Predigt

Ein offenes Herz bewahren

Wer sind wir? Die Frage nach unserer Identität

PredigttextGalater 2,16 (17.18).19-21 (mit Einführung)
Kirche / Ort:Magdeburg
Datum:11.08.2024
Kirchenjahr:11. Sonntag nach Trinitatis
Autor:Dr. habil. theol. Günter Scholz

Predigttext: Galater 2,16 (17.18).19-21 (Übersetzung nach Martin Luther, Revision 2017)

16 Weil wir wissen, dass der Mensch durch Werke des Gesetzes nicht gerecht wird, sondern durch den Glauben an Jesus Christus, sind auch wir zum Glauben an Christus Jesus gekommen, damit wir gerecht werden durch den Glauben an Christus und nicht durch Werke des Gesetzes; denn durch des Gesetzes Werke wird kein Mensch gerecht. 19 Ich bin durchs Gesetz dem Gesetz gestorben, damit ich Gott lebe. Ich bin mit Christus gekreuzigt. 20 Ich lebe, doch nun nicht ich, sondern Christus lebt in mir. Denn was ich jetzt lebe im Fleisch, das lebe ich im Glauben an den Sohn Gottes, der mich geliebt hat und sich selbst für mich dahingegeben. 21 Ich werfe nicht weg die Gnade Gottes; denn wenn durch das Gesetz die Gerechtigkeit kommt, so ist Christus vergeblich gestorben.

Exegetische Bemerkungen zum Predigttext

Wir haben es in Gal 2,16-21 mit dem Grund-Satz christlichen Glaubens, insbesondere reformatorischer Lehre zu tun. Paulus hat das bewusst so herausgestellt durch das Vorzeichen „… wir wissen“. Der Abschnitt steht im Zusammenhang mit Paulus‘ Versuch, die durch Judaisten verführten Galater wieder zum „wahren Evangelium“ zurückzugewinnen. Er bringt dabei das ganze geistliche Gewicht seiner Person ins Spiel (1,11-17), er verweist auf seine Kampfkraft gegen die „falschen Brüder“, die er schon einmal bewiesen habe (2,1-5), und auf die Auseinandersetzung mit dem in seinen Augen Verrat am Evangelium übenden Petrus (2,11-14), die dann ins Grundsätzliche mündet – in seinen Augen münden muss, weil eben dieses Grundsätzliche (immer wieder) in Frage steht.

Das Grundsätzliche ist für ihn, dass der Mensch nicht das wahre Leben erlangt durch Erfüllung der Toragebote, sondern durch das Vertrauen darauf, dass ihm das Leben in Christus schon gegeben ist (was freilich Taten der Liebe nach sich zieht [Gal 5,6]). Das Grundsätzliche wird für ihn zur Beschreibung messianisch-jüdischer Identität (Gal 2,20: „Ich …“).

Wahres Leben heißt: Gott gerecht werden. So ist „Gerechtigkeit“ zu verstehen, nicht distributiv, sondern relational. Wir werden Gott gerecht, indem wir seinem Walten in uns Raum geben. Das heißt „glauben“ (v. Rad, ATD 2-4, zu Gen 15,6).

Um die Judaisten ins Unrecht zu setzen, polarisiert Paulus. Das Wissen, dass kein Mensch vor Gott gerecht ist, nimmt er aus Ps 143,1f. Da steht aber nichts von „Werken“! Die fügt er ein, um den Gegensatz zum Glauben aufzubauen. Diese Radikalisierung verbindet ihn mit Martin Luther (Röm 3,28: „allein“).

Homiletische Überlegungen

Die hier von Paulus formulierte „Rechtfertigungslehre“ ist ein Grundpfeiler christlichen Glaubens und die Kernbotschaft evangelischer Verkündigung. Homiletisch ist sie in verschiedene Richtungen aufgeschlüsselt worden, z.B. hinsichtlich rechter Glaubenshaltung oder hinsichtlich der Frage nach dem Wert des Menschen. – Ich sehe in Gal 2,16ff die Frage nach der Identität des Christen gestellt (bes. Gal 2,19f). Die Identität des Christseins steht auch heute in Frage. So ist es gut hinzuhören, wie Paulus sie beschreibt.

Ich sehe Identität in dreierlei Hinsicht herausgefordert. Erstens besteht eine Angst vor der Islamisierung Europas. Das beste Mittel dagegen ist, sich bewusst zu machen, wieviel Kraft, wieviel Gelassenheit, wieviel Freiheit unser Glaube uns schenkt. – Zweitens liegt eine Gefahr in der Verallgemeinerung: „Wir haben alle einen Gott.“ Aber weder Jahwe noch Allah haben sich der Welt ganz und gar ausgeliefert. – Drittens wird Christsein oft verwechselt mit „Gutes tun“. Die Konturen von Christentum und Humanismus werden zuungunsten des Christentums verwischt.

Paulus beschreibt meine christliche Identität nicht von meinem Ich aus, sondern von Christus her. Der Weg über das Ich führt nicht weiter, das weiß auch Lukas (Lk 18,9-14), sondern der Schwerpunkt meiner Identität liegt extra me. Oder philosophisch-theologisch formuliert: Es gilt nicht „cogito ergo sum“, sondern amor ergo sum“. Dazu bedarf es eines offenen Herzens: „Porta patet, cor magis“.

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