Erfahrungen mit Gott

Predigttext: 2. Korinther 12, 1-10 (Übersetzung nach Martin Luther 2017)

Gerühmt muss werden; wenn es auch nichts nützt, so will ich doch kommen auf die Erscheinungen und Offenbarungen des Herrn. Ich kenne einen Menschen in Christus; vor vierzehn Jahren – ist er im Leib gewesen? Ich weiß es nicht; oder ist er außer dem Leib gewesen? Ich weiß es nicht; Gott weiß es –, da wurde derselbe entrückt bis in den dritten Himmel.

Und ich kenne denselben Menschen – ob er im Leib oder außer dem Leib gewesen ist, weiß ich nicht; Gott weiß es –, der wurde entrückt in das Paradies und hörte unaussprechliche Worte, die kein Mensch sagen kann. Für denselben will ich mich rühmen; für mich selbst aber will ich mich nicht rühmen, außer meiner Schwachheit. Denn wenn ich mich rühmen wollte, wäre ich kein Narr; denn ich würde die Wahrheit sagen. Ich enthalte mich aber dessen, damit nicht jemand mich höher achte, als er an mir sieht oder von mir hört.

Und damit ich mich wegen der hohen Offenbarungen nicht überhebe, ist mir gegeben ein Pfahl ins Fleisch, nämlich des Satans Engel, der mich mit Fäusten schlagen soll, damit ich mich nicht überhebe. Seinetwegen habe ich dreimal zum Herrn gefleht, dass er von mir weiche. Und er hat zu mir gesagt: Lass dir an meiner Gnade genügen; denn meine Kraft vollendet sich in der Schwachheit.

Darum will ich mich am allerliebsten rühmen meiner Schwachheit, auf dass die Kraft Christi bei mir wohne. Darum bin ich guten Mutes in Schwachheit, in Misshandlungen, in Nöten, in Verfolgungen und Ängsten um Christi willen; denn wenn ich schwach bin, so bin ich stark.

In den Korintherbriefen setzt sich der Apostel Paulus mit verschiedenen konkreten Situationen und Problemen in der korinthischen Gemeinde auseinander. Unter anderem waren dort auch Leute, die abwertend von Paulus sprachen, aber sich selbst rühmten und sich als Überapostel (2 Kor 11,5) ausgaben. Aus einer Auseinandersetzung mit den Argumenten dieser Leute stammt unser Predigttext.

(Lesung des Predigttextes 2. Korinther 12, 1-10)

Zwei Themen behandelt Paulus und stellt sie gegeneinander. Zunächst eine einmalige außerordentliche übernatürliche Erfahrung, und dann die dauerhafte natürliche Erfahrung des Alltags.

I

Im Leben von Paulus waren das jeweils ziemlich extreme, zumindest sehr markante Erfahrungen, verglichen mit dem, was heute die entsprechenden Erfahrungen von uns hier in unserer Zeit und in unserem Land sind. Doch wir können durchaus aus diesen Schilderungen Hilfestellung für unser Leben und unseren Weg mitnehmen. Denn ich bin sicher, dass auch jeder von uns schon einerseits besondere, übernatürliche Erfahrungen mit Gott gemacht hat und selbstverständlich kennt auch jeder von uns andererseits auch den drögen Alltag mit seinen Mühen.

Die übernatürlichen Erfahrungen werden bei den meisten von uns nicht in den dritten Himmel geführt haben, und auch nicht in Worten formuliert gewesen sein, die Menschen nicht sagen können, aber dass wir von Gottes Größe und Nähe etwas gespürt haben, ich denke, solche Momente hat jeder schon in seinem Leben gehabt. Ebenso der Alltag. Natürlich haben wir unsere gesundheitlichen Einschränkungen und kennen Nöte und Ängste, aber dass unser Leben gekennzeichnet ist von Misshandlungen, Nöten und Verfolgungen, wie das bei Paulus war, das ist hier bei uns ja in der Regel nicht der Fall.

Die Erfahrungen mit Gott sind die Basis unserer persönlichen Gottesbeziehung. Es sind ganz persönliche Erlebnisse. Wir können davon Zeugnis geben, aber sie sind weder beweisbar noch reproduzierbar. Doch sie vergewissern uns ganz persönlich in unserem Glauben an den lebendigen, gegenwärtigen Gott. An den Gott, der mit uns geht, und der Mose seinen Namen mit „Ich bin da“ genannt hat. Ich-bin-da, ich-bin-bei-dir das ist der Gott, der mit dem ziehenden Volk Gottes unterwegs ist, ein Gott des Weges. Die Christen wurden anfangs die „Leute des Weges“ genannt. Dieser Gott zieht auch mit einem jeden von uns auf seinem individuellen Weg. Auf dem Weg unserer alltäglichen Realität. Mit dem, was dazu gehört. Paulus nennt hier Schwachheit, Misshandlungen, Nöte, Verfolgungen und Ängsten um Christi willen. Schwachheit, Misshandlungen und Nöte, das betrifft alle Menschen, Verfolgungen und Ängste um Christi willen sind spezifisch für Christen in Verfolgungssituationen.

II

Schwachheit oder Krankheit gehört zum Menschsein dazu, für den einen mehr, für den anderen weniger. Und mit steigendem Alter eher mehr. Misshandlungen, das ist ein interessanter Begriff, denn im Griechischen steht da Hybris, was wir mit Hochmut wiedergeben würden. Aber der Begriff leitet sich ursprünglich daraus ab, dass jemand ein Mehr an Gewicht, an Kraft, an Gewalt hat. So kann man unter diesem Begriff Fehlverhalten verstehen, dass sich daraus ergibt, dass jemand seine Machtposition zu seinem Vorteil und für seine Zwecke ausnutzt. Das ist etwas, was wir oft im Leben erfahren. Wir nennen es heute Machtmissbrauch. Das kann strafbar sein oder auch nicht.

Immer wieder begegnen uns Verhaltensweisen, die zwar rechtlich nicht anfechtbar sind, die aber ganz offensichtlich weder gerecht noch fair sind. Auch solches kann man unter diesem Begriff „Misshandlungen“ verstehen. Gleichsam im wörtlichen Sinn: „Miss“-Handlungen verstanden als „Fehl“-Handlungen. Auch Nöte, die Paulus dann noch nennt, kennen wir, sie können unterschiedlichster Art sein. In Nöten sind unsere Entfaltungs- und Gestaltungsmöglichkeiten durch die Situation und die Randbedingungen eingeschränkt. Es wird dadurch eng für uns.

Unsere Glaubenserfahrungen mit Gott, wo wir ihn persönlich in unserem Leben erfahren konnten, und die Mühen unseres Alltags stehen miteinander in Verbindung. Zunächst ist der Glaube die Basis für unsere christliche Herangehensweise an die Erfahrungen des irdischen Alltags. Ich denke, dass deshalb in unserem Text erst von der Gotteserfahrung und dann von den Mühen des Alltags die Rede ist. Aber der Text weist auch die Möglichkeit eines anderen Zusammenhangs auf. Speziell bei Paulus ist der Pfahl im Fleisch, wie er es nennt, der Engel Satans, der ihn mit Fäusten schlug, eine Folge der hohen himmlischen Offenbarung. Er sollte sich ihrer wegen nicht überheben.

Das war Paulus wohl von Anfang an nicht klar. Jedenfalls hatte er Gott gebeten, dieses Übel von ihm wegzunehmen. Und er bekam zur Antwort, dass er sich an Gottes Gnade genügen lassen solle, denn Gottes Kraft wird in der Schwachheit vollendet. Diese Antwort war eine göttliche Gebetserhörung. Keine Gebetserfüllung – aber die ist uns auch nicht verheißen. Gott hat das Gebet gehört, hat die Bitte verstanden und darauf geantwortet. Seine Antwort verfolgt dabei ein Ziel, dass im Epheserbrief so formuliert ist: das Lob seiner Herrlichkeit, oder das Lob seiner herrlichen Gnade. Dieses Ziel verfolgte Gott mit dem Leben des Paulus und er verfolgt dieses Ziel auch mit dem Leben eines jeden von uns.

Paulus war es ernst mit dem Anliegen, den Pfahl im Fleisch loszuwerden. Er hat dreimal darum gebetet, das weiß er noch genau. Gott hat die Ernsthaftigkeit seines Anliegens erkannt und ihm eine klare Antwort gegeben. Paulus konnte die Antwort annehmen und sie zu seiner neuen Lebenseinstellung machen. Auch wenn das für ihn äußerlich unangenehm war, so erkannte er die innere Stärke dieser Lebenshaltung.

Es ging für ihn jetzt nicht mehr um das, was er schaffen kann. Auf Grund seiner Ideen, seines Wissens, seiner Kraft und seiner Genialität. Auf Grund solcher natürlicher Gaben, die ja durchaus Gaben Gottes, des Schöpfer-Gottes, sind. Denn da würde Paulus sich nicht wirklich von allen anderen Menschen unterscheiden, die auf Grund ihrer natürlichen Gaben Leistungen erbringen. Sondern es geht darum, dass deutlich wird, dass Gottes Kraft durch seine Gnade in ihm wirkt. Durchaus unter Einsatz der ihm geschenkten natürlichen Gaben, aber allen Widerwärtigkeiten des irdischen Lebens zum Trotz. Allen offensichtlichen Widerständen Satans zum Trotz.

Was mit den natürlichen Gaben der Menschen machbar ist, das ist bekannt, das sehen und erleben wir um uns herum. Wir erleben aber auch immer wieder, wie die Entfaltung dieser Gaben Gottes gehindert und ausgebremst wird durch Krankheit und Schwachheit, durch Machtmissbrauch und durch Nöte im persönlichen, familiären oder gesellschaftlichen Bereich. An dieser Stelle wird dann die Gnade Gottes deutlich, wenn, trotz der Widerstände des Lebens, Gottes gute Gaben und Begabungen zum Tragen kommen und Frucht bringen. Wenn wir mit dieser Einstellung leben, dass trotz der irdischen Randbedingungen, die wir als lästig und bremsend empfinden, trotz unserer Schwäche und Unzulänglichkeiten, Gott durch uns das wirkt, was er will, dann entlastet uns das. Es reduziert unseren Stress, wenn wir keine selbstgesteckten Ziele erfüllen müssen. Denn Gott wirkt durch seine Gnade durch uns das, was er bewirken will – trotz unserer Randbedingungen. Wie wir im Vaterunser beten: Dein Wille geschehe.

Auch ist es bei unseren selbstgesteckten Zielen immer wieder so: Wenn wir sie endlich erreicht haben, stellen wir fest, dass es Gesichtspunkte gibt, die wir nicht bedachten. Dass zum Beispiel auf einmal Entwicklungen einsetzen, die wir so nicht vorhergesehen haben und die unsere guten Absichten und Bemühungen ins Leere laufen lassen. Wenn wir ganz auf Gottes Gnade setzen, gewinnen wir Gelassenheit.

III

Paulus war so weit gekommen, dass er am allerliebsten seine Schwachheit hervorkehrte, um so erleben zu können, dass die Kraft Christi bei ihm wohnt. So wie Johannes am Anfang seines Evangeliums sagt, dass das Wort Gottes Fleisch wurde und unter ihnen wohnte, so kann die Kraft Gottes jetzt bei uns wohnen, wenn wir angesichts unserer Schwäche bewusst ganz auf die Gnade Gottes setzen. Paulus war so guten Mutes in widrigen Umständen. Zufriedenheit und Dankbarkeit sind leichter, wenn wir nicht in eigener Kraft etwas erreichen müssen, sondern wenn Gott durch unsere Schwachheit wirkt. Wir gewinnen einen entspannten Umgang mit uns selbst, mit unseren beschränkten Möglichkeiten und mit unseren Schwächen. Mit den Umständen, die wir nicht in der Hand haben. Und wir können staunen und uns wundern, was Gott durch uns im Rahmen unserer Grenzen wirken kann.

Gott sieht nicht so sehr auf das Große und Geniale in der Welt, sondern auf das Kleine und Schwache. Das zieht sich durch die ganze Geschichte des Gottesvolkes. Gott hat Israel erwählt, das kleinste unter allen Völkern. David war der Jüngste der Söhne Isais – und musste erst noch von seiner Hirtentätigkeit weg zur Feier geholt werden, um zum König gesalbt werden zu können. Jesus kam nicht in einem Königspalast zur Welt, sondern in einem Stall.

Im ersten Korintherbrief schreib Paulus, dass Gott nicht viele Weise nach dem Fleisch, nicht viele Mächtige, nicht viele Vornehme berufen hat. Sondern was schwach ist vor der Welt, das hat Gott erwählt, damit er zuschanden mache, was stark ist. Wie macht er das? Indem er seine Gnade schickt, indem er seine Kraft bei den Schwachen wohnen lässt. Denn seine Kraft vollendet sich in der Schwachheit. Viele von uns kennen Schwachheit, Misshandlungen und Nöte gut. Lassen Sie uns, wenn uns das zu schaffen macht zwei Dinge tun:

Zunächst uns erinnern an die Begebenheiten, in denen wir Gottes Nähe besonders erfahren konnten.

Und dann daran denken, dass unsere Schwachheit einen Sinn hat, denn seine Kraft kommt dadurch zur Wirkung. Nehmen wir deshalb Gottes Gnade bewusst für uns in Anspruch, durch die Gott in seiner Kraft bei uns wohnt.