Erkennen braucht Zeit

In einer gemeinsamen Gegenwart ankommen

Predigttext: Jeremia 23, 16 – 29
Kirche / Ort: Dortmund
Datum: 10.06.2012
Kirchenjahr: 1. Sonntag nach Trinitatis
Autor/in: Pfarrer Johannes Gerrit Funke

Predigttext: Jeremia 23, 16 – 29 (Übersetzung nach Martin Luther, Revision 1984)

So spricht der Herr Zebaoth: Hört nicht auf die Worte der Propheten, die euch weissagen! Sie betrügen euch; denn sie verkünden euch Gesichte  aus ihrem Herzen und nicht aus dem Mund des Herrn. Sie sagen denen, die des Herrn Wort verachten: Es wird euch wohlgehen -, und allen, die nach ihrem verstockten Herzen wandeln, sagen sie: Es wird kein Unheil über euch kommen. Aber wer hat im Rat des Herrn gestanden, dass er sein Wort gesehen und gehört hätte? Wer hat sein Wort vernommen und gehört? Siehe, es wird ein Wetter des Herrn kommen voll Grimm und ein schreckliches Ungewitter auf den Kopf der Gottlosen niedergehen. Und des Herrn Zorn wird nicht ablassen, bis er tue und ausrichte, was er im Sinn hat: zur letzten Zeit werdet ihr es klar erkennen.

Ich sandte die Propheten nicht, und doch laufen sie; ich redete nicht zu ihnen, und doch weissagen sie. Denn wenn sie in meinem Rat gestanden hätten, so hätten sie meine Worte meinem Volk gepredigt, um es von seinem bösen Wandel und von seinem bösen Tun zu bekehren. Bin ich nur ein Gott, der nahe ist, spricht der Herr, und nicht auch ein Gott, der ferne ist? Meinst du, dass sich jemand so heimlich verbergen könne, dass ich ihn nicht sehe? spricht der Herr.

Bin ich es nicht, der Himmel und Erde erfüllt? spricht der Herr. Ich höre es wohl, was die Propheten reden, die Lüge weissagen in meinem Namen und sprechen: Mir hat geträumt, mir hat geträumt. Wann wollen doch die Propheten aufhören, die Lüge weissagen und ihres Herzens Trug weissagen und wollen, dass mein Volk meinen Namen vergesse über ihren Träumen, die einer dem andern erzählt, wie auch ihre Väter meinen Namen vergaßen über dem Baal? Ein Prophet, der Träume hat, der erzähle Träume; wer aber mein Wort hat, der predige mein Wort recht. Wie reimen sich Stroh und Weizen zusammen? spricht der Herr. Ist mein Wort nicht wie Feuer, spricht der Herr, und wie ein Hammer, der Felsen zerschmeißt?

 

Exegetisch-homiletische Skizze

Jeremia lässt uns an seinem inneren Leben bis hinein in sein Gebetsleben teilhaben. Deswegen ist es sinnvoll, seine Botschaft mit dem innig-vertrauten Umgang zwischen Gott und ihm zusammen zu sehen – zwischen dem, der Jeremia berief (1, 15) und dem Propheten, den dieser Auftrag einmal so verzweifeln ließ, dass er den Tag seiner Geburt verfluchte (20, 14+15). Es fällt auf, dass einige der Aussagen des Predigttextes sich an anderer Stelle im Jeremiabuch wiederfinden, nämlich 23, 19+20 in 30, 23+24. Dabei beinhaltet Kap. 23 Gerichtsankündigung und deren Begründung, während Kapitel 30 Heilzusagen für Israel enthält. Dem versuche ich in der Predigt gerecht zu werden, indem ich die Aussage „zur letzten Zeit werdet ihr es klar erkennen“ (V. 20c) einerseits zum Ausgangspunkt nehme, um zu verdeutlichen, in welche Wunde Jeremia mit seiner Gerichtsbotschaft den Finger legen muss. Andererseits liegt in ihr auch der Maßstab für die unbedingte Heilszusage, die ein derart inniges Vertrauen auf Gott wachsen lassen kann, wie wir es bei Jeremia finden. Wie Betrug und Selbstbetrug schleichend und heimlich ineinander übergehen, wusste schon der Prophet Jeremia. Das zeigt seine Aussage in 5, 31: „Die Propheten weissagen Lüge, und die Priester herrschen auf eigene Faust, und mein Volk hat`s gern so“.

 

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„Bin ich nur ein Gott, der nahe ist, spricht der Herr, und nicht auch ein Gott, der ferne ist?“ Dem Propheten Jeremia wurde von Gott eine Botschaft aufgetragen, die fürwahr harte Kost ist. Als Gottes Sprecher muss einmal eine Art Unwetterwarnung vermelden: „Siehe, es wird ein Wetter des Herrn kommen voll Grimm und ein schreckliches Ungewitter auf den Kopf der Gottlosen niedergehen“. Jeremia legt den Finger in eine Wunde: Lug und Trug sind um ihn herum. Sogar bei denen, die maßgeblich beeinflussten, was die Leute landauf landab dachten, erkennt er irreführende Botschaften, die die Menschen in falscher Sicherheit wiegen. Kein Wunder, dass Jeremia sich zahllose Feinde machte. Mehrfach wurden Anschläge auf sein Leben verübt. Jeremia musste in der eigenen Lebensgeschichte hautnah erleben, wie fern Gott manchmal scheinen kann. Wir wissen im Nachhinein, wie Recht Jeremia mit seiner Botschaft hatte. Im Nachhinein hat man es leichter. Darum wäre es wenig hilfreich, nach verlogenen Botschaften Ausschau zu halten, die unter uns genauso im Umlauf sind wie damals. Wir wären genauso schlecht beraten, wenn wir jetzt uns selbst daraufhin erforschen würden, wo sie uns mit Recht treffen könnten.

„Zur letzten Zeit werdet ihr es klar erkennen“, verkündigt Jeremia. Warum erst zur letzten Zeit? Warum nicht schon früher? Vielleicht kann es uns helfen, wenn wir seine Worte mit einer alltäglichen Erfahrung in Verbindung bringen. Im Rückblick ist man meist schlauer als vorher. Schon für die Kinderstube gilt die Erfahrung: Erst ein gebranntes Kind scheut das Feuer. Doch das kann mit erschütternden Erlebnissen verbunden sein. Denken wir an die zahllosen Schreckensmeldungen, die uns erreichen. Wir hören von entsetzlichen Katastrophen. Bisweilen wird, leider zu spät, die Frage aufgeworfen, wie es dazu kommen konnte. Wären die Ausmaße zu verhindern gewesen? In vielen Fällen führen diese Fragen dazu, dass nach Ursachen geforscht wird und vorbeugende Maßnahmen ergriffen werden. Doch immer wieder passiert es, dass sich die schrecklichen Abläufe in ganz ähnlicher Form wiederholen. Man gewöhnt sich fast an sie, so als gehörten sie fest zu unserer Geschichte. Dies kann uns zu einem Hinweis auf einen tieferen Schaden werden oder, wie Jeremia es gelegentlich nennt, auf eine gefährliche Wunde.

Lug und Betrug umgeben uns nicht nur, sie färben gleichsam auf uns ab. Am Ende betrügen wir uns selber und merken es gar nicht mehr. Denn dann schleicht sich etwas leicht in uns ein, was schmeichelnd daherkommt.  Das Märchen von „Des Kaisers neue Kleider“ erzählt, wie es ein paar Gaunern gelingt, einen ganzen Hofstaat um den Finger zu wickeln. Sie behaupten für den Kaiser, der sich gerne in prächtiger Kleidung sehen lässt, ein Gewand weben zu können, mit dem es eine besondere Bewandtnis habe. Nur ausgesprochen kluge und sachverständige Leute wissen es zu würdigen. Am Ende hat der Kaiser bei der Vorführung gar nichts an. Denn die Gauner taten immer nur so, als webten sie an einem Kleid, und die anderen taten so, als ob sie ein außergewöhnliches Gewand sähen, weil sie nicht als dumm dastehen wollten. Nur ein Kind ist schließlich so frei, die Wahrheit auszusprechen. – Es genügt eine Mischung aus Eitelkeiten und einem allgemeinen gegenseitigen Bluff, mit dem man eigene Schwächen, Mängel, Ohnmacht oder Bedürftigkeiten geschickt überdeckt. Wir betrügen uns darum, je in einer gemeinsamen Gegenwart ankommen zu können. Wir hinken einer wirklich gemeinsamen Gegenwart hinterher. Wir leben regelmäßig Momente bösen Erwachens, wenn es mal wieder viel zu spät war.

„Zur letzten Zeit werdet ihr es klar erkennen“. Gottes Wort meint mit diesem Ausspruch bestimmt mehr als nur eine Weisheit, auf die wir auch ebenso gut ohne es kommen könnten. Die Botschaft Jeremias will uns vielmehr aus den Nebelbänken heraus navigieren, in denen gegenseitiger Betrug und Selbstbetrug ineinander übergehen. Die Botschaft, die er uns in Gottes Auftrag verkündigt, will uns nicht in unserer Blöße vorführen. Sie weist uns darauf hin, dass wir am Ende wie Menschen dastehen werden, mit denen Gott wie mit innigst Vertrauten umgeht. Wir finden einmal zueinander, wie Gott schon zu jedem und jeder Einzelnen von uns gefunden hat. Deswegen kann man bei Jeremia auch ganz unglaubliche Dinge von Gott erfahren. Jeremia muss Gottes zornige Wut ankündigen. Die tiefe Wunde, in die der Prophet seine Finger legen muss, schmerzt Gott selbst. „Meine Augen fließen über von Tränen, unaufhörlich Tag und Nacht; denn die Jungfrau, die Tochter meines Volkes ist unheilbar verwundet und völlig zerschlagen“ (Jer 14, 17). Mehr noch: Gott ist zuletzt lieber bereit, die Verantwortung für sie zu übernehmen als dass wir für alle Ewigkeit nicht in einer gemeinsamen Gegenwart ankommen.  „Ich habe dich geschlagen wie einen Feind mit unbarmherziger Züchtigung  um deiner großen Schuld willen…Aber ich will dich wieder gesund machen und deine Wunden heilen, spricht der Herr“ (Jer 30, 14a.17a).  Gott schafft den Raum, dass wir in einer wirklich gemeinsamen Gegenwart ankommen.

Jeremia ist in einer gemeinsamen Gegenwart mit Gott angekommen. Er musste Gott zwar oft wie ganz fern und fremd erleben, geradezu ertragen. Das waren Momente, in denen er seine Berufung Gott beinahe zurückgegeben hätte. Doch in solchen Momenten hielt er daran fest, wie er Gott auch ganz nahe, innig-vertraut, erlebt hatte. Solange wir daran festhalten, dass Gott mit uns am Ende solchen Umgang will und sucht, dürfen wir hoffen,  einmal in einer wirklich gemeinsamen Gegenwart anzukommen. Dann finden wir zueinander, wie Gott immer schon zu uns gefunden hat.

 

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Ein Kommentar zu “Erkennen braucht Zeit

  1. Pastor i.R. Heinz Rußmann

    “Zur letzten Zeit werdet ihr es klar erkennen!” (V 20 c ). Mit diesem Wort des Jeremia verbindet Pastor Funke die auch heute aufrührenden Gerichtworte des Jeremia gegen die falschen Propheten und gegen das Volk mit der einzigen Heilszusage des Predigttextes. Man kann schon nachdenklich werden über Lug und Trug heute. Für Predigende stellt sich die Frage, ob wir nicht zuviel wellness-Religion predigen. Pastor Funke findet dafür klare Worte. Seine Predigt mündet in die Hoffnung, dass wir in einer gemeinsamen Gegenwart mit Gott ankommen. Der Autor kommt zu diesem Ziel, indem er die Perikope durch andere Heilsworte des Jeremia ergänzt. Warum wird aber dazu kein einziges Jesus-Wort ergänzt?

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