(Die Predigt zum Sonntag Quasimodogeniti am 23. April 2017 wird am 30. April 2017 in des St. Christophorus-Kirche in Lübeck gehalten.)
Wie schön ist das: Man kommt nach Hause, und das Essen ist fertig. Das hat den Jüngern nach einer anstrengenden Nachtschicht sicher auch gefallen. Sie sind erschöpft, durchnässt, abgekämpft, hungrig. Und dann steht da jemand am Ufer und sagt: „Kommt, denn ist alles bereit“, und wir fügen dem Sinne nach hinzu: „Schmecket und sehet, wie freundlich der Herr ist”. Sie spüren, dass es mit dem Fremden etwas Besonderes auf sich hat. Sie deuten richtig: Es ist der Herr. Hätten die Jünger nicht selber ihr Frühstück zubereiten können? Holz sammeln, ein Feuer entzünden, die Fische braten, Brot besorgen? Das hätten sie gekonnt. Aber hier wird deutlich, wie freundlich der Herr ist, voller Liebe und Fürsorge. Als sie ohne etwas gefangen zu haben am Ufer angekommen sind, stellt Jesus ihnen eine Frage: „Kinder, habt ihr nichts zu essen?“ Nein, haben sie nicht.
Aber Jesus weiß Rat: Er schickt sie noch mal hinaus. „Werft das Netz zur Rechten des Bootes aus.“ Und dann geschieht erneut das Wunder eines erfolgreichen Fischzuges, so wie seinerzeit, als sie mit dem irdischen Jesus unterwegs waren. Für die Jünger liegt die Deutung auf der Hand: Jesus ist immer noch da, auch wenn seine Leiblichkeit eine andere Gestalt angenommen hat. Und für uns gilt das genauso, auch wenn seine Leiblichkeit verwandelt ist in einen Geist, der personhaft, kraftvoll und wirkungsmächtig am Werke ist. Immer noch erreicht uns seine Liebe und Fürsorge. Immer noch ist sein Einfluss in unserer oft so schrecklichen Welt spürbar. Immer noch stiftet er Wunder des Mitgefühls und der Versöhnung. Immer noch gilt die Zusage: „und ob ich schon wanderte im finsteren Tal fürchte ich kein Unglück, denn du bist bei mir. Dein Stecken und Stab trösten mich”. Immer noch blüht angesichts von Todesnot Hoffnung auf, wenn seine Worte uns berühren: „Ich lebe, ihr sollt auch leben.“
Wie an vielen anderen Stellen der Bibel ist es auch hier: Die Realität des Alltages mit seinen Sorgen und Nöten werden ins Auge gefasst. Während die Jünger mit Jesus unterwegs waren, gingen sie sozusagen auf Wolken. Sie hatten Anteil an einer Welt, die ihr Herr als Himmelreich oder Königreich Gottes bezeichnet hatte. Sie durften mit erleben, wie messianische Prophetien in Erfüllung gingen: Unzählige Menschen wurden von ihren Krankheiten geheilt. Sündern wurde Vergebung zuteil. Sogar Tote rief Jesus ins Leben zurück. Seine Predigten wirkten bei den Zuhörern wie gute Medizin. Der Sorgengeist wurde in seine Schranken gewiesen, Gottvertrauen gestärkt. Der Feindschaft und dem Hass unter den Menschen setzte er Liebe, Verständnis und Vergebung entgegen. Und das hatte eine wohltuende, heilende Wirkung.
Durch Jesus erlebten sie ein Stück Himmel auf Erden. Es war wunderbar. Und dann kam der leider furchtbare Absturz. Jesus erfuhr Widerstand und Feindschaft. Er ahnte sein frühes Lebensende. Die Jünger mussten lernen, damit fertig zu werden. Es ist ihnen schwer gefallen, obwohl Jesus sie dafür gut vorbereitet hatte. Seine bleibende Botschaft lautete: Gottes Liebe findet auch in der Dunkelheit ihren Weg zu uns. Er schärfte ihren Blick für das Ziel ihres Lebens, das hier keine Erfüllung findet, sondern sich in der Ewigkeit Gottes vollendet. Er warb für seine Weltsicht, für seine Deutung des Lebens: Die Dunkelheit muss weichen. Nach Kampf kommt der Sieg. Statt Trauergesänge werden Freudenhymnen angestimmt. Wie oft hat Jesus diese Botschaft in die prophetischen Worte gefasst: Des Menschensohn muss leiden und sterben. Aber am dritten Tage wird er auferstehen. So hat Jesus immer wieder die Fahne der Hoffnung aufgezogen.
Und dann kam sein Ende. Es folgte die Auferstehung. Und dann? Dann kam erst einmal eine merkwürdige, aber verständliche Ernüchterung. Eine innere Leere. Der auferstandene Herr hatte sich wohl ein paar Mal sehen lassen, aber so richtig präsent war er doch nicht. Oft wusste man nicht so recht, ob die Gestalt, die ihnen erschien, wirklich er selbst war. Man fühlte sich ziemlich allein und verlassen. Der Alltag holte die Jünger ein. Das Leben ging ja weiter. Sie mussten für ihren Lebensunterhalt sorgen. Da taten sie, was wie am besten konnten: In ihrem alten Beruf arbeiten. Das war nicht nur mit Mühe verbunden, sondern auch mit mancher Erfolglosigkeit. Verständlich, dass das auch Frust bedeutete.
So etwas kennen wir doch auch aus unserem Leben. Wie viele Blütenträume sind auch bei uns schon verwelkt? Wie viele Fehlschläge mussten wir verkraften? Gibt es hier guten Rat? Erwächst daraus hilfreiche Erkenntnis? Unsere Geschichte hält jedenfalls einigen guten Zuspruch bereit: Während wir uns mit unseren Enttäuschungen und manchem Misslingen abmühen, hält ein anderer schon die Lösungen für uns bereit. Während uns die Kräfte verlassen und wir nur noch stöhnen: „Ich kann nicht mehr!“, ist am Ufer schon alles für uns vorbereitet, um uns für die Kämpfe des Lebens zu stärken. Während wir uns über ungnädiges Schicksal beklagen, ruft uns der Mann am Ufer zu: „Komm her, du Mühseliger und Beladener, ich will dich erquicken”.
Und das Gute, das Gelingende gibt es in unserem Leben doch auch: Die 153 Fische, die den Jüngern ins Netz gingen, ermöglichen viele Deutungen. Ich will davon nur eine erwähnen: Da sehen wir, wie großzügig unser Herr sein kann. Hat er nicht schon bei der Hochzeit zu Kana, als es keinen Wein mehr gab, Wasser in herrlichen Wein verwandelt? Und das im Übermaß. Mehr als getrunken werden konnte. Und hatte er nicht einmal aus ein paar Broten und wenigen Fischen über 5000 Menschen gesättigt, und war nicht noch eine Menge davon übrig geblieben? Und müssen die meisten von uns nicht dankbar bekennen, dass sie mehr als genug zum Leben haben? Stimmen wir nicht darum immer wieder gerne jene Liedstrophe an, die davon singt: „Der mich bisher hat ernähret und mir manches Glück bescheret, ist und bleibet ewig mein. Der mich bisher hat geführet und noch leitet und regieret, wird forthin mein Helfer sein”.
Erinnern wir uns nicht gern an die wunderbaren Worte des 23. Psalms, in dem der Beter bekennt, dass ihm nichts mangelt und an die schönen Bilder von dem Weiden auf einer grünen Auge und dem Führen an das frische Wasser. Und wie aussagestark ist das Bild vom Bereiten des Tisches im Angesicht der Feinde, wobei die „Feinde“ für alle möglichen Widrigkeiten des Lebens stehen können. Für die Jünger war die Begegnung mit Jesus, damals am See Genezareth, eine glückliche Stunde. Obwohl sie ihn nicht erkannten, wussten sie zutiefst: Sie sind ihrem Herrn begegnet und sie schöpften daraus die Zuversicht: Er wird uns weiterhin treu zur Seite stehen, und er wird Mittel und Wege finden, das umzusetzen. Sie sind nicht enttäuscht worden. Und wir werden es auch nicht sein.