Liebe Gemeinde!
Menschenkarawanen sind unterwegs
Schaut zum Horizont, dort zieht die Karawane weiter. Sie macht sich auf zu neuen Ufern, neuen Herausforderungen und Abenteuern entgegen. Wer zieht mit ihr? Die Kinder, die wir heute getauft haben, und die zu Erwachsenen geworden sind und sich aufmachen in ihr Leben. Die, die aufbrechen dem nächsten Trend und der nächsten Mode hinterher. Die, die hier nicht mehr finden, was sie suchen. Auch die, die sich Christen nennen und sich aufmachen, um Jesus nachzufolgen. Die Karawane zieht weiter, und wir bleiben stehen? Ziehen wir mit, gehören wir zu denen, die nicht bleiben wollen oder können? „Denn wir haben hier keine bleibende Stadt, sondern die zukünftige suchen wir“. Ein Wort aus dem Hebräerbrief, das über diesem Sonntag als Bibelabschnitt steht. Es versteht sich aufs Aufbrechen und wenigstens die Christen, die dort mitziehen, könnten es auf die eigenen Fahnen schreiben.
Im 13. Kapitel des Hebräerbriefes werden den christlichen Gemeinden die letzten Ermahnungen mit auf den Weg gegeben. Der Autor hat sich viele Kapitel lang mit der Frage abgemüht, was Christen und Juden voneinander unterscheidet und was das für das für das Leben der Gemeinden zu bedeuten hat. Nun kommt er ans Ende und macht einen Punkt. In den Versen 12 bis 14 hören wir das auf diese Weise:
(Lesung des Predigttextes)
Das Bild vom Großen Versöhnungstag steht hinter diesen Formulierungen. An diesem wichtigen jüdischen Feiertag wurden die Opfertiere vor dem Tor der Stadt geschlachtet und ihr Blut zum Altar gebracht, um Vergebung für die Sünden der Menschen zu erbitten. Dieser Tag war ein Festtag, konnten die Menschen doch wieder neu anfangen und sich mit neuem Mut auf die Aufgaben stürzen – ohne die Last der Vergangenheit, ohne die Schuld, die manchem schwer auf der Seele lastete. Eine menschenfreundliche Einrichtung, ein solcher Tag, auch aus der Sicht des Hebräerbriefes. Nur dass wir Christen nicht einen bestimmten Tag haben, an dem das geschieht, und dass wir einen Altar haben, der nicht aus Stein, sondern aus Fleisch und Blut ist. Vor den Toren der Stadt suchen die Christen nicht geschlachtete Tiere, sondern Jesus. Dorthin nämlich ist er gegangen, um die Schuld aller Menschen auf sich zu nehmen. Vor die Tore der Stadt, wo wir den Müll, den toten und den lebendigen zu entsorgen pflegen. Aus dem jüdischen Ritual, das alljährlich wiederholt wurde und wird, ist für Christen ein einmaliges Opfer geworden: Nicht mehr wiederholbar, auch damit alle Opfer von Menschen ein Ende haben auf Erden. Jesus ist für uns dort hinaus gegangen, als erster und einziger. Mehr braucht es nicht. Denn die Karawanen, die sich seitdem aufmachen, aus den Städten, den sicheren Orten, die gehen seinem Weg hinterher.
Zuspruch und Anspruch
Ein für alle Mal ein Ende mit dem Opfer und den Opfern, aber nicht mit den Tätern. Denn zu Tätern sollen nun auch wir werden. Zu Tätern der Liebe und der Gnade mit den Werkzeugen des Friedens in Herzen und Händen. „So lasst auch uns nun hinausgehen“ – wir gehen nicht zum Opfern, denn das braucht es nicht mehr für das Leben bei Gott. Wir gehen den Weg der Liebe Jesus hinterher, und der führt uns hinaus. Zuspruch ist das und Anspruch für mein Leben und für das Leben unserer Gemeinden. Zuspruch, weil wir uns und Gott nichts mehr beweisen müssen. Wir sind an seiner Seite durch das, was Jesus für uns getan hat und darum sind wir ihm so lieb, wie euch, liebe Eltern, eure Kinder, die ja auch nichts dafür können, dass ihr sie liebt. Anspruch Gottes aber ist es ebenso, denn es muss sich auch in unserem Leben und im Leben unserer Gemeinden etwas ändern. Es wird auch uns hinaus ziehen: hinaus aus der Stadt und weg von den sicheren Orten zu den Menschen.
Sie werden uns sagen können, was da draußen los ist, wenn man auf der Straße lebt. Wie das ist, wenn man nicht sicher weiß, wo der Weg mich hinführt. Wie brennend es einen treibt, der einen Sinn sucht für sein Leben und nicht weiß, wo ihn finden? Die Menschen auf den Straßen kennen das Gefühl, den Blicken anderer ausgesetzt zu sein. Fragt die Konfirmanden, die wissen, wie das ist, wenn man mit den falschen Klamotten angezogen ist oder wenn man nicht so cool ist wie nötig. Die Menschen vor den Toren kennen die Sehnsucht nach dem Ort, wo sie sicher sind und sie kennen den Zwang, sich jeden Tag von neuem zu entschieden, weil der Weg so unsicher ist. Draußen vor dem Tor also ist es ungemütlich. Aber dort leben die Menschen, und dort sind Christen gefragt, auch in den Straßen unseres Stadtteils und vor den Türen unserer Kirche. Dort also wird sich zeigen, ob Gott etwas zu sagen hat oder ob sowieso keiner mehr glaubt und interessiert ist. Gott hat sich nicht einsperren lassen und sein Sohn ist hinaus gegangen. Und deshalb machen die Worte des Hebräerbriefes es mir nicht so einfach, mich hinter den geschlossenen Türen traulicher Gemeindekreise einzurichten. Deshalb macht es Jesus mir nicht möglich, mich zu bescheiden mit denen, die sowieso im Trockenen sitzen und es gut haben. Gottes Geist weist der Kirche und den Gemeinden einen anderen Weg: Nicht die Asche der Erinnerung sollen wir bewahren, sondern das Feuer, das andere wärmen und Finsternis hell machen kann. Die Frage nach der Zukunft unserer Gemeinde hier und der Kirche im allgemeinen wird nicht zu beantworten sein ohne dieses Feuer für die Menschen, das in den Herzen brennt und in dem einst Gott selbst sich Mose offenbart hat.
Ich weiß, dass es gut tut, wenn man dazugehört. Wenn man macht, was alle machen. Wenn man nicht auffällt, denn wer auffällt, wird leicht zum Opfer. Zwischen dem Drinnen-Sein an den sicheren Orten und den Wegen hinaus liegen auch unsere Wege. Wie wir Menschen Heimat geben in unseren Gemeinden und wie wir trotzdem bei ihnen auf dem Weg sind, das ist kein leichter Spagat. „Denn wir haben hier keine bleibende Stadt, sondern die zukünftige suchen wir.“ Alles ändert sich bei uns – obwohl sich das ziemlich anstrengend anhört, steckt doch viel mehr Heimat darin.
Der Weg führt in Gottes Hand
Die sicher geglaubten Häuser, die doch auf Sand gebaut sind und unsere gut geplanten Wege in die Zukunft, über denen doch schon die Wassermassen hereinzubrechen drohen, sind indes nicht die geschützten Orte, die Gott uns anbietet. Die Mauern dieser Städte werden vielmehr in unseren Herzen errichtet und sie schützen uns, weil Gott selbst in ihnen wohnt. Es ist fast wie ganz am Anfang des Volkes Israel: Auf den Wegen durch die Wüste ging Gott mit ihnen und war im Zelt immer unter ihnen. So nahe ist uns Gott wieder. Die Fundamente hat Gott bereits gelegt an dem Ort Golgatha. Dort hat er alle Sicherheiten hinter sich gelassen und ist dem Tod entgegen gegangen. In Gottes Hand hat er sich begeben, mit großer Angst, aber er hat seinem himmlischen Vater schließlich vertraut. Und das zu Recht: Gott hat seinem Sohn recht gegeben und ihn auferweckt. Das Fundament für die neue Stadt liegt im Vertrauen und im Glauben an Gott, der seinen Sohn nicht hat alleine gehen lassen. Er wird auch uns auf den neuen Wegen nicht verlassen. Am Ende werden wir schließlich in sicheren Mauern leben, die Kinder und die Konfirmanden, die Alten und die Jungen. Auf das himmlische Jerusalem gehen wir mit Jesus an unserer Seite zu, das weiß die Offenbarung des Johannes, das letzte Buch der Bibel. Bis dahin bleiben wir unterwegs, bei und mit den Menschen, bis dahin haben wir Gelegenheit, vielen davon zu erzählen und vielen beizustehen bei ihren Aufbrüchen.
Am Horizont zieht die Karawane weiter. Ziehen wir mit ihr? Es ist ein Trost, dass heute die Kinder getauft wurden. Denn die Taufe ist ein Zeichen für den Aufbruch und die Heimat. Dass Gott eure Kinder liebt, dass ist ihnen heute auch „offiziell“ zugesprochen worden. In diese Liebe hinein können sie sich verkriechen, wann immer ihnen auf den schwierigen und gewundenen Wegen ihres Lebens danach sein wird. Sie werden aus dieser Liebe jederzeit Kraft finden für die nächsten Schritte. Mit euren Kindern machen wir uns also auf den Weg und ziehen mit zu den Menschen und auf die Straßen. Gott geht mit uns.
Amen.