Empfehlung

Ein Leben im Dienst für Menschen

Predigttext: 2. Korinther 3,3-6(7-9) - mit Exegese
Kirche / Ort: Dortmund
Datum: 09.10.2016
Kirchenjahr: 20. Sonntag nach Trinitatis
Autor/in: Pfarrer Johannes Gerrit Funke

Predigttext: 2. Kor 3, 3-6 (7-9) (Übersetzung nach Martin Luther, Revision 1984)

(1-6) Ist doch offenbar geworden, dass ihr ein Brief Christi seid, durch unsern Dienst zubereitet, geschrieben nicht mit Tinte, sondern mit dem Geist des lebendigen Gottes, nicht auf steinerne Tafeln, sondern auf fleischerne Tafeln, nämlich eure Herzen. Solches Vertrauen aber haben wir durch Christus zu Gott. Nicht dass wir tüchtig sind von uns selber, uns etwas zuzurechnen als von uns selber; sondern dass wir tüchtig sind, ist von Gott, der uns auch tüchtig gemacht hat zu Dienern des neuen Bundes, nicht des Buchstabens, sondern des Geistes. Denn der Buchstabe tötet, aber der Geist macht lebendig.

(7-9) Wenn aber schon das Amt, das den Tod bringt und das mit Buchstaben in Stein gehauen war, Herrlichkeit hatte, sodass die Israeliten das Angesicht des Mose nicht ansehen konnten wegen der Herrlichkeit auf seinem Angesicht, die doch aufhörte, wie sollte nicht viel mehr das Amt, das den Geist gibt, Herrlichkeit haben? Denn wenn das Amt, das zur Verdammnis führt, Herrlichkeit hatte, wie viel mehr hat das Amt, das zur Gerechtigkeit führt, überschwängliche Herrlichkeit.

(Übersetzung Elberfelder Bibel)

3 Von euch ist offenbar geworden, dass ihr ein Brief Christi seid, ausgefertigt von uns im Dienst, geschrieben nicht mit Tinte, sondern mit dem Geist des lebendigen Gottes, nicht auf steinerne Tafeln, sondern auf Tafeln, die fleischerne Herzen sind.
4 Solches Vertrauen aber haben wir durch Christus zu Gott:  
5 Nicht dass wir von uns aus tüchtig wären, etwas zu erdenken als aus uns selbst, sondern unsere Tüchtigkeit ist von Gott,
6 der uns auch tüchtig gemacht hat zu Dienern des neuen Bundes, nicht des Buchstabens, sondern des Geistes. Denn der Buchstabe tötet, der Geist aber macht lebendig.
7 Wenn aber schon der Dienst des Todes, mit Buchstaben in Steine eingegraben, in Herrlichkeit geschah, so dass die Söhne Israels nicht fest in das Angesicht Moses schauen konnten wegen der Herrlichkeit seines Angesichts, die doch verging,
8 wie wird nicht vielmehr der Dienst des Geistes in Herrlichkeit bestehen?
9 Denn wenn der Dienst der Verdammnis Herrlichkeit ist, so ist der Dienst der Gerechtigkeit noch viel reicher an Herrlichkeit.

Exegetische Skizze

Auf den ersten Blick geht es im Predigttext vor allem um eine Antithetik zwischen Mose-Bund und Christus-Bund. Jedoch tut sich dahinter ein eschatologischer Horizont auf, der in dem griechischen Verb ´katargeo` (´wirkungslos machen, entmachten, abtun`) vertreten ist. Es findet sich innerhalb der Perikope am Ende von V. 7 und noch drei weitere Male in dem folgenden Abschnitt, in dem Paulus das Bild von der Decke vertieft. Der Apostel verwendet es mehrfach in eschatologischem Kontext, vgl. etwa 1 Kor 15, 24.26: „Danach das Ende, wenn Christus das Königtum Gott, dem Vater übergibt und alle (andere) Herrschaft sowie alle (andere) Macht und Kraft entmachten wird (katargese)… Als letzter Feind wird der Tod entmachtet (katargeitai)“. Von da aus kann es bei ihm dann auch zur Kennzeichnung der Wende von einem Leben unter Gesetz und Sünde zu einem davon befreiten Leben stehen (z.B. Röm 6, 6; 7, 6).

Das für Paulus charakteristische Stichwort der Gerechtigkeit, wie sie von Gott geschenkt wird, taucht in V.9 ausdrücklich auf. Es ist vorher aber indirekt präsent, wo es um die Frage der Eignungen zu dem Dienst unter Menschen geht. Diese kann niemand aus sich selbst nehmen. Gott allein wirkt sie. Die doppelt gestaffelte Wendung in V. 5 fällt auf („nicht von uns selbst aus geeignet“; „etwas wie aus uns selbst heraus ausdenken“). Sie unterstreicht betont die ihr entsprechende Bekundung der (Glaubens-)Gewissheit und wie diese „durch Christus vor Gott“ (V.4) entsteht. Was zwischen Gott und Christus geschieht, öffnet ein Leben, in dem der jeweils andere einem nicht weniger nahe ist als man sich selber nahe ist. Zwischen Gott und Christus ist ein solches Leben real. Es kommt ohne die Fragen aus, die sich um Eignungen, um Empfehlungsschreiben, Leistungsnachweise, Rechtsansprüche u.Ä. drehen, wie sie typisch sind für ein Leben unter der Vorherrschaft des „Buchstabens“, der die steinernen Tafeln und mit ihnen das Gesetz vertritt.
Das griechische Wort für Buchstabe lautet: ´gramma`. Was liegt näher als es in heutigem Kontext auf allerhand „Programmierungen“ zu beziehen, die unser Leben prägen und in deren Bann wir wie fixiert bleiben können.

Auf diesem Hintergrund erscheint die befreiende Botschaft vom neuen Bund, wie er zwischen Gott und Christus begründet ist, zugleich als Befreiung zu einem Dasein, das sich als Dienst unter Menschen vor Gott versteht. Die Nomina ´diakonia` und ´diakonoi` sowie das ihnen entsprechende Verb ´diakoneo` durchziehen den Text wie ein roter Faden (V.3.6.7.8.9).
Das Zitat, mit dem ich zu Beginn der Predigt versuche, das Leben aus dem neuen Bund und in einer „Diakonia“ vor Gott gebündelt einzubringen, findet sich in: Emmanuel Lévinas, „A l`heure des nations“, Paris 1988, 128. Es lautet im französischen Original: „Je suis ordonné moi“. Auch die Querverbindung zum Gebot der Nächstenliebe hat bereits Lévinas hergestellt.

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Ein Satz, den ich neulich las, geht mir nicht mehr aus dem Kopf. Er lautet: „Zu mir selber werde ich erst eingewiesen.“ Emmanuel Lévinas, von dem dieser Satz stammt, denkt an eine Situation, wie wir sie möglicherweise ähnlich schon erlebt haben. Wenn nicht, werden wir sie uns trotzdem vorstellen können. Man begegnet im Alltag einem Menschen und beginnt, sich zu unterhalten. Es geht zu, wie so ein Gespräch mehr oder weniger routinemäßig abzulaufen pflegt. Doch es kann vorkommen, dass plötzlich im Blick oder beim Anblick des anderen Menschen für uns etwas auftaucht, was uns tiefer erreicht. Es bahnt sich seinen Weg durch all die Routine hindurch, die bei solchem Small Talk auf beiden Seiten im Spiel ist. Es berührt uns stärker. Betrifft uns vielleicht geradezu. Es ist, als würde für einen Bruchteil von Sekunden ein Schleier beiseitegeschoben, der sonst zwischen uns und anderen steht, und als hätten alle Routineprogramme, mit denen man sonst so im Alltag reagiert, für einen kurzen Augenblick Pause. Dann, so Emmanuel Lévinas, ist es, als wehe uns eine flüchtige Ahnung an, und es dämmert uns etwas, wofür wir keine Worte haben – außer denen, die uns die Bibel schenkt, nämlich: „Schau, dieser ist dein Nächster; er ist dir nicht weniger nah als du dir selber nahe bist.“ Darüber können wir neu entdecken, wer wir eigentlich sind.

„Ihr seid ein Brief Christi, den wir im Dienst vor Gott erstellt haben“, schreibt Paulus an die Gemeinde in Korinth. Der Apostel gibt uns noch ein weiteres Wort an die Hand, um solche Begegnung von Mensch zu Mensch, wie sie vor Gott jenseits aller erworbenen Routineprogramme erlebt werden kann, anzunehmen. ´Diakonia` heißt es. Einen Diakon eines neuen Bundes nennt Paulus sich. Diakonische Einrichtungen kennen wir in der Kirche. Was in ihnen geleistet wird, hat sich ja auch Nächstenliebe auf die Fahnen geschrieben. Paulus meint mit der „Diakonia“, die seinen Dienst unter Menschen vor Gott ausmacht, freilich noch mehr. Wo immer wir uns ein Stückweit neu entdecken, indem ein anderer Mensch uns innerlich genauso nahe gekommen ist wie wir uns selber nahe sind, fängt diese Diakonia an. Nächstenschaft vor Gott könnte man sie nennen, um den manchmal etwas abgenutzten Begriff der Nächstenliebe in ein neues Gewand zu kleiden. Vor allem an einer Stelle werden wir von ihr etwas merken. Hören wir, wie Paulus davon spricht.

„Solche Gewissheit haben wir“, so schreibt der Apostel, „durch Christus vor Gott. Nicht dass wir von uns aus besondere Eignungen mitbrächten, uns so etwas auszudenken wie aus uns selbst – nein, vielmehr was uns dazu geeignet macht, kommt allein von Gott her, der uns zu Diakonen eines neuen Bundes instandgesetzt hat.“ In diesen Worten überschlägt es sich förmlich ein ums andere Mal. „Nicht von uns selber aus“, „aus uns selber heraus ausdenken“ – das wiederholt sich, so als könne es nicht genug betont werden. Ein weiteres Schlüsselwort taucht ebenfalls immer wieder auf: man ist geeignet oder man ist es nicht. Man taugt zu etwas, oder man taugt nicht. Heute wird gern von Kompetenzen gesprochen, die jemand mitbringen soll. „Von der Wiege bis zur Bahre Formulare, Formulare“. Dieser humorige Spruch lässt sich mühelos übertragen.

Können wir uns ein Miteinander vorstellen, in dem nicht ständig immer wieder gefragt wird: Was vermagst du? Was kannst du einbringen? Wozu bist du überhaupt berechtigt und befugt? Wer hat welche Ansprüche an wen? Wer schuldet wem was? Wer ist wozu verpflichtet? Paulus hat aber ein Miteinander kennengelernt, das ganz ohne solche Fragen auskommt. Hat er es auf einer seiner weiten Reisen in ferne Länder kennengelernt? Ist er dort womöglich auf eine Gesellschaft gestoßen, die in solch fürwahr paradiesischen Verhältnissen lebte? Davon schreibt der Apostel nichts. Hat er, der ein studierter Mann war, in Büchern Kunde erhalten von fremden Kulturen, in denen die Menschen einer Vorzeit einmal so märchenhaft miteinander auskamen, als seien sie noch unschuldig gewesen von allen Schäden der späteren Zivilisation? Auch davon hören wir bei Paulus nichts. Ist er inspiriert worden von einer jener utopischen Fiktionen, die es auch zu seinen Lebzeiten schon gab, in denen Menschen ihren Träumen freien Lauf lassen und sich eine ideale Welt ausmalen?

Kein Wort davon bei Paulus. Seine Quelle ist vielmehr, was er einen neuen Bund nennt. Sein Hintergrund ist, was er mit den Worten beschreibt: „Wir haben eine solche Gewissheit durch Christus vor Gott.“ Durch Christus, vor Gott. Damit ist die entscheidende Quelle benannt, aus der der Apostel alles Weitere schöpft. Zwischen Gott und Christus geht es so zu wie wir es uns sonst nicht vorstellen können, dass es miteinander überhaupt je zugehen könnte. Wozu Gott Christus berufen hat, das ist Christus und der will er sein. Und umgekehrt: wer Gott ist, das ist er, weil Christus, sein Sohn, auch da ist. Gott ist Christus der Nächste, den er liebt wie sich selber. Und Christus ist Gott der Nächste, den er liebt wie sich selber. Der neue Bund zwischen Gott und Christus ist jenes gemeinsame Leben, das auskommt, ohne dass ständig Fragen aufgeworfen werden wie: Wer kann hier was? Wer darf hier was? Wer ist was schuldig? Wer hat hier was zu sagen und wer darf welche Ansprüche stellen? Wer ist wozu verpflichtet und hat sich wem zu beugen?

Paulus nennt das eine einzigartige Lebensbotschaft. Ihr gegenüber wirken all die Routineprogramme, die unser Leben, das eigene wie das gemeinsame beherrschen wie tote Hülsen. „Der Buchstabe tötet“, schreibt Paulus, „der Geist macht lebendig.“ In dem Wort, das im Korintherbrief hier für ´Buchstabe` steht, steckt die gleiche Wortwurzel wie in unserem Begriff ´Programmierung`. Was uns sonst für unsere Lebensroutine programmiert, wirkt wie lauter tote Hülse, wo wir die Spur des neuen Bundes gefunden haben, wie er zwischen Gott und Christus gilt – für immer und ewig. Kein Wunder, dass sich in den Sätzen von Paulus die Worte sogleich erneut förmlich überschlagen wollen. „Wenn uns schon in den Geschichten von Mose erzählt wird, auf dessen Angesicht die Israeliten Gottes ursprüngliche Herrlichkeit sehen konnten, wie er sich mit einer Decke verhüllen musste, wo es doch nur um eine Begegnung wie von Mensch zu Mensch war, um wieviel herrlicher ist, was wir in unserer Diakonia vor Gott unter Menschen erfahren – so als leite uns Gottes Geist selber.“ „Herrlich“ und immer wieder „herrlich“ so klingt es uns da aus jedem Wort entgegen. In dem neuen Bund, wie er zwischen Gott und Christus gelebt wird, strahlt Gottes paradiesische Herrlichkeit ganz ohne jeden Schleier.

Was wir davon mitten in all den Routineprogrammen, ohne die wir uns ein Miteinander wohl kaum vorstellen können, mitbekommen können, ist, als ob uns ein belebender Windhauch aus diesem Paradies zwischen Gott und Christus anwehe. „Zu mir selber werde ich erst eingesetzt“. Unser Dienst unter Menschen vor Gott wird immer aus Momenten entspringen, wo das geschieht. Dann werden wir in Begegnungen mit anderen Menschen erleben, was uns keine Worte besser deuten können als es die Bibel tut: „Schau, das ist dein Nächster – dir nicht weniger nah als du dir selber bist“. Wir werden uns dann nicht verunsichert fühlen, weil uns keine Routine mehr sagt, wie wir zu reagieren haben, sondern bereit sein, uns selber neu entdecken zu können, ja erst die zu werden, die wir vor Gott unter Menschen sein wollen.

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Ein Kommentar zu “Empfehlung

  1. Chr. Kühne

    Beim Eingangszitat von Levinas bleibe ich hängen. Der Gedanke berührt mich, und der Autor umkreist dieses Zitat mit eigenen Worten, sodass es mir noch näher kommt. Und wenn er dann die biblische „Diakonie“ mit berührendem Miteinander von Menschen erklärt, wird die bekannte kirchliche Einrichtung plötzlich liebenswürdig, attraktiv, lohnend für den Zuhörer. Oder ist diese Diakonie nur ein schöner Traum, ein Märchen ohne Realitätsbezug? Der Prediger weist auf die Augenblicke, in denen Menschen sich wahr-nehmen und somit zueinander und eben auch zu sich selbst kommen. Eine sehr schöne Einladung zur Diakonie der Begegnung und „Selbstfindung“. Danke!

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