Ein Gott, der uns begleitet
Was bleibt von Weihnachten?
Predigttext: Hiob 42,1-6 (Übersetzung nach Martin Luther)
*1 Und Hiob antwortete Gott und sprach: *2 Ich weiß, dass du alles vermagst, und kein Vorhaben dir verwehrt werden kann. *3 Wer ist es, der den Rat verhüllt ohne Erkenntnis? So habe ich denn beurteilt, was ich nicht verstand, Dinge, zu wunderbar für mich, die ich nicht kannte. *4 Höre doch, und ich will reden; ich will dich fragen, und du belehre mich! *5 Mit dem Gehör des Ohres hatte ich von dir gehört, aber nun hat mein Auge dich gesehen. *6 Darum verabscheue ich mich und bereue in Staub und Asche.
Exegetische Hinweise zumnPredigttext
Das Buch Hiob ist eine weisheitliche Dichtung. Das Buch hat viele Dichter und Philosophen inspiriert, weil es so ungewöhnlich ist. Die bekannteste Bearbeitung ist in Deutschland wohl der Prolog zum Faust von Johann Wolfgang von Goethe.„Hiobsbotschaft ist in die Umgangssprache aufgenommen worden.
Dabei wäre es ein Missverständnis anzunehmen, dass Hiob sich für absolut sündenfrei hält. Nur so schwerer Sünden, die sein wirklich schlimmes Leiden verursacht haben könnten, ist er sich nicht bewusst. Er argumentiert – ebenso wie seine Freunde – innerhalb der alttestamentlichen Vorstellung vom Tun-Ergehen Zusammenhang, dass eben unser Wohlergehen davon abhängt, wie man sich verhalten hat. Sein Schicksal passt nicht in diese Vorstellung, deshalb rebelliert er gegen Gott.
Diese Rebellion fordert eine Reaktion Gottes heraus, in der Gott ihm klarmacht, dass Er, Gott, so viel weiser ist als Hiob, dass diese Rebellion Schuld ist. Als Reaktion darauf spricht Hiob dann die Worte unseres Predigttextes. Buße, obwohl Hiob doch eigentlich Recht hat, ist für moderne Hörer schwer zu ertragen. Am Sonntag nach Weihnachten, an dem alle noch in Festtagsstimmung sind, ist dieser Text noch schwerer zu vermitteln als sonst.
Die Predigt wird am 29.12.19 um 10.00 Uhr in der Fischerkirche St. Andreas in Schlutup/ Lübeck gehalten
Nun ist Weihnachten schon wieder vorbei. Die Adventszeit, die Aufregung, der Stress, selbst die Familienbesuche sind vorüber. Vielleicht haben Sie ja schon gestern „St. Umtausch“ gefeiert, vielleicht planen Sie es noch. Jedenfalls ist Weihnachten 2019 vorbei, wir sehen nach vorne, auf Silvester und das Neue Jahr.
I.
Ich habe diese Zeit zwischen Weihnachten und Neujahr schon immer geliebt. Mein Mann und ich haben am 27.12. geheiratet, am 29.12. haben wir unser 1. Kind getauft. Jeder und jede hatte in diesen Tagen Zeit, selbst wir PastorInnen, denn die große Aufregung, die vielen Gottesdienste sind vorbei. Wer heute hier im Gottesdienst ist, gehört zu den ganz Treuen.
So am Jahresende, wenn man zur Ruhe kommt und zur Besinnung, ist aber auch Zeit, einmal zurückzublicken auf das Jahr, wie es denn war, was wir erlebt haben. Das Fernsehen ist ja voll mit Jahresrückblicken, die größten Ereignisse in Sport, Politik, Kunst und was auch immer, da ist es gut, auch einmal persönlich zurückzublicken, Bilanz zu ziehen.
Vielleicht mögen Sie es einmal tun, darüber nachdenken, wie denn Ihr Jahr war. Haben Sie eher Gutes erlebt oder eher Schlechtes? Waren Sie krank, haben Sie einen lieben Menschen verloren? Oder war es eher positiv, haben Sie schönes erlebt, Neues erkundet, neue Freunde gewonnen, sind gesund geworden? Jeder und jede von uns hat unterschiedliche Erlebnisse gehabt, und so unterschiedlich fällt auch die Bilanz aus.
Auch unser Predigttext heute ist das Ende einer solchen Bilanz. Es ist ein Gebet, eine Rede Hiobs an Gott. Hiob kennen wir von den Hiobsbotschaften, die ja sprichwörtlich sind. Hiob war ein frommer und guter Mann, von Gott gesegnet, er hatte Frau, Kinder, Vermögen, es ging ihm gut. Er hat das auch nie in Frage gestellt, denn er war ja ein frommer und guter Mann, und zur Zeit des Alten Testaments glaubten die Menschen, dass sich das widerspiegelte darin, wie es einem geht.
Doch dann kamen plötzlich die Hiobsbotschaften, er verlor sein Vermögen, seine Kinder starben, er wurde krank. Er fragte sich: „Wie kann das sein? Ich habe mir doch nichts zuschulden kommen lassen?“ Seine Freunde sind sich ganz sicher, dass Hiob schwer gesündigt haben muss, versuchen ihn in immer neuen langen Reden, davon zu überzeugen. Hiob ist sich genauso sicher, dass er gut gelebt hat. Sie können ja nicht ahnen, dass Gott mit dem Satan eine Wette abgeschlossen hat, dass Hiob ihm auch im Unglück treu bleiben wird.
II.
So altertümlich das vielleicht wirkt, so sind es doch ganz moderne Fragen, die auch heute noch von Menschen immer wieder gestellt werden. „Wie kann Gott das zulassen?“, so wird häufig gefragt, wenn jemand schreckliches Unglück erdulden muss. „Das hat er/ sie nicht verdient“, wird oft gesagt, wenn jemand schwer krank ist und Schmerzen hat. Wolfgang Borchert in seinem Drama: Draußen vor der Tür spricht vom „lieben lieben Gott“, der doch nicht stark genug war, um die Grausamkeiten des 3. Reiches und des 2. Weltkrieges aufzuhalten oder zu beenden.
Die Freunde Hiobs sind sich sicher: Er hat es verdient, was ihm geschieht, auch wenn er nicht weiß, womit. Wenn er nur lange genug sucht, dann wird er einen Grund finden. Hiob ist sich genauso sicher: Er hat es nicht verdient, und wenn er auch die ersten Unglücksschläge genauso aus Gottes Hand annimmt, wie er die guten Dinge seines Lebens angenommen hat, wird er doch zunehmend unsicher und verzweifelt, schreit er sein Unglück und sein Unverständnis hinaus. Er will Gott zur Rechenschaft ziehen.
Diese Gedanken beschäftigen uns auch heute noch, viele Jahrtausende später. Der Gedanke, dass es unsere eigene Schuld ist, wenn es uns schlecht geht, kommt in allen Bereichen des Lebens immer wieder. Mein Mann hatte z.B. letztes Jahr Speiseröhrenkrebs, und wir mussten immer wieder betonen, dass er nie geraucht hatte in seinem Leben und nur sehr wenig Alkohol getrunken. Wer krank wird, der hat nicht genug Sport getrieben, sich falsch ernährt, dieser Eindruck wird immer wieder erweckt. Ich finde, das ist die Frage nach der Schuld am eigenen Leiden im modernen Gewand.
Bei Kindern, die nicht so geworden sind, wie man sich das erträumt hat, ist die Erziehung schuld, meistens das Verhalten der Mutter, wer verarmt, hat nicht genügend vorgesorgt. Immer wieder wird nach Gründen gesucht, warum Schicksalsschläge verdient sind. Zwar wird heute meistens nicht mehr Gott dafür verantwortlich gemacht, aber nach Schuld sucht man doch.
Hiob ist sich aber – guten Gewissens – keiner Schuld bewusst, schreit seine Klage hinaus – und seine Anklage gegen Gott, der ihn so ungerecht behandelt. Ich muss ganz ehrlich sagen, dass ich auch die Vorstellung von einem Gott, der wegen einer Wette so mit dem Leben von Menschen spielt, befremdlich und erschreckend finde.
III.
Aber genau deshalb bittet Hiob in unserem Predigttext – ein Gebet gegen Ende des Hiobbuches – Gott um Vergebung. Er sagt sogar, dass er sich selbst verabscheue und in Staub und Asche bereue. Das ist für uns schwer nachzuempfinden, aber das Buch Hiob ist ein Weisheitsbuch und meint, dass Gott so groß und so weise ist, dass man ihn nicht hinterfragen sollte, selbst, wenn man ihn einfach nicht versteht, selbst wenn er nur wegen einer Wette mit dem Leben von Menschen spielt. Selbst wenn man bedenkt, dass das Buch Hiob Dichtung ist und kein Tatsachenbericht, ist der Gedanke schwer zu ertragen.
Deshalb finde ich es schön, dass dieser Abschnitt ausgerechnet jetzt Predigttext ist, in der Zeit so kurz nach Weihnachten. Denn wir leben ja nicht mehr zur Zeit des Alten Testaments, sondern jetzt, 2000 Jahre nach Christus. Wir haben gerade die Geburt Jesu gefeiert, in dem Gott uns nahe ist. Gott kommt als Mensch auf diese Erde, das ist die Botschaft des Weihnachtsfestes.
In dem Kind Jesus in der Krippe begegnet uns ein anderer Gott, der nicht so weit weg ist und nicht so mit dem Leben von Menschen spielt wie damals bei Hiob. In Jesus ist Gott Mensch geworden, hat die Höhen und Tiefen des menschlichen Lebens kennengelernt, ist ohne alle Schuld grausam am Kreuz gestorben. Seitdem weiß er, wie es ist, er ist uns nahe in unserem Leid, trägt uns und bewahrt uns.
Wir verstehen immer noch nicht, warum einige Menschen viel leiden müssen und andere nicht. Die Sätze: „Warum ausgerechnet ich?“, „Das hat er/ sie nicht verdient!“ uind „Wie kann Gott das zulassen?“ zeigen, dass es unbegreiflich für uns ist. Freude und Leid sind nicht gleichmäßig und gerecht verteilt, es gibt keinen Zusammenhang zwischen dem, was wir tun, und wie es uns geht. Aber eins ist anders: Gott ist bei uns, ist uns nahe, er weiß, wie es uns geht.
Ich weiß nicht, wie Ihr Jahr war, ob eher schön oder eher traurig. Aber eins weiß ich: Sie müssen es nicht allein durchstehen, Gott war bei Ihnen, um Ihre Freude größer zu machen, Ihr Leiden erträglicher. Das sagt uns Weihnachten, dass Gott bei uns ist, in allem war geschieht. Das Schöne ist: das ist nicht nur im Rückblick so. Auch 2020 und darüber hinaus wird gelten: Gott begleitet uns durch die Zeit, ganz nah, um zu stärken, zu helfen, zu trösten.