst. Er weiß, dass wir das alles können:

  • trösten, wie eine Mutter ihr Kind tröstet;
  • so verliebt sein, dass die ganze Welt sich nur um uns dreht;
  • so lieben, dass wir beim Abschied Tränen und Trauer empfinden.

Und wir können auch von alldem genau das Gegenteil. In uns liegt beides, die Liebe und der Hass. Ob das eine oder das andere erkennbar ist, wenn wir mit Menschen umgehen, ist für Johannes allerdings nicht beliebig und zufällig. Für Johannes ist die gute Botschaft von der Liebe, dass Gott uns zuerst geliebt hat. Er schenkt uns die Kraft zu lieben, auch wenn der Hass in uns ist. Aus dem Bewusstsein, von Gott geliebt zu sein, schöpft der Christ / die Christin die Kraft, auch andere zu lieben. Es ist wie eine Spielregel unter Christen: “Und dies Gebot haben wir von ihm, dass, wer Gott liebt, dass der auch seinen Bruder liebe”.

IV.

Aber auch hier gilt: Johannes denkt nicht theoretisch über die Liebe nach. An einer anderen Stelle in seinem Brief schreibt er: Meine Kinder, lasst uns nicht lieben mit Worten noch mit der Zunge, sondern mit der Tat und mit der Wahrheit. Man erkennt einen Christen daran, was er tut. Und so ist seine Aufforderung, einander zu lieben, eine Ermutigung für alle, die in Konfliktgeschichten stecken.

Ich höre Johannes so: Er fordert uns auf prüfen, ob wir noch mit Gott verbunden sind bei dem, was wir tun. Wenn ich ernst nehme, dass Gott mich mit meinen Stärken und Schwächen liebt, so wie ich bin, kann ich auch mit anderen anders umgehen. Wer mit den Augen der Liebe auf die älter werdenden Eltern schaut, findet vielleicht eher die Kraft zu Geduld und Ausdauer und behält die Nerven, auch wenn einem manchmal anders zumute ist. Wer mit den Augen der Liebe auf den Partner schaut, der sich seit dem ersten Verliebtsein doch sehr verändert hat, versucht es vielleicht noch einmal. Wer mit den Augen der Liebe auf die Familiengeschichte schaut, schafft es vielleicht, sich zu versöhnen, bevor es zu spät ist. Vielleicht. Wenn das gelingt, dann bleiben wir in Gott und Gott in uns. An uns wird seine Liebe erkennbar. Dazu schenkt uns Gott die Kraft.

 

 

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Ein Kommentar zu “Die Kraft der Liebe

  1. Pastor i.R. Heinz Rußmann

    Mit der immer aktuellen Frage , wie wir uns Gott richtig vorstellen können, beginnt die Predigt. Der Text antwortet: Gott ist die Liebe. Sie kann man sehen, wenn sie vielfältig ausgeübt wird.Liebe spürt man sogar noch am Grab geliebter Menschen. Für Johannennes ist die Geschichte von Jesus die Liebesgeschichte Gottes mit uns und für uns. Jesus hat sogar zur Feindesliebe aufgefordert. Die Liebe gilt nicht nur unseren Geschwistern, sondern auch unseren Mitchristen. Die Predigt zählt dann drei wichtige Beispiele für wahre christliche Liebe auf. Liebe soll ausgeübt werden in der Tat und in der Wahrheit. Zum Schluss der Predigt werden wir aufgefordert, besonders auch die älteren und schwierige werdenden Eltern zu lieben und mit seinem Partner und mit unserer Familie immer wieder trotz Konflikten versöhnlich zu leben. An uns wird die Liebe erfahrbar. – Sehr anschaulich und und überzeugend predigt der Pfarrer Deka über die Liebe.

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