“Er wird unser Friede sein …”
Weihnachten verklärt nicht die Gegenwart, sondern hilft, unsere Welt in klarem Licht zu sehen
Predigttext: Micha 5,1-4a (Übesetzung nach Martin Luther, Revision 1984)
Und du, Bethlehem Efrata, die du klein bist unter den Städten in Juda, aus dir soll mir der kommen, der in Israel Herr sei, dessen Ausgang von Anfang und von Ewigkeit her gewesen ist. Indes lässt er sie plagen bis auf die Zeit, dass die, welche gebären soll, geboren hat. Da wird dann der Rest seiner Brüder wiederkommen zu den Söhnen Israel. Er aber wird auftreten und weiden in der Kraft des HERRN und in der Macht des Namens des HERRN, seines Gottes. Und sie werden sicher wohnen; denn er wird zur selben Zeit herrlich werden, so weit die Welt ist. Und er wird der Friede sein.
Vorbemerkung
Die prophetische Verheißung des Messias im Buch Micha gilt natürlich vor allem und zuerst Israel. Auch als Christen können wir diese Verheißung nicht einfach auf uns beziehen und diese Verheißung in Jesus als erfüllt betrachten. Dagegen spricht jauch schon jede Erfahrung der Gegenwart. Aber trotzdem predigen wir an Weihnachten die Geburt Jesu als des von Gott verheißenen Messias. Trotzdem sollte diese Erinnerung an den jüdischen Kontext immer bewusst bleiben. Auf Vorschlag von Frank Crüsemann könnte man dagegen nicht von Erfüllung, sondern von der Bestätigung der Verheißungen reden, die durch das Neue Testament auch Christen gelten. In der Predigt versuche ich das Hoffnungspotenzial dieser Friedensbotschaft zu thematisieren und an Hand des Lebens Jesu deutlich zu machen. Literatur Zur jüdischen Auslegung: Roland Gradwohl, Bibelauslegung aus jüdischen Quellen, Band 1, Calw 1986, zur Hermeneutik: Frank Crüsemann, Das Alte Testament als Wahrheitsraum des Neuen, Gütersloh, 2011.
Ist der Frieden tatsächlich? Wenn schon nicht in der Welt so doch wenigstens in den Familien und Häusern? Dabei rückt uns nicht nur die Not, sondern auch die Bedrohung näher. Die Tat in Freiburg, der Anschlag auf den Weihnachtsmarkt in Berlin verstören und empören. Und heute feiern wir Weihnachten, das Fest der Liebe und des Friedens, das Fest in den Familien, wo Freude herrschen soll über Wiedersehen und Begegnung. Manchmal könnte man schon wirklich verzagen, weil die Bilder und Erfahrung von Gewalt und Erbarmungslosigkeit nicht kaltlassen.
Ob in Syrien oder Jemen ob es Menschen in Afrika sind oder Frauen in Indien, das Leid, das von Menschen verursacht wird, geht weiter. Dagegen feiern wir heute wieder Weihnachten. Dieses Fest, das bewegt und berührt und wieder Menschlichkeit fördert. Weil Gott selbst Mensch wurde und in diese Welt kam. Weil die Welt nicht friedlich ist, ist der Unterschied zu Weihnachten zu spüren. Immer noch entfaltet dieses Fest seine Kraft. Da geht es um uralte Werte wie Treue und Verlässlichkeit, Liebe und Versöhnung, Rücksicht und Barmherzigkeit.
An Weihnachten ist zu ahnen, wie die Welt sein könnte
Eine Welt, in der Menschen versuchen, miteinander auszukommen, sich zu achten und zu helfen. Damit diese Vorstellung nicht verloren geht, brauchen wir dieses Fest. Immer wieder von Neuem. Alle Jahre wieder! Gott nimmt diese Welt Ernst nimmt. Die Geburt Jesu, das Kind in der Krippe. Gott lässt sich ganz auf unsere Welt ein. Und bleibt von nichts verschont. Nicht von Verlust und Enttäuschung. Das ist echte Liebe und Anteilnahme. Dazu stiftet Weihnachten an!
Wenn Menschen sich auf andere wirklich einlassen und versuchen, sie zu verstehen, können sie Anteil nehmen und Verständnis haben. Eigentlich ist das schon das ganze Geheimnis des gelingenden und erfüllenden Lebens. Sich einlassen auf das Leben, heißt dann auch, Stand halten und aushalten. Wenn es Enttäuschung und Misserfolg gibt, wenn es Schmerzen gibt und Verlust zu verkraften ist. Unser Leben spielt sich ja nicht im Himmel ab, sondern hier auf der Erde. Also hören wir heute am 1. Weihnachtsfeiertag, wie Gott selbst auf die Erde kommt und Hoffnung stiftet. Diese Hoffnung ist der Predigttext für den heutigen 1. Advent, wie er geschrieben steht im 4. Kapitel des Propheten Micha.
(Lesung des Predigttextes)
Die Ankündigung der Geburt des Messias
Zu Bethlehem geboren. Bethlehem im jüdischen Land. Dort liegen unsere Wurzeln. Von Glaube, Tradition und Kultur. Und deshalb bleiben wir mit Israel und dem Judentum besonders verbunden. Heute Abend am ersten Weihnachtstag wird auch in der unserer Lörracher Synagoge das erste Licht des Chanukkafests entzündet. Die meisten Feste haben wirt mit dem Judentum gemeinsam. Dieses Volk hat Gott erwählt und hält ihm die Treue. Bis auf den heutigen Tag. Dabei war die Erwählung Gottes ja nie ein Vorteil, sondern immer eine besondere Verpflichtung und auch Belastung.
Noch heute werden an Israel und Juden immer noch besondere Maßstäbe angelegt. Meistens sind sie unbarmherzig und ungerecht. Und auch heute noch ist die Feindschaft gegenüber Juden und Israel verbreitet. Und in vielen arabischen Ländern werden schon Kinder zu dieser Feindschaft erzeigen. Gerade da gilt es für uns, wachsam zu sein und dieser Kultur entschieden zu wehren. Und gerade in der Gegenwart ist doch deutlich zu sehen, dass das Elend der arabischen Welt eben nicht die Schuld Israels ist.
Damals die Geburt des Messias
„Er aber wird auftreten im Namen des Herrn und weiden in der Kraft des Herrn.“ Es ist ein Kennzeichen unseres Glaubens, dass es nicht um himmlische Offenbarungen geht, sondern um irdische Nähe. Es hat noch nie gestimmt, dass unser Glaube auf ein Jenseits vertröstet, um die Ungerechtigkeit irdischer Existenz zu dulden und schweigend zu ertragen. Im Gegenteil: „Er wird weiden und auftreten in der Macht des Herrn.“ Am Leben Jesu ist die Herrschaft Gottes zu erkennen, die Menschen keine Angst macht und keinen Terror verbreitet, sondern ihnen nahe kommt und hilft.
Am Leben Jesu ist zu erkennen, wie diese Herrschaft Gottes wirklich aussieht. Da werden Hungernde gesättigt, Lahme gehen, Blinde sehen und Tote werden auferweckt. Es geht um das Leben in seiner ganzen Fülle. Niemand wird abgeschrieben. Menschen bekommen neue Kraft, neue Hoffnung und erkennen ihre Aufgaben. Traditionell fordern die Kirchen an Weihnachten Gerechtigkeit, Friede und Versöhnung ein. Das ist wichtig, darf aber trotzdem keine Parole bleiben. Gerechtigkeit im biblischen Sinne bedeutet nämlich nicht, einfach nur noch mehr zu geben, sondern Menschen Chancen anzubieten und ihre Verantwortung einzufordern.
Der Messias
Auch ein Bild für Verantwortung von Land und Regierung. Dass Gesetze nicht nur gefordert, sondern auch eingehalten werden. Und gerade auch angesichts der Gewalt in der Gegenwart ist ja auch zu sehen, dass die meisten verantwortlich damit umgehen. Dass es zuerst um Tatsachen geht und nicht um Vermutung. Und dass bei Bedrohung nicht Schuldige, sondern die Täter gesucht werden, dass keine Hetze veranstaltet, sondern aus Fehlern gelernt wird. Und erkannt wird, dass der Staat sein Recht und Gesetz auch durchsetzen muss. Leben und Botschaft Jesu ist eine Kritik an all denen, die Menschen unterdrücken, ihnen die Freude am Leben nehmen und versuchen, den eigenen Willen aufzwingen. Diese Herrschaft Gottes hat nichts mit Zwang, Gewalt und Unfreiheit zu tun. Sondern mit Angebot und Erfüllung. Die Herrschaft unseres Gottes lässt Freiheit. Das gilt auch für die Freiheit des Glaubens und der Religion. Bei uns ist diese Freiheit des Glaubens selbstverständlich. Auch die Freiheit zum Unglauben.
In vielen islamischen Ländern dagegen werden aber Christen verfolgt, ist der Bau von Kirchen untersagt und das Tragen eines Kreuzes verboten. In Ägypten werden Christen, die doch schon seit alters her zu Ägypten gehören, benachteiligt und verfolgt. In der Türkei wurde an einer deutschen Schule in Istanbul Information über und Feier des Weihnachtsfests verboten. Das soll alles ein Missverständnis gewesen sein. Aber natürlich kann Weihnachten schon als Provokation verstanden werden. Von denen, die nicht auf Versöhnung, sondern auf Spaltung setzten. Von all denen, die für sich Verehrung erwarten und Widerspruch als Terror verstehen. Von denen, für die nicht der einzelne Mensch, sondern nur das Land wichtig ist. Aber an Weihnachten ist jeder Mensch persönlich wichtig. Gott fordert nicht einen besonderen Glauben, sondern stiftet zur Menschlichkeit an. Natürlich ist noch lange nicht heil geworden unsere Welt.
Das Leben Jesu bietet immer wieder Orientierung
Damit wir erkennen, wo wir verändern können und widersprechen müssen, und wo wir mitleiden sollen und aushalten müssen. Wir brauchen nicht in den Metropolen der Welt nach Heil und Heilung zu suchen, sondern finden ganz in der Nähe Erfüllung und Sinn. “Die du klein bist unter den Städten in Juda“. Gott vergisst niemanden. Die Verheißung, dass aus kleinen Anfängen Großes entstehen kann. Oder anders ausgedrückt, dass die Bemühungen Früchte tragen, dass nichts vergeblich oder sinnlos bleibt. Dass sich Engagement, Barmherzigkeit und Rücksicht eben doch durchsetzen werden.
Natürlich ist der Erfolg nicht immer gleich zu sehen. Und natürlich ist Enttäuschung berechtigt, wenn Hilfsbereitschaft ausgenutzt und verachtet wird. Da ist es verständlich, dass die Empörung darüber größer ist als bei anderen Taten. Aber auch da wird dann die einzelne Tat wahrgenommen und Menschen nicht als Gruppe verurteilt. Im Gegenteil für unseren Gott ist jeder Menschen in seiner ganzen Persönlichkeit wichtig. Darum geht es unserem Gott. Deshalb dürfen all die nicht mit Toleranz rechnen, die Gewalt und Terror verbreiten. Gewalt und Terror sind ja auch nicht – wie immer gesagt wird – ein Anschlag auf unsere Art in Freiheit zu leben, sondern in Wirklichkeit ist es ein Anschlag auf das Leben selbst. Dagegen steht Weihnachten mit der ganzen Lieben zur Welt und zum Leben. “Und sie werden sicher wohnen; denn er wird zur selben Zeit herrlich werden, so weit die Welt ist.“
Der wahre und ganze Friede steht noch aus
Gott hat seine Verheißungen noch nicht erfüllt, aber bestätigt. An Weihnachten wird diese Hoffnung auf Frieden wach gehalten. Deshalb brauchen wir dieses Fest immer wieder. Denn Weihnachten verklärt ja nicht die Gegenwart, sondern hilft, unsere Welt in klarem Licht zu sehen. Weihnachten bleibt ein Appell an Menschlichkeit und Barmherzigkeit, an Mitgefühl und Mitleid. “Er wird ihr Friede sein.“ Das wird kommen. „Indes lässt er sie plagen“ Jesus Christus. Er ist seinen Weg gegangen. Von der Krippe bis zum Kreuz. Aber das war nicht das Ende. Am Ende steht die Auferstehung. Das Leben, das ewige Leben. Gott selbst steht ganz zu unserem Leben. Das ist der Grund zur Freude. Ist Frieden spürbar? Hoffentlich immer wieder. Auch bei Ihnen persönlich. In Ihren Familien und Häusern. Aber er ist noch nicht verwirklicht. Weihnachten hält die Hoffnung darauf wach. Immer wieder. Jedes Jahrs aufs Neue. Diese Hoffnung wird Gott erfüllen. In Ewigkeit.