Empfang
Sei willkommen in unserer Mitte ...
Predigttext: Johannes 17,1-8 (Übersetzung nach Martin Luther, Revision 2017)
Das hohepriesterlich Gebet
1 Solches redete Jesus und hob seine Augen auf zum Himmel und sprach:
Vater, die Stunde ist gekommen:
Verherrliche deinen Sohn, auf dass der Sohn dich verherrliche;
2 so wie du ihm Macht gegeben hast über alle Menschen,
auf dass er ihnen alles gebe, was du ihm gegeben hast: das ewige Leben.
3 Das ist aber das ewige Leben, dass sie dich, der du allein wahrer Gott bist, und den du gesandt hast, Jesus Christus, erkennen.
4 Ich habe dich verherrlicht auf Erden und das Werk vollendet,
das du mir gegeben hast, damit ich es tue.
5 Und nun, Vater, verherrliche du mich bei dir mit der Herrlichkeit, die ich bei dir hatte,
ehe die Welt war.
6 Ich habe deinen Namen den Menschen offenbart, die du mir aus der Welt gegeben hast.
Sie waren dein, und du hast sie mir gegeben, und sie haben dein Wort bewahrt.
7 Nun wissen sie, dass alles, was du mir gegeben hast, von dir kommt.
8 Denn die Worte, die du mir gegeben hast, habe ich ihnen gegeben,
und sie haben sie angenommen und wahrhaftig erkannt,
dass ich von dir ausgegangen bin, und sie glauben, dass du mich gesandt hast.
Einstimmung
Freundlich empfangen zu werden, tut gut. Lässt auf eine angenehme Begegnung hoffen, ermöglicht Austausch von Erfahrungen, beschenkt mit dem Gefühl, willkommen und angenommen zu sein. Am Palmsonntag bereiten wir Jesus von Nazareth, einen Empfang, der ihm gut tun soll. Sei willkommen in unserer Mitte. Tritt ein durch das Kirchenportal, wir haben es zu deinen Ehren geschmückt. Wir wissen, was wir an dir haben. Was Leben ist und sein kann. Leben? Es sprudelt aus dem Brunnen der Ewigkeit, aus der Lebensfülle deines Gottes. Lebendige Ströme gehen von dir aus. Du gibst uns Anteil daran. Allen. Kein Mensch bleibt außen vor. Leben sollen sie, leben. Nicht vergessen und verloren sein.
Palmsonntag. Einzug Jesu in Jerusalem. Wir haben in der Schriftlesung davon gehört und soeben davon gesungen. An seinen Einzug erinnern wir an zwei Sonntagen im Kirchenjahr, an dessen Beginn, dem 1. Advent, und heute am Palmsonntag.
I.
Palmsonntag. Jesus zieht in Jerusalem ein. Was für ein Empfang bietet ihm die Volksmenge, sie hält sich bereits in der Stadt auf, weil viele angereist waren, um am bevorstehenden Pesach-Fest teilzunehmen – „…Wir müssen ihm entgegen gehen“ (EG 147). Wieviele Hoff-nungen werden in ihn gesetzt. Bestimmt gab es darunter auch Menschen, die sich eher abwar-tend verhielten, skeptisch oder von vornherein „anti“. Aber der Evangelist Johannes berichtet von einer Volksmenge, die dem Einziehenden zujubelt. Anders die religiösen Autoritäten, sie stellen ratlos fest: „Ihr seht, dass ihr nichts ausrichtet; siehe, alle Welt läuft ihm nach“.
Palmsonntag. Jesus, aus dem galiläischen weit entfernten und eher bedeutungslosen Nazareth[1] zieht in das politisch und religiös traditionsreiche Jerusalem ein. Auf einem jungen kleinen Esel, nicht hoch zu Ross. Von ihm beeindruckt winken ihm viele Menschen mit frischgrünen Palmzweigen zu. Damals, zu jenem Zeitpunkt, wussten sie noch nicht, dass schon wenige Tage nach dem festlichen Einzug das „Hosianna“ verstummen wird; ein wiederholter und sich ohrenbetäubend steigernder fanatischer Schrei „Lass ihn kreuzigen“ wird das frische Grün der Palmzweige vergessen lassen und Alles in ein fahles Grau tauchen. Statt Palmzweige pervertierte Grüße, Lügenzeugen, Demütigungen, Anspucken, Faustschläge ins Gesicht und Stockschläge auf den Kopf.[2]
Palmsonntag. Die Woche fängt gut an. Aber für die zuerst noch froh und hoffnungsvoll gestimmte Volksmenge wird sie nicht gut enden. Mörderisches Handeln wird Entsetzen und Fassungslosigkeit, auch Wut, auslösen.
Palmsonntag, 10. April 2022, 46. Tag Krieg in Europa. Während ich an meiner Predigt schrieb, hoffte ich, dass es diesen 46. Kriegstag nicht geben werde. Aber leider hören wir bis heute tagtäglich von unsagbarem Leid und Verzweiflung, von Tod und Trauer und Zerstörung, und wir wissen nicht, was gerade in dieser Stunde in der Ukraine passiert.
„Hosianna“, „Hilf doch“. Den Menschen jener Volksmenge und diesem ihrem Ruf möchte ich mich mit Ihnen und in weltweiter Gemeinschaft anschließen. Mit-glauben möchte ich: Jesus von Nazareth, Josephs und Marias Sohn, ist keine fromme Illusion oder Projektion, sondern Gottes heilsame und Lebenssinn stiftende Präsenz in der Welt. „Wenn ich sage: Gott“, so schreibt Rainer Maria Rilke, „so ist das eine große, nie erlernte Überzeugung in mir. Die ganze Kreatur, [so] kommt [es ] mir vor, sagt dieses Wort. Wenn dieser Christus uns dazu geholfen hat, es mit hellerer Stimme zu sagen, um so besser…“.
II.
Im Evangelium nach Johannes folgt auf die Geschichte von Jesu Einzug in Jerusalem seine Ankündigung, wohin sein Weg führen wird, und seine Abschiedsrede. Letztere mündet in das sog. „hohepriesterliche Gebet“ Jesu, ein Abschnitt daraus ist der heutige Predigttext. Hören wir die Übersetzung nach Martin Luther in der revidierten Fassung von 2017.
Das hohepriesterlich Gebet
1 Solches redete Jesus und hob seine Augen auf zum Himmel und sprach:
Vater, die Stunde ist gekommen:
Verherrliche deinen Sohn, auf dass der Sohn dich verherrliche;
2 so wie du ihm Macht gegeben hast über alle Menschen,
auf dass er ihnen alles gebe, was du ihm gegeben hast: das ewige Leben.
3 Das ist aber das ewige Leben, dass sie dich, der du allein wahrer Gott bist, und den du gesandt hast, Jesus Christus, erkennen.
4 Ich habe dich verherrlicht auf Erden und das Werk vollendet,
das du mir gegeben hast, damit ich es tue.
5 Und nun, Vater, verherrliche du mich bei dir mit der Herrlichkeit, die ich bei dir hatte,
ehe die Welt war.
6 Ich habe deinen Namen den Menschen offenbart, die du mir aus der Welt gegeben hast.
Sie waren dein, und du hast sie mir gegeben, und sie haben dein Wort bewahrt.
7 Nun wissen sie, dass alles, was du mir gegeben hast, von dir kommt.
8 Denn die Worte, die du mir gegeben hast, habe ich ihnen gegeben,
und sie haben sie angenommen und wahrhaftig erkannt,
dass ich von dir ausgegangen bin, und sie glauben, dass du mich gesandt hast. – Soweit der Abschnitt aus dem Gebet Jesu.
Jesus hob seine Augen auf zum Himmeln und betete. Im Blick hat er seine Jünger und Jüngerinnen, die Seinen, die mit ihm auf Wegen des Glaubens, der Hoffnung und der Liebe gehen und fürs Leben lernen wollten. Wir hören in dem Gebet des Scheidenden keine Zwischentöne von Unzufriedenheit über sie, nichts von Enttäuschung oder Ermahnung. Stattdessen spricht Jesus vor Gott sein innigstes Zutrauen zu den bald Zurückbleibenden aus. „Sie haben dein Wort bewahrt – Nun wissen sie, dass alles, was du mir gegeben hast, von dir kommt –, dass ich von dir ausgegangen bin – und du mich gesandt hast“ (V. 6-8). Dabei gibt sich dieser mit Gott Einige keineswegs über jegliche Trauer erhaben; voraus gehen seine Worte: „Ihr werdet weinen und heulen, aber die Welt wird sich freuen; ihr werdet traurig sein, doch eure Traurigkeit soll in Freude verwandelt werden“ (Johannes 16,20). In der vorigen Woche erfüllte Johann Sebastian Bachs gleichnamige Kantate dieses Gotteshaus.
„Nun wissen sie …“, wörtlich übersetzt: „Nun haben sie erkannt …“. Mit „erkennen“ ist hier kein elitäres Streben nach göttlichen Geheimnissen und Erlösung gemeint. Dem zugrunde liegenden griechischen Wort[3] entspricht das biblisch-hebräische Wort, das ein intensives, von inniger Liebe geleitetes, Beziehungsgeschehen bezeichnet.
„Nun wissen sie…“, genauer also: „Nun haben sie erkannt…“ Das Erkennen bezieht sich auf „dich, den allein wahren Gott, und den du gesandt hast“ (V. 3), so erklärt es Jesus selbst. Sie, die Seinen, haben erkannt. Jetzt kann er getrost und zuversichtlich gehen, weitergehen, zurückgehen, dorthin, woher er in die Welt gekommen ist und gesandt wurde. „Sie haben dein Wort bewahrt“ (V. 6), sie werden es weitergeben. Und geschieht das nicht bis heute, auch wenn Jesu besorgte Frage, „Wollt ihr auch weggehen“ (Joh 6,67) nicht zu überhören ist?
Aber machen wir es uns bewusst: Die Erkenntniswege, die wahres Leben, „ewiges Leben“ bedeuten, sind keiner Elite vorbehalten, sie sind offen für alle Menschen und Völker. „Ewiges Leben“ steht für Beständigkeit und Treue, es ist das Prädikat des Gottes, dessen Namen Jesus den Menschen „offenbart“ hat (V. 6).
III.
„Vater, die Stunde ist gekommen“ – Jesus blickt vor Gott auf seine Mission zurück: „Ich habe deinen Namen den Menschen offenbart“ – „Ich habe dich verherrlicht auf Erden“ (V. 4). Der Rückblick auf die Ausführung seines Auftrags motiviert seine Bitte: „Und nun verherrliche mich bei dir …“ (V. 5a). Es ist die Bitte, nach seinem Wirken auf Erden (wieder) ganz eins mit dem Ewigen zu sein (V. 5b), angenommen und auch in seinem Handeln bestätigt zu sein.
Martin Luthers Übersetzung „Herrlichkeit“ entspricht – ebenso wie das Wort „erkennen“ – , einem bedeutsamen Ausdruck der Hebräischen Bibel[4], und dieser bedeutet wörtlich: Gewicht, Ansehen, Ehre, auch Glanz –„Morgenglanz der Ewigkeit…“ (EG 450). Gottes Glanz umleuchtete den Berg Sinai und erfüllte das Heiligtum. Seine Gebote brachten Licht und Orientierung in die Welt – „Gott ist gegenwärtig…“ (EG 165).
Gottes „Gewicht“ kommt am Kreuz zur Geltung, nicht allein an der Sendung Jesu. Damit verändert sich unser Reden von Gott, unsere Lehre von Gott, grundlegend. Leiden und Kreuz in Seinem Licht. Nicht Absturz und Scheitern, sondern „Erhöhung“, zum Himmel offene Tiefe, nicht „als zu leicht empfunden“ und von Gott verlassen, sondern „gewichtig“, von Gott angesehen. Darum der Ritus manchenorts in der katholischen Karfreitagsliturgie, das seit dem vorigen Sonntag (Judica, dem 5. Fastensonntag) mit violettem Tuch verhüllte Christuskreuz vor den Augen der Gemeinde zu enthüllen, um es in seiner ganzen Gewichtigkeit und wesentlich Bedeutung neu zu sehen. – „Geheimnis des Glaubens“.
Heute am Palmsonntag bereiten wir Jesus, dem Menschen- und Gottessohn, einen Empfang. Wir sind mit den Menschen damals am Straßenrand in Jerusalem, heute an diesem Ort in Heidelberg und weltweit verbunden. Möchten wir von Herzen sagen können: Sei willkommen in unserer Mitte. Tritt ein durch die Portale der Gotteshäuser, mitten in die Entzweiungen und Kämpfe der Welt, zu den Menschen, die in eigenem Namen, selbstherrlich, Leben zerstören und beenden, und zu den Menschen, die eine Welt anstreben, die Deiner Lehre von Gott entspricht. Tore und Türen auf (Psalm 24,7)!
Komm, Jesus, in unsere Mitte. Komm auch zu mir. Ich weiß, wie leicht ich dein Wort, deine Stimme, Gottes Wort, überhöre. Aber heute nicht. Heute bin ich da, um dich zu empfangen. Du hast auf Erden für den wahren Gott Verstehen und Glauben geweckt, hast Erkenntniswege aufgezeigt, den Glanz des Ewigen in die Welt gebracht, für sein Ansehen geworben und dafür, was wirklich wichtig ist.
Wieviel Vertrauen bringst du uns vor Gott entgegen: „Sie haben dein Wort bewahrt … und wahrhaftig erkannt …, dass du mich gesandt hast“ (V. 6-8). Sinnerschließendes, aufrichtendes, Einsicht schaffendes, schöpferisches Wort wie am ersten Schöpfungstag. Darum ist auch unser Menschenwort so kostbar. Komm, sei willkommen, hier und heute. Wir empfangen dich in rückblickenden Gedanken an deine Spuren, die du auf dieser Erde hinterlassen hast, und im österlichen Glauben, dass du an der Seite Gottes lebst, die Welt dem Verderben und Untergang entreißt.
Es gibt neben dem Lied „Jesus zieht in Jerusalem ein“ noch ein zweites, das sich inhaltlich mit den beiden Sonntagen, dem 1. Advent und dem Palmsonntag, verbindet; es bezieht sich auf die Ankündigung des im Evangelium genannten Propheten Sacharja zurück: „Tochter Zion, freue dich …, siehe, dein König kommt zu dir“ (EG 13). Stimmen wir ein. Hosianna. Amen.
[1] Nathanael: „Was kann aus Nazareth schon Gutes kommen“, Johannes 2,46.
[2] Mt 26,55.59.67; Joh 18,3; 19,3.
[3] γινώσκειν ginoskein.
[4] כָּבוֹד kabod.