Erinnerung an die Würde des Menschen

Es ist die Ehrfurcht vor dem Leben, die wir unserem jüdischen Erbe verdanken – Menschen können die Welt gestalten

Predigttext: 1. Mose / Genesis 1,1-4a.26-31a; 2,1-4a
Kirche / Ort: Brombach (79541 Lörrach) / Ev. Landeskirche in Baden
Datum: 21.04.2013
Kirchenjahr: Jubilate (3. Sonntag nach Ostern)
Autor/in: Pfarrer Dr. Michael Hoffmann

Predigttext: 1. Mose / Genesis 1,1-4a.26-31a; 2,1-4a (Übersetzung nach Martin Luther, Revision 1984)

1Am Anfang schuf Gott Himmel und Erde.  2 Und die Erde war wüst und leer, und es war finster auf der Tiefe; und der Geist Gottes schwebte auf dem Wasser.  3 Und Gott sprach: Es werde Licht! Und es ward Licht.  4a Und Gott sah, daß das Licht gut war…
26 Und Gott sprach: Lasset uns Menschen machen, ein Bild, das uns gleich sei, die da herrschen über die Fische im Meer und über die Vögel unter dem Himmel und über das Vieh und über alle Tiere des Feldes und über alles Gewürm, das auf Erden kriecht.  27 Und Gott schuf den Menschen zu seinem Bilde, zum Bilde Gottes schuf er ihn; und schuf sie als Mann und Weib.  28 Und Gott segnete sie und sprach zu ihnen: Seid fruchtbar und mehret euch und füllet die Erde und machet sie euch untertan und herrschet über die Fische im Meer und über die Vögel unter dem Himmel und über das Vieh und über alles Getier, das auf Erden kriecht.  29 Und Gott sprach: Sehet da, ich habe euch gegeben alle Pflanzen, die Samen bringen, auf der ganzen Erde, und alle Bäume mit Früchten, die Samen bringen, zu eurer Speise.  30 Aber allen Tieren auf Erden und allen Vögeln unter dem Himmel und allem Gewürm, das auf Erden lebt, habe ich alles grüne Kraut zur Nahrung gegeben. Und es geschah so.  31 Und Gott sah an alles, was er gemacht hatte, und siehe, es war sehr gut.  2, 1So wurden vollendet Himmel und Erde mit ihrem ganzen Heer.  2 Und so vollendete Gott am siebenten Tage seine Werke, die er machte, und ruhte am siebenten Tage von allen seinen Werken, die er gemacht hatte.  3 Und Gott segnete den siebenten Tag und heiligte ihn, weil er an ihm ruhte von allen seinen Werken, die Gott geschaffen und gemacht hatte.  4a So sind Himmel und Erde geworden, als sie geschaffen wurden.

Vorbemerkung

Die Schöpfungsgeschichte ist einer der bekanntesten Texte der Bibel, der von der Auseinandersetzung mit der Naturwissenschaft über die allgemein anerkannte Verpflichtung zur Bewahrung der Schöpfung bis hin zur Verteidigung  der unverlierbaren Menschenwürde diskutiert worden ist. Schon von daher ist die Themenwahl für die Predigt außerordentlich vielfältig. Dass neuerdings wieder die Schöpfungsgeschichte von den sogenannten „Kreationisten“ wortwörtlich verteidigt und als Gegensatz zur Evolutionstheorie gesehen wird, ist nur ein weiterer Beleg dafür, welche Wirkung ein biblischer Text auch heute noch erzielt. Natürlich kann weder in der Vorbemerkung noch in der Predigt selbst diese Diskussion oder auch der Beitrag des „Intelligent Design“ hinreichend gewürdigt werden. Aus den vielen Möglichkeiten habe ich in der Predigt versucht, den Gegensatz der sehr guten Schöpfung (1,31) zur real erfahrbaren bedrohten Gegenwart zu thematisieren und das Hoffnungspotential des Textes zu entfalten. Wen die Diskussion um Kreationismus und „Intelligent Design“ näher interessiert, sei auf den informativen Aufsatz von Christian Link verwiesen: Christlicher Schöpfungsglaube und naturwissenschaftliches Weltverständnis. Wie kann man dem Kreationismus argumentativ begegnen?, in:  EvTh 68 (2008), S. 84- 98.

 

zurück zum Textanfang

Ist eigentlich alles gut? Privat und politisch? Global und lokal? Dabei bereiten die Krisen der Welt immer mehr Sorgen. Wenn von der einen Bedrohung nichts mehr zu hören ist, dann ist die Gefahr meist  nicht beendet, sondern durch eine andere Belastung abgelöst. Der Anschlag auf den Marathon in den USA ist nicht nur empörend und schmerzlich, sondern hat den nordkoreanischen Diktator aus den Schlagzeilen verdrängt. Auch die tägliche Not und das Leid der Menschen in Syrien sind ja nicht vorbei, sondern werden nur nicht mehr so stark wahrgenommen. Immer wieder werden neue Ungerechtigkeiten bekannt. Zwar wird nun überall der Abzug aus Afghanistan begrüßt, aber die einheimischen Helfer dort müssen mit Verfolgung rechnen und können immer noch nicht auf entschiedene Hilfe rechnen. Da sind andere Staaten weiter. Es ist Verantwortung anzumahnen. Um die Krisen der Welt zu sehen und die Bedrohung der Welt wahrzunehmen, braucht man keine scharfe Beobachtungsgabe, sondern nur einen wachen Blick. Da können wir doch immer noch von Glück sagen, dass unsere politischen Probleme sich  um die Rettung einer Währung drehen und nicht um die Frage der nackten Existenz. Die Sorgen und Bedrohungen aufzuzählen ist einfacher, als das Gute und Positive wahrzunehmen. Bei vielen Problemen spüren wir auch die eigene Ohnmacht, wirksam zu helfen und dagegen etwas zu tun. Da kann sich dann schon Mutlosigkeit verbreiten. Deshalb ist es auch nötig, wieder Hoffnung zu bekommen. Hoffnung, die den Blick weitet, Probleme nicht verharmlost, aber Orientierung gibt und neue Kraft spendet. Deshalb hören wir heute davon, was auf der Welt gut ist, dass wir nicht nur ohnmächtig mit ansehen müssen, sondern selbst gestalten können. Diese Hoffnung macht der Predigttext für diesen Sonntag.

(Lesung des Predigttextes)

Alles war sehr gut. Das ist lange her. Seit der Erschaffung der Welt. Und da sagen ja auch viele, dass diese Erzählung nur ein frommes Märchen ist, das mit Erfahrung und Erkenntnis nichts zu tun hat. So ist auch die Schöpfungs-geschichte immer wieder Gegenstand von engagierter Auseinandersetzung zwischen manchen Gläubigen und Vertretern der Wissenschaft geworden. Immer wieder gibt es Bestrebungen, diese biblische Geschichte der Schöpfung nicht nur weiterzuerzählen, sondern als Tatsache im Biologieunterricht zu lehren. Immer noch wird Glaube und Naturwissenschaft als Konkurrenz gesehen. Dieser Streit ist so uralt wie überflüssig. Die Schöpfungsgeschichte ist doch keine wissenschaftliche Beschreibung der Evolution, sondern sie stellt die Welt als Schöpfung Gottes dar. Dass Welt und Mensch keine Laune der Natur sind, sondern sich dem Willen Gottes verdanken. Dadurch ändert sich doch nicht die Sicht auf die Entstehung der Welt, sondern dadurch gewinnt das menschliche Leben Sinn und Inhalt. Es ist doch tröstlich und spendet Kraft, wenn Menschen daran glauben können, dass Gott sie will und liebt. Am Anfang war alles sehr gut. Das stimmt. Aber auch die Bibel verschließt nicht die Augen vor der Realität. Es hat nicht lange gedauert, bis nicht mehr alles gut war. Auf Adam und Eva folgten Kain und Abel. Die Gewalt war in der Welt.

„Und Gott sah an, alles, was er gemacht hatte, und siehe, es war sehr gut.“ Vieles, was Menschen belastet und bedrückt, fällt nicht vom Himmel, sondern ist oft genug von Menschen gemacht. Wie schwer Menschen sich das Leben gegenseitig immer wieder machen, ist  unverständlich. Das bleibt ja nicht nur auf diesen furchtbaren Hass und Terror beschränkt, das geschieht leider auch in vielen Büros und Betrieben der Welt. Auch Familien und Kirchen sind nicht die heile Welt. Dagegen die Schöpfungsgeschichte. Erinnerung an die Würde des Menschen. Eines jeden Menschen. „Zum Bilde Gottes schuf er ihn.“ Es ist diese Ehrfurcht vor dem Leben, die wir unserem jüdischen Erbe verdanken. Dass diese Ehrfrucht vor dem Leben in Deutschland vor 70 Jahren so furchtbar missachtet worden ist, bereitet ja immer noch Schmerz und Scham. Die Serie vor einigen Wochen über die Väter und Mütter im Krieg hat nicht nur Schlagzeilen gemacht, sondern Menschen auch beschäftigt und aufgewühlt. Die Ehrfurcht vor dem Leben, die Achtung der Würde des Menschen, ist eben nicht selbstverständlich, sondern muss immer wieder neu erinnert und durchgesetzt werden. Wir haben auch gelernt. Da wird versucht, die Menschenwürde zu schützen. Der Prozess über die Morde der rechten Gewalttäter erregt große Aufmerksamkeit. Aber da wird doch nichts mehr unter den Teppich gekehrt und nichts vertuscht, sondern da wird ernsthaft Aufklärung versucht. Dieses Eintreten für Menschenwürde müssen wir auch von anderen Staaten und Nationen verlangen. Die Würde des Menschen. Begründet in der Bibel. Als Schöpfung Gottes.

„Und Gott segnete sie, … und machte Euch die Erde untertan.“ Wie immer in der Bibel hat Herrschaft nichts mit schrankenloser Macht, sondern gezielter Verantwortung zu tun. Mit Arbeit und Aufgaben. Denn auch das gehört zur Würde der Menschen. Aufgaben haben, die Anstrengung verlangen, aber Sinn stiften. Immer noch bietet die biblische Erzählung von der Schöpfung Orientierung für ein Leben, in dem Menschen Erfüllung erfahren und Aufgaben haben. „Und siehe es war sehr gut.“ Das gilt auch für die Ordnung der Welt. Mit ihrem Rhythmus, mit ihren Arbeits- und Ruhetagen. Darauf liegt der Segen Gottes. Die biblische Geschichte der Schöpfung. Das ist nicht spektakulär, da werden keine großen Events oder Ereignisse versprochen, sondern der berechenbare Ablauf des Lebens ist von Bedeutung. Der Alltag. Das ist es, was unserem Gott so wichtig ist, und das ist es auch, was unser Leben ausmacht. Dass wir in einer Welt leben, in der Menschen sich entfalten und sie gestalten können. Wo Menschen merken, dass sie etwas verändern und bewirken können. Das setzt Kräfte frei. Daran erinnert uns diese Erzählung von der Schöpfung der Welt. Es ist nicht nur tröstlich, sondern immer wieder von Bedeutung: Dass jeder Mensch Würde hat, die Gott ihm verleihen hat und die ihm niemand nehmen kann. Jeder Mensch ein Ebenbild Gottes ist. Das ist ein Glaube, der die Welt menschlicher und liebenswürdiger macht. Ein Glaube, der Hass und Fanatismus wehrt und die Zuwendung zu anderen fördert. Ein Glaube, für den es sich einzutreten lohnt. Natürlich ist nicht alles gut. Aber es ist und bleibt dabei, dass wir Geschöpfe Gottes sind. Dass Gott uns in seiner Hand hält. Und das ist sehr gut. In Ewigkeit.

 

zurück zum Textanfang

Ein Kommentar zu “Erinnerung an die Würde des Menschen

  1. Pastor i.R. Heinz Rußmann

    “Am Anfang war alles sehr gut. – Es hat nicht lange gedauert, bis alles nicht mehr gut war.” Pfarrer Dr. Hoffmann beschönigt nichts. Recht ausführlich und sehr intensiv beschreibt er die Probleme unserer Zeit. Die Schöpfungsgeschichte selbst aber ist dagegen sehr tröstlich: Unsere Welt verdankt sich Gottes Willen. Gott schenkt uns unsere Würde als Menschen. Deswegen treten wir ein für die Menschenwürde und übernehmen wir unsere Aufgaben im Alltag. Jeder Mensch ist ein Ebenbild Gottes. Dass Gott uns in der Hand hält, ist gut in Ewigkeit. – Im Hintergrund steht in dieser Predigt die Frage im Raum, wie ein letztlich gütiger Schöpfer soviel entsetzlich Böses zulässt, welches in der Predigt klar beschrieben wird. Gern möchte ich als Anregung auf die Gedanken von Teilhard de Chardin hinweisen, der gesagt hat, dass Gott früher einen darwinisten Kampf als Wettstreit zur Höherentwicklung in Kauf nehmen musste. Heute zählt für ihn – wie bei Nathan dem Weisen – nur ein Wettstreit der humansten Systeme (s. Google: Die Stufen der Evolution nach Teilhard de Chardin). Über einen Kommentar freue ich mich unter heinzrussmann@yahoo.de

Ihr Kommentar zur Predigt

Ihre Emailadresse wird nicht veröffentlicht. Erforderliche Felder sind markiert.