Eine Taufe gehört zu den schönen Familienfesten. Wie dankbar und glücklich sind Eltern, wenn ihr Kind gesund zur Welt gekommen ist. Oft ist dies der Grund, warum sie es taufen lassen und damit den Wunsch verbinden, dass der Segen Gottes weiterhin auf ihm ruhen möge und es bewahrt werde vor Unfall, Schaden und Gefahren. Gern wählen sie als Taufspruch das wunderbare Wort aus Psalm 91: „Denn er hat seinen Engeln befohlen, dass sie dich behüten auf allen deinen Wegen, dass sie dich auf den Händen tragen und du deinen Fuß nicht an einen Stein stoßest.“ (Psalm 91,11-12) Und wie schön ist es, wenn sich dieser Zuspruch im Leben des getauften Kindes bewahrheitet. Jedenfalls sind die Worte von Tod und Begräbnis anlässlich der Taufe eines Kindes nicht besonders beliebt. Leider besteht das Leben nicht nur aus Wünschen und Hoffnungen. Es gibt auch bittere Wahrheiten. Wir machen um sie verständlicher Weise einen großen Bogen. Aber der Apostel Paulus spricht sie aus und auch, wenn es uns nicht gefällt: Sie begegnen uns immer wieder.
Ich hielt einen Gottesdienst für Motorradfahrer und stellte in den Mittelpunkt meiner Predigt das Kultwort der Bikergemeinde: „Fahre nie schneller als dein Schutzengel fliegen kann”. Zuspruch und Mahnung waren die zentralen Themen meiner Ausführungen. Nach dem Gottesdienst sprach mich ein junger Mann an und sagte: „Mein Freund ist gerade mit seiner Maschine tödlich verunglückt. Da hat sein Schutzengel wohl nicht aufgepasst”. In diesem Augenblick wurde mir noch einmal deutlich: Das Wort von den Engeln, die uns behüten auf all unseren Wegen, ist schön und verheißungsvoll, und oft dürfen wir dankbar feststellen: Da war ein gefährliche Situation, aber der „Schutzengel hatte den Daumen dazwischen”. Leider ist das nicht immer so. Die Sicht des Paulus zeigt die andere Wirklichkeit des Lebens, seine zerbrechliche, vergängliche, sterbliche Seite.
Aber mit dieser dunklen Sichtweise kann sich Paulus nicht begnügen. Das wäre ja auch trostlos. Im Gegenteil: Seine Feststellung lautet: Trotz Untergang, Unglück, Tod und Begräbnis: Das Leben behält den Sieg. In der Verbundenheit mit Christus haben wir daran schon jetzt Anteil. Ein ehemaliger Klassenkamerad lag mit schwerem Nierenleiden auf dem Krankenbett. Seine Familie und viele Freunde besuchten ihn und gaben ihrem Mitgefühl Ausdruck. Aber er wollte davon nichts wissen. Er ließ über seinem Bett ein Schild aufhängen mit den Worten: „Gott macht keine Fehler“. Er starb viel zu früh, aber unvergessen bleibt, wie tapfer und zuversichtlich er die Fahne des Lebens hisste. Woher kommt solche Zuversicht? Paulus erklärt es so: Es ist die innere Verbundenheit mit Jesus Christus:
„Denn wenn wir mit ihm verbunden und ihm gleich geworden sind in seinem Tod, so werden wir ihm auch in der Auferstehung gleich sein”. Anteil an dem Wunder der Auferstehung hat Paulus schon jetzt, und für uns gilt das auch. „Jesus lebt, mit ihm auch ich“, so singt es die Gemeinde als Trostlied bei Trauerfeiern. Diese Verbindung hat der Apostel stark gemacht im Alltag des Lebens angesichts mancher Schwierigkeiten und Bedrängnissen. Wir fürchten uns vor Not und Elend. Wir tun es zu Recht, und wenn wir Gott bitten, uns davor zu bewahren, dann ist das in Ordnung. Es ist verständlich, wenn wir vor Schwierigkeiten die Flucht ergreifen, sobald sie auftauchen. Oft ziehen die bedrohlichen Unwetter ja wieder ab, und wir dürfen unbeschadet in das Glück des Alltags zurückkehren. „Noch mal gut gegangen, Glück gehabt, Bewahrung erfahren“, das sind dann unsere dankbaren Stoßseufzer. Aber was sagt Paulus dazu? Er ist, was den Glauben betrifft, aus ganz anderem Holz geschnitzt als wir es normalerweise sind. Immer wieder kommt er in seinen Briefen darauf zu sprechen, wie misslich seine äußeren Umstände sind. Aber beeindruckend ist, wie gelassen, wie tapfer er damit umgeht.
Einmal berichtet Paulus von einem Aufenthalt im Gefängnis. Zu Unrecht wird er wie ein Straffälliger behandelt. Nur unter Aufsicht, an einen Aufseher gekettet, darf er sich bewegen. Wenn wir so durch die Straßen geführt würden, dann wäre uns das unendlich peinlich, egal ob wir schuldig oder unschuldig wären. Ganz anders Paulus. Die Ketten sind für ihn kein Ausdruck der Demütigung und der Schande, nein, er trägt sie wie einen Orden, der ihm verliehen wurde. Immer wieder betont er, mit welche Hingabe, ja Freude er alles Beschwerliche, alle Leiden, alle Häme, allen Hass, alle Verfolgung – also alles das, was das Leben überschattet und ihm seine Qualität nimmt – wie er das auf sich nimmt und es ihm sogar eine Ehre ist, dies für seinen Herrn tun zu dürfen. Dabei strahlt er eine Zuversicht und Freude aus, die einfach atemberaubend ist. Der Grund dafür ist, dass er bis in die Tiefen seines Wesens vom Geist Jesu erfasst und durchdrungen ist. So kann er mit einem gewissen Stolz sagen, dass er seine Wundmale trägt, dass er mit ihm gekreuzigt ist, mit ihm in seinen Tod getauft. Und das ist jetzt eine fast abenteuerliche Folgerung: mit ihm auch eine Zukunft hat. So hat für Paulus jede Bedrängnis ihren Sinn. Er sieht sie positiv. Sie führt ihn Schritt für Schritt in neue, tiefere Glaubensbereiche und gipfelt in strahlender Hoffnung auf eine gute Zukunft und lässt ihn dankbar feststellen, dass sie für ihn schon jetzt begonnen hat.
Nun gibt es in unserem Predigttext noch ein Wort, das wir als unangenehm empfinden: Die Sünde. Im Jugendkreis besprachen wir Luthers berühmtes Beichtgebet: „Ich armer, elender, sündiger Mensch bekenne dir alle meine Sünden und Missetat, die ich begangen mit Gedanken, Worten und Werken…“ Ein aufgewecktes Mädchen protestierte: „Ich bin nicht arm, auch nicht elend und erst recht nicht sündig. Im Gegenteil: Ich fühle mich gut und finde, ich bin ganz in Ordnung”. Hatte sie nicht Recht? Es gibt aber auch hier die gegenteilige Erfahrung. Nach einer Abendmahlsfeier sagte eine Gottesdienstteilnehmerin: „Gut, dass Luthers Beichtgebet gesprochen wurde. Da habe ich mich wiedergefunden. Es ist eine Wohltat für meine kranke Seele”. Für Paulus ist „Sünde“ der Sammelbegriff für alles Dunkle, Schlechte und Böse, dass es unter dem Himmel gibt. Schuld und Schicksal gehören dazu. Selbst die Babys, die wir zu Recht als noch unschuldig erachten, bekommen die Macht der Sünde zu spüren. Wie oft ist die Welt, in die sie geboren werden, heillos, zerstritten, von Krankheit überschattet, von schlimmen Schicksalsschlägen gebeutelt.
Wenn wir auf die Konflikte zwischen den Völkern, Kulturen und Religionen blicken: Wer zweifelt daran, dass die Sünde eine ungeheure, unheimlich negative Kraft ist, Urgewalt des Bösen. Sie bringt Untergang und Tod mit sich. „Der Sünde Sold ist der Tod“, so die scharfsinnige Deutung des Paulus. Sie darf nicht das letzte Wort haben und sie hat es nicht. Es gibt einen anderen Machtbereich, eine Einflusssphäre positiver Art. Dort hat Jesus Christus das Sagen. Es sind starke Bilder, die Paulus gebraucht, um diese uns verborgenen Wirklichkeiten darzustellen: Unser Leben als Christen ist nicht mehr bestimmt von den Gesetzen der Sünde. Um mit Paulus zu sprechen: „Wir sind der Sünde gestorben ein für allemal“. Ab jetzt gelten Gottes Richtlinien für unser Leben.
Das Bild von der Taufe enthält einen bemerkenswerten Aspekt: Der alte Mensch, der oft gequält ist von Gedanken der Vergänglichkeit, der daran leidet, dass er den Ansprüchen des Lebens nicht gerecht wird, wird ins Wasser gedrückt und ertränkt, und wenn er wieder auftaucht, ist er wie neu erschaffen. „Wieder geboren zu neuem Leben“, so heißt es in einem Evangeliumslied. Allerdings hat Martin Luther die Lebensrealität gut erkannt und gewitzelt: „Ja, der alte Adam ist ersäuft, aber das Biest kann schwimmen“. Diese Erfahrung haben wir sicher alle schon gemacht. Wir waren auf einem guten Weg, sind aber wieder in alte, schlechte Gewohnheiten, in unnötige Ängste und Zweifel zurückgefallen. Da ist es hilfreich, Gottes Geist neu einzuladen, unser Denken, Fühlen und Handeln zu bestimmen, so wie es die Gemeinde gerne singt: „Knüpfe, Herr, das Band stets fester, das mich Dir verbunden hält. Hinter mir sei keine Brücke, die zurück führt in die Welt”. So gebe ich die Ermunterung des Apostel gerne weiter: Lasst uns hoffnungsvoll und zuversichtlich im Einflussbereich Gottes leben, im Glauben an seine Liebe, in Dankbarkeit für seine Fürsorge und im Vertrauen auf seine Güte.