Einladung
Was heißt, einladende Kirche zu sein?
Predigttext: Matthäus 22,1-14 (Übersetzung nach Martin Luther, Revision 2017)
1 Und Jesus fing an und redete abermals in Gleichnissen zu ihnen und sprach: 2 Das Himmelreich gleicht einem König, der seinem Sohn die Hochzeit ausrichtete. 3 Und er sandte seine Knechte aus, die Gäste zur Hochzeit zu rufen; doch sie wollten nicht kommen. 4 Abermals sandte er andere Knechte aus und sprach: Sagt den Gästen: Siehe, meine Mahlzeit habe ich bereitet, meine Ochsen und mein Mastvieh ist geschlachtet und alles ist bereit; kommt zur Hochzeit! 5 Aber sie verachteten das und gingen weg, einer auf seinen Acker, der andere an sein Geschäft. 6 Die Übrigen aber ergriffen seine Knechte, verhöhnten und töteten sie. 7 Da wurde der König zornig und schickte seine Heere aus und brachte diese Mörder um und zündete ihre Stadt an. 8 Dann sprach er zu seinen Knechten: Die Hochzeit ist zwar bereit, aber die Gäste waren's nicht wert. 9 Darum geht hinaus auf die Straßen und ladet zur Hochzeit ein, wen ihr findet. 10 Und die Knechte gingen auf die Straßen hinaus und brachten zusammen, alle, die sie fanden, Böse und Gute; und der Hochzeitssaal war voll mit Gästen. 11 Da ging der König hinein zum Mahl, sich die Gäste anzusehen, und sah da einen Menschen, der hatte kein hochzeitliches Gewand an, 12 und sprach zu ihm: Freund, wie bist du hier hereingekommen und hast doch kein hochzeitliches Gewand an? Er aber verstummte. 13 Da sprach der König zu seinen Dienern: Bindet ihm Hände und Füße und werft ihn in die äußerste Finsternis! Da wird sein Heulen und Zähneklappern. 14 Denn viele sind berufen, aber wenige sind auserwählt.
Exegetische Bemerkungen zum Predigttex
Das Gleichnis vom großen Festmahl gehört in den vv 1-5.9-10 zur Q-Überlieferung. Der Q-Form gehören die vv 6-8 nicht an. V 7 ist deutlicher Reflex auf die Zerstörung Jerusalems im Jahr 70 und deren matthäische Deutung, dass der Weinberg anderen Pächtern gegeben werde (Mt 21,41b.43). Vv 6 und 8 liegen im Lichtkegel von v 7. „Böse und Gute“ in v 10 ist redaktionell. V 11ff ist Sondergut, welches die generelle Einfügung „Böse und Gute“ durch ein spezielles Sondierungskriterium (berufen – auserwählt) zu erklären versucht.
Matthäus kennzeichnet das Gleichnis als Himmelreichsgleichnis. „So verhält es sich mit dem Himmelreich …“ alias „mit dem Reich Gottes“. Reich-Gottes-Gleichnisse beantworten die Frage nach Gott. „So verhält es sich mit Gott …“ Gott ist nicht zu denken ohne Bezug zu meinem Leben. So geht es in diesem Gleichnis zugleich um mein Leben, um verfehltes oder gelingendes Leben. „Du kannst das Himmelreich auf Erden haben – wenn du willst.“ Bei Matthäus ergeht eine doppelte Einladung an die gleiche Zielgruppe („die Geladenen“ v 3 und v 4), bevor eine letzte Einladung an eine andere Zielgruppe („die auf der Straße“ v 9) ergeht (Bei Lukas sind es drei Einladungen an drei verschiedene Zielgruppen [v 17ff; v 21f; v 23].). Die Mt-Version zeigt deutlich den werbenden Charakter des „Königs“/Gottes (Extraeinladung!) und darin auch die Freiheit, die Gott dem Menschen gibt, auf sein Werben zu reagieren. Die Freiheit ist Gott wichtig. Aber der Mensch trägt auch die Konsequenzen seiner Entscheidung. Hast er kein Interesse, wird Gott sich anderen zuwenden.
Somit ergibt sich auf matthäischer Ebene folgende – weitere – theologische Aussage: Du kannst das Himmelreich hier und jetzt haben. Lass dich einladen, höre Gottes Ruf. Du bist berufen. Du bist frei zuzusagen oder auch nicht. Folgst du nicht, schließt du dich aus dem Himmelreich selbst aus. – Du bist berufen. Zeig das auch. Gib dem Freuden- und Lebensspender die Ehre durch dein anschaubares Leben. – Tust du es nicht, verwirkst du dein Dabeisein. Gott bleibt frei in seiner Auswahl. Aber wisse auch: Er ist nicht willkürlich. Durch dein Ja und durch deine innere Einstellung hast du eine Vorentscheidung getroffen. Homiletische Überlegungen Welchem theologischen Skopus soll die Predigt folgen: Das werdende Christentum als das wahre Israel (Mt)? Dein Leben sei ein Fest mit Gott; lass dich einladen(Q)? Deine Freiheit und Gottes Freiheit (Mt)? Ich entscheide mich für den Q-Skopus. Er steht für „einladendes Evangelium“, „einladende Kirche“. Das will ich verkündigen, das will ich sein. Zugleich aber will ich die Mt-Perikope textlich nicht auf Q reduzieren, sondern ganz zur Geltung kommen lassen. Meine Predigt kann nichts anderes sein als die Einladung Gottes weiterzugeben, die Einladung, unser Leben mit ihm zu feiern. Darin stehe ich in der Nachfolge Jesu. Was ich über die Einladung hinaus noch von mir aus sagen kann, ist dies: Lass dich darauf ein, auf die Einladung, auf das Fest, auf das, was dich erwartet. So und nur so wirst du Gott erfahren – und dich neu.
Was erfahre ich, wenn ich mich darauf einlasse? Es ist so wie bei jeder Einladung zu einem Fest: Es gibt viel Überraschendes, was nicht vorhersagbar ist. Das muss als Antwort über allem stehen, und das gilt auch für mich als Prediger. Könnte ich einen Erfahrungsbericht geben, dann wäre das Fest ja für mich schon gelaufen; ich bin selbst aber mitten drin bzw. möchte es sein. Aber immerhin: Ein bisschen leuchtet durch von dem, was ich auf dem Fest erleben werde, wenn ich mich denn darauf einlasse.
Trotz „einladendem Evangelium“ enthält der Mt-Text, dem ich mich ja in seiner ganzen Länge stellen will, ärgerliche Anstöße: Stadtzerstörung und Rauswurf des underdressed man. Auch sie werde ich benennen und zugeben, dass ich mit ihnen meine Probleme habe. Überginge ich sie, wären sie ein Störfaktor in den Köpfen der Zuhörer, der mein „einladendes Evangelium“ ungebührend überlagerte. Ich werde auch eine Lösung anbieten, ohne die Anstöße zum Zentrum meiner Predigt werden zu lassen. Liedvorschlag: Leben im Schatten, Sterben auf Raten (Gott lädt uns ein zu seinem Fest!)
Einladung
Inzwischen ist es wie ein Fest, auf das sich alle Beteiligten schon freuen. Vor zwei Jahren begann es mit einer Herrentour in das Panorama-Museum des Bauernkriegs nach Bad Frankenhausen, dann folgte der Besuch des deutsch-orthodoxen Klosters bei Bodenwerder, und nächstes Jahr soll es nach Wittenberg gehen. So etwas spricht sich herum in der Gemeinde – und wird zunächst mit Skepsis aufgenommen. Dagegen aber hilft: einladen! Wie schön, wenn dann jemand bekennt: „Ich konnte mir gar nicht vorstellen, wieviel Freude es macht dabeizusein. Das muss man einfach erleben.“
Jesus wirbt auch für ein Fest. „Dein ganzes Leben kann zu einem Fest werden, wenn du Gott erfährst. Gott lädt dich ein in sein Haus, feiere mit ihm das Fest deines Lebens. Dein Leben sei ein Fest, und Gott lädt dich ein. Wir wollen hören, wie Jesus seine Jünger damals eingeladen hat, sich auf Gott, den Gastgeber des Festes, einzulassen und mit ihm das Fest des Lebens zu feiern. Und wir dürfen das natürlich auch als Einladung an uns hören.
(Lesung des Predigttextes)
Ein paar Misstöne
Schade! So ein bisschen ist jetzt unsere Festesfreude getrübt. Was ist das für ein unmenschlicher König, der den Mann in seinem zerrissenen Gewand rauswirft: „Zur Hölle mit ihm!“ Einladende Kirche habe ich bisher immer anders erlebt. Was ist das für ein König, der Rache übt an ein paar militanten Feinden und ihre Stadt niederbrennen lässt? Soll ich mir so den gerechten Gott vorstellen? An einen solchen Gott zu glauben fällt schwer. Ich will mir die Einladung zum Fest des Lebens dadurch nicht vermiesen lassen. Ich glaube, die Einladung gilt trotzdem: für Sie und für mich. Ich kann nichts dafür, dass der im Grunde gütige König auch ein so strenger König sein kann. Vielleicht soll uns auch nur gesagt werden: Wenn Gott uns einlädt zu seinem Fest, dann meint er es ernst. Es geht um uns, um unser Leben, um gelingendes und gelungenes Leben. Das zu suchen ist eine ernste Sache. Spaß haben, „bis der Arzt kommt“, sich totfeiern wird dem nicht gerecht. So mach ich mir meinen Reim auf den gar gestrengen König.
Sich einlassen
Aber das kann den werbenden und gütigen Grundton Gottes nicht aufheben. Gott lädt dich und mich ein zum Fest des Lebens. Es ist sein Fest. Es ist sein Fest für dich und mit dir. Du musst nur zusagen und kommen – wie bei der Herrentour. Dich einlassen auf eine unbekannte spirituelle Erfahrung. Dann wirst du die Freude des Festes erleben, dein Leben bekommt einen neuen Glanz; du wirst Gott erfahren. Komm und sieh! Komm und lass dich einladen. Ich kann dir im Einzelnen auch nicht sagen, was dich erwartet. Gott wird es dich und mich erleben lassen. Und – ein Fest ist immer voller Überraschungen. Komm und lass dich darauf ein!
Widerstände
Ich weiß, das ist schwer. „Ich hab mich gut in meinem Leben eingerichtet, worauf soll ich mich einlassen? Wer weiß, wohin das führt!“ Jesus kennt mich, und daher erzählt er auch so: Gott lädt ein zum großen Fest, „doch sie wollten nicht kommen“. Ich finde mich unter ihnen wieder. Gott lässt mir die Freiheit, mich so zu verhalten. Aber er wird seine Einladung wiederholen. Denn er weiß, wen er ruft. Du gehörst zu den Gerufenen, du gehörst zu den Berufenen. Viele sind berufen. Und alle können sich frei entscheiden, ob sie Gottes werbendem Ruf folgen wollen oder nicht. – Jesus erzählt nun von denen, die sich darauf nicht einlassen, weil sie keine Zeit dazu haben. Sie haben so viel Arbeit, da können sie ihre Zeit nicht auf irgendeiner religiösen Spielwiese vertrödeln. Andere müssen an ihr Geschäft. Der Erfolg ist ihr Gott, und der offenbart sich in immer größer werdenden Erträgen. Bitte, du bist frei! Geh deinen Weg, wenn du meinst, das sei das Himmelreich auf Erden. Vom wahren Glück, vom wahren Leben, von wahrer Freiheit schließt du dich damit selbst aus. Dabei kann das wahre Himmelreich dir so nah sein, hier und jetzt, auch für dich, wenn du der Einladung Gottes folgst. Aber bitte …
Weg in die Freiheit
Dessen ungeachtet – Gottes Ruf erschallt weiter. Er lässt sich nicht entmutigen. Er lädt weiter ein zu seinem Fest. Nicht um seinetwillen. Sondern um unseretwillen. Denn es ist ja letztlich unser Fest, unser Fest des Lebens. „Geht hinaus auf die Straßen und holt zusammen, wen ihr trefft: Gute und Böse, Rechtschaffene und Übeltäter, Redliche und Taugenichtse. Sie sollen das Fest des Lebens erfahren.“ Und sie kamen und erfuhren es. Sie erfuhren Gott. Das muss für sie etwas ganz Besonderes sein. Sie merken auf einmal: Ich bin ein ganz neuer Mensch: Ich bin nicht mehr der Gute oder der Böse, der Rechtschaffene oder der Übeltäter, der Redliche oder der Taugenichts; ich bin das, was ich in Gottes Augen bin: Gast an seinem Tisch. Auch ich, auch du, auch Sie, wir alle.
Das Fest des Lebens mit Gott kann sofort beginnen! Komm und gib dem Gastgeber die Ehre! Feiere mit ihm das Fest des Lebens. Du wirst es merken, dass du ein neuer Mensch wirst, ein freier Mensch, ein Mensch, der das, was er tut, selbstlos und gern tut, nicht aus Zwang, sondern aus Drang, nicht aus wirtschaftlichem Nutzen, sondern im Dienst am Nächsten, nicht damit man darüber redet, sondern ganz einfach weil es Freude macht. Deine Freiheit hat etwas Leichtes, etwas Spielerisches an sich; und das ist dein Feierkleid. Das wird man an dir sehen und bewundern. Darum kommt und lasst uns der Einladung folgen und sehen, was geschieht.
Martin Luther soll gesagt haben, dass er über den schwierigen Text ungern predigen würde. In seiner vorbildlichen und sehr erhellenden Bibelauslegung erklärt Dr Scholz warum: Der Text zeigt das frohe Fest für alle und gleichzeitig das harte Gericht Gottes. Auch im Exegese-Kreis haben zehn Pastoren über den Text am Mittwoch widersprüchlich diskutiert und “geklärt.” . Teilweise wollen wir bisher nur über einen Aspekt des Predigttextes predigen. Dr Scholz aber gelingt es sehr überzeugend, beide Aspekte zu predigen. Gott ist ein strenger König und gegen die billige Gnade. Deine Ablehnung seiner Einladung nimmt er ernst. Seine Einladung aber steht im Vordergrund der ermutigenden und erfreulichen Predigt. Mit Freude und Freiheit endet diese bemerkenswerte, schöne Predigt und hinterläßt “etwas Leichtes und Spielerisches” in der Seele der Hörer des eigentlich schwierigen Textes.