Liebe Gemeinde!
„Erntedank“– im Kirchenjahr die immer wiederkehrende Erinnerung an den Segen des Empfangens; die jährliche Aufforderung zum Dank für Erhaltenes; die Bewusstmachung dessen, was uns an Gutem in die Hände gegeben ist. Erntedank – ein willkommener Anlass, darüber nachzudenken, was wir alles ernten durften, z.B. auf unseren Feldern und in unseren Gärten. Der reich geschmückte Altarraum gibt uns einen Eindruck davon, wie reich die Ernte in der Natur bei uns wieder war in diesem Jahr. Aber darüber hinaus gibt uns das Erntedankfest Anlass, uns all das zu vergegenwärtigen, was wir an Gutem ernten und empfangen dürfen in unserem Leben. Was könnten wir, sie und ich, heute symbolisch dazulegen an den Altar? Wofür sind sie ganz besonders dankbar in diesem Jahr? Welche guten Gaben habe ich, haben sie empfangen? Wie sieht unser „Erntedank“ aus?
Empfangen
Stellen sie sich vor, vor ihnen würden Stift und Zettel liegen und sie sollten aufschreiben, was ihnen einfällt als Antwort zu der Frage: „Wofür bin ich dankbar?“Was würden sie aufschreiben? Vielleicht würden sie schreiben: „Mir geht es gut, dafür bin ich dankbar“. Oder: „Ich habe mein finanzielles Auskommen, dafür bin ich dankbar“. Oder: „Ich bin glücklich, in meinem Alter noch meinen klaren Verstand zu haben und am Leben teilhaben zu können, dafür bin ich dankbar“. Vielleicht haben sie in ihrem privaten Leben in diesem Jahr etwas besonders Freudiges erlebt, einen runden Geburtstag, eine Urlaubsreise, die Geburt eines Kindes. Es gibt so vieles, was wir dankbar empfangen dürfen, manchmal nur Kleinigkeiten, die unser Leben hell machen: ein Spaziergang in der Herbstsonne, ein Brief von einem lieben Menschen, Musik im Radio – Anlass, um Gott dafür zu danken. Vielleicht können sie Gott danken und sagen: „Ich freue mich, dass es meiner Familie gut geht“. Bei anderen gibt es beruflich eine gute Entwicklung, die ihnen Zufriedenheit beschert… Wenn wir nachdenken, fällt uns vermutlich allen etwas ein, für das wir dankbar sein können inmitten anderer Dinge, die uns Sorgen machen.
Die Dankbarkeit des Herzens kann den Blick weiten zu den positiven Gesichtspunkten des Lebens. Dieser von der Dankbarkeit geweitete Blick lohnt sich! Er hilft uns, das Gute in unserem Leben nicht selbstverständlich zu nehmen, sondern es bewusst wahrzunehmen und dankbar anzunehmen. Erntedank – Dank für das Gute im Leben, Dank für die Fülle an Gutem, die uns umgibt, die unser Herz erfreut. Erntedank – Dank für den Segen des Empfangens, Dank für die guten Gaben Gottes.
Geben
Unser Predigttext aus dem zweiten Korintherbrief hat nicht etwa (nur) diesen Dank für den Segen des Empfangens zum Thema, sondern er hat (auch) den Segen des Gebens zum Thema. Nicht nur auf dem dankbaren Empfangen liegt Segen, schreibt Paulus, sondern auch auf dem freudigen Geben. Wer dankbar ist für das, was er empfängt, der ist auch leichter und freudiger bereit zu geben. Wer mit Dank nimmt, der kann auch mit Freude geben, der gibt nicht unwillig oder aus Zwang, sondern bereitwillig und gerne. Dieses freudige Geben ist Gott wohlgefällig. „Einen fröhlichen Geber hat Gott lieb“, heißt es im Predigt. Also nicht nur einen dankbaren Empfänger seiner Segensgaben hat Gott lieb, sondern auch einen fröhlichen Geber. Jeder Mensch ist Gott wohlgefällig, der das Gute, das er empfangen hat, bereit ist, mit andern zu teilen.
„Tue Gutes und teile mit anderen!“ – eigentlich ein selbstverständlicher Satz, aber zugleich für viele Menschen unendlich schwer in der Umsetzung. Viele haben ständig das Gefühl, im Leben zu kurz gekommen zu sein, ungerecht behandelt zu werden; viele fühlen sich gegenüber anderen zurückgesetzt. Ein verbitterter, frustrierter Mensch gibt nicht gerne –warum soll ich anderen entgegenkommen, die geben mir ja auch nichts. Aber was für ein Leben ist das, wenn jemand nichts für andere übrig hat, sich nicht für andere Menschen interessiert, alles nur mit sich abmacht, alles, was er hat, nur für sich behalten will und mit niemandem teilt? Ein solcher wird auch wenig oder nichts empfangen. So wie es im Predigttext heißt: „Wer da kärglich sät, der wird auch kärglich ernten“. Dagegen macht zufrieden, was Paulus im Predigttext mit den Worten umschreibt: „… wer da sät im Segen, der wird auch ernten im Segen“. „Säen im Segen“, gerne teilen, fröhlich geben – wie kann das aussehen in unserem Leben? Es geht keineswegs immer nur um Geld. Es gibt außer Geld noch so viel Anderes, was wir geben und teilen können. Wir können z.B. etwas von unserer knappen Ressource „Zeit“ für andere Menschen einsetzen, ihnen schenken. Eine „Zeitspende“ kann ein Gespräch mit jemandem sein, der ein Ohr zum Zuhören braucht, Zeit mit Menschen verbringen, die mir nahe stehen. Auch hier gilt: „Wer da kärglich sät, der wird auch kärglich ernten; und wer da sät im Segen, der wird auch ernten im Segen. … denn einen fröhlichen Gebet hat Gott lieb“.
Empfangen und geben
So könnten wir jetzt in Gedanken noch eine zweite Liste schreiben und neben die erste Liste legen, auf der wir notiert haben, „Wofür ich dankbar bin“. Eine Liste schreiben mit Antworten auf die Frage: „Was kann ich geben? Wie kann ich teilen?“ Wie und wodurch kann ich einem anderen Menschen eine Freude machen? Wie kann ich meine Verbundenheit mit anderen Menschen vertiefen, durch das, was ich geben kann und zu teilen bereit bin? Ich bin überzeugt: Jeder Mensch kann etwas geben, jeder Mensch kann für andere etwas Gutes tun, was auch immer es sein mag. Es müsste nur jeder seine Fantasie spielen lassen. Auf dem Versuch, Gutes zu tun und mit anderen zu teilen, liegt Gottes Segen. So wie Paulus sagt: „Der aber Samen gibt dem Sämann und Brot zur Speise, der wir auch euch Samen geben und ihn mehren und wachsen lassen die Früchte eurer Gerechtigkeit“. Auch auf dem Geben liegt Segen, manchmal mehr noch als auf dem Nehmen. So wie die Bibel sagt: „Geben ist seliger denn nehmen“.Menschen, die an allem geizen, am Geld, an der Zeit, an der Liebe, am Gemeinschaftssinn, am Einsatz für andere – deren Same wird verkümmern, weil er nicht eingesetzt wird. Ist es die Angst vor Enttäuschung oder die Angst, etwas zu verlieren, dass sich viele Menschen aus der Gemeinschaft zurückziehen? Es klingt paradox, aber es ist wahr: Reich werden wir auch durch den Segen des Gebens, nicht nur durch den Segen des Nehmens; reich werden wir durch den Segen des Teilens und nicht nur durch den Segen des Empfangens. Was wir teilen, macht uns nicht ärmer, sondern reicher. Es beschert uns in unserem persönlichen Leben inneren Reichtum, der uns zum Tun des Guten motiviert, nämlich durch Gottes Gnade, so wie Paulus schreibt: „So werdet ihr reich sein in allen Dingen, zu geben in aller Einfalt, die durch uns wirkt Danksagung an Gott“.
Heute feiern wir Erntedank. Wir danken für das Gute, dass wir durch Gottes Güte in unserem Leben empfangen. Wir wollen aber auch in den Blick nehmen, was wir Gutes geben können, denn „einen fröhlichen Geber“ hat Gott genauso lieb wie einen dankbaren Empfänger seiner Gaben. So möchte ich in ein Gebet einstimmen, dass uns nicht nur zur Dankbarkeit ermuntert, sondern gleichzeitig auch zum Tun des Guten auffordert: „Gott, mir gehen die Augen buchstäblich über, wenn ich sehe, wie groß die Ernte wieder einmal ausgefallen ist. Mir geht es gut, dafür bin ich dankbar. Zeige mir, wie ich anderen Menschen Gutes tun kann – Ihnen zur Hilfe und dir zur Ehre“.
Amen.