Die Kraft des Glaubens
Die Ängste verschwinden nicht, wir sehen sie sogar klarer, aber sie verlieren an Macht über uns
Predigttext: Johannes 16,23b-28 (29-32)33 (Übersetzung nach Martin Luther, Revision 1984)
Wahrlich, wahrlich, ich sage euch: Wenn ihr den Vater um etwas bitten werdet in meinem Namen, wird er's euch geben. Bisher habt ihr um nichts gebeten in meinem Namen. Bittet, so werdet ihr nehmen, dass eure Freude vollkommen sei. Das habe ich euch in Bildern gesagt. Es kommt die Zeit, dass ich nicht mehr in Bildern mit euch reden werde, sondern euch frei heraus verkündigen von meinem Vater. An jenem Tage werdet ihr bitten in meinem Namen. Und ich sage euch nicht, dass ich den Vater für euch bitten will; denn er selbst, der Vater, hat euch lieb, weil ihr mich liebt und glaubt, dass ich von Gott ausgegangen bin. Ich bin vom Vater ausgegangen und in die Welt gekommen; ich verlasse die Welt wieder und gehe zum Vater. Das habe ich mit euch geredet, damit ihr in mir Frieden habt. In der Welt habt ihr Angst; aber seid getrost, ich habe die Welt überwunden.
Einführung zum Predigttext
Jesus steht kurz vor seiner Verhaftung in Gethsemane (Abschiedsreden). Jesus bereitet seine Jünger auf seine Passion vor. Sie werden Angst und Schrecken erleben. „Angst lehrt beten“ heißt es. Gebet ist eine starke Waffe gegen die Angst, das wissen auch Menschen, die sonst nie beten. Was kann man da erwarten? Jesus gibt eine Garantie der Gebetserhörung: „Wenn ihr den Vater in meinem Namen um etwas bittet, wird er es euch geben“. Damit wird Gott zum Wunschautomat. Die Aussage über die Gebetserhörung ist ärgerlich, provokativ und führt zur Krise im Glauben. Das ist eine Anfrage an die persönliche Gebetspraxis sowie an eine Theologie des Gebetes. Warum sprechen wir Fürbitten? Für was können wir beten im Gottesdienst, für was nicht? Um gutes Wetter? Die Worte im Predigttext sind im Kontext zu bewerten. Jesus will den Jüngern die Angst nehmen. Beten geht auch direkt zu Gott, ohne Jesus als Fürsprecher.
Jesus bereitet seine Jünger auf das Alleinsein vor. Allein sein und doch nicht allein sein. Jesus macht es vor. Die Jünger werden ihn verlassen. Glauben gegen die Angst des Alleinseins trägt und tröstet. Jesus wird zum Vorbild und Coach. Beten gegen die Angst. Hier bekommen wir alles was wir brauchen, die Grundlage für unser Leben, damit wir nicht in unseren Ängsten versinken und die Angst uns lähmt. Doch Gebet dürfen wir nicht zu einfach sehen. Es ist das Vertrauen darauf, dass Gott uns geben wird, worum wir bitten, aber nicht so wie wir es erwarten und wie wir denken. Gebet kann einen wieder auf die Spur bringen, wenn man aus der Bahn geworfen wurde, aber es kann mich auch völlig aus der Bahn werfen. Gebet ist aber auch nur Hingabe an das, was ist. Gebet ist Kontakt suchen zum Leben und zum Heiligen. Die Begegnung mit dem Heiligen ist nicht unbedingt harmlos. Gebet kann auch Erschrecken und Erschaudern bedeuten (Rudolf Otto „Das Heilige“), also selbst Angst machen, weil es uns mit uns selbst konfrontiert.
Jesus fordert auf, Ängste anzuschauen und mit Ängsten zu leben. Glauben beginnt mit dem Erschrecken, mit dem existentiellen Schock und mit den Abgründen. Sören Kierkegaard hat dies grundlegend beleuchtet („Der Begriff Angst“). Er betont, dass der Mensch erst lernen muss sich richtig zu ängstigen, damit man über die Auseinandersetzung mit der Angst zu sich selbst und zu Gott finden kann. Die Angst als Endlichkeit zu entlarven, führt zum Getröstetsein der Unendlichkeit. Der Umgang mit der Angst gibt Auskunft über das Christsein. In der Kunst hat Christoph Schlingensief die „Church of fear“ begründet. Diese Kunstaktion startete 2003 in der Biennale in Venedig und lief dann an vielen Orten. Sich seinen Ängsten zu stellen hat erlösende Kraft. Schlingensief musste dies dann auch in persönlicher Betroffenheit durchexerzieren als er an Lungenkrebs erkrankte und daran starb (Christof Schlingensief: „So schön wie hier kanns im Himmel gar nicht sein!“). Wenn wir unsere Ängste im Licht des Glaubens betrachten, ist Erlösung bereits im Gang, weil Christus die Welt überwunden hat.
Vgl. meinen Predigtimpuls im DtPfrbl 4/2015, S.217.
Wie ängstlich sind sie? Sind sie grundsätzlich ein ängstlicher Mensch oder eher der Furchtlose, der Draufgänger? Wo können Sie sich hier wiederfinden? Angst etwas Falsches zu sagen, Angst vor Einbrechern, vor dem Dunklen, vor dem Tod, Angst die Haltestelle zu verpassen, den Schlüssel zu verlieren, vor Menschen zu sprechen, Angst vor Referaten, der Mathearbeit, dem Abitur, Angst vor Spinnen, vor der Islamisierung, vor dem 3. Weltkrieg, Angst jemanden zu verlieren, etwas zu vergessen, sich falsch zu entscheiden, etwas falsches zu kaufen, kein Geld mehr zu haben, vor Arbeitslosigkeit, vor der OP, Angst vor dem Alter, Angst, dass das Kleingeld im Automaten durchfällt, die Bedienung einen übersieht, der Zug weg ist, der Termin falsch eingetragen ist, Angst sich zu erkälten, einen Burn-out zu bekommen, vor dem Arzttermin, der Spritze, dem Zahnarzt, Angst vor Menschen, vor Hunden, vor Mäusen, Angst vor der Angst.
Irgendetwas beunruhigt uns immer. Wir haben einen inneren Scanner laufen, ein Suchsystem, ein Wachsamkeitssensor. Wildtiere sind immer auf der Hut, auch wenn sie entspannt sind. Manche schlafen nur im Stehen, minutenweise, denn der Löwe geht um. Ist Wachsamkeit und Ängstlichkeit ein archaisches Relikt? Wie stellt man das ab? Das kostet viel Kraft und Lebensfreude. Was hilft? Natürlich der Glaube. Glauben gegen die Angst. Wie geht das, wie machen wir das? Geht das überhaupt? Angst lehrt beten, heißt es. Gebet ist eine starke Waffe gegen die Angst, das wissen auch Menschen, die sonst nie beten. In Notsituationen betet man. Das ist so. Wenn die Angst kommt, betet man ganz automatisch. Aber was kann man da erwarten?
Die Situation der Jünger im Predigttext ist von aufkommender Angst geprägt. Jesus steht kurz vor seiner Verhaftung in Gethsemane. Es sind die Abschiedsreden Jesu im Johannes-Evangelium, in denen Jesus sagt: „Ich bin vom Vater ausgegangen und in die Welt gekommen; ich verlasse die Welt wieder und gehe zum Vater”.
Jesus macht seine Jünger fit für etwas was Angst machen wird. Die Jünger werden Willkür-Staatsgewalt, Folter, Todesstrafe, Verfolgung, Trennung von ihrem Rabbi, Freund, Tod und Abschied erleben. Jesus hält das Beten hoch: „Amen, amen, ich sage euch: Wenn ihr den Vater in meinem Namen um etwas bittet, wird er es euch geben. Bis jetzt habt ihr noch nie in meinem Namen um etwas gebeten. Bittet, und ihr werdet empfangen, damit eure Freude vollkommen sei”. Das klingt wie ein Wahlversprechen. Alles könnt ihr euch wünschen, wünsch´ dir was, es wird dir erfüllt werden. Es ist eine sehr problematische Aussage von Jesus. Gott wird Wunschautomat. Es ist eine Gebetserhörung im unerhörten Sinn und damit eine Anfrage an unsere Gebetspraxis. „Wenn ihr den Vater in meinem Namen um etwas bittet, wird er es euch geben.“ Wir wissen es von Kindheit an, wenn man Papi um etwas bittet, dann ist es fraglich, ob man es bekommt. Die Aussage über die Gebetserhörungsgarantie ist ärgerlich, provokativ und führt unweigerlich zur Krise. Was, wenn ich es nicht bekomme? Was passiert, wenn ich Gott um Gesundheit bitte und nichts passiert? Wenn ich um Klärung in einer schwierigen Situation bitte und nichts passiert? Meine Krise wird dann zur Glaubenskrise.
„An jenem Tag werdet ihr in meinem Namen bitten, und ich sage nicht, dass ich den Vater für euch fragen werde. Denn der Vater selbst liebt euch, weil ihr mich lieb gewonnen habt und zum Glauben gekommen seid, dass ich von Gott ausgegangen bin.“ Die Worte sind im Kontext zu sehen. Jesus will den Jüngern die Angst nehmen. Beten geht auch, wenn Jesus nicht mehr da ist. Jeder kann direkt zu Gott beten. Mit Jesus war Gott nahe für die Jünger. Geht Jesus von ihnen, so verlieren sie Gott in ihrem Leben. Es ist die Angst vor der Gottesferne, die Angst allein zu sein, die hochkommt. Jesus bereitet seine Jünger auf das Alleinsein vor. „Doch die Stunde kommt, ja, sie ist gekommen, da ihr zerstreut werdet – jeder dorthin, wo er einmal war – und ihr mich allein lasst. Und doch bin ich nicht allein, denn der Vater ist bei mir.“ Allein sein und doch nicht allein sein. Jesus macht es vor, wie es geht und zu verstehen ist. Die Jünger werden ihn verlassen und er wird allein sein. Aber seine Verbunden mit Gott wird bleiben. Hier steht der Glauben gegen die Angst des Alleinseins. Glaube trägt, tröstet. Jesus bereitet sich auf die Krise vor, sich selbst und seine Jünger. Er will, dass sie in der Gewissheit leben: Gott lässt dich nie allein, Gott erhört deine Gebete, Gott liebt dich.
Beten gegen die Angst. Hier bekommen wir alles was wir brauchen, die Grundlage für unser Leben, damit wir nicht in unseren Ängsten versinken, sie nicht die Überhand gewinnen, uns lähmen, damit wir handlungsfähig bleiben, den Kopf nicht verlieren. „Wenn ihr den Vater in meinem Namen um etwas bittet, wird er es euch geben.” Das Gebet dürfen wir nicht zu einfach sehen. Gott wird uns geben, worum wir bitten, aber eben nicht so wie wir es erwarten, wie wir denken. Kein schönes Wetter, Frieden hier und dort Reichtum. Gebet beinhaltet die Kraft, die uns die Angst nimmt, damit wir Dinge anders sehen können, Mut haben zu handeln, durch Krisen und Entscheidungssituation hindurchkommen, damit unsere Seele heil bleibt. Gottes Segen lässt uns immer wieder erfahren: es ist alles schon da was du zum Leben brauchst, so wie es jetzt ist, ist es gut, auch wenn noch viel zu tun ist.
Beten gegen die Angst. Wie kann das Aussehen im Alltag? Kurz innehalten, durchatmen, innerlich raus aus allem, an Gott denken, an nichts denken, in den Himmel schauen, das Vaterunser sprechen, die Augen schließen, in die Kirche gehen, in den Wald gehen, meditieren, Gebet ist ein weites Feld, denn es heißt irgendwie Kontakt aufnehmen zu Gott, das alles hilft uns gegen die Angst. Beten gegen die Angst. Kann man damit die Angst komplett abschalten, angstfrei leben? Der Christ ist ohne Angst? Da hat Jesus für die Jünger einen anderen Weg: „In der Welt habt ihr Angst; aber seid getrost, ich habe die Welt überwunden”. Angst bleibt in der Welt, in uns. Dagegen ankämpfen wäre fatal, ganz im Gegenteil, Ängste bewusst zu machen, sich den Ängsten zu stellen, Angst nicht negieren, das kostet Lebenskraft. Glauben beginnt damit, dass man sich seinen Ängsten stellt, damit Lebenskraft wieder fließen kann. Ostern beginnt damit, dass sich die Frauen fürchten. An Weihnachten, haben die Hirten erst einmal Angst. Immer sagen Engel: Habt keine Angst, keine Furcht!
Glauben beginnt mit dem Erschrecken, der Angst, dem existentiellen Schock, dem Verlust von Naivität und dem Wissen um Gefahren, Abgründe. Wenn man jung ist hat man Angst, weil man vieles noch nicht kennt. Wenn man älter wird, hat man Angst, weil man vieles kennt: Mobbing, Krankheiten, Einbrüche. Die Erfahrung unserer Existenz ist mit Angst verbunden. Sören Kierkegaard, ein Theologe und Philosoph, hat dazu ein grundlegendes Buch geschrieben: „Der Begriff Angst“. Sören Kierkegaard betont, dass der Mensch erst lernen muss sich richtig zu ängstigen. Erst muss man die Angst wahrnehmen, die in einem steckt, damit man über diese Auseinandersetzung mit der Angst zu sich selbst und Gott finden kann. Es sagt, dass man ganz in seine Ängste hineingehen soll, damit man sie dann durchschaut und als endlich entlarvt. Es gibt mehr in uns als die Angst. Die Angst ist endlich, aber Gott ist unendlich. Das zu erfahren führt zu großem Trost. Die Erfahrung der Unendlichkeit Gottes lässt alle Angst kleiner werden.
„In der Welt habt ihr Angst; aber seid getrost, ich habe die Welt überwunden.“ Jesus fordert seine Jünger und damit auch uns auf, unsere Ängste anzuschauen, aber nicht von einer Haltung heraus, die uns noch mehr verängstigt, sondern die uns ruhig werden lässt. Denn wir können uns sicher fühlen, getröstet fühlen in ihm. Das ist die Kraft des Glaubens und auch die Kraft des Gebetes. Die Ängste verschwinden nicht, wir sehen sie sogar klarer, aber sie verlieren an Macht über uns, denn das ist uns zugesagt: Christus hat die Macht, er hat die Welt überwunden. In ihm liegt Frieden. „Das habe ich mit euch geredet, damit ihr in mir Frieden habt.“
Sehr ausführlich predigt Pfarrer Hoffmann über die Angst und die Überwindung der Angst durch Jesus. Zu Beginn schildert er die sehr verschiedenen Situationen, in denen wir Angst haben können. Wir sind wie Wildtiere, die immer auf der Hut sind und am besten deswegen im Stehen schlafen. In Notsituationen beten fast alle Menschen zu Gott. Im Predigttext will Jesus die Christen fit machen gegen die Angst. Beten ist auch für Jesus eine Waffe gegen die Angst. Ungewöhnlich realistisach warnt der Prediger vor dem naiven Gebetsglauben, dass Gott einfach alle Wünsche z.B. nach Gesundheit erfüllt. Gott ist kein Wunschautomat. Wenn naive Bitten oft nicht erhört werden, kommt es bei manchen zu einer Glaubenskrise. Jesus bereitet seine Jünger auf das Alleinsein vor. Er bereitet sich auf das Kreuz vor und den Abschied. Die Verbundenheit mit Gott aber bleibt. Beten hilft gegen die Angst. Gebet schenkt die Kraft, welche uns die Angst nimmt. Wir können unsere Probleme anders sehen und bekommen, was wir fürs Leben brauchen. Wir fliehen gewöhnlich vor der Angst und geben ihr Macht, uns zu verfolgen und zu quälen. Jesus aber, wie später der große Philosoph Kierkegaard und manche Psychotherapeuten, empfehlen, in unsere Angst in Gedanken weiter hineinzugehen. Dann löst sie sich gewöhnlich von allein auf. Gottes Macht können wir dann erfahren. Zum Schluss bekräftigt der Prediger nochmals, dass die Ängste auf diese Weise die Macht über uns verlieren. Christus hat die Welt überwunden. Diese ungewöhnlich konzentrierte und intensive, einfühlsame und seelsorgliche ermutigende, aufklärende und tröstliche Predigt wird sicher Vielen helfen, ihre Ängste zu bewältigen und Jesus zu verstehen und sich über das Geschenk des Glaubens zu freuen.